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Märchen im neuen Gewand
Märchen im neuen Gewand
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eBook273 Seiten3 Stunden

Märchen im neuen Gewand

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Über dieses E-Book

Die Brüder Grimm oder H.C. Andersen hatten sich bestimmt nicht gedacht, dass ihre Märchen einmal als Vorlage für Dagmar Hermann dienen und im 21. Jahrhundert spielen. Diese wunderbaren Geschichten sprechen allein für sich. Aber das Sahnehäubchen sind dann die wundervolle Illustrationen der Autorin und ihrer Enkeltochter Miriam Esdohr zu jeder Geschichte.

Da haben wir zunächst den Kaiser Kokolores und seine neue Kleider. Er herrschte im Land mit Namen Wirsindwer, was mitten in Europa liegt. Die zwei ebenso gewitzten wie talentierten Schneidergesellen Wusel und Wastel, die ohne Arbeit und Brot waren, da die Leute es sich nicht mehr leisten konnten, sich Kleider nach Maß anfertigen zu lassen, sondern in Billigmärkten und Zweitehandläden einkaufen mussten, hatten einen Plan.

Die sich langweilende Prinzessin Rosemunde aus dem Schloss im Reiche Klumperdeick ist ganze süße siebzehn, jeder Wunsch wird ihr von den Augen abgelesen. An einem milden Frühlingstag, als sich Rosemunde wieder einmal gelangweilt und gähnend, lustlos mit einer goldenen Fliegenklappe nach den Stubenfliegen schlagend, auf dem seidenen Diwan rekelt und düster seufzend ihre übliche Klage anstimmt: "Mir ist ja sooooooo langweiliiiiiig!", an diesem Tage sollte doch noch etwas Außergewöhnliches passieren.

Der Rattenfänger – Geschichte mit einer Moral. An einem anhand eines Datums nicht mehr zu bestimmenden Tag geschah in der kleinen, inmitten des schönsten Teils des Weserberglands gelegenen Stadt Hämela etwas für sich besehen Belangloses, das den bislang in keiner Chronik verzeichneten Ort schlagartig ins Licht der Öffentlichkeit rückte und ihm zu einer fragwürdigen Berühmtheit verhalf. In dem verschlafenen Städtchen, in dem die Zeiger der Uhr stehengeblieben zu sein schienen. Es erschienen nämlich viele Ratten und Valentin. Was dann geschah…..

Im Märchen "Der Froschkönig" sind wir im Königreich Plattafundien angelangt. Dort trug sich eine tollen Geschichte zu, die das täglich Brot der Klatsch-und-Tratsch-Presse sind. Im Nu war es in aller Munde, Tanten, Muttis und Omis zerrissen sich beim Kaffeeklatsch, seien wir höflich, den Mund, Teenies simsten wie wild durch die Gegend, und, wie nicht anders zu erwarten, beim Bäcker und Friseur kam dem Kunden ein freudig erregtes "Haben Sie schon gehört?" entgegen, demzufolge sich die Angelegenheit wie ein Lauffeuer in alle Winde verbreitete.

Dann haben wir noch Cinderella – Wenn Märchen wahr werden. In einem würdevollen, dem Tudorstil nachempfundenen Herrenhaus, inmitten urwüchsiger Schwarzwälder, wurde die britische Lebensart hochgehalten. Hier befand sich Mister Genchmans von den Unbillen der Zeitläufte abgeschottete Welt, ein kleines Paradies, in welchem er dennoch ein nach wie vor einflussreiches Imperium erschaffen hatte. Er hatte gemeinsam mit seiner lieber Frau eine kleine, süße Tochter. Zu der Zeit begab es sich auch, dass Mister Genchman eine Wirtschafterin ins Haus nahm, damit sich Frau Genchmann vollkommen ihrer Aufgabe als Mutter widmen konnte. Mit dem Einzug von Frau Wachtel trat das Unglück über die Schwelle, im Gefolge von zwei Töchtern, die schon früh Halbwaisen geworden waren. Frau Wachtel war eine stattliche Frau von hohem Wuchs und gebieterischem Auftreten, was einer Wirtschafterin zugute gehalten werden könnte. Im Nu hatte sie alles im Griff, was die Haushalts- und Betriebsführung anging. Alles tanzte nach ihrer Pfeife. Wie konnte das gut ausgehen?

