Die vielen ungeweinten Tränen: Dr. Norden Bestseller – Neue Edition 21 – Arztroman
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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen.
Dr. Daniel Norden war zu einem Patienten, der einen Herzanfall hatte, gerufen worden. In aller Eile verließ er seine Praxis. Am Lift stieß er mit einer superelegant gekleideten Blondine zusammen. Irene Hoffmeister, die hatte ihm gerade noch gefehlt. »Ich will gerade zu Ihnen«, sagte sie mit ihrer schmerzhaft hellen Stimme, die zudem auch stets geschraubt klang. »Ich habe leider keine Zeit, ein dringender Fall, gnädige Frau«, erwiderte er hastig. »Aber ich muss Sie auch dringendst sprechen«, sagte Irene gereizt. »Tut mir leid, Sie müssen warten«, sagte er. Er fuhr schon abwärts mit dem Lift, aber Irene Hoffmeister dachte jetzt auch nicht daran, in der Praxis zu warten. Hatte sie das nötig? Sie stand sowieso auf dem Standpunkt, dass alle springen müssten, wenn sie etwas wünschte. Dr. Norden ärgerte sich in diesem Augenblick schon über einen goldmetalligen Wagen, der ihm die Ausfahrt fast versperrte. Er konnte gerade noch seinen Wagen durch die Lücke dirigieren, aber das kostete auch wieder Zeit. Und dabei ging es um das Leben einer Frau, die dringend gebraucht wurde.
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Buchvorschau
Die vielen ungeweinten Tränen - Patricia Vandenberg
Dr. Norden Bestseller – Neue Edition
– 21 –
Die vielen ungeweinten Tränen
Patricia Vandenberg
Dr. Daniel Norden war zu einem Patienten, der einen Herzanfall hatte, gerufen worden. In aller Eile verließ er seine Praxis. Am Lift stieß er mit einer superelegant gekleideten Blondine zusammen. Irene Hoffmeister, die hatte ihm gerade noch gefehlt.
»Ich will gerade zu Ihnen«, sagte sie mit ihrer schmerzhaft hellen Stimme, die zudem auch stets geschraubt klang.
»Ich habe leider keine Zeit, ein dringender Fall, gnädige Frau«, erwiderte er hastig.
»Aber ich muss Sie auch dringendst sprechen«, sagte Irene gereizt.
»Tut mir leid, Sie müssen warten«, sagte er.
Er fuhr schon abwärts mit dem Lift, aber Irene Hoffmeister dachte jetzt auch nicht daran, in der Praxis zu warten. Hatte sie das nötig? Sie stand sowieso auf dem Standpunkt, dass alle springen müssten, wenn sie etwas wünschte.
Dr. Norden ärgerte sich in diesem Augenblick schon über einen goldmetalligen Wagen, der ihm die Ausfahrt fast versperrte. Er konnte gerade noch seinen Wagen durch die Lücke dirigieren, aber das kostete auch wieder Zeit. Und dabei ging es um das Leben einer Frau, die dringend gebraucht wurde. Um Amanda Rüttgens Leben.
Dreiundvierzig war sie, Mutter von vier Kindern, gut und glücklich verheiratet, aber eben mit diesem Herzfehler behaftet. Sie muss sich jetzt unbedingt für einen Herzschrittmacher entschließen, dachte Dr. Norden, als er das hübsche Reihenhaus betrat, das die Rüttgens bewohnten. Alle waren sie versammelt. Franz Rüttgen, schrecklich aufgeregt, wie immer, wenn so ein Anfall bei seiner Frau kam, Jan, mit zweiundzwanzig der älteste Sohn, der Jura studierte, Annette zwanzig, die Kindergärtnerin war und dann die zehnjährigen Zwillinge Axel und Petra, die ihrer Mutter bei der Geburt viel Kraft gekostet hatten.
»Diesmal bringen wir Sie aber ins Herzzentrum, Frau Rüttgen«, sagte Dr. Norden, nachdem er der Patientin eine belebende Spritze gegeben hatte.
»Es wird bestimmt besser, Mandy«, sagte Franz Rüttgen mit schwerer Stimme beruhigend. »Ganz bestimmt wird es das Beste sein, Dr. Norden weiß schon, was am besten ist.«
Man spürte, wie besorgt und unsicher er war, und die vier jungen Rüttgens sahen den Arzt ängstlich an.
