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Lady Hamiltons Heimreise
Lady Hamiltons Heimreise
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eBook396 Seiten5 Stunden

Lady Hamiltons Heimreise

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Über dieses E-Book

Juni 1800 bricht eine illustre Reisegruppe von Palermo in Sizilien auf, deren drei Hauptfiguren sind: Lady Emma Hamilton und ihr deutlich älterer Ehemann Sir William Hamilton, Ex-Gesandter Britanniens im Königreich Neapel, sowie der schon jetzt legendäre Admiral Lord Horatio Nelson, durch Verwundung einarmig und einäugig – und der Geliebte Emmas. Um für ihre Rückreise nach England das unruhige Mittelmeer zu vermeiden, nehmen sie den Landweg über Triest, Wien, Dessau. Sie erreichen Hamburg, wo sie länger auf eine Schiffspassage warten müssen. Mit feiner Feder beschreibt Hans Leip diese drei Menschen und ihr "seltenes Beispiel irdischer Dreieinigkeit", das nicht vergehen wird "im Gedanken der Liebenden und im Erschauern des Spießers". Autorenporträt Hans Leip (1893–1983) war der Sohn eines ehemaligen Seemanns und Hafenarbeiters im Hamburger Hafen. Leip wuchs in Hamburg auf. Ab Ostern 1914 war er Lehrer in Hamburg-Rothenburgsort. Im Jahre 1915 wurde er zum Militär einberufen; nach einer Verwundung im Jahre 1917 wurde er für dienstuntauglich erklärt. Leip kehrte in seinen Lehrerberuf zurück, gleichzeitig begann er, in Hamburger Zeitungen Kurzgeschichten zu veröffentlichen. 1919 fand die erste Ausstellung von Leips grafischen Arbeiten statt, der zu dieser Zeit das Leben eines Bohemiens führte. In den zwanziger Jahren unternahm Leip ausgedehnte Reisen, die ihn u. a. nach Paris, London, Algier und New York führten. Seinen literarischen Durchbruch erzielte er 1925 mit dem Seeräuberroman "Godekes Knecht". Während des Zweiten Weltkriegs lebte er ab 1940 dann vorwiegend am Bodensee und in Tirol. 1945 kehrte er für kurze Zeit nach Hamburg zurück, ließ sich jedoch dann im Schweizer Thurgau nieder. Hans Leips literarisches Werk besteht aus Romanen, Erzählungen, Gedichten, Theaterstücken, Hörspielen und Filmdrehbüchern; vorherrschende Themen sind das Meer und die Seefahrt. Sein Nachruhm beruht allerdings hauptsächlich auf dem Gedicht "Lili Marleen", das Leip 1915 verfasst und 1937 in den Gedichtband "Die kleine Hafenorgel" aufgenommen hatte; in der Vertonung von Norbert Schultze, interpretiert von der Sängerin Lale Andersen und verbreitet durch den Soldatensender Belgrad erlangte das Lied während des Zweiten Weltkriegs eine ungemeine Popularität nicht nur bei den Angehörigen der deutschen Wehrmacht.
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum13. Okt. 2015
ISBN9788711467473
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    Buchvorschau

    Lady Hamiltons Heimreise - Hans Leip

    steht.

    Die Freundschaft zwischen Lady Hamilton, ihrem Manne und ihrem Freunde ist ein seltenes Beispiel irdischer Dreieinigkeit und wird nicht untergehen im Gedenken der Liebenden und im Erschauern des Spießers, solange es jene Zwiespälte gibt, die das Herz bewegen bis ins hohe Alter.

    Die Reise durch Deutschland aber, die jedem Engländer als „Journey home" in der Lebensgeschichte Nelsons als Vorstellung geläufig ist, die wohl Anfang und Ende, aber kein rechtes Mittelstück hat und die, August bis November 1800, rund ein Vierteljahr dauerte, mußte eine Probe sein auf die Tiefe und Haltbarkeit eines Verhältnisses, das aller drei Stellung und Ruf in Gefahr gebracht hatte.

    Die wissenschaftlichen und die schöngeistigen Biographen Nelsons, der Hamilton und ihres Mannes haben bislang diese Heimreise ziemlich mit Stillschweigen übergangen, sei es, weil ihnen der Name des verehrtesten englischen Admirals mit Deutschland keine genehme Zusammenstellung zu sein schien, sei es, weil die Nachrichten darüber sehr spärlich, sehr zerstreut, nur mühsam auffindbar und teils unbekannt waren, sei es, weil man bislang gern solche Ereignisse für die bedeutendsten im Leben der Helden hält, die mit großen Schlachten und amtlichen Auszeichnungen verbunden sind.

    Abgesehen davon, daß sich nirgends unverblümter die innere Eigenart von Menschen offenbart als auf längeren Reisen, reizte es den Berichterstatter auch betreffs des Hintergrundes an Zeit, Persönlichkeiten, Städten und Landschaft, die Lücke in der Kenntnis jener drei berühmten Engländer auszufüllen. Über die langwierigen Vorarbeiten, begonnen 1929, über die technischen Schwierigkeiten, über die Mischung aus einwandfreier Quelle, Anekdote, Verknüpfung, Anspielung, Möglichkeit, Glosse und Ergänzung soll hier kein Wort verloren werden. Die Quellenangaben würden ein Buch für sich füllen. So möge man sich mit einigen Hinweisen am Schluß begnügen.