Text Gunter Pirntke, freier Dozent, Autor und Verleger
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum17. Mai 2019
ISBN9783748594161
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    Buchvorschau

    Märchen im neuen Gewand - Dagmar Herrmann

    Kaiser Kokolores neue Kleider

    Es war einmal ein nicht unbedeutendes Land mit Namen Wirsindwer mitten in Europa. Dort herrschte der Kaiser Kokolores, der, wie wir im Folgenden hören werden, sich die allergrößte Mühe gab, seinem etwas lächerlich anmutenden Namen alle Ehre zu machen.

    Zum Leidwesen seiner geplagten Untertanen war er ein verschwenderischer, genusssüchtiger Mann, dem an nichts mehr als an seinem eigenen Wohlergehen gelegen war. Er pflegte die unter schwersten Bedingungen erarbeiteten Steuergroschen der Bürger mit vollen Händen für kostbare Kleider aus dem Fenster zu werfen – über goldene Knöpfe und edelsteinbesetzte Roben konnte er vor Freude in Tränen ausbrechen. Er widmete sich mit Inbrunst nicht nur seinem eigenen Äußeren, sondern war ebenfalls davon besessen, sein Schloss immer nach dem letzten Schrei sowie seiner Vorstellung von „Schöner Wohnen" mindestens einmal im Jahr neu auszustatten. Aus allen Teilen der Welt wurden die teuersten Stoffe, die prunkvollsten Ein-richtungsgegenstände und Dekorationen herbeigeschafft, Vorhänge aus kostbaren Stoffen, Teppiche aus dem Orient, eigens entworfene Designer-Möbel. Dem König schwebte vor, dass sein Schloss es eines Tages an Glanz und Prunk mit dem von Versailles aufnehmen, wenn nicht gar übertrumpfen könnte. Um die bald folgenden Geschehnisse richtig einordnen zu können, muss unumwunden und ohne Beschönigung ausdrücklich festgehalten werden: Das Herrscherhaus war ein kostspieliges Vergnügen, an dem nur der Monarch und seine Hofschranzen Freude hatten.

    Zu allem Überfluss liebte er auch noch das gute und reichliche Essen, wobei Kaiser Kokolores unter gutem Essen fette und schwere Kost verstand. Dieser fatalen Schwäche gab er sich gleich mehrere Male am Tage hemmungslos hin. Sein Lieblingsgericht war bekanntermaßen Saumagen mit Leberknödeln. Ebenso schätzte er einen guten Tropfen sehr, seinem Lieblingswein, dem Pfälzer Grauburgunder, sprach er in überreichlichem Maße zu, was sich zusammengenommen naturgemäß auf seinen Leibesumfang auswirkte. Er trug bereits einen gewaltigen Bauch vor sich her, der ihm beim Laufen erhebliche Probleme bereitete, damit nicht genug, den Anschein erweckte, als könne er jeden Moment wie ein aufgeblähter Ballon auseinanderplatzen.

    Einzig und allein der Umstand, dass er seine Gemahlin schon früh verloren hatte, kann zu seiner Entschuldigung angeführt werden. Die Kaiserin war eine kluge und besonnene Frau gewesen, die ihren zügellosen, zu Wutausbrüchen neigenden Mann mit mäßigem Erfolg im Zaum zu halten versucht hatte.

    Nachdem wir uns solchermaßen ein ungefähres Bild über die unhaltbaren Zustände in jenem Land verschaffen konnten, darf ohne Übertreibung behauptet werden, der Kaiser war ein eitler Fant und ein dummer noch dazu. Obwohl sich etliche Lehrmeister redlich bemüht hatten, einen halbwegs gebildeten Mann aus ihm zu machen, fehlte es ihm an jedwedem gesundem Menschenverstand, und mangelte es ihm in ebensolchem Maße an Fingerspitzengefühl, ansonsten hätte er sehr wohl die Zeichen der Zeit erkennen müssen, denn sie standen auf Sturm.

    Obwohl Revolutionen und Aufstände in diesen Breitengraden vollkommen aus der Mode gekommen waren, brodelte es mittlerweile an allen Ecken und Enden. In den Straßen, unter den Torbögen und Hauseingängen bildeten sich immer öfter Grüppchen von unzufriedenen Bürgern und Bürgerinnen, die, zwar noch vorsichtig und verhalten, kopfschüttelnd leise murmelten: So kann es nicht weitergehen. Die Taschen waren leer, die Untertanen ächzten unter der Abgabenlast, die Schatzkammern des Reiches so gut wie geplündert, und manch einer der Verwalter hatte sich bereits, das nahe Ende kommen sehend, mit gefülltem Beutelchen aus dem Staube gemacht. Denn dem Kaiser die nackte Wahrheit ins Gesicht sagen, das traute sich keiner. Wie das in Monarchien gang und gäbe ist, wird der Hofstaat zu einem Sammelbecken von Jasagern und Speichelleckern, im gemeinen Volk ist ein noch viel deftigeres Wort gebräuchlich, aber das verschweigt der Erzählerin Höflichkeit.

