Ein Mädchen sprengt die Fesseln: Dr. Norden Bestseller 268 – Arztroman
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Über dieses E-Book
Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration.
Der sechzigste Geburtstag Ottmar Mehrings stand vor der Tür, und er sollte selbstverständlich groß gefeiert werden. Aber wie immer, wenn ein Familienfest ins Haus stand, bekam Hanna Mehring zwei Tage vorher Migräne oder Ischiasschmerzen.
Hedi Mehring, die Älteste der vier Geschwister, kannte und wußte das schon, denn dann konnte alle Vorarbeit auf sie abgewälzt werden. Hannas Kraft reichte gerade zum Einkaufen.
Auch Dr. Norden hatte da schon seine Erfahrungen gesammelt, denn er wurde dann selbstverständlich ins Haus gerufen, um der Patientin zu bescheinigen, daß sie nicht überfordert werden dürfte. Und was sollte er schon dagegen tun? Er wußte, daß Hanna Mehring äußerst labil war, daß sie aber immerhin vier Kinder zur Welt gebracht hatte und die Geburten nicht immer leicht gewesen waren. Aber er wußte auch, daß alles nur auf Hedi abgewälzt wurde.
Hedi war achtundzwanzig Jahre, und sie war in allererster Linie die »große Schwester«. Knapp zwei Jahre alt war sie, als der Stammhalter Günter geboren wurde, und bei ihrem Vater war sie abgemeldet, war er doch schon beleidigt gewesen, daß ihm seine Frau nicht zuerst einen Sohn geboren hatte.
Aber da hatte noch die Omi im Haus gelebt, die Hedi abgöttisch liebte und von der das Kind nicht an die zweite Stelle gesetzt wurde. Die Omi glich aus, was Hedi fortan entbehren mußte, und Hedi war da ja auch noch zu klein, als daß man sie schon zur Mitarbeit im Haushalt einspannen konnte. Weitere zwei Jahre später kam Susanne zur Welt, und wenn Günter dann etwas anstellte, war natürlich Hedi schuld und
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Buchvorschau
Ein Mädchen sprengt die Fesseln - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Bestseller
– 268 –
Ein Mädchen sprengt die Fesseln
Patricia Vandenberg
Der sechzigste Geburtstag Ottmar Mehrings stand vor der Tür, und er sollte selbstverständlich groß gefeiert werden. Aber wie immer, wenn ein Familienfest ins Haus stand, bekam Hanna Mehring zwei Tage vorher Migräne oder Ischiasschmerzen.
Hedi Mehring, die Älteste der vier Geschwister, kannte und wußte das schon, denn dann konnte alle Vorarbeit auf sie abgewälzt werden. Hannas Kraft reichte gerade zum Einkaufen.
Auch Dr. Norden hatte da schon seine Erfahrungen gesammelt, denn er wurde dann selbstverständlich ins Haus gerufen, um der Patientin zu bescheinigen, daß sie nicht überfordert werden dürfte. Und was sollte er schon dagegen tun? Er wußte, daß Hanna Mehring äußerst labil war, daß sie aber immerhin vier Kinder zur Welt gebracht hatte und die Geburten nicht immer leicht gewesen waren. Aber er wußte auch, daß alles nur auf Hedi abgewälzt wurde.
Hedi war achtundzwanzig Jahre, und sie war in allererster Linie die »große Schwester«. Knapp zwei Jahre alt war sie, als der Stammhalter Günter geboren wurde, und bei ihrem Vater war sie abgemeldet, war er doch schon beleidigt gewesen, daß ihm seine Frau nicht zuerst einen Sohn geboren hatte.
Aber da hatte noch die Omi im Haus gelebt, die Hedi abgöttisch liebte und von der das Kind nicht an die zweite Stelle gesetzt wurde. Die Omi glich aus, was Hedi fortan entbehren mußte, und Hedi war da ja auch noch zu klein, als daß man sie schon zur Mitarbeit im Haushalt einspannen konnte. Weitere zwei Jahre später kam Susanne zur Welt, und wenn Günter dann etwas anstellte, war natürlich Hedi schuld und wurde bestraft. Sie war ja schon vier Jahre und mußte Verstand haben und auch auf den kleinen Bruder aufpassen. Er ging auf die »große« Schwester los und auf die kleine dann erst recht. Weitere drei Jahre danach kam dann Klaus zur Welt.
