38. Der Marquis und das arme Madchen
Von Barbara Cartland
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Rezensionen für 38. Der Marquis und das arme Madchen
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Buchvorschau
38. Der Marquis und das arme Madchen - Barbara Cartland
1 ~ 1815
Rowena legte den Strumpf, den sie gerade stopfte, nieder, als sie den Türklopfer vernahm.
Es wäre sinnlos anzunehmen, daß die alte Mrs. Hanson in der Küche das Klopfen gehört hatte. Sie wurde von Jahr zu Jahr schwerhöriger. Und sie benutzte diese Tatsache als Entschuldigung, wenn sie gewisse Aufträge oder Anordnungen nicht hören und befolgen wollte.
Rowena nahm an, daß es ein Patient ihres Vaters sei. Sie hatte den Eindruck, daß das Klopfen eilig und drängend geklungen hatte; vielleicht war es eine Frau in den Wehen, oder ein Arbeiter von der angrenzenden Farm, der einen Unfall hatte.
Sie durchquerte die kleine Diele und öffnete die Tür. Erstaunt bemerkte sie vier Männer, die eine Tür trugen, auf der eine Gestalt ausgestreckt lag.
„Was ist geschehen?" fragte sie entsetzt.
„Der Doktor hat gesagt, wir sollen den Gentleman herbringen", antwortete einer der vier Männer.
Rowena betrachtete zweifelnd die Tür, die man offensichtlich aus den Angeln gehoben hatte.
„Die werdet Ihr nicht durch die Tür bringen. Und schon gar nicht die Treppe hinauf. Ich glaube, Ihr werdet ihn tragen müssen."
„Hab’ ich dir doch gesagt", sagte einer der Männer zu einem anderen.
Sie waren alle aus dem Dorf, Rowena kannte sie beim Namen.
„Was ist passiert, Abe?" fragte sie den ältesten der vier Männer.
„War’n Unfall an der Kreuzung, Miss Rowena,‘n ganz gemeiner, wirklich!"
Die Männer setzten die Tür ab, und Rowena konnte nun den Mann erkennen, der darauf lag. Sie erkannte sofort, daß es sich um einen Gentleman handelte. Er war prächtig gekleidet.
Er trug ein raffiniert gebundenes weißes Halstuch und glänzende Stiefeletten. Er mußte gewiß sehr groß sein, wenn er aufstand.
„Ich sage, der Fahrer von der Postkutsche war wieder ’mal betrunken", sagte einer der Männer.
„Die verursachen sowieso die meisten Unfälle", stimmte ein dritter ihm zu.
„Wie viele Menschen sind denn verletzt worden? "fragte Rowena.
„Nur dieser Gentleman hier, erwiderte Abe. „Die Fahrgäste der Kutsche waren so erschrocken, dass sie alle schrieen und weinten. Aber der Doktor hat sich um sie gekümmert.
Rowena dachte, was für ein Glück es war, daß ihr Vater auf dem Weg zu einer entlegenen Farm noch einen Besuch im Dorf zu machen hatte. Das hieß, daß er zur Zeit des Unfalls in der Nähe gewesen war.
Die vier Männer hoben den Verletzten von der Tür. Er mußte sehr schwer sein, denn die Muskeln der vier spannten sich gewaltig vor Anstrengung. Langsam trugen sie ihn ins Haus und stiegen die schmale Treppe hinauf.
Es gab oben nur ein Schlafzimmer, in das sie den Verletzten legen konnten.
Es war ein hübsches Zimmer, mit runden Fenstern und mit Blick auf den Garten.
Rowena eilte voraus, um die Rouleaus hochzuziehen und das Bett aufzudecken.
Das Bett war jederzeit hergerichtet. Dies war nicht das erste Mal, daß es für Patienten ihres Vaters benutzt wurde.
Das letzte Mal war es eine Frau, die darin schlief. Sie war auf der Durchreise gewesen und hatte sich ein Bein gebrochen, als sie auf der eisglatten Straße ausgerutscht war. Rowena erinnerte sich, daß diese Frau fast drei Wochen bei ihnen geblieben war. Sie hatte viel Unruhe ins Haus gebracht und war schließlich verschwunden, ohne einen Penny für die Unterkunft und Behandlung zu bezahlen.
,Auf jeden Fall sieht dieser Mann wenigstens so aus, als wäre er sehr wohlhabend’, dachte sich Rowena.
Aber sie wußte, daß es auch dieses Mal wieder ihre Aufgabe sein würde, den Patienten um Geld für die Behandlung zu bitten. Niemals kam es ihrem Vater in den Sinn, für seine Dienste Bezahlung zu verlangen.