    In unseren unruhigen und trüben Tagen, da das Schicksal Europas noch immer auf des Schwertes Schneide wippt, dürfte der Rückblick auf die Zeit des eigentlichen Beginns unserer Wirrnis mithelfen, zu erkennen, was nötig ist. Daß nämlich einzig und allein Verträglichkeit, Hilfsbereitschaft und Anstand im Großen wie im Kleinen das Weiterleben des Einzelnen wie auch der Völker lohnt und gewährleistet. Seit 1800 scheint die Menschheit mehr an Lächerlichkeit, Kurzsicht, Bosheit und Flegelei zugenommen zu haben als alle Jahrtausende bevor. Das Gemüt ist von den unerhörten technischen Erfolgen überrannt worden und verkümmert, das Gemüt, dessen Funktion an Wichtigkeit der Zirbeldrüse nicht nachsteht. Möge es denn aus bitter leidender Einsicht wieder wachsen! Möge, was sich in Folgendem an drei hervorgehobenen Menschen als Eintracht erweist, allgemeiner und überall zu endgültiger Befriedung beitragen, dieses nicht in den Wind, sondern in die Orkane gesprochene: Kindlein, liebet einander! ... Liebet einander, nicht in Erwartung jenseitiger Freuden, sondern klar und klug zur Minderung diesseitiger Übel. Denn des Leides ist übergenug, auch ohne daß man es mutwillig vermehrte. Harmonie des Alls, welch betörender Begriff, dessen letzter Abglanz zu entschwinden droht, und wer weiß, ob er für uns, wie die untergehende Sonne, am andern Horizont wieder auftauchen wird, und wer weiß, wie lange die schöne, mißverstandene, mißhandelte und immer wieder fruchtbare Erde uns noch zu verzeihen gedenkt...

    *


    Es war schön gewesen zu Neapel; Geld, Paläste, Feste, Kunst und Künstler, klassische Ausgrabungen, Ausschweifungen, Landschaft und Leben die Hülle und Fülle, erheitert vom üppigsten aller Höfe, dessen mürbe Kraft gemischt war aus ausgelaugtem Bourbonenmark und Maria Theresia Habsburger Abenderbe.

    Indessen begann im Ansturm der Massen gegen ererbte Vorrechte die französische Revolution. Sie erschütterte die Welt, aber noch nicht Neapel. England ersah kühl die günstige Stunde, rundete seine Besitzungen auf der Erdkugel ab und versäumte nicht, die Alleinherrschaft über die Meere anzutreten. Es verbündete sich mit allen militärfähigen Völkern, bei denen in Übersee nichts zu holen war, Rußland, Deutschland, Portugal, Neapel und der Türkei, damit sie die Franzosen in Schach halten sollten und verhindern, daß der großbritannische Schicksalsweg gestört werde.

    Aber aus der Revolution stand der kleine Leutnant Bonaparte auf, der durchschaute mehr, als dienlich war und war gefährlicher als Ideen und Guillotinen. Denn er war begabt zum Zerstören, zäh und überdies krankhaft ehrgeizig. Das Schicksal hatte ihn ausersehen, der Timur des Westens zu sein. Und er griff nach dem uralt ewigen Schlüssel Asiens, Europas und Afrikas, nach der Landenge von Suez, was den Engländern nicht recht sein konnte.

    Doch das Schicksal meinte es gut mit den Engländern und ließ aus dem zarten Knaben und Pastorensohn Horatio Nelson einen rauhen Seemann werden und machte einen großen Admiral aus ihm und ließ ihm die Ägyptenflotte Bonapartes zu Abukir am Nildelta erschnappen und vernichten.

    Aber Bonaparte selber schwebte wie in Engelswolken unsichtbar hin und her übers Mittelmeer; denn das Schicksal dachte, es sei erstmal genug, und ließ den kleinen tüchtigen Horatio an den seligen Küsten Neapels landen und in Liebe fallen zu der immer noch schönen Lady Hamilton, obwohl sie mit Sir William, dem englischen Gesandten, verheiratet war. Und Admiral Nelson sah eine leibhaftige Göttin in ihr. Zwar hatte er eine Frau daheim, ging aber nicht nach Hause, zwei Jahre und mehr. Er war winzig von Statur, aber sein Ehrgeiz desto riesenhafter, fast so groß wie der Bonapartes. Er hätte wohl des Erfolges stolz, Anspruch haben dürfen auf den Oberbefehl im Mittelmeer, aber Lord Keith und nicht zuletzt wegen einer höchst repräsentativen Figur — wurde ihm vorgezogen, und da Keith bei Minorka den Rest der französischen Flotte abzufangen gedachte, ließ Nelson ihn im Stich mit der Ausflucht, sein Geschwader sei unabkömmlich zum Schutze des Königreiches beider Sizilien, wie sich die neapolitanische Herrschaft betitelte.

