Das trügerische Glück: Dr. Norden Bestseller – Neue Edition 20 – Arztroman
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Über dieses E-Book
Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen.
Es war sieben Uhr vorbei, als Dr. Norden seine letzten Patienten ins Sprechzimmer bat. Es war Ulrich Hellmer, ein noch junger Mann. Er litt an einem Magengeschwür. Die Röntgenaufnahme hatte Dr. Nordens Diagnose bestätigt, und nun musste der Arzt dem jungen Mann klarmachen, dass nur eine strenge Diät ihn von diesem Übel befreien könnte. Er tat es vorsichtig. Ulrich Hellmer reagierte sarkastisch. »Da hat mir ja mein Vater zu allen Sorgen ein lästiges, persönliches Erbe hinterlassen«, sagte er. Dr. Norden horchte auf. »Sie haben Sorgen?«, fragte er. »Hat sich das noch nicht herumgesprochen? Ich muss den Konkurs anmelden«, erwiderte er bitter. »Meine Geschwister haben sich gleich nach Vaters Tod auszahlen lassen. Da sind dann für mich nur noch Schulden geblieben, aber ich habe ja die Firma geerbt. Und natürlich die Magengeschwüre.«
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Buchvorschau
Das trügerische Glück - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Bestseller – Neue Edition
– 20 –
Das trügerische Glück
Patricia Vandenberg
Es war sieben Uhr vorbei, als Dr. Norden seine letzten Patienten ins Sprechzimmer bat. Es war Ulrich Hellmer, ein noch junger Mann.
Er litt an einem Magengeschwür. Die Röntgenaufnahme hatte Dr. Nordens Diagnose bestätigt, und nun musste der Arzt dem jungen Mann klarmachen, dass nur eine strenge Diät ihn von diesem Übel befreien könnte.
Er tat es vorsichtig. Ulrich Hellmer reagierte sarkastisch. »Da hat mir ja mein Vater zu allen Sorgen ein lästiges, persönliches Erbe hinterlassen«, sagte er.
Dr. Norden horchte auf. »Sie haben Sorgen?«, fragte er.
»Hat sich das noch nicht herumgesprochen? Ich muss den Konkurs anmelden«, erwiderte er bitter. »Meine Geschwister haben sich gleich nach Vaters Tod auszahlen lassen. Da sind dann für mich nur noch Schulden geblieben, aber ich habe ja die Firma geerbt. Und natürlich die Magengeschwüre.«
»Es ist nur eins, Herr Hellmer«, sagte Dr. Norden, »und Sie werden davon befreit sein, wenn Sie jetzt drei bis vier Wochen in die Klinik gehen.«
»Damit man sagen kann, ich drücke mich«, sagte der junge Mann ironisch. »An mir bleibt doch alles hängen.«
Sorgen, dachte Dr. Norden, und die Folgen davon sind Magengeschwüre. Doch bevor er noch etwas sagen konnte, läutete es Sturm.
Loni war schon gegangen. Sie hatte von einer alten Patientin eine Karte für die Oper geschenkt bekommen. Dr. Norden ging schnell hinaus und drückte auf den Türöffner.
Die Tür tat sich auf. Ein junger Mann trug ein Mädchen herein, dessen Gesicht blutüberströmt war. Dr. Norden kannte beide.
»O Gott«, sagte er erschrocken. »Was ist geschehen?«
»Ich erkläre es später«, sagte der junge Mann. »Helfen Sie Claudia.«
Ulrich hatte die Stimme erkannt und kam heraus. »Achim«, rief er aus, »was ist denn geschehen?«
Noch konnte Dr. Norden nicht ahnen, dass er in diesen Minuten in ein Drama verstrickt werden sollte, das weite Kreise ziehen würde.
Achim und Claudia Roesch waren Geschwister, die beiden ältesten Kinder von Professor Armin Roesch, der als Chemiker einen bekannten Namen hatte.
Aber jetzt musste jede Überlegung warten. Claudia brauchte dringend Erste Hilfe. Sie hatte schon einen starken Blutverlust erlitten und war bewusstlos.
»Warum haben Sie nicht den Notarzt gerufen?«, fragte Dr. Norden den jungen Achim Roesch.
»Muttis wegen«, erwiderte er kurz. »Ich erkläre es Ihnen später.«
Er hatte vergessen, dass auch Ulrich Hellmer zugegen war, und er schrak zusammen, als der ihn fragte, was denn geschehen sei.