»Es wird besser werden«, sagte Dr. Norden tröstend. Er hoffte es von Herzen für diese tapfere Frau, für ihre Familie.
Der Ambulanzwagen kam. Herr Rüttgen fuhr mit seiner Frau. Dr. Norden sagte dem begleitenden Notarzt Bescheid, gab ihm genaue Anweisungen. »Ich werde mit Professor Biebrich sprechen«, versprach er. Doch kaum saß er in seinem Wagen, meldete sich das Autotelefon.
»Unfall Ecke Tannenstraße«, sagte Lonis aufgeregte Stimme. »Ein Kind, Chef.«
Und schon fuhr er dorthin. Es waren nur ein paar Minuten. Der Streifenwagen war schon da, aber auf einen Arzt würde noch gewartet. Dr. Norden war bekannt, man drängte die Neugierigen zurück. Da lag das Kind, und Dr. Norden blieb das Herz fast stehen.
»Angelina«, murmelte er, sich herabkniend. Die kleine Angelina, seit einigen Wochen die Spielgefährtin seiner Kinder, war schwer verletzt.
Zum Glück kam der zweite Notarztwagen nun auch. »Schnellstens in die Behnisch-Klinik«, sagte Dr. Norden. »Höchste Lebensgefahr. Ich komme nach.«
Und als er zu seinem Wagen eilte, hörte er, wie jemand aufgeregt sagte: »Es war so ein Luxuswagen, so goldmetallic, aber sie ist weitergefahren.« Er konnte sich jetzt nicht darum kümmem, denn ihm war das Leben der kleinen Angelina Canaletto wichtiger. Das Kind wurde sofort in den Operationssaal gebracht. Dr. Dieter Behnisch sah seinen Freund Daniel kommen. »Könntest du assistieren, Dan?«, fragte er kurz. »Jenny hält es nicht durch, wenn es um ein Kind geht.«
Daniel nickte. »Ruf in der Praxis an, Jenny«, sagte er zu Frau Dr. Behnisch, die kreidebleich und zitternd an der Wand lehnte. So hatte Dr. Norden die sonst so tatkräftige Chirurgin noch nie gesehen. Sie nickte geistesabwesend.
*
Loni musste die Patienten wegschicken. Es waren keine schweren Fälle. Ein paar wollten warten, aber Loni sagte, dass Dr. Norden bei einer schweren Operation zugegen sein müsse. Gemurrt wurde nicht, aber bedauert wurde der Dr. Norden, weil er überall sein musste.
Im Operationssaal herrschte lautlose Stille, die nur durch das leise Klappern der Instrumente unterbrochen wurde, und es herrschte Angst, da es um das Leben eines unschuldigen Kindes ging, das hier wohlbekannt war, denn Angelina war erst vor einem halben Jahr in der Behnisch-Klinik am Blinddarm operiert worden Man kannte ihre Mutter Eva, die dieses Kind abgöttisch liebte, das ihr geblieben war aus einer glücklosen Ehe mit dem italienischen Autorennfahrer, dem nur eine kurze Karriere beschieden gewesen war, bis ein schrecklicher Unfall sein noch so junges Leben beendete. Und nun war das Kind auch von einem Auto überfahren worden, dessen Fahrer auch noch Unfallflucht begangen hatte.
Jemand hat gesagt, dass es eine Fahrerin war, ging es Dr. Norden ganz flüchtig durch den Sinn, aber gleich war er wieder konzentriert, denn Angelinas Herzschlag setzte aus. Das Kind musste sofort künstlich beatmet werden.
Während die Ärzte um dieses kleine Leben kämpften, wurde Eva Canaletto die Nachricht von einem jungen Polizeibeamten gebracht. Eva verdiente sich den Lebensunterhalt für sich und ihr Kind als Chemielaborantin. Sie verdiente nicht schlecht. Angelina war in einem privaten Kindergarten gut aufgehoben. Mittags wurde sie von Evas Tante vom Kindergarten abgeholt, doch ausgerechnet an diesem Tag hatte Tante Lotte nicht rechtzeitig da sein können. Sie war in die Stadt gefahren, um Einkäufe zu tätigen, und dann war die S-Bahn wegen eines technischen Defektes über eine Stunde ausgefallen. Wie so oft im Leben, kamen unglückliche Umstände zusammen und führten zu einem Drama.
