46 triumph der liebe
Von Barbara Cartland
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46 triumph der liebe - Barbara Cartland
1
Als Farica lautlos auf moosbedeckten Pfaden durch den Wald ging, hatte sie das Gefühl, die Bäume in ihrem frischen, frühsommerlichen Grün seien noch nie so herrlich gewesen. Bald würde sich der Wald lichten, und Lyde Castle würde in seiner ganzen Pracht vor ihr liegen.
Der Sitz des Earls of Lydbrooke war ihr immer wie einer der Feenpaläste aus den Märchen ihrer Mutter erschienen oder wie ein Schloß aus jenen selbstersonnenen Geschichten, in deren Mittelpunkt sich Farica als Heldin sah.
Lyde Castle aber hatte heute für sie eine ganz besondere Bedeutung, von der sie nicht genau wußte, ob sie ihr zusagte oder nicht.
In ihrem grünen Musselinkleid war sie vor dem Hintergrund des Waldes kaum auszumachen, als sie verwundert innehielt, weil sie einen auf einem umgestürzten Baumstamm sitzenden Mann vor sich bemerkte. Er saß auf dem Baumstamm, auf dem sie sich hatte niederlassen wollen, und sah zum Schloß hinüber. Wie ärgerlich, daß man nicht einmal hier ungestört sein konnte. Sie wollte sich gerade unauffällig entfernen, um einer Begegnung mit dem Fremden auszuweichen, als sie plötzlich etwas in seiner Hand aufblitzen sah.
Mit Entsetzen stellte Farica fest, daß er eine Pistole an die Schläfe führen wollte.
Ohne an die möglichen Folgen ihres Verhaltens zu denken, lief sie auf den Unbekannten zu.
„Nein . . . das dürfen Sie nicht tun! Das wäre unrecht und feig gehandelt!" rief sie eindringlich.
Dabei faßte sie unwillkürlich nach seinem Arm.
Offensichtlich erschrocken über ihr Auftauchen, wandte ihr der Fremde das Gesicht zu. Farica war ihm noch nie zuvor begegnet, erkannte aber, daß sie einen Gentleman vor sich hatte. Sekundenlang blickten die beiden einander nur an.
Dann ließ Farica seinen Arm los und stammelte ein wenig unzusammenhängend und ratlos: „Es ... es tut mir leid, aber ich dachte, Sie wollten sich töten!"
„Und Sie hielten es für Ihre Pflicht, mich daran zu hindern?" fragte er mit leiser und wohltönender Stimme.
Farica errötete.
„Sie denken sicher, ich hätte kein Recht, mich einzumischen. Aber ein Leben ist zu kostbar, als daß man es leichtfertig wegwerfen dürfte."
Um seine Mundwinkel zuckte es.
„Dort, wo ich herkomme, galt ein Menschenleben nicht viel. In Ihrem Fall mag es anders sein."
Obwohl dies als Kompliment gedacht war, errötete Farica wieder.
„Sie müssen wissen, hier in dieser Gegend tragen nur Wegelagerer offen ihre Waffen zur Schau."
Der Fremde lächelte.
„Und Sie glauben nicht, ich könnte einer dieser Bösewichte sein?"
„Nein, das glaube ich nicht, aber bitte - stecken Sie die Waffe weg! Der Anblick ängstigt mich."
So als fiele ihm erst jetzt auf, daß er saß und sie stand, erhob er sich und steckte dabei seine Pistole in die Tasche. Sein Mantel, der aus billigem Tuch und nicht gerade neu war, konnte Farica nicht von ihrer Meinung abbringen, daß sie es mit einem Mann bester Herkunft zu tun hatte.
Ein Lächeln erhellte sein schmales, ernstes Gesicht, und es schien wie verwandelt.
„Haben Sie vielen Dank für Ihre Sorge, die sicher gut gemeint war. Als Farica darauf nichts sagte, setzte er wie im Selbstgespräch hinzu: „Im Augenblick habe ich etwas Mitgefühl bitter nötig.
Erst jetzt fiel Farica die lange Narbe auf seiner hohen Stirn auf.
„Sie waren bestimmt Soldat, Sir", forschte sie mit fragendem Unterton.
„Sieht man mir das so deutlich an?"
„Also waren Sie Soldat! rief sie aus. „Womöglich sind Sie erst kürzlich aus Frankreich zurückgekehrt! Die veränderten Verhältnisse hier in England müssen Ihnen sehr zu schaffen machen.
„Ja, so sehr, daß Sie den Eindruck hatten, ich wollte mich töten, erwiderte der Gentleman. Auf Faricas verwunderten Blick hin fuhr er fort: „Nun, mit Ihrer Vermutung haben Sie nicht weit danebengetroffen. Mir kommt in der Tat alles sehr verändert vor, so daß ich unschlüssig bin, was ich tun soll.