    *


    Doch auch dieses selbstgefällige Idyll wurde von den Jakobinern erreicht. Diese neapolitanischen Jakobiner allerdings kamen aus gebildeten Kreisen. Es waren vernünftige Leute, es war sogar die geistige Elite des Landes, hohe Geistliche und Adlige darunter, die einen gütlichen Ausgleich zwischen der Völlerei des Hofes und der Armut und Rechtlosigkeit der Bevölkerung vorschlugen. König Ferdinand der Dicknäsige entzog sich den Verhandlungen und zu fürchtenden Bedrohungen durch eine Flucht nach Palermo. Die ganze königliche Familie begleitete ihn und auch der englische Gesandte und auch dessen Gattin Emma und auch deren Verehrer Lord Nelson; denn eins hing am andern, und Ferdinand erwog eine Niederringung der Revolution und lächelte es dem berühmten britischen Admiral zu und sprach von Bedrohung der Christenheit und ihrer hehrsten Güter, wozu — wie in England — die Throne der Monarchen zu gehören beanspruchten. Das war auch Lady Hamiltons Meinung, und sie empfahl ihrem heldischen Freunde die Rückeroberung ihrer geliebten Fest- und Schlemmerplätze zu Neapel, und Sir William beeilte sich, die Zustimmung der englischen Krone als vorhanden anzusehen. Und Nelson segelte gen Neapel und bombardierte die Stadt indes der Pöbel, der von den Erneuerern vergebens die Erlaubnis zum Plündern erwartet hatte, nun die Gelegen heit wahrnahm und über die herfiel, die sein Bestes gewollt. Nelson versprach denen, die in dem alten Fort zusammengedrängt, die weiße Flagge gehißt hatten, freien Abzug. Aber weder Ferdinand noch die Lazzaroni hielten sich an solche Abmachung. Es kam zu grausigen Hinschlachtungen. Und auf Nelsons Schlachtschiff gar wurde einer der Aufrührer von Rang, Fürst Caracciolo, gehenkt.

    Es war sehr unerfreulich geworden am Tyrrhenischen Meer. Zwar erhielt der britische Admiral einen sizilianischen Herzogtitel, aber das Parlament in London wie auch die Admiralität fanden kein Vergnügen an des Abukirsiegers „blutiger Schürzentat" und Eigenmächtigkeit. Er wurde abberufen und mit ihm zugleich der britische Gesandte und Ritter Hamilton.

    „Wir fahren zu dritt gemeinsam! sagte Lady Emely. Sie litt seit einiger Zeit an Übelkeit und Zahnschmerzen und wußte warum. Die lange schreckliche Seereise gen England würde sie umbringen. „Wir sind früher immer über die Schweiz gereist! sagte sie und wußte es verlockend zu schildern. Aber nun waren die Franzosen am Rhein.

    „Man muß die Elbe zu erreichen suchen!" sagte Nelson.

    „Wir müssen über Wien, und das kann merkwürdig sein, äußerte Sir William. „Und vielleicht legen die Seeschiffe Shakespeares tatsächlich in Böhmen an.

    Da nun Maria Karoline, Königin von Neapel, einen diplomatischen Besuch ihres Elternhauses zu Schönbrunn mit englischer Unterstreichung für nicht ungünstig ansah, stimmte auch sie, als Busenfreundin der Hamilton, für den Landweg über die Lombardei.

    „Auch dort sind die Franzosen!" wandte Nelson ein. Er hoffte noch immer, auf einem prächtigen, kanonengespickten Doppeldecker heimreisen zu dürfen.

    Die Hamilton aber wußte ihm zum Trost zu sagen, daß die Karte von Deutschland aussähe wie eine viel geflickte Harlekinshose und daher viele Empfänge an vielen Fürstenhöfen bevorständen, die sehr geeignet sein könnten, das abgekühlte englische Volksgemüt bezüglich des Siegers vom Nil wieder anzuheizen.

    Es war im Juni des Jahres 1800, als man mit dem Doppeldecker Foudroyant von Palermo abreiste. Neapel und seine unbequemen Erinnerungen ließ man über Steuerbord liegen. Und gelangte nach Livorno.

    Und an Bord befanden sich: die Königin von Neapel, Maria Karoline, mit einem Prinzen und drei Prinzessinnen. Sie war eine einst schön gewesene Blondine mit verquollen stechenden Augen, verbissenem Mund, lüsternen Mundwinkeln und dem Kinn eines Viehknechtes, und hoch in jenen Jahren, die der Seemann entsprechend den unbehaglichsten Breitengraden der Meere die „roaring forties" nennt. Bei unpolitischen Gelegenheiten unterzeichnete sie mit: Charlotte.

    Außerdem war Kardinal Ruffo dabei, Organisator der Gegenrevolution. Dazu einige Minister, Hofdamen, Ärzte, Köche, Lakaien und Zofen, im ganzen siebzig Personen Gefolge.

    Sodann Sir William Hamilton, Ex-Gesandter, dürr, sehnig, alter Gentleman mit schwerlidrigen, müden Genießeraugen, langlappigen Ohren und dünnem, gewitztem Munde, im Dezember siebzig Jahre alt.