    Da das Kaiserpaar kinderlos geblieben war, bot sich in dieser verzwickten Lage auch keine patente, auf dem Teppich gebliebene junge Prinzessin an, die das Schlimmste möglicherweise noch hätte verhindern können, indem sie einen stattlichen, vernunftbegabten Mann aus dem Volke ehelichte, oder zumindest aus dem Bürgertum, welches allerdings dahinschwächelte. Das soll nicht heißen, dass es bereits im Stadium der vollkommenen geistigen Verblödung gewesen wäre, nein, das ginge möglicherweise zu weit; jemand aus diesen Kreisen hätte vielleicht noch das einfache Kopfrechnen beherrscht und die Pleite vorhersehen, wenn auch nicht vollständig abwenden können.

    So nahm das Schicksal dergestalt seinen Lauf, indem es dort ansetzte, wo der unbedarfte, selbstverliebte Herrscher immer mehr und immerfort zusetzte, bei seinem Leibesumfang. Wie sagt schon der Volksmund: Dummheit und Arroganz gehen oft Hand in Hand. Eines Tages war er so aufgegangen, dass er aus allen Nähten platzte und seine Garderobe einer grundlegenden Erneuerung hätte unterzogen werden müssen. Dieser Tag fiel mit dem traurigen Umstand zusammen, dass die Schatzkämmerer verkünden mussten, die Schatzkammer sei endgültig leer und für derlei Firlefanz stünde keine einzige Golddukate mehr zur Verfügung. Kurz gesagt, man war pleite. An Kleidung von der Stange war, wie man sich ohne große Anstrengung denken kann, nicht zu denken. Das ließ den Kaiser Kokolores in eine grenzenlose Traurigkeit verfallen, so dass nun auch noch die einfachsten Amtsgeschäfte nicht mehr erledigt werden konnten. Er verließ tagelang nicht mehr sein in rotem und blauem Samt ausgeschlagenes Schlafgemach und jammerte und klagte ununterbrochen vor sich hin.

    In Zeiten der modernen Kommunikationsmedien wie Internet, Fernsehen, Radio und Mobiltelefone nicht anders zu erwarten, verbreitete sich die Kunde in Windeseile bis in jeden Winkel des Reiches. Für überzeugte Zeitungsleser, die sich immer noch auf diese aus der Mode gekommene Weise informieren, die trotzig darauf bestehen, zum Frühstück gehöre, neben dem warmen Brötchen, Schinken, Käse, der Marmelade und dem Honig, dem Kaffee oder Tee, ein Druckererzeugnis, das man in die Hand nehmen und Seite für Seite umblättern kann, erst dann sei der Tagesbeginn vollkommen, sei noch tröstlich vermerkt, dass auch die wenigen verbliebenen Zeitungen an der Verbreitung der Nachricht beteiligt gewesen sind. Was die Aktualität betraf, natürlich in weitaus geringerem Umfang, da sie weder mit der Schnelligkeit noch der Unmittelbarkeit der neuen Medien mithalten können. Kurz gesagt, jeder Einwohner des Landes bis hinein in den entlegensten Winkel wusste nun über das Missgeschick, das dem Kaiser widerfahren war, Bescheid. Die Nachricht erreichte den armseligsten Tagelöhner, der inzwischen für einen Euro, so die landläufige Landeswährung, also einem Hungerlohn, arbeiten musste, und jeden Penner, wie die Ärmsten der Armen leichtfertig und geringschätzig genannt werden, deren Zahl sich unter den gegebenen Umständen verständlicherweise stetig vermehrte, und es kann und darf nicht verschwiegen werden, sie wurde nicht nur von jenen nicht gänzlich ohne Häme und Schadenfreude aufgenommen.

