86. Entscheidung des herzens
Von Barbara Cartland
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Rezensionen für 86. Entscheidung des herzens
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Buchvorschau
86. Entscheidung des herzens - Barbara Cartland
1 ~ 1802
Graf Charncliffe lenkte sein Vierergespann geschickt durch die belebten Straßen und zog dabei die Blicke aller Leute auf sich.
Es war nicht verwunderlich, daß er Aufsehen erregte. Seine vier prachtvollen Rappen waren das perfekte Gespann für den neuen gelben Phaeton, der ihm erst kürzlich vom Wagenbauer geliefert worden war.
Der Graf setzte seinen höchsten Stolz daran, sich von seinen Zeitgenossen zu unterscheiden, was die jungen Stutzer jedoch nicht davon abhalten würde, sich innerhalb weniger Monate ebenfalls mit einem nagelneuen gelben Phaeton zu schmücken. Sie kopierten einfach alles an ihm: die Art, wie er seine Krawatten band, den eleganten Schnitt seiner maßgeschneiderten Kleidung, die auf Hochglanz polierten Schaftstiefel.
Doch nicht nur die Herren der Schöpfung waren von ihm beeindruckt. Da der Graf stets großen Wert auf ein makelloses Äußeres legte und zudem noch blendend aussah, war es kein Wunder, daß ihm die Herzen aller Frauen zuflogen, die ihm begegneten. Er genoß seinen Ruf als Lebemann zwar, gestand sich jedoch bisweilen zynisch ein, daß er wesentlich öfter verführt wurde, als daß er selbst verführte.
Nun war er zum ersten Mal im Begriff, sich ernsthaft um die Gunst einer Schönen zu bemühen, die seinem Charme bisher tapfer widerstanden hatte.
Sein Adelstitel und die umfangreichen Besitzungen waren ihm nach Meinung seiner Verwandtschaft in einem viel zu jugendlichen Alter zugefallen. Seitdem versuchte man mit Bitten, Befehlen oder allen möglichen anderen Tricks, ihn dazu zu bewegen, sich zu verheiraten.
Cham, der Stammsitz seiner Familie, war im ganzen Land das schönste Zeugnis italienischer Architektur aus der Zeit Elizabeths I. Die Baumaterialien stammten aus vielen verschiedenen Gegenden, wie der Graf seine Gäste zu belehren pflegte.
»Das Holz aus den eigenen Wäldern«, zählte er auf, »die Ziegel aus der örtlichen Brennerei, der Dachschiefer aus Wales, das Glas aus Spanien und die Mauersteine aus einem Steinbruch in der Nähe von Bath.«
Es bedurfte keiner besonderen Erwähnung, daß man die Steinmetze und Stuckateure, die im Haus die Decken mit Ornamenten verziert hatten, aus Italien hatte kommen lassen.
Auch die Gemäldesammlung suchte in ganz Britannien ihresgleichen, umfaßte sie doch Werke der berühmtesten Künstler jeder Epoche.
Es war also ein würdiger Rahmen für den Grafen, der selbst aussah, als sei er einem der Gemälde entstiegen, um als strahlender Held die Herzen der Weiblichkeit höher schlagen zu lassen.
Mittlerweile hatte er die nach Norden führende Ausfallstraße erreicht. Sie war kaum befahren, und er bedauerte es, keine längere Strecke vor sich zu haben.
Elaine Dale, die sein flatterhaftes Herz erobert hatte, weilte bei ihrem Großvater, dessen Haus nur knapp zehn Meilen vom Zentrum Londons entfernt lag.
Elaine war die Tochter von Lord William Dale, dem jüngsten Sohn des Herzogs von Avondale, der wegen seiner niedrigen Stellung in der Familienhierarchie ständig Schulden hatte. Sein älterer Bruder hatte als Erbe des Adelstitels alles bekommen, was man an Vermögen zusammenbringen konnte, während sich die jüngeren Familienmitglieder mit Almosen begnügen mußten. Das entsprach durchaus der Tradition in adligen Kreisen, doch Lord William wurde nicht müde, sich bitter über sein armseliges Los zu beklagen, obwohl ihm längst niemand mehr zuhörte.
Bis er, eines Tages erkannt hatte, daß er einen Schatz von unermeßlichem Wert sein eigen nannte: seine Tochter Elaine.
