105. Der griechische Prinz
Von Barbara Cartland
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Rezensionen für 105. Der griechische Prinz
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105. Der griechische Prinz - Barbara Cartland
1 ~ 1902
»Die Königin sah wunderschön aus in ihrem grauen Kleid, an dessen Mieder sternförmige Diamantbroschen in abgestuften Größen glitzerten. Diese Broschen gehörten zu ihrem Lieblingsschmuck.«
Angelinas Stimme erstarb, und sie legte das Buch beiseite, aus dem sie ihrer Großmutter vorgelesen hatte, als sie bemerkte, daß diese eingenickt war. Doch ohne Anweisung ihrer Großmutter durfte sie das Zimmer nicht verlassen.
Sie streckte die Beine aus und brachte damit TwiTwi, den weißen Pekinesen, der es sich zu ihren Füßen bequem gemacht hatte, aus der Ruhe. Ein ärgerliches Knurren war die Antwort.
Sofort wachte ihre Großmutter auf.
»Was ist los mit TwiTwi?« fragte sie. »Will er nach draußen?«
»Ich glaube, ja, Großmutter.«
»Dann geh hinaus mit ihm! Sofort!« befahl Lady Medvin. »Du weißt, daß er alle vier Stunden ausgeführt werden soll.«
Sie war zwar erst zwei Stunden zuvor mit ihm im Garten am Belgrave Square spazieren gegangen, doch Angelina erwiderte gehorsam: »Ja, Großmutter, ich werde mit TwiTwi in den Garten gehen, und ich hoffe, daß du ein wenig schlafen kannst.«
»Das bezweifle ich«, entgegnete Lady Medvin würdevoll.
Doch bevor Angelina noch an der Tür des Schlafzimmers angelangt war, hatte ihre Großmutter bereits die Augen geschlossen. Sie würde jetzt für mindestens eine halbe Stunde ihr nachmittägliches Nickerchen halten.
Für eine Weile ihrer Verpflichtungen enthoben, lief Angelina in ihr eigenes Schlafzimmer hinauf und setzte einen mit Blumen besetzten Strohhut auf, der genau zu ihrem Musselinkleid paßte.
Selbst für den Monat August war es ungewöhnlich heiß. Normalerweise hätten die meisten Londoner zu dieser Zeit die Stadt verlassen, um sich in ihre Landhäuser zurückzuziehen oder einen Urlaub an der See zu verbringen.
Doch am 9. August würde in der Westminster Abbey die Krönung König Edwards VII.. stattfinden, der alle in und ausländischen Würdenträger und jeder, der einen gewissen gesellschaftlichen Rang hatte, beiwohnen würden.
Ursprünglich war die Krönung für den 26. Juli vorgesehen gewesen, wurde dann jedoch kurzfristig wegen einer Blinddarmentzündung des Königs verschoben.
Es war allgemein bekannt, daß er sich zunächst geweigert hatte eine Verschiebung des Krönungstermins auch nur in Erwägung zu ziehen. Am 23 . Juni jedoch eröffneten ihm seine Ärzte daß er eine Bauchfellentzündung habe und sterben würde, wenn er sich nicht sofort operieren ließe.
In glühenden Worten beschrieben die Zeitungen, wie heftig der neue König, der sein Volk nicht enttäuschen wollte, mit den Ärzten gestritten hatte. Schließlich jedoch gelang es den Ärzten, ihn zu der lebensnotwendigen Operation zu überreden, die am folgenden Tag ausgeführt werden sollte.
Die ganze Nation, ja die ganze Welt war geschockt von dieser Nachricht und nach dem geglückten Eingriff überglücklich vor Freude.
Obwohl Angelina der bedeutungsvollen Zeremonie nicht beiwohnen würde, entging ihr der damit verbundene Trubel natürlich nicht.
Das Haus ihrer Großmutter lag neben der Botschaft der Insel Kephallenia, und Angelina beobachtete voller Entzücken das Eintreffen der Beamten in ihren prächtigen, mit Orden geschmückten Uniformen, sah sie wieder abreisen und schließlich, jetzt im August, wieder in die Botschaft einziehen.
Sie nahm jede sich bietende Gelegenheit wahr, um TwiTwi im Garten spazieren zu führen und dabei so viel wie möglich von den aufregenden Ereignissen, die sich vor der Botschaft abspielten, mitzubekommen.
Auf diese Weise gewann auch sie einen, wenn auch nur sehr kleinen Eindruck von der Bedeutung der Krönung.
