Begegnung mit der Vergangenheit: Dr. Norden Bestseller – Neue Edition 22 – Arztroman
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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen.
Dr. Norden sprach mit Dr. Jenny Behnisch, als Vanessa Semmer die Klinik betrat, ein schlankes graziles Mädchen mit langem Blondhaar, das sich leicht lockte. Daniel Norden tauschte mit Jenny einen langen Blick, dann ging er auf das Mädchen zu. Die violetten Augen blickten ihn angstvoll an, und ihn schmerzte es, ihr die Angst nicht nehmen zu können. »Es tut mir leid, Vanessa, uns allen«, sagte er leise, »Ihre Mutter ist friedlich hinübergeschlummert.« Ihm war die Kehle eng, als er sah, wie sie tapfer gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfte. »Gönnen wir ihr den Frieden«, sagte er tröstend. »Sie wurde von einem schmerzhaften Leiden erlöst.« Vanessa nickte. Sie wusste es, aber sie stand nun ganz allein da, und für ein neunzehnjähriges Mädchen war dies eine harte Tatsache, wenn sie auch schon seit Monaten darauf vorbereitet gewesen war, dass ihre Mutter keine lange Lebenserwartung hatte. Lange hatte sich Valerie Semmer mit einem schweren Nierenleiden herumgequält, ohne es Vanessa zu zeigen. Dann hatte ihr eine Virusgrippe die letzten Kraftreserven geraubt. »Ich darf Mami doch sehen?«, flüsterte sie, und nun rollten die Tränen doch über ihre blassen Wangen. Dr. Norden nahm ihre Hand und führte sie zu der Toten. Vor einer halben Stunde hatte Valerie die Augen für immer geschlossen.
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Chefarzt Dr. Norden
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Buchvorschau
Begegnung mit der Vergangenheit - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Bestseller – Neue Edition
– 22 –
Begegnung mit der Vergangenheit
Patricia Vandenberg
Dr. Norden sprach mit Dr. Jenny Behnisch, als Vanessa Semmer die Klinik betrat, ein schlankes graziles Mädchen mit langem Blondhaar, das sich leicht lockte. Daniel Norden tauschte mit Jenny einen langen Blick, dann ging er auf das Mädchen zu. Die violetten Augen blickten ihn angstvoll an, und ihn schmerzte es, ihr die Angst nicht nehmen zu können.
»Es tut mir leid, Vanessa, uns allen«, sagte er leise, »Ihre Mutter ist friedlich hinübergeschlummert.«
Ihm war die Kehle eng, als er sah, wie sie tapfer gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfte. »Gönnen wir ihr den Frieden«, sagte er tröstend. »Sie wurde von einem schmerzhaften Leiden erlöst.«
Vanessa nickte. Sie wusste es, aber sie stand nun ganz allein da, und für ein neunzehnjähriges Mädchen war dies eine harte Tatsache, wenn sie auch schon seit Monaten darauf vorbereitet gewesen war, dass ihre Mutter keine lange Lebenserwartung hatte.
Lange hatte sich Valerie Semmer mit einem schweren Nierenleiden herumgequält, ohne es Vanessa zu zeigen. Dann hatte ihr eine Virusgrippe die letzten Kraftreserven geraubt.
»Ich darf Mami doch sehen?«, flüsterte sie, und nun rollten die Tränen doch über ihre blassen Wangen.
Dr. Norden nahm ihre Hand und führte sie zu der Toten. Vor einer halben Stunde hatte Valerie die Augen für immer geschlossen. Vanessa war noch aus dem Büro in die Klinik gerufen worden, aber sie hatte eine weite Fahrt durch die Stadt, doch Dr. Norden war noch rechtzeitig bei der Patientin gewesen, die ihm lieb geworden war in mehreren Jahren, und er hatte ihre letzten Worte vernommen.
Schön und friedlich war Valeries Gesicht, trotz ihres langen Leidens. Wie eine Schlafende lag sie da. Vanessa kniete neben dem Bett nieder, und ihre Tränen fielen auf die gefalteten Hände.
»Liebste Mami«, flüsterte sie.
Väterlich streichelte ihr Daniel Norden das Haar. »Kommen Sie mit zu uns, Vanessa«, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde wohl einiges tun müssen«, murmelte sie.
»Wir werden Ihnen behilflich sein. Und Sie können immer zu uns kommen, Vanessa.« Er machte eine kleine Pause. »Ihre Mutter sprach noch von einem Tagebuch in der kleinen Truhe. Und die meisten Formalitäten hat sie noch selbst in die Wege geleitet.«
Es war schon arg für ihn, in dieser Stunde auch davon zu sprechen. Aber jeder Tod brachte eben auch nüchterne Erledigungen mit sich.