„Das tut mir leid. Farica sagte es leise und voller Mitgefühl. „Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für Sie sein muß. Papa war sehr empört darüber, daß man unsere Soldaten, die sich so tapfer gegen Bonaparte schlugen, ohne Pension nach Hause schickte und sie ihrem Schicksal überließ. In Zeiten wie diesen findet sich für die Heimkehrer nur schwer Brot und Arbeit.
Der Fremde nickte, als hätte er dies alles am eigenen Leibe zu spüren bekommen, und Farica sagte: „Darf ich fragen, in welchem Regiment Sie dienten?"
Er zögerte sekundenlang, ehe er sagte: „Ich war bei der Leibgarde."
„Dann haben Sie bei Waterloo mitgekämpft! rief sie begeistert. Auf sein Nicken hin berichtete sie mit leuchtenden Augen: „Ich habe alles verschlungen, was es über diese große Schlacht und die Heldentaten unserer Truppen zu lesen gab.
Mit einem fast unhörbaren Seufzer schloß sie: „Leider mußten viele ihr Leben lassen oder wurden verwundet."
„Das ist nur zu wahr!"
Farica, die ihre Scheu vergaß, ließ sich auf dem Baumstamm nieder.
„Mein Bruder fiel in Spanien, sagte sie leise. „Er starb den Heldentod . . . doch ich kann es noch immer nicht fassen, daß es kein Wiedersehen mehr gibt.
Der Fremde setzte sich neben sie und äußerte nachdenklich: „Krieg ist immer grausam, nicht nur für die Kämpfenden, sondern auch für die daheim."
Farica stieß einen Seufzer aus.
„Wie recht Sie haben . . . Wir warteten sehnsüchtig auf Nachricht, weil uns der erste Brief von Ruperts Regimentskommandanten nicht erreichte, und als wir schließlich die Wahrheit erfuhren, da kostete sie Papa beinahe das Leben."
Farica hatte Tränen in den Augen.
Der Mann an ihrer Seite sah sie wortlos an. Die grazile, sylphidengleiche Farica mit dem ausdrucksvollen Gesicht und den leicht schräggestellten Augen erschien ihm wie eine Elfe. Wie schön sie ist, dachte er bei sich. Jede Locke des kupferroten Haares glänzte golden wie im Sonnenschein. Es war ein sehr ansprechendes Gesicht, das ihn faszinierte, wie er sich unwillkürlich eingestehen mußte. Und ihre Stimme war leise und melodisch wie der Windhauch, der das Laub bewegte. Farica, die gegen die Tränen ankämpfte, hatte sich wieder gefangen.
„Ich darf nicht so viel von mir sprechen. Reden wir lieber von Ihnen. Was haben Sie jetzt vor?"
„Genau diese Frage stellte ich mir vorhin, gab er zurück. „Als Sie mich scheinbar davor bewahrten, ,unrecht und feig’ zu handeln, hatte ich die Antwort noch nicht gefunden.
Er lächelte, doch Faricas Miene blieb ernst.
„Wenn Sie kein Geld haben und keine Familie, die sich Ihrer annimmt, dann steht Ihnen Schweres bevor."
„Ich glaube an so etwas wie Fügung. Ich werde das Schicksal oder die Götter weiterhin um ihr Wohlwollen bitten, das sie mir bereits mit dieser Begegnung bezeigten."
„Danke, antwortete Farica darauf. „Sie sollen mir keine Komplimente machen. Wenn ich Ihnen doch nur irgendwie helfen könnte!
„Und warum?"
Er fragte es mit einem Anflug von Schärfe, und Farica blickte ihn erstaunt an.
„Weil Sie Soldat waren und weil Sie sich in Ihrer Not an denselben Ort flüchteten wie ich - das mag Ihnen jetzt sonderbar in den Ohren klingen."
„Sie sind etwa in einer ähnlichen Lage?"
„Ja, das kann man wohl sagen."
Der Fremde sah sie aufmerksam an.
„Ich bin zwar kein Hellseher, aber ich wette, daß es um einen Mann und um Liebe geht."
„Nun . . . nicht ganz . . ."
„Dann geht es um eine Ehe!"
Als sie ihm die Antwort schuldig blieb, wußte er, daß er richtig geraten hatte.
„Und Sie sind gekommen, fuhr er fort, als sähe er alles genau vor sich, „um zu entscheiden, ob Sie den Mann heiraten sollen, der - gewiß bedeutend und angesehen - um Sie angehalten hat, den sie aber nicht lieben.