Sie hatte ihre Großmutter inständig gebeten, in Begleitung eines der Diener die Prozession, die vom Buckingham Palace zur Westminster Abbey zog, ansehen oder sich vor dem Palast aufhalten zu dürfen, doch Lady Medvin hatte es ihr nicht erlaubt.
»Ich will nicht, daß du dich wie ein Milchmädchen vom Lande unter die neugierige Menge mischst«, hatte sie mit Bestimmtheit erklärt. »Außerdem sind die Dienstboten zu alt, um stundenlang stehen zu können. Und das müßten sie, wenn sie dich begleiten.«
Das entsprach sicher der Wahrheit, denn alle Dienstboten in dem riesigen, düsteren Haus am Belgrave Square standen bereits seit vielen Jahren in den Diensten ihrer Großmutter. Bei einem seiner Heimatbesuche aus Indien hatte ihr Vater einmal erklärt, sie lägen alle schon »in den letzten Zügen«.
Aus diesem Grund auch durfte Angelina TwiTwi allein, ohne die Begleitung eines Mädchens, im Garten ausführen.
Hannah, die sich seit über fünfzig Jahren um Lady Medvin kümmerte, hatte vom Rheuma schmerzende Knie und kam nur noch zu den Mahlzeiten die Treppe herunter.
Die drei Hausmädchen gehörten der gleichen Altersstufe an, und ein Besucher mußte mindestens sechsmal an der Tür läuten, bis Ruston, der alte Butler, endlich die Haustür erreicht hatte.
Angelina genoß diese Spaziergänge mit TwiTwi.
Von der Stadt kannte sie kaum mehr als die unmittelbare Umgebung von Belgrave Square, denn es war ihr nur sehr schwer möglich, jemanden zu finden, der sie zu einem Einkaufsbummel durch die Geschäfte begleitete.
Im Augenblick jedoch war sie völlig zufrieden damit, so viel Zeit wie möglich im Garten verbringen zu können.
Während sie durch die Büsche spähte, könnte sie viel von den aufregenden Geschehnissen vor der Botschaft beobachten, ohne selbst gesehen zu werden.
Auch TwiTwi war ganz zufrieden damit, zwischen den Büschen herumschnüffeln zu können, und fühlte sich hier sicher, wohler als irgendwo sonst. Zudem war es immer ziemlich aufregend, ihn außerhalb des Gartens spazieren zu führen, denn für die Mehrzahl der Engländer waren Pekinesen noch immer eine unbekannte, fremdartige Hunderasse.
Angelina hatte sich ausgiebig mit der Geschichte dieser Hunde beschäftigt, die China über Jahrhunderte hinweg nicht hatten verlassen dürfen.
Sie hatte alles gelesen, was sie in Büchern darüber finden konnte. Manchmal auch, wenn sie in Hundeausstellungen zu sehen waren, erschienen in den Zeitungen und Zeitschriften Artikel über sie.
Diese Artikel schnitt sie dann aus und sammelte sie in einem Album. Inzwischen hatte sie all das, was sie auf diese Weise über die Pekinesen erfahren hätte, schon so vielen Leuten erzählt, daß sie es beinahe auswendig konnte.
Im Jahre 565 soll Kaiser KaoWei von der nördlichen Chow Dynastie einen persischen Hund besessen haben, den er Ch’in Hu oder Roter Tiger nannte.
Diesem Ch’in Hu verlieh er den Titel und die Privilegien eines ChunChun, dessen Rang mit dem eines Herzogs zu vergleichen war.
Der Hund wurde mit ausgewähltem Fleisch und Reis gefüttert, und bei den Ausritten des Kaisers saß er vor ihm auf einer Matte, die man vor dem Sattel befestigt hatte.
Aus diesem Hund und einigen anderen, die in mit Seide ausgeschlagenen Reisewagen von der Insel Melitta nach China gebracht worden waren, wurde schließlich eine kleinwüchsige Hunderasse gezüchtet, die in China nahezu zum Heiligtum wurde.
Sie würden in den kaiserlichen Stand erhoben, doch außerhalb Chinas kannte sie niemand.
Nach dem Boxeraufstand fanden drei englische Offiziere, die den Sommerpalast in der Nähe von Peking niedergebrannt hatten, fünf dieser kleinen Hunde, die die Leiche einer Hofdame bewachten, die Selbstmord begangen hätte.
Einer dieser Hunde wurde von dem jungen Hauptmann John Hart Dunne nach England gebracht, der ihn Königin Victoria zum Geschenk machte.