Wie Hedis Leben bisher verlaufen war, erfuhr Dr. Norden erst an diesem Tag Anfang Januar, als er zu Hanna Mehring gerufen wurde.
Es herrschte klirrende Kälte, nachdem es kurz nach Neujahr getaut hatte. Auf die Eisglätte war dann Neuschnee gefallen, und als Hedi Dr. Norden die Gartentür öffnen wollte, weil der elektrische Türöffner eingefroren war, glitt sie aus und verstauchte sich den Arm.
Da wurde Dr. Norden, noch bevor er Hedi Erste Hilfe leisten konnte, von Hanna Mehrings Gezeter empfangen.
»Mein Gott, auch das noch«, stöhnte sie und griff sich an die
Stirn. »Ich meine, mir müßte der Kopf zerspringen, solche Schmerzen habe ich, und du stellst dich
mal wieder an…« Sie hielt inne,
weil Dr. Norden ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. »Ich wollte nur sagen, daß ich mich kaum auf den Beinen halten kann, und wer soll denn jetzt die ganze Arbeit machen?«
»Es tut mir leid, Mutter«, sagte Hedi. »Ich bin nicht mit Absicht hingefallen. Und es wird schon nicht so schlimm sein.«
Dr. Norden nahm ihre Hand empor, und sie konnte es nicht verhindern, daß sie einen leisen Schmerzensschrei ausstieß.
»Auf jeden Fall muß der Arm geröntgt werden«, sagte Dr. Norden. »Ich nehme Sie gleich mit in die Klinik, Hedi.«
»Und ich, wer versorgt mich?« jammerte Hanna Mehring.
»Ich werde Klaus wecken«, sagte Hedi. »Er studiert ja Medizin und kann sich mal um dich kümmern. Es ist jetzt zehn Uhr, da kann er ruhig aufstehen.«
Sie wußte selbst nicht, woher sie den Mut nahm, solche Töne anzuschlagen, aber Hanna starrte ihre Tochter sprachlos an.
»Klaus kann doch keine Kuchen backen«, murmelte sie.
»Wenn es nicht anders geht, müssen wir die Kuchen eben beim Konditor bestellen, Mutter«, erklärte Hedi.
»Mein Gott, was das kostet, Vater wird das nicht wollen.«
»Dann soll Susanne Kuchen backen«, sagte Hedi. »Es tut mir wirklich leid, aber mir tut der Arm weh. Und wenn du dich ein bißchen zusammenreißen würdest, könntest du auch etwas tun.«
Sie wußte nicht, wie aggressiv sich das anhörte, aber sie hatte so starke Schmerzen, daß sich etwas in ihr gelöst hatte, was sie lange Zeit wie ein Panzer einengte. Dr. Norden staunte, insgeheim freute er sich auch über diese Reaktion, denn er wußte genau, daß Hanna Mehring durchaus in der Lage war, selber Kuchen zu backen. Jedenfalls war Hanna sprachlos.
Hedi rief nach Klaus, und der kam schließlich mürrisch an die Treppe. Er sah verkatert aus, und Hedi wurde noch aggressiver, als er frech wurde.
Ja, Dr. Norden bekam zum erstenmal den richtigen Eindruck vermittelt von dieser Familie, die nach außen hin so vollkommen schien.
Klaus wagte jedenfalls keinen Widerspruch mehr, als er ihm erklärte, daß Hedis Unterarm wahrscheinlich angebrochen sei. Und da er ja schon im dritten Semester wäre, könnte er seiner Mutter die schmerzstillenden Medikamente wohldosiert verabreichen.
Aber Hanna wollte keine Medikamente einnehmen. Sie machte auch keinen schmerzgeplagten Eindruck mehr, als Dr. Norden mit Hedi das Haus verlassen hatte.
»Das hat sie mit Absicht gemacht«, zischte sie. »Sie war schon die ganzen letzten Tage aufsässig. Seit Silvester, weil Brandl sie hat sitzen lassen.«
»Meine Güte, da habt ihr doch auch nachgeholfen«, sagte Klaus ehrlich. »Ihr wollt doch gar nicht, daß sie heiratet. So eine billige Haushälterin bekommt ihr nicht mehr.«
»Was erlaubst du dir?« fuhr Hanna ihren Jüngsten an.