Evas Gesicht war angstverzerrt, als man ihr sagte, was mit Angelina passiert war. Der junge Polizeibeamte wollte sie zur Behnisch-Klinik bringen. Der Syndikus Dr. Dirk Hoffmeister sah, wie dieser Eva zum Streifenwagen führte. Er lief hinaus. »Was ist passiert, Ev?«, stieß er impulsiv hervor.
Sie schüttelte nur den Kopf. »Die Tochter ist überfahren worden«, sagte der junge Beamte.
Dr. Hoffmeister taumelte rückwärts. Eva sah ihn nicht an. Der Streifenwagen fuhr davon. Dr. Hoffmeister blickte ihm nach. Das doch nicht, nein, das nicht auch noch, dachte er.
Geistesabwesend kehrte er in sein Auto zurück. »Ihre Frau will Sie sprechen«, sagte seine Sekretärin. »Sie ruft schon zum dritten Mal an.«
Er wollte eigentlich ablehnen, aber dann überlegte er es sich anders. »Stellen Sie zu mir durch«, sagte er tonlos.
Irenes schrille Stimme tönte an sein Ohr. »Ich bin außer mir, Dirk, du kannst mir doch wenigstens sagen, wenn du meinen Wagen benutzt.«
»Ich habe ihn nicht benutzt«, erwiderte er, »rede nicht wieder solchen Unsinn. Du solltest mal einen Psychiater aufsuchen.«
»Ich lasse mir solche Unverschämtheiten nicht mehr bieten«, kreischte sie. »Ich lasse mich scheiden, aber das wird dich allerhand kosten.«
»Das ist mir ganz egal«, sagte er heiser und legte den Hörer auf.
O Gott, dieses Weib, dachte er, wie konnte ich sie nur heiraten! Wie konnte ich das acht Jahre ertragen! Aber schnell dachte er etwas anderes. Was ist mit Angelina, wie kann ich Eva helfen. Was kann ich nur tun, um sie nicht ins Gerede zu bringen.
*
Eva saß im Ärztezimmer. Jenny Behnisch war bei ihr, doch auch sie hatte den Schock noch nicht überwunden.
»Sie dürfen die Hoffnung nicht verlieren, Ev«, sagte sie leise. »Sie lebt ja.«
Noch, dachte Jenny, denn sie war sich der Schwere der Verletzungen wohl bewusst. Und wenn die Gehirntätigkeit zu lange aussetzte, würde Eva auch das Überleben ihres Kindes nicht aus der Verzweiflung helfen, denn dann fing solche erst richtig an. Jenny wusste um das Leid vieler Mütter, die behinderte Kinder hatten.
»Wie ist das nur passiert? Wo ist Tante Lotte?«, murmelte Eva.
Und während sie zwischen Hangen und Bangen schwebte, irrte Lotte Hartlinger durch die Gegend und suchte Angelina.
Angelina war ein braves Kind. Sie lief nicht einfach davon, wenn Lotte auch mal zu spät kam. Heute war es allerdings fast eine Stunde zu spät, und da Mittvoch war, hatte der Kindergarten geschlossen. Es war niemand mehr anwesend gewesen. Es war ja ein privater Kindergarten. Es war mit den Eltern so abgesprochen worden, dass der Mittwochnachmittag zur Erholung der Kindergärtnerinnen dienen sollte.
Tante Lotte stand wieder an der Kreuzung und überlegte, wen sie fragen könnte. Da hörte sie, wie jemand sagte: »Das war ja vorhin ein schrecklicher Unfall mit dem Kind. Und wieder mal Unfallflucht.«
Tante Lotte wurde es schlecht. Sie trat auf die beiden Damen zu. »Verzeihen Sie, Sie sprachen von einem Unfall«, sagte sie. »Handelte es sich vielleicht um ein kleines Mädchen?«
Ihre Stimme bebte. Und es war ihr, als täte sich der Boden unter ihr auf, als die eine Dame sagte: »Ja, es war ein kleines Mädchen. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man kleine Kinder allein auf die Straße schickt.«
Lieber Gott, lass es nicht Angelina sein, dachte Tante Lotte während sie weitertaumelte. Warum bin ich nur in die Stadt gefahren, warum musste die S-Bahn heute so viel Verspätung haben. Und auch ihr Kreislauf machte nicht mehr mit. Sie schaffte es gerade noch bis Dr. Nordens Praxis. Denn Dr. Norden kannten sie ja so gut. Er hatte ihre kleine Angelina