Jedes Mal wenn Angelina an diesem Punkt der Geschichte anlangte, geriet ihre Stimme ins Wanken, denn es bewegte sie sehr, daß der junge Hauptmann der Königin den Hund schenken wollte, den er auf dem weiten, beschwerlichen Weg von China nach England mitgebracht hatte.
So kam Looki, wie der Pekinese genannt wurde, an den Hof der Königin. Er war der erste Pekinese, der in England auftauchte.
Zwei Jahre später brachte Lord John Hay, der Kommandeur der Fregatte »Odin«, zwei weitere Pekinesen nach England.
Er schenkte sie der Herzogin von Wellington, der Schwester der Königin, die daraufhin begann, diese Hunderasse in Stratfield Saye zu züchten.
Auch Sir George Fitzroy brachte zwei Pekinesen mit nach England und übergab sie seiner Cousine, der Herzogin von Richmond.
Auch Angelinas Vater, Generalmajor Sir George Medvin, hatte während seines Aufenthaltes im Fernen Osten von diesen chinesischen Hunden gehört, und als er vor zwei Jahren auf Urlaub nach Hause kam, brachte er seiner Mutter als Geschenk einen kleinen weißen Pekinesen mit, dem er den Namen TwiTwi gab.
Als Lady Medvin dieses seltsam aussehende Tierchen zum ersten Mal sah, war sie überrascht und leicht befremdet gewesen. Bald jedoch hing sie mit abgöttischer Liebe an dem Hund.
Und ebenso erging es den übrigen Bewohnern des Hauses, die TwiTwi vergötterten und ihm in unterwürfiger Liebe jeden Wunsch erfüllten.
Sie rissen sich darum, TwiTwi auf bestem chinesischen Geschirr sein fein zerschnittenes Fleisch zu bringen, und nutzten jede Gelegenheit, um ihn zu streicheln.
TwiTwi nahm diese Fürsorge und Zuwendung ziemlich ungerührt hin und behandelte sie mit einer Arroganz, deren Ursprung - davon war Angelina überzeugt - darin liegen mußte, daß er sich seiner Bedeutung voll bewußt war.
Er betrachtete Angelina als seine Herrin und schenkte den anderen nur sehr wenig Aufmerksamkeit, auch wenn er sich manchmal dazu herabließ, Lady Medvin Gesellschaft zu leisten.
Mit der Würde eines Mandarins und der Autorität eines Kaisers pflegte er im Haus herumzustolzieren.
Angelina freute sich darüber, daß er sie mochte. Wenn er von ihr gestreichelt werden wollte, gab er ihr das durch einen sanften, liebevollen Stupser gegen ihre Hand zu verstehen.
Meist jedoch saß er abseits von den anderen und sah ihnen mit kühlem, unpersönlichem Blick entgegen, als hielte er sie für seine Untertanen, mit denen er keinen zu engen Kontakt haben wollte.
Für Angelina bedeutete er einen willkommenen Vorwand, das Haus des Öfteren verlassen zu können und ihren Alltag auf diese Weise etwas abwechslungsreicher und interessanter zu gestalten.
»Komm, TwiTwi«, rief sie jetzt, und der kleine Hund lief hinter ihr her aus dem Zimmer ihrer Großmutter. »Wir gehen spazieren.«
Er verstand sie sofort und lief bereitwillig in den zweiten Stock hinunter. Er wußte genau, wohin sie gingen, und blieb unten an der Treppe sitzen.
Angelina, die einen Hut auf ihr blondes Haar gestülpt hatte, kam mit leuchtenden Augen die Treppe herunter gelaufen und sah aus wie ein kleiner rosaweißer Engel.
Sie war sehr schön, wenngleich sie noch recht kindlich wirkte, was wiederum in Widerspruch zu ihrem Wesen stand, denn Angelina war nicht nur intelligent, sondern auch sehr belesen.
Da sie schon immer viel allein gewesen war und nur wenig Spielgefährten gehabt hatte, hatte sie jedes Buch gelesen, das ihr in die Hände kam. So war sie, was ihre geistige Reife betraf, ihren Altersgenossinnen weit überlegen.
Als ihre Mutter noch lebte, hatten sie auf dem Lande gelebt und waren, da sie nicht genügend Geld besaßen, nur selten in die Stadt gereist.
Doch Angelina war zufrieden gewesen mit diesem Leben, mit einem Pferd, das sie reiten durfte, und dem großen Garten, der stets ungepflegt und verwildert aussah, weil sie sich keinen Gärtner leisten konnten.