Sie als Schönheit zu bezeichnen, wurde dem Zauber ihrer Persönlichkeit nicht im entferntesten gerecht. Von ihrer irischen Mutter hatte sie die blauen Augen und vom skandinavischen Zweig ihrer Familie das weißblonde Haar geerbt. Sie hatte eine wundervoll melodische Stimme und vermochte mit ihrer natürlichen, wenn auch ungebildeten Intelligenz jeden, der ihr begegnete, in ihren Bann zu ziehen.
Nachdem Lord und Lady William Dale geknausert und sich jeden Penny vom Mund abgespart hatten, um ihre Tochter in die vornehme Londoner Gesellschaft einführen zu können, war Elaine wie ein strahlender Stern am Gesellschaftshimmel aufgegangen. Da sie ein Trauerjahr hatte einhalten müssen, war sie älter als die meisten anderen Debütantinnen, die mit ihr zusammen zum ersten Hofknicks im Buckingham Palast empfangen wurden, doch alle Anwesenden waren von ihrer vollendeten Anmut und Würde verzaubert.
Wann immer sie in den Klubs von St. James auftauchte, konnte sie sich allgemeiner Aufmerksamkeit erfreuen. Zwar war es bei den jungen Stutzern und Dandys Mode, sich geistreichen Frauen zuzuwenden und Debütantinnen zu ignorieren, weil die sich meist als fad erwiesen. Außerdem bestand die Gefahr, daß man unversehens in eine Ehe hineinschlitterte, wenn man sich zu intensiv mit ihnen befaßte. Elaine jedoch bildete in jeder Beziehung eine rühmliche Ausnahme.
Bereits in der ersten Woche nach ihrem Debüt war sie auf jeder Gesellschaft, die sie besuchte, vielumschwärmter Mittelpunkt. Unter ihren Verehrern befanden sich nicht wenige junge Adlige, die bisher als eingeschworene Junggesellen gegolten hatten, ihr zuliebe jedoch durchaus bereit schienen, diesen Status aufzugeben.
Der Graf hatte Elaine anfangs nur flüchtig wahrgenommen, doch dann war er ihr auf einem Ball vorgestellt worden, den er mit der Gattin eines Botschafters besucht hatte. Verglichen mit dem erotischen Vulkan an seiner Seite war ihm Elaine wie ein kühler Wassertropfen inmitten einer glutheißen Wüste erschienen. Und schon war es ihm ebenso ergangen wie all seinen Freunden: Er war ihr auf Anhieb verfallen.
Zu seiner Verblüffung hatte Elaine ihn äußerst kühl behandelt, so als sei er ihr völlig gleichgültig. Sie hatte seinen Gruß nur flüchtig erwidert und dann das Gespräch mit dem Herrn an ihrer Seite fortgesetzt.
Der Graf - von den Frauen verwöhnt und von den Schönen angebetet, als sei er der Traumheld ihrer schlaflosen Nächte - hatte Elaines abweisende Haltung als ganz neue und sehr aufreizende Erfahrung gewertet. Er bat sie also um einen Tanz, aber auch das schien sie keineswegs als Auszeichnung zu empfinden, wie es bei all den anderen jungen Damen im Saal der Fall gewesen wäre. Stattdessen teilte sie ihm gleichmütig mit, daß sie bereits alle Tänze vergeben habe.
Das fuchste ihn. Wie war es möglich, daß ein Mädchen, das gerade erst vom Lande in die Stadt gekommen war und dessen Vater nicht einen müden Penny besaß, eine so herablassende Art zur Schau tragen konnte? Sie führte sich auf, als sei sie ein vom Himmel herabgestiegener Stern, der sich dazu bequemte, die gewöhnlichen Sterblichen mit seinem Abglanz zu beehren.
Auch ihre übrigen Verehrer hielt sie auf Distanz. Keiner konnte sich rühmen, ihr jemals nähergekommen zu sein oder ihr gar einen Kuß geraubt zu haben.
Elaines merkwürdiges Verhalten beschäftigte den Grafen dermaßen, daß er entschlossen war, das Geheimnis um ihre Person zu lüften. Noch am selben Abend begab er sich auf die Suche nach Lord William, ihrem Vater.