    Sodann, ihn und Nelson überragend, Lady Emma, durch ihre Schönheit nach bewegtem Leben aus der Tiefe aufgestiegen und seit neun Jahren seine berühmte Gattin. Immer noch etwas ungeschliffen, oft zu laut. Sie vermochte erregt in ein saftiges Waliser Bauernslang zu geraten, doch war sie bezaubernd im Wechsel ihres Ausdrucks der Augen, der Hände, des Ganges. Nicht mehr schlank trotz aller kosmetischen Mittel, war sie zudem in andern Umständen, ohne daß es bekannt werden durfte. Sie trieb zu Livorno in einem verstaubten unmodernen Laden ein Korsett auf, ein Kleidungsstück, das seit zehn Jahren in der ganzen Welt verpönt und ausgestorben war. Ihre ganze Erscheinung war die der Yvette Guilbert um 1930, antik entlehntes Kostüm, antike Haartracht, Größe, Format, Gesang, Mimik; nur ein wenig jünger.

    Sodann Lord Nelson, knabenhaft klein, mager wie ein Schaukelpferd, Held vieler Schlachten, großer Segler, Stratege und Taktiker der Meere, zurzeit niedergedrückt, voll Sorgen für die Zukunft, abgebaut im Mittelmeer, durch Verwundung einarmig, einäugig, nervös; blaßblond, mit dünnem, widerspenstigem Haar, auf dem kein Puder sich hielt und das hinten in einem mageren, sogenannten Schweineschwanz gedreht war.

    Sodann Frau Cadogan, betagte Mutter der Lady Hamilton, bösen Zungen nach frühere Waschfrau, von Nelson genannt: Signora Madre; am Dienstbotentisch: Mutter Cat; ging gebeugt, demütig und immer wie auf Zehenspitzen. Wagte niemals zu klagen, konnte Kartenlegen und hütete ein Dutzend Medizinflaschen und Teetüten für allerlei Übel.

    Sodann Fräulein Ellis Cornelia Knight, Admiralswaise in Schwarz, mit von einem Schornsteinfeger ererbten Vermögen, Schriftstellerin, vortreffliche Zeichnerin, lieb Kind im Hause Hamilton, Poeta laureata Nelsons, ebenso alt wie er, drei Jahre älter als die Lady und fünf Jahre jünger als Karoline, nämlich zweiundvierzig.

    Außerdem John Tyson, tüchtiger Sekretär Nelsons, der dessen Kasse verwaltete, glatzköpfig, bäuchig, starker Raucher, ein Mann, mit dem man einen vertrauten Umgangston pflegte und der mit am Herrschaftstisch aß. Er war wegen chronischer Heiserkeit vom Dienst auf Deck in die Zahlmeister-Laufbahn gedrängt worden und seinem Schöpfer dankbar dafür, kein Held von Natur, sondern den unblutigen Genüssen geneigt, dennoch vom Ruhm anderer umgeben, dankbar Tag und Nacht einen kostbaren Brillantring tragend, Geschenk der Königin von Neapel.

    Sodann Gaetano, ein lockiger Lazzarone, den Sir William zu einem brauchbaren Menschen und Diener erzogen hatte.

    Sodann die kleine sogenannte Mary-Ann, sizilianisches Hausmädchen, deren Eltern froh waren, sie los zu sein. Wegen ihrer stolzen Haltung mit ihrem eigenen Namen Ré Giovanna genannt. Sie wäre gern Königin oder Admiral geworden.

    Und auch: Loinette, eine französische Zofe, nicht mehr jung, ein bißchen verknittert und spitznäsig, aber sehr anmutig mit zwitschernder Stimme und verführerischen Beinen.

    Und dann: (obwohl von Kapitän Chamier entlehnt) Bootsmann Brace, der Stewart Nelsons, ein vierschrötiger braver Kerl, rothaarig, was er unter einem schwarzen Haarbeutel, als dessen Band ein Stück französischer Admiralslitze aus der Schlacht bei Abukir diente, zu verbergen suchte.

    Und schließlich: Fatima oder Fatme, eine Mohrensklavin, der Hamilton von Nelson geschenkt (was später näher erzählt wird), mit dem von Fräulein Knight erfundenen Namen Della Mare.

    König Ferdinand blieb daheim; denn er war ungeeignet für die feinere Auslandspolitik und vertrieb sich besser die Zeit mit Jagd auf Fasanen und Revoluzer. Dieser übrigens dickfellige Schlemmer zeigte sich dank seiner Vorsicht und Robustheit begünstigter als die, die ihn jetzt verließen. Er überlebte sie alle. Nach Napoleons endgültigem Sturz konnte er sogar wieder in Neapel einziehen, wenige Monate nach dem Tode seiner Frau und nachdem auch Lady Hamilton, zehn Jahre nach Nelson, elend gestorben war. Er erfuhr obendrein das Vergnügen, den neapolitanischen Zwischenkönig, den vormaligen General Napoleons, Murat, erschießen lassen zu dürfen. Und erst, als er sich gefallen lassen mußte, sein Gottesgnadentum nach englischem Muster mit einem Parlament zu verringern, den Sieg der französischen Revolution also weniger denn den eines anderen Englands als das musischer Gesandten und treuherziger Admiräle zu spüren bekam, vergiftete sich sein Gemüt und brachte auch ihn zur Strecke, allerdings in hoher Betagtheit.

