64. Alvina engel meines Herzens
Von Barbara Cartland
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Buchvorschau
64. Alvina engel meines Herzens - Barbara Cartland
1 ~ 1818
Herzog Ivar von Harlington sah sich voll Zufriedenheit um. Sein Stadtpalais am Berkeley Square war in tadellosem Zustand. Die Portraits seiner Vorfahren in der Halle erfüllten ihn mit Stolz.
Die Sammlung französischer Meister, von einem der vorhergehenden Herzoge zusammengetragen, hatte er vor dem Krieg gegen Napoleon nie richtig zu schätzen gewußt. Jetzt jedoch, nach seinem dreijährigen Aufenthalt in Frankreich, sah er sie mit völlig anderen Augen.
Der Herzog war ein intelligenter, selbstkritischer Mann und wußte sehr wohl, daß das Leben auf dem Kontinent seinen Horizont erweitert und er sich Wissen über Dinge angeeignet hatte, denen er vorher mit Gleichgültigkeit begegnet war.
Er war ein großer, besonders gutaussehender Mann, der den Offizier - auch wenn er es gewollt hätte - nicht verleugnen konnte. Sein Gang war aufrecht, sein Blick gerade und nüchtern.
Die Frauen, denen er mehr als zugetan war, pflegten zu bemerken, daß sein Hang, den Dingen auf den Grund zu gehen, ungewöhnlich sei und nur mit Enttäuschungen enden könne.
Er hatte sich nie die Mühe gemacht, derlei Bemerkungen eingehender zu überdenken, denn das Leben hatte ihn gelehrt, Menschen, gleich ob Mann oder Frau, nicht nach ihrer Erscheinung, ihrem Stand oder Amt zu beurteilen, sondern ausschließlich nach ihrem Charakter und ihrer Persönlichkeit.
Seine einflußreiche Position in Wellingtons Heer verdankte er einzig und allein diesem Urteilsvermögen. Er besaß nicht nur Führungstalent, wie jemand einmal gesagt hatte, sondern besaß jene magnetischen Kräfte, die große Männer auszeichnen.
Sprach man ihn auf dieses Talent an, lachte er. Da er nicht im mindesten eingebildet war, konnte er nur hoffen, daß Wertschätzungen dieser Art keine leeren Komplimente waren.
Während er jetzt vom Salon in die Bibliothek ging, schätzte er sich glücklich. Er schien zu den wenigen Menschen zu gehören, die vom Schicksal begünstigt wurden.
Er hatte die strapaziösen Jahre in Portugal, Spanien und Südfrankreich unangefochten überlebt, und war ohne einen Kratzer aus der Schlacht von Waterloo hervorgegangen, während viele seiner Freunde und Altersgenossen an seiner Seite gefallen waren.
Nicht nur Großbritannien, sondern ganz Europa war durch die Freiheitskriege aus dem Gleichgewicht geraten.
So unglaublich es scheinen mochte, die unruhigen Zeiten waren vorbei, Waterloo lag drei Jahre zurück, und die Besatzungstruppen wurden aus Frankreich abgezogen.
Nach all den dramatischen Verhandlungen, dem Tauziehen der Verbündeten, den getroffenen Abkommen, konnte es der Herzog kaum glauben, daß er nun ein freier Mensch war.
Der Kongreß in Aachen stand noch aus. Er sollte im Oktober stattfinden. Dessen ungeachtet mußte der letzte britische Soldat bis zum dreißigsten November französischen Boden verlassen haben.
Wellington hatte den Herzog, wenn auch widerstrebend, schon zu Beginn des Sommers ziehen lassen, und dieser mußte sich nun seinen persönlichen Problemen zuwenden.
Bei seiner Rückkehr ein perfekt geführtes Stadtpalais vorzufinden, war eine angenehme Überraschung gewesen. Er hatte einen seiner Adjutanten, einen außerordentlich verläßlichen Mann, mit der Kunde seiner Ankunft vorausgeschickt und beabsichtigte zumindest so lange zu bleiben, bis er dem Prinzregenten und dem König - falls es die Gesundheit seiner Majestät zuließ - seine Aufwartung gemacht hatte.
Nach so vielen Jahren Abwesenheit war es merkwürdig, wieder in England zu sein, besonders deshalb, weil sich seine gesellschaftliche Stellung grundlegend geändert hatte.
Als Ivar Harling und einer der jüngsten Obristen des britischen Heers hatte er England verlassen und trotz der schweren Zeiten an vielem, was leider meistens seine finanziellen Möglichkeiten überstiegen hatte, Gefallen gefunden.