»Wenn ich etwas nicht weiß, darf ich dann wirklich zu Ihnen kommen?«, fragte Vanessa scheu.
»Ja. Selbstverständlich, jederzeit. Möchten Sie heimfahren?«
»Ich werde gehen«, erwiderte sie.
»Ich bringe Sie heim, aber mir wäre es lieber, wenn Sie mit zu uns kämen.«
»Ich möchte jetzt gern allein sein«, sagte sie bebend. »Ich muss auch in der Kanzlei Bescheid sagen.«
Sie hatte bald nach Abschluss der Handelsschule eine recht gute Stellung in der Anwaltskanzlei von Dr. Roemer gefunden, den Dr. Norden als einen sehr anständigen und verständnisvollen Arbeitgeber kannte.
»Ich rufe Dr. Roemer an«, erklärte er. »Ruhen Sie sich aus, Vanessa, und denken Sie auch ein wenig daran, dass Ihre liebe Mutter sich nicht mehr zu quälen braucht.«
»Sie war die gütigste, beste Mutter«, flüsterte Vanessa. »Für mich wird sie immer lebendig sein.«
»So zu denken ist gut«, sagte Dr. Norden. »Tot sind nur die, die vergessen sind.«
*
Leise betrat Vanessa die Wohnung, damit die Nachbarin Frau Melzer sie nicht hören sollte, die so neugierig war. Echte Anteilnahme zeigte sie aber nicht.
Sie wollte nur auf dem Laufenden bleiben, ob die Wohnung eventuell frei würde. Dass Valerie und Vanessa so zurückgezogen lebten, hatte ihr nicht gepasst. Sie wollte jemanden zum Schwatzen haben. Sie wusste auch schon eine Bekannte.
Es war eine hübsche Wohnung, Vanessas Heim von Kindheit an. An die Zeit vorher hatte sie keine Erinnerung.
Valerie hatte mit Übersetzungen recht gut verdient und auch, als sie schon krank war, hatte sie ihre Tätigkeit nicht aufgegeben. Auch Vanessa verdiente schon recht gut. Dr. Roemer wusste ihre Gewissenhaftigkeit zu schätzen.
Sie war eine begabte Schülerin gewesen, und Valerie hätte es gern gesehen, wenn ihre Tochter studiert hätte, aber Vanessa hatte es vorgezogen, eine Handelsschule zu besuchen, um schneller Geld zu verdienen, denn sie wollte die kränkelnde Mutter entlasten.
Die Sprachen hatte sie von ihrer Mutter gelernt. Valerie war die Tochter einer Französin gewesen, die sich in einen deutschen Offizier verliebte und ihn heiratete, als von Krieg noch nicht die Rede war. Dennoch war es ihr von ihrer Familie nie verziehen worden. Dies alles wusste Vanessa, auch dass ihr Großvater Carlo Semmer im Krieg gefallen war.
Wie gut hatte es doch ihre Generation, die der Stimme ihres Herzens folgen konnte, ohne angefeindet zu werden. Vieles hatte Valerie ihrer Tochter aus vergangenen Tagen erzählt, nur von Vanessas Vater hatte sie nie gesprochen, abgesehen von den wenigen Worten: Ich habe ihn sehr geliebt, aber uns war kein gemeinsames Leben bestimmt.
Langsam ging Vanessa durch die drei Räume. Ein Schlafraum für die Mutter, einer für sie, ein gemeinsamer Wohnraum, eine hübsche geräumige Küche. Sie wusste, dass der Kampf um diese Wohnung bald losgehen würde, dass einige schon darauf lauerten, sie ihr abspenstig zu machen.
Vanessa betrachtete die kleine Truhe, die in Valeries Schlafraum stand, dicht neben dem Bett, das nun nie mehr benutzt werden würde. Alles, was sich in dieser Wohnung befand, hatte auch ihr gehört, nichts war ihr verschlossen geblieben, nur diese kleine geschnitzte Truhe.
Als Kind und ganz junges Mädchen hatte sie schon manchmal wissen wollen, was sich darin befand, aber dann hatte die Mutter immer gesagt, dass auch dies ihr einmal gehören würde.
Im Augenblick stand Vanessa noch gar nicht der Sinn danach, den Inhalt zu erforschen. Sie betrachtete die Bilder ihrer Mutter, dieses zarte schöne Gesicht mit den warmen träumerischen Augen.