    Doch vorerst sind wir bei dem Gepäck derer, die sich auf eine abenteuerliche Reise begaben. Unter dem mitgeführten Ballast Nelsons und der Hamilton befanden sich ein Äffchen, ein Papagei, ein Bologneser Hündchen, eine Harfe Lady Hamiltons, eine englische Kutsche für vier Personen, mehrere Kisten mit griechischen Vasen, Terrakotten, römischen Gläsern, Bronzen, Elfenbeinschnitzereien, Goldschmuck, Gemmen und Münzen, einigen Marmorstatuen, das Gemälde mit dem lachenden Knaben von Leonardo da Vinci und allerlei Trophäen aus nelsonischen Schlachten, zum Beispiel das Schiffswappen vom Guillaume Tell, der Flaggenstock vom L’Orient, dem französischen Admiralschiff, das bei Abukir in die Luft geflogen war, und aus dem Großmast desselben auch ein Sarg, den der Kommandant der Swiftsure sinnigerweise hatte anfertigen lassen, seinem Geschwaderchef zum Geschenk, der stolz darauf war und darin einst begraben sein wollte, weshalb er ihn immer bei sich führte.

    Die Insel Elba tauchte auf. Gelber Qualm wölkte über ihrer Küste.

    „Eisenhütten," sagte Nelson. Er wußte, wie es aussah, wenn Kanonenkugeln entstanden.

    „Hier sollte man alle Eisenfresser einsperren!" meinte der Kardinal.

    „Einer genügt!" erwiderte Nelson.

    Zu Livorno erfuhr man die unglückliche Mär von der Schlacht bei Marengo. Der Gottseibeiuns und geborene Italiener Bonaparte, inzwischen erster Konsul und Alleinherrscher Frankreichs, war wie weiland Hannibal und Barbarossa über die Alpen gekommen, hatte in einem kleinen Monat Oberitalien genommen und die Österreicher, die beste Hoffnung der europäischen Christenheit, mörderisch geschlagen.

    Wie bitter und zugleich genugtuend war es für Nelson, daß die Entscheidung herbeigeführt hatte ein gewisser General Desaix, der mit Urlaubertruppen frisch aus Ägypten angelangt und also den englischen Kreuzern wieder einmal entgangen war. Nun mußte die Admiralsflagge herunter vom Top des Foudroyant, und die hübschen Matratzen flogen über Bord. England konnte sich keinen Passagierdienst leisten. Nun war Sizilien angeblich wirklich in Gefahr.

    Ärgerlich schrieb der kleine verdiente, ordenüberregnete Admiral an den ihm unliebsamen Chef im Mittelmeer:

    „Livorno, 24. Juni 1800:

    Den Foudroyant zurückzuziehen, hat eine Palastrevolte ergeben. Wenn Sir William und Lady Hamilton über Land heimreisen, ist es meine Absicht, mit ihnen zu gehen ..."

    Eine Woche später schrieb Fräulein Knight an das Idol ihrer jungfräulichen Träume, einen Kapitän Berry: „Lady Hamilton erträgt den Gedanken nicht, über See nach Hause zu fahren, und nichts kann unsere Reise nach Wien mehr verhindern."

    Nelsons letzte Hoffnung, der Vormarsch der Franzosen, wurde durch einen Waffenstillstand zunichte. Über Mailand oder Venedig zu gelangen, war zwar unmöglich. Jedoch die Straße über Florenz nach Ancona war noch frei. Und von dort wollte man versuchen, über die Adria weiter zu kommen.

    Die Königin nun, da sie sah, wie man Nelson und die Hamiltons betreffs des schönen Schiffes schnöde behandelt hatte, wandte sich von ihnen und fuhr ab ohne sie. Man rollte mit dem Gesinde hinterher. Vierzehn Kutschen voll Menschen, drei Lastwagen mit den Bergen Gepäck, schreckliche Straßen, unerträgliche Hitze, Staub, Achsenbrüche, verrenkte Schultern, gequetschte Rippen, verstauchte Knie. Über Florenz, Arezzo, Perugia und durch armseliges Land. Und immer die Angst, von den Franzosen geschnappt zu werden. Nelson so billig zu Lande auszuheben: das wäre vielleicht ein republikanisches Fressen gewesen! Denn mit England war Krieg wie bisher.

    Man kam wieder ans Wasser nach Ancona. Ancona hatte man vor Jahresfrist für Österreich miterobert. Da lag für die Königin, Mutter der k. k. österreichischen Landesherrin eine Fregatte bereit, wurde ausgeräumt, statt der Kanonen mit Teppichen bestückt, mit hübschen Betten, Kissen, Bildern, Spiegeln und Musikinstrumenten versehen, mit Geflügel, Gemüse und Leckereien.

    Nelson sagte: Nein! Drei Fischkutter entern das süße Karussel wie nichts. Außerdem kamen Gerüchte auf von einer Meuterei unter den k. u. k. Matrosen.

    Es lag auch ein russisches Geschwader im Hafen. Es hatte mit türkischer Beihilfe die Franzosen von den ionischen Inseln vertrieben. Vier Fregatten, davon drei zu 50 Kanonen, eine zu 40 und eine Brigantine zu 10. Insgesamt etwa 2000 Mann Besatzung, das deuchte dem Helden sicherer. Er war zurzeit Privatmann. Das Heldentum der Privatmänner heißt Vorsicht.