Als Herzog von Harlington war er zurückgekehrt. Er war inzwischen nicht nur Mitglied des Hochadels und mußte den mit seinem ererbten Titel verbundenen Pflichten nachgehen, sondern ein extrem wohlhabender Mann.
Bei den Unterlagen, die ihm in Paris von den Bankiers des verstorbenen Herzogs überreicht worden waren, hatte sich sowohl eine Liste der Besitztümer befunden, die er nun sein eigen nannte, als auch eine Aufstellung der Konten, die auf seinen Namen liefen.
Sein Erbe schien grenzenlos zu sein. Da ihn Wellington jedoch gebraucht hatte, hatte es der neue Herzog nicht sofort angetreten, sondern weiterhin seinem Vaterland gedient.
Jetzt stand er in der Bibliothek und betrachtete die Rücken der ledergebundenen Bücher in den Regalen, die an drei Wänden bis zur Decke reichten. An der vierten Wand hingen über dem Kamin kolorierte Kupferstiche, auf denen Jagdszenen abgebildet waren.
Ein ältlicher Butler kam herein, gefolgt von einem Diener mit einem Silbertablett, auf dem ein Sektkübel stand, in dem das Familienwappen eingraviert war.
Als ihm ein Glas Champagner offeriert wurde, bemerkte der Herzog, daß die Livree des Dieners schlecht gebügelt war und zu wünschen übrigließ.
Er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, dem jungen Mann zu sagen, daß er in Zukunft mehr auf sein Äußeres zu achten habe.
Als dieser das Tablett auf einem Beistelltischchen abgestellt hatte, zog er sich zurück, während der Butler von einem Fuß auf den anderen trat und noch blieb.
„Gibt es noch etwas? fragte der Herzog. „Wenn ich mich recht erinnere, heißen Sie Bateson, oder?
„Ja, Euer Gnaden. Bateson. Ich hoffe, Euer Gnaden haben alles zu Ihrer Zufriedenheit vorgefunden. Wir hatten nur drei Tage Zeit, Euer Gnaden Ankunft vorzubereiten. Das Haus war während der letzten sechs Jahre unbewohnt."
„Zu meiner vollsten Zufriedenheit, Bateson, erklärte der Herzog lächelnd. „Ich war erstaunt, wie gepflegt alles aussieht.
„Wir haben uns die größte Mühe gegeben, Euer Gnaden. Ich habe mir erlaubt, einige Frauen einzustellen, um die Räume herrichten zu lassen, von denen ich annahm, daß Euer Gnaden sie zu benutzen wünschen, aber es muß noch eine Menge getan werden."
„Da der verstorbene Herzog in den letzten Jahren seines Lebens so krank gewesen und nicht mehr nach London gekommen ist, hatten Sie das Personal auf ein Mindestmaß reduziert, nehme ich an."
„Nur meine Frau und ich waren noch da, Euer Gnaden", sagte der Butler.
„Tatsächlich? Der Herzog schüttelte erstaunt den Kopf. „Ein so großes Haus braucht einen ganzen Stab von Angestellten. Jedenfalls war alles in einem Zustand, wie ich ihn vorzufinden gehofft hatte, Bateson.
„Das freut mich, Euer Gnaden, entgegnete der Butler. „Wenn Euer Gnaden mir gestatten, das Personal auf den entsprechenden Stand zu bringen, wird bald alles wieder so sein wie in guten alten Zeiten.
„Aber natürlich, Bateson."
Die Worte des alten Butlers rangen dem Herzog ein Lächeln ab. ,Die guten alten Zeiten‘ wurden in diplomatischen und politischen Kreisen vielfach bewitzelt und er war überzeugt davon, daß unter den Dienstboten und Hausangestellten so manche sehnsüchtige Bemerkung darüber fiel.
In jedem Land, und er hatte eine ganze Reihe von Ländern durchzogen, waren die guten alten Zeiten in aller Munde. Man verglich sie mit der Gegenwart und hob sie in den Himmel.
Der Butler schien zu merken, daß der Herzog mit eigenen Gedanken beschäftigt war und das Gespräch nicht fortführen wollte.
„Lunch wird bald serviert werden, Euer Gnaden, sagte er daher. „Ich hoffe, es wird den Vorstellungen und Ansprüchen Euer Gnaden entsprechen.
Damit zog er sich zurück, während der Herzog überlegte, wie alt der Mann sein mochte, der fast unterwürfig darauf erpicht zu sein schien, ihn zufriedenzustellen.