»Claudia ist in eine Glastür gefallen«, erwiderte er. »Lass mich jetzt in Ruhe, Ulli.« Er starrte den Älteren an. »Was machst du denn hier?«, fragte er tonlos.
»Ich habe ein Magengeschwür«, erwiderte Ulrich sarkastisch. »Ich wusste gar nicht, dass Claudia schon aus dem Internat zurück ist.«
»Schon drei Monate. Sie hat das Abi nicht geschafft«, erwiderte Achim Roesch geistesabwesend. »Hoffentlich kann ihr Dr. Norden helfen.«
»Du hättest sie gleich in die Klinik bringen sollen«, sagte Ulrich.
»Lass mich in Ruhe«, schrie ihn Achim unbeherrscht an. »Spar dir deine Belehrungen!«
*
Ulrich Hellmer war gegangen. Dr. Norden versorgte die recht schlimmen Schnittwunden der Achtzehnjährigen, eines nicht besonders hübschen aber zarten Mädchens. Der Blutverlust war wohl das Schlimmste, der hatte auch zu der Bewusstlosigkeit geführt.
Noch wusste Dr. Norden nicht, wie es zu den Verletzungen gekommen war, die das Gesicht, und den Rücken des Mädchens betrafen. Ein Autounfall konnte es kaum sein, nach den Erfahrungen, die Dr. Norden in seiner langen Praxis gesammelt hatte.
Claudia Roesch erwachte aus der Bewusstlosigkeit. Aus blicklosen Augen starrte sie Dr. Norden an.
»Nichts Mutti sagen«, flüsterte sie. Dann sanken ihre Augenlider wieder herab.
Dr. Norden ging ins Wartezimmer. Achim Roesch lief wie ein gefangener Tiger auf und ab.
»Wie ist das passiert, Achim?«, fragte der Arzt.
Er kannte Achim seit sieben Jahren. Damals waren die Roeschs in das Villenviertel gezogen, und Achim war sein erster Patient aus der Familie Roesch gewesen. Ihm war beim Einzug eine Eichentruhe auf den Fuß gefallen, weil er den Packern unbedingt hatte helfen wollen.
»Ich kann’s nicht sagen, Dr. Norden«, flüsterte Achim.
»Hast du den Unfall verschuldet?«, fragte der Arzt ruhig. »Mir kannst du alles sagen, Achim. Wir kennen uns doch ewig.«
»Es ist alles so irre. Es glaubt ja doch keiner«, murmelte der junge Mann. »Und für Mutti ist es am schlimmsten. Wie geht es Claudi?«
»Es wird schon wieder«, sagte Dr. Norden. »Sag mir lieber die Wahrheit. Ich kann dir helfen …«
»Uns kann niemand helfen«, murmelte Achim dumpf. »Es glaubt doch keiner. Vater ist doch ein Ehrenmann, eine Leuchte der Wissenschaft, geschlagen mit geistig minderbemittelten Kindern!«
»Wer sagt das?«, fragte Dr. Norden.
»Er.«
»Wer – er?«
»Vater!«, stieß Achim hervor. »Er hat Claudi durch die Terrassentür gestoßen. – Gott im Himmel, nun habe ich es doch gesagt, aber wenn Sie es nicht für sich behalten, haben wir erst recht die Hölle.«
Dr. Norden straffte sich. »Ich sage nichts, Achim. Erzähl mir alles.« Er umschloss die schmalen Schultern des jungen Mannes und schüttelte ihn. »Du kennst mich doch, Junge. Rede! Ich helfe dir.«
*
Zur gleichen Zeit kam Ingeborg Roesch nach Hause. Sie arbeitete dreimal wöchentlich drei Stunden in einem Heim für behinderte Kinder als Heilgymnastin. Von vier Uhr bis sieben Uhr. Eine halbe Stunde brauchte sie für den Heimweg.
Fabian, der Vierzehnjährige, empfing sie an der Tür. »Reg dich nicht auf, Mutti«, sagte er. »Die Terrassentür ist kaputt.«
Ingeborg wurde noch blasser. »Wieso? Habt ihr was angestellt?«
»Wir sind doch gerade erst heimgekommen«, sagte Fabian. »Es war niemand da.«
»Nur die Terrassentür war kaputt«, warf die zehnjährige Simone ein. »Das war sicher ein Einbrecher. Wir waren doch bei Omi, wie immer.«
Wie immer, es dröhnte in Ingeborgs Ohren. Es klang wie ein Vorwurf.