    Freilich sahen die Kästen finster aus; sie waren es auch. Und die Königin stellte Nelson zur Rede, warum der Foudroyant nicht nach Ancona gekommen (als ob er ein Luftballon sei), und sie war ungnädig über die Engländer, verließ jedoch angstvoll die heiteren Kabinen des österreichischen „Lustkreuzers" und verkroch sich mit ihrem engeren Hofstaat unter die schmutzigen Decks des russischen Flaggschiffs Nawarschia, wo denn auch Nelson und die Hamiltons abblieben. Mindere Personen, wie beispielsweise Mutter Cadogan und Fräulein Knight, wurden auf die übrigen Schiffe verteilt und hatten es besser.

    Auf dem Flaggschiff Nawarschia führte ein vertretender Offizier das Kommando, weil Graf Voinowitsch, der Geschwaderchef, wie man hörte, teils betrunken, teils seekrank zu sein pflegte. Dieser Offizier hieß Capaci und war aus Neapel, wo er unter Fürst Caracciolo am Umsturz teilgenommen hatte, aber entkommen und in die russische Marine eingetreten war.

    Und er freute sich, daß ein Wind aufkam, der geeignet war, die Gedärme zu beunruhigen. Und als alles drüber und drunter lag zwischen den düsteren, mit zerrissenen Segelbahnen notdürftig abgeteilten, von Ratten und Kakerlaken reichlich bevölkerten Schiffsräumen, da sagte er offen und laut, daß dies alles ein Paradies sei gegen die Kerker zu Neapel oder Messina. Und daß es einen gerechten Ausgleich gebe.

    Der sterbenskranken Königin in der ihr abgetretenen elenden Kajüte des Kommandanten Voinowitsch blieben diese Reden nicht verborgen, aber hier war ihre Macht zu Ende, und Lord Nelson war zu erfahren in den internationalen Möglichkeiten auf See, als daß er unnötige Worte verschwendete. Es hieß ausharren. Und der Wind blies aus allen Trompeten. Die Adria schäumte wie ein tollgewordener Waschbottich. Als sollte die ganze schmutzige Wäsche der Jahrhundertwende in eins gewaschen werden.

    Die Hamilton wimmerte, Capaci werde das Schiff absacken lassen. Der kleine Lord, noch munter, sah sich daraufhin an Deck die Boote an. Sie waren allesamt wie Teesiebe. Capaci dennoch sah nicht aus, als würde er mit ihnen als Opfer seiner Überzeugung und seiner Rache sterben. Und der Privatmann Nelson prüfte strengen Auges die Segelstellung und hätte gern das Kommando übernommen.

    Aber der wachsame Capaci verfolgte den mastaufgewandten Blick des kleinen Admirals, kam freundlich die Schanze entlang und sagte höflich: „Hier gibt’s nichts zu henken, Herr Engländer!"

    Das machte unserem Helden kummervoll zu schaffen und warf ihn in die Hängematte, und er bekam seinen halbjährlichen Krampfanfall, und sein Magen erinnerte sich an jenen Manzanillazweig, der einst zu Westindien heimtückisch in der Pfütze gehangen, aus der er seinen Fieberdurst hatte löschen wollen. Und Caracciolo erschien ihm und baumelte wie ein Hampelmann herab und streckte ihm die Zunge aus.

    Caracciolo war ein alter Herr gewesen, einst Chef der neapolitanischen Admiralität, des Umsturzes verdächtig, den hatte Lord Nelson an die Rah knüpfen lassen und danach, mit drei 32pfündigen Doppelkopf-Kanonenkugeln beschwert, dem Meer übergeben. Der Mann war ein Fürst gewesen und so alt wie Sir William, vornehm und weißhaarig und war wieder an die Oberfläche gekommen und verfolgte ihn oft im Traum.

    König Ferdinand von Neapel aber hatte dafür den Titel Herzog von Bronte an Nelson verliehen und einen Ehrendegen mit vielen kleinen und großen Diamanten. Der große Diamant war gelblich und der Degen stammte von des Königs Vater aus Spanien und hatte sozusagen vormals Neapel erobert und gebühre nunmehr dem Wiedereroberer. Das Herzogtum Bronte, nahe dem Berg Ena in Sizilien, nach einem der Zyklopen benannt, was schmeichelhaft gedacht war für den einäugigen Helden, brachte angeblich zwei- bis dreitausend Pfund Sterling jährlich ein. Nelson hatte einen Verwalter bestellt, welcher ersah, daß es dort etwa genau soviel koste wie es einbringen sollte.

    Bronte bedeutet Donner, und dasselbe bedeutet der Name von Nelsons liebstem und ihm nicht mehr gegönntem Schlachtschiffe Foudroyant. Es waren große Namen, jedoch die Gelegenheit, ihnen nachzueifern, war spärlicher geworden; die See war leer, und der Lorbeer wuchs nur auf den Bäumen, und auch Sir William und Lady Emely hatten gefunden, daß die Zeit des Ruhmes dahin sei.