Die vier Männer legten nun den Verletzten auf das Bett. Jetzt konnte Rowena sein Gesicht sehen. Er war ein ausnehmend hübscher Mann. Nur auf seiner Stirn war eine große Wunde, die stark blutete. Seine Augen waren geschlossen.
Rowena nahm an, daß er noch andere Verletzungen erlitten haben mußte, da er in tiefer Bewußtlosigkeit war.
„Gibt es noch ’was, das wir tun können?" fragte Abe.
„Ja! antwortete Rowena schnell. „Es wäre gut, wenn ihr den Gentleman auskleiden würdet. Es ist niemand weiter hier als Mrs. Hanson und ich. Und der Doktor wird sicher sehr beschäftigt sein, wenn er nach Hause kommt.
Ein wenig nervös blickten die vier Männer auf den Verletzten. Es schien, als hätten sie Sorge, der Herr könnte aufwachen und sie wegen einer solchen Vertraulichkeit belangen.
„Geht vorsichtig mit ihm um, ermahnte sie Rowena. „Ich werde ein Nachthemd meines Vaters für ihn holen.
Sie verließ das Zimmer noch während sie sprach, um ihnen jede Möglichkeit des Widerspruchs zunehmen. Sie dachte sich, daß die vier sich schließlich nützlich machen könnten und ihrem Vater ein wenig die Arbeit erleichtern konnten. Sie wußte, wie beschwerlich es war, einen so großen Mann auszukleiden, noch dazu, wenn er bewußtlos war. Sicher trug er so elegante, eng sitzende Wäsche, die noch schwerer zu entkleiden war, als gewöhnliche Wäsche.
Rowena ging in das Zimmer ihres Vaters und öffnete die Kommode, in der sich die Nachthemden befanden. Nach kurzem Zögern zog sie von ganz unten eines hervor, von dem sie wußte, daß es das beste ihres Vaters war.
Es war aus reiner Seide, und Rowena erinnerte sich daran, wie ihre Mutter es vor einigen Jahren genäht hatte.
„Ich wünschte mir immer das Beste für deinen Vater", hatte sie gesagt.
Worauf Rowena geantwortet hatte: „Ich dachte immer, es wäre viel wichtiger, daß du schöne Kleider hast. Für Papa ist es sicher nicht so wichtig."
„Bei mir spielen Kleider keine Rolle. Dein Vater liebt mich so, wie ich bin. Aber ich wünsche mir das Beste für ihn", hatte ihre Mutter lächelnd geantwortet.
Aber für keinen der beiden war es je möglich gewesen, dem anderen das zu geben, was er für das Beste hielt. Mit vier Kindern war es seit jeher schwer gewesen, überhaupt zu überleben. Es war nie darum gegangen, ob man Seide oder Baumwolle trug, sondern sie hatten sich Gedanken darüber machen müssen, daß Mark ein Paar Schuhe brauchte, Hermoine neue Strümpfe und Lotty ein neues Kleid.
Rowena konnte sich nicht daran erinnern, daß es jemals problemlos gewesen war, die Familie satt zu machen und zu kleiden.
Es gab Zeiten, in denen sie ihrem Vater verübelte, daß er glücklich war, solange er anderen Menschen helfen konnte. Er ging völlig in seinem Beruf auf, ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Opfer dies von seiner Familie erforderte.
Erst vor einer Woche hatte sie ihn daran erinnern müssen, daß der Bauer Bostock noch immer nicht für die Operation an seiner Hand vor einem Jahr bezahlt hatte.
„Die Bostocks haben schwere Zeiten gehabt, war die Antwort ihres Vaters gewesen. „Er wird mich schon bezahlen, wenn er das Geld dafür hat.
Aber all ihre Proteste stießen auf taube Ohren. Auch wußte sie, ob der Bauer Bostock oder irgendein anderer Patient seine längst fällige Rechnung bezahlen würde, das Geld würde ausgegeben werden, um Milch für ein krankes Kind zu kaufen, oder einem Invaliden zu helfen, der nicht in der Lage war, seine Medikamente selbst zu bezahlen.
„Ich werde dafür sorgen, daß dieser Patient seine Rechnung bezahlt. Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!"
Rowena gab sich dies Versprechen, als sie das seidene Nachthemd nahm und an die Tür des Krankenzimmers klopfte.
Sie war nicht etwa schüchtern oder verschämt, denn schon oft hatte sie ihrem Vater geholfen, und dabei nackte Menschen gesehen. Aber sie wußte, daß Abe und die anderen wahrscheinlich schockiert sein würden bei dem Gedanken, daß sie diesen unbekleideten Herrn ansehen würde.