Ihr Vater war die meiste Zeit mit seinem Regiment im Ausland, und sie bekam ihn so selten zu Gesicht, daß sie ihn, als sie noch klein war, bei seinen wenigen Besuchen kaum wiedererkannte.
Kurz nach dem Tode ihrer Mutter wurde Sir George als Oberbefehlshaber der Armee an die Nordwest-Grenze nach Indien geschickt.
Angelina hatte ihn inständig gebeten, sie mitzunehmen, doch er hatte erklärt: »Frauen stören nur, wenn man kämpfen muß. Außerdem hätte ich gar keine Zeit, mich um dich zu kümmern.«
Das bedeutete, daß sie bei ihrer Großmutter leben mußte. Seit etwa einem Jahr hatte sie keinerlei Lust mehr, die Schule zu besuchen.
Mit größter Mühe und allen ihr zur Verfügung stehenden Überredungskünsten hatte sie es durchgesetzt, daß sie ihren Musikunterricht bei einem hochbetagten Musiklehrer fortsetzen durfte, der früher in einem berühmten Orchester gespielt hatte.
Sonst gab es nur Bücher für sie; Bücher erzählten ihr von der Welt, die außerhalb ihres begrenzten Lebensraumes lag.
Da waren die weltweite Bestürzung über den Tod Königin Victorias und jetzt der Trubel und die Aufregung um die Krönung des neuen Königs.
Die Botschaft von Kephallenia am Belgrave Square hatte ihre Pforten erst vor einem Jahr geöffnet, und damit hatte sich für Angelina ein neues Interessengebiet aufgetan.
Natürlich wußte sie, wo Kephallenia lag schließlich floß in ihren Adern auch etwas griechisches Blut, worüber sie allerdings mit keinem Menschen reden durfte.
Gerade wegen dieses Tabus jedoch war Angelinas Interesse an Griechenland besonders groß.
Ein großer Teil des für ihre Garderobe vorgesehenen Budgets wanderte in die Londoner Stadtbücherei.
Sie suchte sich in den Katalogen die für sie interessanten Bücher aus und ließ sie sich per Post zuschicken.
Zuerst hatte sie die. Mythologie der griechischen Götter und Göttinnen gelesen, die auf dem Berg Olymp gelebt hatten. Dann hatte sie die Leiden des griechischen Volkes unter dem alles erobernden Osmanischen Reich verfolgt.
Kephallenia war eine große Insel vor der Westküste Griechenlands. Obwohl Angelina zunächst kaum etwas Geschriebenes über diese Insel fand, spürte, sie, daß die Einrichtung dieser Botschaft neben dem Haus ihrer Großmutter von schicksalhafter Bedeutung für sie sein würde.
Als sie jetzt, gefolgt von dem mit hoheitsvoller Miene hinter ihr her stolzierenden TwiTwi die Treppe hinunterging, wanderten ihre Gedanken zu Prinz Xenos, und sie hoffte, diesmal das Glück zu haben, ihn sehen zu können.
Sie hatte ihn nur einmal flüchtig gesehen, als er zum ursprünglich geplanten Krönungstermin in. England eintraf.
Groß, dunkel und gutaussehend, entsprach er genau ihrer Vorstellung von einem griechischen Mann.
Dann war die ganze Abordnung von Kephallenia wieder abgereist, und nur der ältliche Gesandte hielt sich noch in der Botschaft auf. Jetzt jedoch war der Prinz wieder da - vorgestern war er in London eingetroffen.
Angelina hatte auf ihn gewartet. Wenn sie nicht im Garten sein und durch das Buschwerk spähen konnte, hatte sie durch die Vorhänge des großen Salons hinausgesehen, der sich beinahe über die ganze erste Etage des Hauses ihrer Großmutter erstreckte. Seitdem Lady Medvin bettlägerig war, hatte man die Möbel im Salon mit Leintüchern abgedeckt, die Rollläden waren heruntergelassen und die schweren Damastvorhänge zugezogen.
Im Erdgeschoß befand sich ein Wohnraum, den Angelina als Arbeitszimmer benutzte und der viel gemütlicher als der Salon war.
Angelina empfand es als Verschwendung, einen großen, schön eingerichteten Raum im Haus zu haben, der verhüllt war, als läge er in Trauer, und der wohl kaum wieder benutzt werden würde, wenn sich der Gesundheitszustand ihrer Großmutter nicht wie durch ein Wunder besserte.
Lady Medvin war sehr krank, und die Ärzte, die sie häufig besuchten, machten Angelina nicht viel Hoffnung, daß sie ihr Krankenzimmer je wieder würde verlassen können.
Oft träumte Angelina,