    So erfuhren auch die zwei ebenso gewitzten wie talentierten Schneidergesellen Wusel und Wastel davon, die ohne Arbeit und Brot waren, da die Leute es sich nicht mehr leisten konnten, sich Kleider nach Maß anfertigen zu lassen, sondern in Billigmärkten und Zweite-handläden einkaufen mussten. Wie sie so im Schneidersitz, wie das Schneider zu tun pflegen, auf ihren gepfändeten Tischen saßen, die Nähnadeln fein säuberlich in Reih und Glied aufgereiht und das schöne, in allen Farben des Regenbogens schimmernde Garn vor sich, durchfuhr sie gleichzeitig der wahrscheinlich rettende Geistesblitz. Wie es so heißt, zwei Seelen, ein Gedanke!

    Wusel und Wastel blickten sich schelmisch und verschwörerisch an, tuschelten so leise miteinander, dass wir, wären wir dabei gewesen, es nicht hätten hören können; und das ist auch gut so. Die Pointe der Geschichte soll selbstverständlich erst am Schluss verraten werden, die ihr, wenn es soweit ist, sowieso nicht glauben werdet, und dennoch der vollen Wahrheit entspricht.

    Die beiden Schneiderlein machten sich nun voller Tatendrang auf den Weg, in ihren Rucksäcken ihr Handwerkszeug und im Kopf einen vortrefflichen Plan. Am Schlosstor angekommen, baten sie entschlossen um Einlass, indem sie sich bei der Torwache brüsteten, dem Kaiser ohne lange zu fackeln und ohne großes Brimborium neue und unvergleichlich schöne Kleider nach Maß auf den üppigen Leib schneidern zu können. Verständlich, dass der Wachtposten die Ankündigung mit Freude und Erleichterung vernahm, hatte auch er wie allen anderen Bediensteten des Hofes unter der Übellaunigkeit des Herrschers zu leiden. Also bat er die beiden Nadel-und-Faden-Künstler überaus freundlich näher-zutreten, um sogleich Bescheid zu geben.

    Es dauerte auch nicht lange, und sie wurden in den Schlosssaal geführt, in welchem der Kaiser Kokolores schwach und hinfällig auf dem Thron hingestreckt mehr lag als saß. Er war nur notdürftig mit einem riesigen schwarzrotgoldenen Tuch bekleidet, bei dem es sich um die Landesfahne handelte, die als einzige groß genug war, die Blöße des Kaisers zu bedecken. Wusel und Wastel unterbreiteten dem Herrscher ihr Angebot, die schönsten Kleider zu einem Vorzugspreis aus dem Stand heraus zu nähen, so dass er bereits in einigen Tagen eine vollkommen neue und prächtigere Garderobe als je zuvor sein eigen nennen könne. Nach dieser an sich schon verblüffenden Behauptung schüttelten sie noch eine weitere Trumpfkarte aus dem Ärmel, sinnbildlich gesprochen. Sie verstiegen sich zu der Behauptung, dass die von ihnen kreierte neuartige Bekleidung sich vor allem dadurch auszeichne, dass nur kluge Leute sie sehen könnten, für Dummköpfe jedoch unsichtbar bliebe.

    Der Kaiser wurde im Nu munter. Der Gedanke an nagelneue Kleider mit solch einmaliger Eigenschaft war zu verführerisch, so dass er alle Warnungen seines Schatzkämmerers, zum unbedingten Maßhalten, in den Wind schlug, und dachte bei sich vermeintlich gewitzt: Wie praktisch, zudem kann ich gleich die Fähigkeiten meiner Minister, Beamten und Höflinge sozusagen einer Nadelprobe unterziehen, schmunzelte er, begeistert ob seiner geistreichen Wortspielerei. Er wies seine Diener an, den beiden unverzüglich alles zur Verfügung zu stellen, was sie benötigten, um mit der Arbeit zu beginnen.

    Ha, das hättet ihr mal sehen sollen! Heidewitzka, wie da die Nadeln und Scheren flogen! Um die beiden pfiffigen Schneider mit den feinsten Stoffen und Zierat versorgen zu können, ließ der Kaiser nun die Truhen und Tresore der Besserbetuchten im Lande plündern, auch die Hofbediensteten wurden nicht verschont, bei den Minderbemittelten war ohnehin nichts mehr zu holen. Heimlich, hinter vorgehaltener Hand, hörte man jetzt schon Flüche und Verwünschungen. Ach, du dummer, dummer Kaiser Kokolores!

    Die Hofleute wurden angewiesen, den Fortgang der Arbeit in allen Einzelheiten zu verfolgen und ihm stündlich Bericht zu erstatten. Jeden Tag sollte ein Bulletin veröffentlicht werden, damit auch das gemeine Volk in vollem Umfang Anteil habe an einem unvergleichlichen Projekt, das, so kann man sagen, seinesgleichen suchte, als ob das nicht andere Sorgen gehabt hätte! Auch von der außergewöhnlichen Beschaffenheit der Kleider wurden alle Untertanen und Staatsdiener in Kenntnis gesetzt:

    Nur den Augen der Dummköpfe werden sie verborgen bleiben!