»Mamilein, mein liebes Mamilein«, schluchzte Vanessa auf, und es dauerte lange, bis sie sich halbwegs wieder beruhigt hatte.
*
»Mir tut Vanessa entsetzlich leid«, sagte Fee Norden bekümmert.
»Mir auch, Fee, aber es wäre noch schlimmer für sie geworden, wenn Frau Semmer sich länger hätte quälen müssen. Wenn die ersten schlimmen Tage vorbei sind, wird sie sich fangen. Sie ist ein Mädchen, das in diese Welt passt und das auch allein auf eigenen Füßen stehen kann. Sie hat es schon bewiesen.«
»Hoffentlich machen sie ihr die Wohnung nicht streitig.«
»Dafür wird Dr. Roemer schon sorgen. Er hat viel für Vanessa übrig. Und auch seine Frau würde sie sofort aufnehmen, sollte es hart auf hart kommen. Er hat es mir vorhin am Telefon schon versichert. Aber vielleicht wird Vanessa nun aus dem Nachlass ihrer Mutter erfahren, wer ihr Vater ist, und das könnte zu Problemen führen.«
Er sollte die richtige Ahnung gehabt haben.
*
Dr. Roemer, ein Mann Mitte fünfzig und durchaus nicht der Typ eines harten Rechtsanwaltes, obgleich er riesige Erfolge als solcher verzeichnen konnte, hatte Vanessa am späten Nachmittag aufgesucht, um ihr zu sagen, dass Valerie schon alles schriftlich niedergelegt hätte, was nach ihrem Tode von Wichtigkeit sein könnte.
»Es muss ja leider erörtert werden, Vanessa«, sagte er väterlich. »Ich werde mich um alles kümmern. Finanzielle Sorgen brauchen Sie sich nicht zu machen, auch diesbezüglich hat Ihre Mutter vorgesorgt, um das vorauszuschicken, und wenn Sie hier und auch bei mir bleiben wollen, werden Sie eine Gehaltserhöhung bekommen, die Ihnen ermöglicht, alle anfallenden Kosten selbst zu bestreiten.«
»Werde ich die Wohnung behalten dürfen?«, fragte Vanessa beklommen.
»Ich sehe keine Schwierigkeiten. Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Im Namen meiner Frau soll ich Ihnen anbieten, für die erste Zeit zu uns zu kommen.«
»Nein, das möchte ich nicht. Es ist sehr lieb von Ihnen, aber in der Kanzlei würden sie dann meinen, dass ich bevorzugt werde. Das möchte ich nicht.«
Sie war immer besonnen und vernünftig. Selten hatte es Dr. Roemer erlebt, dass Mädchen in diesem Alter schon alles bedachten. Aber Vanessa verzettelte ihre Zeit nicht mit Flirts und Vergnügungen. Sie war immer nur mit ihrer Mutter zusammen gewesen. Und Dr. Roemer hatte diese hochgebildete und doch so bescheidene Frau hochgeschätzt.
»Möchten Sie nicht wenigstens zu uns zum Essen kommen, Vanessa?«, fragte er.
»Danke, aber es ist alles da«, erwiderte sie. »Ich bin sehr dankbar, dass Sie alle so nett sind.«
Dann war sie wieder allein, und immer wieder dachte sie nun an die Truhe. Sie musste schon eine ganz besondere Bedeutung haben, dass ihre Mutter davon noch zu Dr. Norden gesprochen hatte, und was würde ihr das Tagebuch verraten? Würde es das Geheimnis um ihren Vater lüften?
Vanessa wusste, wo sie den Schlüssel zur Truhe finden konnte. Niemals wäre sie auf den Gedanken gekommen, heimlich, in der Abwesenheit ihrer Mutter, davon Gebrauch zu machen. Aber nun gehörte ihr ja alles.
Schlaf konnte sie nicht finden. Immer wieder sah sie ihre Mutter vor sich, diese zerbrechliche Frau, die sich im Leben so stark erwiesen hatte.
Eines wusste Vanessa gewiss: Nichts konnte die Liebe zu ihrer Mutter erschüttern, was immer sie auch erfahren würde, wenn sie die Truhe öffnete.
Und dennoch tat sie es mit Herzklopfen. Nicht allzu viel befand sich darin. Einige Briefe, die mit einem schmalen blauen Band zusammengehalten waren, zwei schmale Etuis, ein kleines Holzkästchen, das mit