Montags, mittwochs, freitags war sie von halb vier bis acht Uhr abwesend, und da waren Fabian und Simone bei der Omi, die eine Viertelstunde entfernt wohnte. Sie nahm die Kinder gern zu sich, wenn sie auch nicht begriff, warum ihre Tochter sich um behinderte Kinder kümmerte, da sie doch vier eigene hatte. Ingeborg hatte es noch nicht fertiggebracht, ihrer Mutter zu sagen, dass sie dadurch achthundert Euro monatlich verdiente. Ihre Mutter hätte es nicht begriffen, dass sie als Ehefrau eines bekannten, ja, berühmten Mannes Geld für den Unterhalt dazuverdienen musste.
*
Dr. Daniel Norden erfuhr zu dieser Stunde von dem versteckten Elend der Familie Roesch aus Achims Mund. Er hatte den Jungen zum Reden gebracht.
Joachim Roesch war zweiundzwanzig. Er hatte bereits vier Semester Chemie studiert, weil es sein Vater so wollte. Aber Achim hatte nichts übrig für Chemie. Er wollte überhaupt nicht studieren. Und Dr. Norden erfuhr, warum das so war.
»Mutti bekommt nur wenig Geld von Vater«, erzählte er leise. »Er braucht alles für eine Erfindung. Jedenfalls sagt er das. Aber er hat schon lange ein Verhältnis mit der Clemens, mit seiner Assistentin. Ich weiß es, und Mutti weiß es wohl inzwischen auch. Mutti hat eine Stellung angenommen, und ich arbeite auch, damit nicht alles an ihr hängen bleibt. Aber nach außenhin muss das Gesicht gewahrt bleiben. Nach außenhin ist Vater der große Mann. Und weil Claudi sich mit dem Maxl angefreundet hat, gab es heute den Krach. Vater kam gerade dazu, wie Maxl Claudi heimbrachte. Er hat sich aufgeführt wie ein Irrer. Und als Claudi gesagt hat, dass Maxls Vater wenigstens ein anständiger Mensch ist, hat er sie gepackt und durch die Tür geworfen.«
»Achim«, sagte Dr. Norden heiser.
»Sie glauben es auch nicht«, sagte Achim mit einem trockenen Aufschluchzen, »und ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ein Wort gelogen ist. Wenn Mutti nur den Mut hätte, einen Schlussstrich zu ziehen.«
Dr. Norden musste schlucken und das, was er gehört hatte, erst verdauen.
»Setz dich hin«, sagte er. »Bei euch stimmt also gar nichts.«
»Nur noch nach außen. Mutti will es ja so. Und für die zwei Kleinen wäre es schrecklich. Ich verstehe Mutti ja in dieser Beziehung, aber ich kann es nicht mehr mitmachen. Ich kann es nicht, Dr. Norden. Seit heute ist bei mir Sense. Er hätte Claudi umbringen können. Ich kann doch solchen Vater nicht respektieren. Und er verlangt nur Respekt. Er ist doch der Größte! Wir sind alle Nullen, weil keiner von uns ein Einserschüler ist. Und alles geht an Mutti hinaus, weil sie nicht studiert hat, weil ihr Vater nur ein Angestellter war. Und was war er denn vor fünfundzwanzig Jahren, als sie geheiratet haben? Ich drehe durch, ich schaff es nicht mehr!«
Er bot ein Bild des Jammers, und Dr. Norden waren auch solche Bilder nicht unbekannt. Es traf ihn tief, was er eben vernommen hatte. Es ging ihm unter die Haut, weil er selbst bisher noch kein Gespür dafür gehabt hatte, was sich innerhalb dieser Familie abspielte.
»Jetzt sei mal ganz ruhig, Achim«, sagte er. »Ich bringe Claudi in die Behnisch-Klinik. Es wird so besser sein. Ich spreche mit eurer Mutter, wenn du es nicht kannst. Aber ich möchte dir noch ein paar Fragen stellen.«
»Fragen Sie nur«, sagte Achim bebend.
*
»Ich verstehe nicht, dass Claudia nicht zu Hause ist«, sagte Ingeborg Roesch indessen zu ihren beiden Jüngsten, während sie die zerbrochene Scheibe