»Was wahr ist, muß wahr bleiben. Mit Susanne hättet ihr das nicht machen können. Sie hat lieber gleich den Erstbesten geheiratet, um hier rauszukommen, und mir hängt’s auch zum Hals heraus, mir dauernd dein Gestöhne anzuhören.«
Hanna war fassungslos. Sie war zwar auch von Günter schon harte Töne gewohnt, aber Klaus war ja schließlich noch von ihnen abhängig. »Und was machst du, wenn Vater dich vor die Tür setzt?« fragte sie erbost.
»Was ich dann mache? Dieses blöde Studium hinschmeißen, weil man doch nicht weiß, ob man danach eine Stellung kriegt. Ich will Geld verdienen, liebe Mutter, viel Geld, und unabhängig sein.«
»Gerade du, weil du so fleißig bist«, sagte sie.
Er lachte auf. »Du hast ja keine Ahnung, womit man viel Geld verdienen kann. Unser Alter rechnet doch nur mit den Zahlen, mit dem Geld, das andern aus der Tasche gezogen wird. Und wenn du es genau wissen willst, Mutter, mir hängt alles zum Hals heraus. Mir tut Hedi richtig leid, weil sie sich so ausnutzen läßt. Sie hat jetzt bestimmt größere Schmerzen als du, so viel verstehe ich schon von Verstauchungen und Brüchen.«
Er lächelte spöttisch. »Ist es nicht so, daß du immer deine Migräne und deine Ischiasschmerzen bekommst, wenn ein Familientag ins Haus steht, Mutter? Früher hat ja Oma immer alles gemacht…«
»Hör auf, hör endlich auf und leg dich wieder hin!« schrie sie ihn an. »Mir kommt es grad so vor, als hättest du dich mit Hedi verabredet.«
»Das habe ich bestimmt nicht«, erwiderte er, »aber ich habe zum erstenmal begriffen, daß keiner je daran gedacht hat, daß ihr auch mal was fehlen könnte.«
*
Dr. Norden war auf solchen Gedanken mittlerweile auch gekommen.
»Jetzt bin ich wieder mal der Sündenbock«, sagte Hedi nämlich, als sie zur Klinik fuhren. »Früher war ich es immer, wenn die Kleinen was angestellt hatten, jetzt bin ich als Haustochter abgestempelt. Warum mußte es ausgerechnet mir passieren, daß meine Firma pleite macht, Dr. Norden.«
»Sie könnten doch aber eine andere Stellung finden, Hedi«, sagte er.
Sie lachte blechern auf. »Das habe ich doch gar nicht nötig. Ich werde doch so nötig gebraucht, und schließlich wollte mich ja ein lieber, netter Mann, der eine gute Stellung hat, auch heiraten. Aber er wollte eben nicht meine Eltern mitheiraten oder nicht die Haushälterin meiner Eltern, denen doch zumindest ich verpflichtet bin, da ich es nur bis zur mittleren Reife schaffte.«
»Hedi, so kenne ich Sie ja gar nicht«, sagte Dr. Norden bestürzt.
»Das machen diese blöden Schmerzen!« stieß sie hervor. »Ich kenne mich selber nicht mehr. Ja, ich hatte eine Wut, als Mutter heute morgen wieder mit ihrem wehleidigen Geschwätz anfing, nachdem sie mir gesagt hatte, welche Kuchen gebacken werden müßten, und was alles aufgetischt werden sollte für diese faule und gefräßige Gesellschaft.« Sie unterbrach sich und wischte sich ein paar Tränen von den Wangen. »Entschuldigen Sie, Dr. Norden, ich sollte so nicht reden, aber ich mag nicht mehr, daß man mich immer nur als die Hausmamsell betrachtet. Früher habe ich das wenigstens nur abends aushalten müssen, aber seit ich arbeitslos bin, geht es von früh bis spät so, und ich bekomme dann auch noch zu hören, daß ich dankbar sein müßte, bei ihnen leben zu können. Mein Gott, warum habe ich es nicht so gemacht wie Susanne und einfach irgendeinen Mann geheiratet. Es gab ja auch