    Verflucht! Die Russen sind schuld! Nelson brüllte es seiner armen Seele zu. Es gibt keine bessere Entschuldigung seiner selbst als die Fehler anderer. Die Russen hätten ihn im Stich gelassen. Er hatte selber zu wenig Schiffe gehabt, der Zaun zwischen Alexandrien und Toulon war zu dünn, der Satan Bonoparte war hindurchgeschlüpft. Die verfluchten Russen! Auch vor Malta. Die Russen. Auch bei Neapel, was sie ja statt seiner hätten zurückerobern können. Auch jetzt. Diesen elenden sogenannten Fregatten Rußlands waren sie ausgeliefert; nichts anderes hatte man ihnen gegönnt, der Königin, einer Königin und den Hamiltons! Und ihm! Aber immerhin hatten die Russen den Dodekanes befreit, von den Franzosen befreit.

    Man hatte Kurs auf Triest. Das Schiff tanzte wie ein weggewehter Strohhut. Keiner außer den Matrosen, der sein Inneres bei sich behielt. Selbst die Ärzte lagen Gott weiß wo und konnten sich und den andern nicht helfen. Da gedachte die Königin an die Flucht nach Palermo, Weihnacht vor zwei Jahren; da war ihr kleiner Sohn Prinz Albert gestorben. Es hatte sie wenig gerührt und er erschien ihr jetzt, sie zu ängstigen. Sie verlangte nach frischen Feigen, womit die Sizilianer alle Krankheiten heilen. Aber es gab keine, und sie glaubte, sie müsse nun ebenfalls dranglauben.

    Obendrein erschien Capaci, der stellvertretende Kapitän, und war lebendig und sprach mit Kardinal Ruffo und wärmte alte Geschichten auf aus der Revolution, beispielsweise die Taten eines Priesters namens Rinaldi (gegen den Rinaldini wirklich nur ein kleinerer war), der mit eigener Hand sechs „Jakobiner"-Kinder in Stücke gehauen, zwei Revolutionären die Bäuche aufgeschlitzt und den Arm eines am langsamen Feuer geschmorten Republikaners verzehrt und noch dazu eine königliche Auszeichnung empfangen habe. Und auch die Sache erwähnte er mit dem Gelehrten und Malteserritter Dolomieu, der zu Messina saß und mit angebrannten Hölzchen seine Naturgeschichte der Mineralien auf die Blattränder einer Bibel schrieb (die Dolomiten heißen nach ihm). Ein Franzose, ein Forscher und Revolutionär, den man auf der Fahrt von Malta nach Marseille als Schiffbrüchigen aufgefischt und aufs grausamste eingekerkert hatte. Denn man schob ihm zu, Malta an Bonaparte verraten zu haben. Und auch, daß gewisse Geheimverträge zwischen Neapel und Rußland betreffs Malta durch ihn gescheitert seien.

    Malta. Es war ein wunder Punkt für Nelson. Bonaparte auf der Fahrt nach Ägypten, hatte es im Vorbeigehen den Ordensrittern abgekniffen. Nun belagerte England es gemeinsam mit Russen, Türken und Portugiesen seit Jahr und Tag. Und Nelson hatte in treuer Einigkeit mit den Hamiltons die nette Insel unter der Hand an Neapel versprochen. Denn Königin Karoline hatte gesagt, daß Karl V. Malta den Johannitern zum Ersatz für das verlorene Rhodos gegeben habe. Seine Nachkommen aber seien die Könige von Neapel. Das wollte man in London nicht recht einsehen.

    Großherr des Malteserordens aber war plötzlich Zar Paul I., der seinerseits das liebliche Eiland als Sommerfrische und russischen Flottenstützpunkt begehrte und sich herbeiließ, Lady Hamilton zur „Petite Dame de Croix" zu machen, indem er ihrer durch Nelson unterstützten Legende von einer (nie angekommenen) Getreidelieferung für die armen hungernden Ritter Glauben schenkte, wohl wissend, was Weiber vermögen, obgleich er wirren Geistes war. Dolomieu aber und Capaci hatten Wind von diesen Schiebungen.

    „Man muß Dolomieu freilassen! rief Capaci, der vormals neapolitanische Revolutionär, dringend. Ruffo entgegnete übelriechend und achselzuckend: „Wir werden dem Verlangen Rußlands nachgeben und ihn dem Zaren ausliefern, mit einem kleinen Hinweis auf den Anreger."

    Das brachte den Kapitänleutnant in russischen Diensten Capaci in Zwiespalt. Mit Petersburg war nicht zu spaßen. Er schwieg und ging. Setzte aber den Kurs ein wenig querer gegen die See, so daß alle es spürten und des Jammerns und Stöhnens kein Ende war. Und auch dem Äffchen, dem Papagei und dem Hündchen ging es nicht gut; denn niemand dachte daran, sie zu füttern.

    Mit Nelson im selben Verschlag lag Sir William; den überkam ein altes Gallenfieber, und die Ärzte, die Bootsmann Brace im wahrsten Sinne an den Haaren herbeizog, gaben alle Hoffnung auf. Und wieder erschien Capaci wie ein böser Geist und gemahnte Sir William an die Brüderlichkeit aller Wissenschaft, und wenn ein gewisser Sir William Hamilton über die Vesuvausbrüche und über die Entdeckungen zu Pompeji geschrieben habe, so habe ein ebenso gewisser Dolomieu über die kalabrischen Erdbeben und über die Arten der Gesteine geschrieben, und Sir William wie auch Lord Nelson sollten ihm versprechen, darauf hinzuwirken, daß der Mann freikomme und nicht wie Caracciolo unschuldig verrecken müsse.