Er erinnerte sich daran, daß es Bateson schon gegeben hatte, als er zum ersten Mal mit seinem Vater in dieses Haus gekommen war. Von sechs strammen Dienern flankiert, hatte er die Gäste in der Halle empfangen.
Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
Butler Bateson war schätzungsweise Mitte sechzig. Er war sein ganzes Leben lang in herzoglichem Dienst gestanden und wollte offensichtlich weder die Stellung wechseln, noch frühzeitig in den Ruhestand gehen müssen.
Die Arbeitslosigkeit war derzeit groß, und ein Mann seines Alters hatte kaum Aussichten, etwas zu finden. Die Tatsache, daß die Besatzungstruppen aus Frankreich zurückgezogen und aus dem Heer entlassen wurden, versprach die Situation noch zu verschlechtern.
Als Wellington bekannt gegeben hatte, daß er sein Truppenkontingent um dreißigtausend Mann zu verringern gedachte, waren die Wellen hochgeschlagen.
Da Ivar Harlington jedoch über die nötigen Mittel verfügte, brauchte er keine Leute zu entlassen - im Gegenteil. Jedes Haus, das er besaß, sollte mit dem entsprechenden Personal bestückt sein.
Während des vorzüglichen Mittagessens, das ihm von Bateson und zwei Dienern serviert wurde, beschloß er, als erstes seinen neuen Stammsitz in Buckinghamshire zu besuchen.
Seit zwei Jahren bereits war er Besitzer von Schloß Harlington, aber der Gedanke, der fünfte Herzog von Harlington zu sein, befremdete ihn immer noch.
Obwohl er von klein auf stolz darauf gewesen war, zu einer Familie zu gehören, die seit den Kreuzzügen entscheidend an der Geschichte Englands mitgewirkt hatte, hätte er nicht in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt, an der Spitze des Herzogtums zu stehen.
Er hatte nur zu gut gewußt, daß sein Stand innerhalb der Familie der Harlingtons von geringer Bedeutung war. War doch sein Vater lediglich ein Cousin des vorherigen Herzogs gewesen und er selbst in der Erbfolge an dritter Stelle.
Die Freiheitskriege hatten viel Kummer und Leid gebracht. Ganz Europa hatte darunter gelitten, und auch der vorhergehende Herzog hatte seinen einzigen Sohn Richard in der Schlacht von Waterloo verloren.
Ivar Harling hatte ihn noch kurz vor seinem Tod getroffen und mußte oft daran denken, wie zuversichtlich er gewesen war.
„Wenn wir diesmal die Franzmänner nicht endgültig schlagen, hatte er gesagt, „dauert der Krieg noch fünf Jahre.
„Meinst du?" hatte Ivar Harling entgegnet.
„Ich bin bereit, eine Kiste Champagner zu verwetten."
„Meinetwegen - abgemacht. Hoffentlich verliere ich."
„Es wäre wirklich zu hoffen, hatte Richard lachend gesagt. „Aber einmal im Ernst, Ivar - wie stehen unsere Chancen?
„Wenn uns die Preußen rechtzeitig zu Hilfe kommen, ausgezeichnet."
Die Preußen waren tatsächlich unter Führung von Graf Gneisenau rechtzeitig zu Hilfe gekommen und hatten entscheidend in die Schlacht eingegriffen, aber Richard Harlington war es nicht vergönnt gewesen, mit seinen Kameraden den Sieg zu feiern.
Nach dem Essen wirkte das Haus wie ausgestorben.
Daran gewöhnt, ständig von Menschen umgeben zu sein, empfand der Herzog die plötzliche Stille unangenehm hörbar. In Wellingtons Hauptquartier in Paris war es gewöhnlich zugegangen wie in einem Taubenschlag: Staatsmänner hatten sich die Türklinke in die Hand gegeben, Tag und Nacht waren Befehle ausgegeben worden, Beschwerden hatten angehört, Anträge erwogen und Berichte geprüft werden müssen.
Dazu Gesellschaften, Empfänge, Bälle und natürlich endlose Verhandlungen, bei denen viel geredet und oft wenig erreicht worden war.
Allerdings hatte es auch verlockende Stunden gegeben, voller Leidenschaft und Zärtlichkeit.
Die Frauen hatten den jungen General angebetet. Als vor einem Jahr bekannt geworden war, daß er den Titel des Herzogs und die damit verbundenen Ländereien geerbt hatte, hatten sie ihm zu Füßen gelegen.
Er war, wie man zu sagen pflegte, zur höchst begehrenswerten Partie