„Das ... ist richtig, gestand Farica atemlos vor Überraschung. „Aber wie könnte ich einen Mann heiraten, den ich nicht liebe?
Ihre grünen Augen blickten bekümmert, und als sie wieder zu Lyde Castle hinüberblickte, das gewaltig, eindrucksvoll und überaus prächtig in der Sonne aufragte, folgte der Fremde ihrem Blick und fragte: „Soll das heißen, daß Ihr Freier der Earl von Lydbrooke ist?"
Unwillkürlich stieß Farica einen leisen Schrei aus.
„Bitte ... Sie dürfen nicht in mich dringen. Papa wäre entsetzt, wüßte er, daß ich mit einem völlig Fremden so vertrauliche Gespräche führe."
Nach einer kleinen Pause meinte der Fremde: „Hier im Wald befinden wir uns jenseits von Raum und Zeit und vor allem jenseits aller Konventionen."
Auf Faricas verwunderten Blick hin fuhr er fort: „Sie sind eine Waldnymphe, die bei einem Weisen Rat sucht, damit er ihr den goldenen Weg zum Glück zeigt und ihr nichts Schmerzliches widerfährt."
Das sagte er in jenem leisen und für ihn so typischen melodischen Ton.
Farica klatschte in die Hände und rief aus: „Was für eine wundervolle Idee! Ich wünschte, ich wäre wirklich eine Waldnymphe, dann könnte ich im Dickicht verschwinden. Niemand würde mich finden und könnte Dinge von mir fordern, die mir widerstreben."
„Sie wollen also nicht heiraten?"
Sie verschränkte die langen schlanken Finger, ehe sie antwortete: „Wie könnte ich einen Mann heiraten, den ich kaum kenne? Daß er mich liebt, kann ich nicht glauben, mag Papa behaupten, was er will."
Wieder trat eine Pause ein.
Dann forderte der Fremde Farica auf: „Erzählen Sie mir vom neuen Earl. Ehe ich fortging, lebte sein Vater hier im Schloß . . ."
„Er war ein reizender alter Herr, sagte Farica, „und er war zu Papa sehr nett, als er das Gut kaufte, auf dem wir jetzt leben. Damals waren wir fremd in der Gegend, und die Nachbarn in der Grafschaft glaubten, Sie müßten auf uns herabsehen.
„Und wie ging es weiter?" wollte der Fremde wissen.
„Der Earl lud Papa oft zum Dinner ein. Ich war natürlich noch zu klein, um mit eingeladen zu werden, aber, wenn wir ausritten oder jagten, plauderte der Earl immer mit mir. Seinem Beispiel folgten dann reihum die anderen und fingen an, Papa einzuladen. Mit der Zeit galt er dann als einer der ihren."
Farica mußte Atem holen, ehe sie fortfuhr: „Von Papa weiß ich, wie sich der alte Earl vor Sorge um seinen Sohn verzehrte, der im Krieg immer dort zu finden war, wo es am hitzigsten zuging. Der junge Viscount war hier sehr beliebt."
„Er ist gefallen?"
Farica nickte.
„Ja, in der Schlacht bei Waterloo. Die Nachricht kam allerdings erst viel später."
Sie seufzte.
„Ich glaube, das hat dem alten Earl die letzte Lebenskraft geraubt. Bei seiner Beerdigung wurde gleichzeitig seines gefallenen Sohnes gedacht."
Das alles brachte sie sehr teilnahmsvoll vor, und nach einer kleinen Pause fragte der Fremde: „Und wer ist der neue Earl, der jetzt um Sie wirbt?"
„Der Neffe des alten Earls, der sich zu Lebzeiten seines Onkels hier nie blicken ließ, weil die beiden sich nicht vertragen konnten."
„Warum nicht?"
„Fergus - der gegenwärtige Earl - führte ein wildes und ausschweifendes Leben und zog die Vergnügungen Londons den harmlosen Abwechslungen des Landlebens vor. Mit einem Lächeln setzte sie hinzu: „Jetzt werde ich indiskret: Die Leute erzählen sich, daß der alte Earl immer wieder für die Schulden seines Neffen aufkommen mußte, bis er es endlich leid war und nicht mehr zahlte.
„Und diesen Menschen sollen Sie nach dem Willen Ihres Vaters heiraten?"
Der Fremde machte kein Hehl aus seiner Verwunderung.
Verlegen antwortete Farica: „Da Papa sehr wohlhabend ist, werde ich den Verdacht nicht los, daß unser Vermögen der eigentliche Grund für das Interesse des Earls of Lydbrooke ist."
„Ich begreife gar nicht, wie Ihr Vater eine solche Ehe befürworten kann", bemerkte der Unbekannte nicht ohne Schärfe.
Farica hob mit einer hilflos