    Der ganze Hofstaat war ob dieser Mitteilung in Unruhe versetzt worden, wie denn der gemeine Pöbel sie zum Anlass zu einigen unehrerbietigen Frotzeleien nahm. Eine davon lautete folgendermaßen:

    Kommt der Minister für innere Angelegenheiten zum Kaiser und fragt ihn: Hochwohlgeboren, wie befinden heute? Der Kaiser trägt seine neuen Hosen und antwortet: Bestens, lieber Schräubele, dank meiner neuen Beinkleider habe mich noch nie so wohl in meiner Haut gefühlt! Woraufhin Schräubele, obwohl sich ihm, wie bei dessen sprich-wörtlicher Dummheit nicht anders zu erwarten, lediglich die nackten, unästhetisch behaarten Beine des Herrschers darbieten, beeilt zu beteuern: Kein Wunder, sie sitzen ja auch wie eine zweite Haut!

    Doch wie hieß es schon so schön in Mozarts Zauberflöte: Ein Weiser prüft und achtet nicht, was der gemeine Pöbel spricht! Ein guter Rat, an den wir uns alle einfach halten sollten.

    Nun sehen wir, oder stellen wir uns vor, wie gespannt alle Stunde Abgesandte des Kaisers in die Nähstube lugten, um zu erfahren, wie weit die als unvergleichlich und erlesenen angepriesenen Gewänder wohl geraten sein mögen, und ob sich die Zuschneide- und Nähkünstler schon anschickten, Auskunft zu geben, inwieweit sie den hoch-gesteckten Erwartungen des Kaisers genügen würden, in der Hoffnung, dass er sein herrschaftliches Amt, wenn auch wie gewohnt eher schlecht als recht, aber immerhin wieder aufnähme. Die Regierungsgeschäfte lagen so gut wie brach, da niemand sich traute, ohne den allerhöchsten Segen zu regieren in der Befürchtung, man könne etwas verkehrt machen und hätte, wenn der Zeitpunkt gekommen und die alten Verhältnisse wiederkehren, es ausbaden müssen. Ein anschauliches Beispiel für die unerquicklichen Folgen des Absolutismus, in dem ein Einziger einzig und allein Entscheidungen trifft, und der lauter willfährige Duckmäuser hervorbringt. Es wäre dringend geboten gewesen, dass irgendjemand sich ein Herz fasste und bedeutete, wo’s längs geht, damit das friedliche und einst auch bedeutende Land Wirsindwer nicht in das für aufmerksame Zeitgenossen sich abzeichnende Chaos oder weitaus schlimmer in Anarchie versinken möge.

    Doch sie trauten ihren Augen nicht recht, denn als sie auf die zwei, zweifellos fleißig arbeitenden Gesellen blickten, sahen sie zwar deren Handwerkszeug sich auf- und niederbewegen, aber ansonsten rein gar NICHTS! Kein Tuch, kein Hosenbein, keine Joppe, nicht ein einziges Hemdelein, und sei es nur aus Leinen, und noch so klein! Die Schneiderlein saßen zwar recht zierlich und geschickt mit gekreuzten Beinen auf ihren Tischen, Nadel und Faden waren auch parat, jedoch ein Ergebnis ihrer offensichtlichen Bemühungen war nicht zu erkennen. Sie trauten ihren Augen nicht, aber untereinander trauten sie noch weniger, eingedenk dessen, dass nur derjenige die Kleider nicht sehen kann, der ein rechter Dummkopf ist. Jeder dachte sich insgeheim:

    „Sollte ich denn so ein Hohlkopf und Trottel sein, bisher hielt ich doch auf meine Klugheit große Stücke und meinte nur die anderen seien die Dummen?" Es wurde ihnen ganz bang ums Herz, und angstvoll stellte sich ein jeder die ohnehin berechtigte Frage:

    „Ja, tauge ich womöglich gar nicht für meine Stellung als Minister oder Staatsrat?" und fürchtete um seinen Posten. Also schwiegen sie lieber still, kehrten zum Kaiser zurück und überboten sich in fantasievollen Beschreibungen der wahrlich unbeschreiblichen Kleidungsstücke, die entweder noch in Arbeit oder kurz vor der Vollendung seien. Der Kaiser konnte kaum noch an sich halten vor Vorfreude und war aufgeregt wie ein Kind.