Daher reichte sie das Nachthemd lediglich durch die Tür und ging dann hinunter, um etwas heißes Wasser, Handtücher und Verbandzeug zu holen.
„Sie haben uns einen Patienten gebracht, der bei einem Unfall verletzt wurde, Mrs. Hanson!" erklärte sie der alten Köchin, die an dem alten Ofen in der Küche stand.
„Was war das, Miss Rowena?" fragte Mrs. Hanson.
Man mußte alles, was man dieser alten Frau sagte, wenigstens einmal wiederholen, da sie sich nicht die Mühe machte, beim ersten Mal überhaupt hinzuhören.
„Ein Patient, haben Sie gesagt?" fragte die alte Frau, als Rowena ihre Worte wiederholt hatte.
Ablehnung war in ihren Augen zu sehen, denn sie wußte, daß es zusätzliche Arbeit bedeuten würde. Da Rowena bestrebt war, den Frieden zu wahren, sagte sie besänftigend: „Aber er sieht sehr reich aus. Also wird er sicher nicht lange bleiben. Sobald Papa ihn behandelt hat, wird ihn sicher eine Kutsche abholen. Wir werden nicht viel Arbeit mit ihm haben. Also machen Sie sich keine Sorgen."
„Als ob in diesem Hause nicht genug zu tun ist!" murrte Mrs. Hanson.
„Ich glaube nicht, daß unser Patient etwas zu Essen wünscht", antwortete Rowena.
Aus dem Regal nahm sie eine chinesische Schale und füllte eine Kanne mit heißem Wasser. Dann ging sie zu dem Schrank, in dem ihr Vater das Verbandzeug aufbewahrte und nahm noch einige frische Tücher mit.
Gerade wollte sie die Treppe hinaufsteigen, als die vier Männer ihr entgegenkamen.
„Wir haben den Mann ins Bett gelegt, Miss Rowena. Er hat nicht ’mal mit den Wimpern gezuckt. Wenn Sie mich fragen, wird der Doktor ihn halbtot vorfinden, wenn er zurückkommt."
Aufgeregt machte Abe diese Mitteilung, und Rowena wußte, daß es für die Männer nichts Erregenderes gab als den Tod.
„Ich danke euch sehr für eure Hilfe, sagte sie.
Aber ihr braucht euch keine Sorgen zu machen; ich bin sicher, daß unser Patient überleben wird, besonders wenn der Doktor ihn mit seinen magischen Händen behandelt haben wird."
„Das glaube ich auch, Miss Rowena. Der Doktor hat wirklich ’was Magisches an sich. Meine Frau hat das auch gesagt, nachdem er sie fast aus dem Grab zurückgeholt hat."
„Das sagen viele Leute", lächelte Rowena.
„Wenn noch irgendwas zu helfen ist, brauchen Sie es nur zu sagen, Miss Rowena. Wir gehen jetzt ’mal gucken, was es an der Unfallstelle noch zu tun gibt. Ick hoffe, wir müssen Ihnen nich’ noch ’nen Verletzten bringen", sagte Abe.
„Hier ist kein Platz mehr! erklärte Rowena scharf. „Macht das bitte meinem Vater klar, wenn ihr ihn seht. Und sagt ihm bitte, daß er so schnell wie möglich nach Hause kommen soll.
„Wir richten es aus."
Die Männer lüfteten respektvoll ihre Mützen, Rowena schloß die Tür hinter ihnen und ging dann die Treppe hinauf in das Krankenzimmer.
Der Patient lag in den Kissen, seine Kleider waren am Kamin sorgfältig über einen Stuhl gelegt.
Sie setzte sich auf das Bett und begann, das Gesicht des Gentlemans vorsichtig mit einem feuchten Tuch zu säubern. Die Wunde hatte stark geblutet. Dann jedoch sah sie, daß die Verletzung nicht sehr tief war.
,Er muß noch andere Verletzungen haben’, dachte sie sich, als sie sein Gesicht mit einem Handtuch abtupfte.
Jetzt, als sein Gesicht sauber war, konnte sie erkennen, daß er noch hübscher war, als sie vorher bemerkt hatte. Er hatte aristokratische Gesichtszüge, ein eckiges Kinn und einen entschlossenen Mund, der beinahe hart wirkte. Sicher war er eine starke Persönlichkeit.
Sie schätzte, daß er so um die dreißig war. Sein Haar war nach der neuesten Mode geschnitten.
,Sicher ist er eine wichtige Person’, dachte Rowena bei sich, während sie seine langen Finger betrachtete,