    Sir William lag, da die Hängematten nicht sein Geschmack waren, in einer Art Bett, das Gaetano kurzerhand aus Nelsons Sarg zurechtgemacht hatte. Und Nelson erspähte es in seinem Leiden und sagte durch das Gewinsel des Schiffes: „Alter Junge, am Ende dieser Fahrt werden wir mager genug sein, gemeinsam Platz zu haben in meiner Totenkiste. Versprechen wir diesem räudigen Zuchthäusler, was er will. Wir sterben für Gott, König und Vaterland."

    „Und für unsere Lady! fügte der alte Kavalier einen faßbareren Begriff hinzu: „Gut, wenn wir leben bleiben, soll das unser Dank sein! wandte er auf italienisch die schweren Lider an den verflucht jungen und munteren Capaci, der darauf wie ein Gespenst verschwand und die Vision einer gewissen Ausgrabung hinterließ; und jene Worte, die Sir William aufgeschrieben hatte, hingen deutlich in der dicken Luft: Auf der Straße, gleich vor dem Tore der Villa, kam ich eben dazu, als man ein Gerippe ausgrub. Auf mein Ersuchen, daß die Arbeiter den Hirnschädel und die Gebeine ganz sachte wegnehmen möchten, ward ich in der unten liegenden Masse recht deutlich der vollkommenen Abbildung aller Gesichtszüge dieser Person gewahr und sah, daß die Augen geschlossen gewesen waren...

    Und er bedauerte, nicht unter einem Aschenregen zu sterben. Aber weniger schön war, daß der Abdruck der Gesichtszüge dem Kopf Caracciolos zu gleichen begann, wie er über dem Wasser aufgerichtet seegrasbärtig daherschwamm und den Stumpf einer von Fischen angefressenen Zunge gegen ihn ausstreckte. Womit gesagt werden soll, wie das Empfinden zweier Freunde zusammenhängen kann; denn gerade hatte Nelson eine ähnliche Vision und seufzte hohl auf.

    Da lächelte Sir William in seinem Fieber und sagte in Abständen: „Alter Seiler. Wir haben manches gemeinsam. Die Liebe, die Sünden, die Visionen, die Figur und den Sarg. Aber für den König zu sterben, das überleg dir. Georg III., der unsere Abberufung zuließ, ist ein leeres Schwein und sein Sohn auch."

    Bootsmann Brace, aufrecht und treu, wischte ihm mit einer Hand den kalten Schweiß von der greisen Stirn, mit der andern aber stoppte er den elenden Schwung, in den die Hängematte des Admirals geraten war.

    Lady Hamilton vernahm einiges von den teuren Gesprächen; sie lag hinter der Segelbahn nebenan und sagte manches dazwischen, was keiner im Lärm auffaßte, hörte auch den Arzt, schrie, flehte; aber sie war nicht fähig, aufzustehen. Sie wimmerte den Namen der beiden Männer, die sie liebte; sie weinte, da sie fürchtete, beide zu verlieren, redete sich gut zu, hörte durch das Deck, wie die Königin nach ihr rief, und schwieg. Alles lag hier dicht an dicht, nichts blieb verborgen. Es war entsetzlich, schamlos, gemein, und ging doch unter im Getöse. Sie fluchte mit männlichem Organ auf die Russen, ein verzweifeltes höllisches Echo stimmte ein. Sie versank in sich, fühlte an sich umher, dachte an Romney, der sie so oft gemalt, als sie noch jung, dumm und schlank gewesen war, auch an Reynolds, Tischbein, Rehberg, Hoppner, Lawrence, Angelika Kauffmann. Ihre Schönheit würde der Nachwelt nicht verloren gehen.

    Zu ihren Füßen hockte Fatima, die kleine Mohrin, in sich gekrümmt, verhüllten Hauptes, zuckend unter den Schwingungen des Schiffes, doch ohne Laut. Sie stieß mit den Zehen nach ihr: „Fatme! Wasser! Zitronen!" Fatme kroch davon, kam wieder. Nichts. Es gab nichts auf diesem Schiff.

    Die Hamilton biß die Zähne zusammen, preßte den Nacken steif gegen eine gerollte Wagendecke, die das Kopfkissen ersetzen mußte. Sie dämpfte ihre Übelkeit. Erbrechen würde ihr schaden. Sie war leer bis zur Galle. Ruhe! Schlaf, Kindchen schlaf! Die Nacht ihres Geburtstages im vergangenen April flog hin und her über ihre Seele. Damals schwebten sie zwischen Malta und Palermo, nicht weniger stürmisch, aber in einem schöneren Boot, in Nelsons Flaggschiff. Und Nelson war gekommen, sie zu trösten. Der tolle Horatio, berühmt, knabenhaft, unterwürfig und ehrgeizig, begeisterungsfähig, schwermütig, nervös, in Selbstzucht geübt, unrettbar in sie verliebt. Würde er ihr ergeben bleiben auch in dem nahenden schrecklichen Wirrwarr Londons, im Schlangenstrudel zischelnder Zungen, inmitten amtlicher Vermahnungen und gesellschaftlicher Vorbehalte, unter den Geißeln und Brandfackeln der nach Anteil und Ruhm lüsternen Familie,

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