Er war zwar Mitglied des White’s Clubs, verfügte aber selten über die finanziellen Mittel, nach London zu kommen und an den Zusammenkünften teilzunehmen. Der Graf traf ihn im Spielsalon an, wo er, ein Glas Champagner in der Hand, der hier gratis ausgeschenkt wurde, den Kartenspielern zuschaute, weil er sich selbst keinen Einsatz leisten konnte.
»Ich hatte gerade das Vergnügen, Ihre Tochter kennenzulernen«, sprach der Graf ihn an.
»Sie ist sehr hübsch, nicht?« entgegnete Lord William.
»Mehr als das«, erwiderte der Graf. »Sie ist eine Schönheit. Warum haben Sie uns eine solche Augenweide bisher vorenthalten?«
»Warum wohl?« gab der Lord achselzuckend zurück. »Weil sie bis vor kurzem noch die Schulbank gedrückt hat.«
Er leerte sein Glas Champagner in.einem Zug und fügte dann in vertraulichem Ton hinzu: »Eins kann ich Ihnen flüstern, Charncliffe, Töchter sind verdammt teuer. Ständig brauchen sie was Neues.«
»So ist’s wohl«, entgegnete der Graf, dem nicht entgangen war, daß Lord William dem Gratis-Champagner offenbar bereits reichlich zugesprochen hatte. Deshalb verkniff er sich weitere Fragen nach Elaine.
Doch der Lord gab sich sehr redselig.
»Ich hab’ dem Mädel geraten, sich einen reichen Gemahl zu angeln«, fuhr er mit schwerer Zunge fort. »Mir kann’s nicht schnell genug gehen, sie unter die Haube zu bringen.«
»Sie sind ziemlich klamm, wie?« erkundigte sich der Graf mitfühlend.
»Die Schuldeneintreiber rennen mir die Bude ein!« sagte Lord William finster. »Der Teufel soll das Pack holen! Immer trampeln sie auf einem herum, wenn man schon am Boden liegt!« Als habe sein umnebeltes Hirn erst jetzt erfaßt, mit wem er sich da unterhielt, fügte er hinzu: »Wenn Sie sie heiraten wollen, Charncliffe, meinen Segen haben Sie!«
Das ging dem Grafen denn doch zu weit und zu schnell für seinen Geschmack; deshalb entfernte er sich schleunigst. Jedenfalls wußte er jetzt, daß Lord William seine ganze Hoffnung auf einen begüterten Schwiegersohn setzte, der für seine Schulden aufkam. Weil ihn das Ganze amüsierte, beobachtete der Graf Elaine Dale im weiteren Verlauf des Abends aufmerksam. Seiner Schätzung nach legte sie es darauf an, einen Verehrer gegen den anderen auszuspielen, bis sie schließlich an einen gelangte, dessen Vermögen ihren eigenen Ansprüchen und vor allem denen ihres Vaters gerecht wurde. In diesem Falle würde es keinen besseren Heiratskandidaten geben als ihn selbst, und die Wahrscheinlichkeit war groß, daß er das Rennen machen würde.
Die Geschichten, die man sich über seinen unermeßlichen Reichtum erzählte, waren nicht übertrieben. Ihm gehörte Charn mit seinen fünftausend Morgen guten Oxfordshire-Boden, zudem nannte er das größte und vornehmste Stadthaus am Berkeley Square sein eigen, außerdem ein Haus in Newmarket, wo er seine Rennpferde zu trainieren pflegte, und ein weiteres in Epsom, dem umfangreiche Ländereien angeschlossen waren.
Da Elaine Dale an diesem Abend keinen Tanz für ihn frei hatte und zudem seine Botschafterin seine ungeteilte Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm, dachte er erst wieder an sie, als man im Club über sie sprach und Lobeshymnen auf sie anstimmte.
Auf einer Dinnerparty in Devonshire fand er sich wenige Abende später als ihr Tischherr wieder.
»Haben Sie sich neulich auf dem Beauchamp-Ball gut amüsiert?« fragte er sie.
Elaine sah wieder reizend aus, obwohl er sich nicht erklären konnte, was ihren eigentlichen Charme ausmachte und worin sie sich von allen anderen Schönen an der Tafel unterschied. Es ging ein Strahlen von ihr aus, das die