    Bald nahte der große Tag, da sich der Kaiser in seiner eine neue bahnbrechende Moderichtung einschlagenden Garderobe den Landes-kindern präsentieren wollte. Dies sollte im Rahmen eines groß angelegten Volksfestes, dem eine eindrucksvolle Parade vorausgehen sollte, stattfinden. Der Hofmarschall selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, ein bis ins kleinste Detail ausgearbeitetes Programm zu entwerfen: Die Staatskarosse mit vier geschmückten, aufgezäumten Schimmeln sollte vorfahren, der Kaiser mit allen Rang- und Ehrenzeichen dekoriert auf dem mit purpurnem Samt bezogenen Prunksitz Platz nehmen, sodann im Schritttempo, damit auch jeder einen Blick auf ihn und seine schmucken Gewänder werfen konnte, am staunenden Volk vorbeirollen. In dem mittleren Teil des Zuges, zwischen all den Honoratioren und den gesamten Vertretern des Ministerrates, den Soldaten in ihren prachtvollsten Paradeuniformen, allen voran sollte der Generaloberst schreiten, der sich rechtmäßig als der beste Tambourmajor im ganzen Reich bezeichnete, da er die Kunst beherrschte, den mit dreifarbigen Kordeln und Quasten, rot, blau und weiß, geschmückten Tambourstab, nicht nur im doppelten Flickflack, was etliche beherrschen, sondern dreifach in die Luft werfen und mit traumwandlerischen Sicherheit wieder auffangen zu können.

    Zuvor musste die notwendige Anprobe erfolgen, auch wenn die Schneider vorschriftsmäßig Maß genommen hatten, erforderte es die Berufsehre zu überprüfen, ob alles tadellos passen würde. Als Kokolores in atemloser Spannung und kaum noch zu bändigender Neugier das Ankleidezimmer betrat, ließ er blitzschnell seine Augen in die Runde gehen, um möglichst vorab einen Gesamteindruck der Garderobe erhaschen zu können. Zunächst sah er nichts, und machte sich keine weiteren Gedanken außer, dass er dachte: „Gewiefte Kerle, sicher wollen sie die Überraschung möglichst lange hinauszögern!"

    Nun trat der Wusel vor und sagte: „Wollen Euer Hochwohlgeboren bitte ablegen?", damit konnte nur das schwarzrotgoldene Tuch gemeint sein, mehr war ja nicht vorhanden zum Ablegen.

    „Sehen, edler Herr, dieses erlesene Beinkleid, beachten, Euro Gnaden, die edlen Appreturen (das ist so Schneidersprache), die vollkommene Eleganz, die ziselierten Knöpfchen, die das Hosenbein abschließen?"

    Und so weiter, und so fort, so ging es die ganze Zeit, und der Kaiser stand da mit hochrotem Kopf und offenem Mund, die Augen vor Schreck glasig und weit geöffnet. Um Himmels willen, grundgütiger Gott, steh mir bei, sagte er bei sich, ich sehe absolut nichts. Jetzt steht es fest, ich ahnte es schon immer, ich bin ein Einfaltspinsel, ein unfähiger Tropf. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schüttelte ihn gewaltig, als wolle er aus einem bösen Traum erwachen.

    „Ah, Majestät sind außer sich vor Freude und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. So etwas haben Euer Allergnädigster noch nicht zu Gesicht bekommen, nicht wahr?", drängten die Schneidermeister ob ihres angeblich gelungenen Werkes auf eine Antwort.

    „Ja, ja, ganz außerordentlich, ich habe tatsächlich noch niemals etwas Derartiges, ähm, ähm, nicht gesehen! Gute Arbeit, wahrlich, ihr lieben Leute!", und zog sich, das schwarzrotgoldene Tuch wieder aufnehmend und um sich schlingend, so würdevoll es eben noch ging aus dem Zimmer zurück. Wusel und Wastel rieben sich indes vergnügt die Hände. Der Tanz konnte beginnen!

    Alles verlief wie geplant und am Schnürchen. Eine riesige Menschenansammlung war auf dem Schlosshof zusammengeströmt. Zur Feier des Tages waren die großen Tore geöffnet worden, um der Menge Einlass zu gewähren. Kamerateams und Berichterstatter aus aller Welt waren selbstverständlich zur Stelle, die das festliche Ereignis, heute auch Event genannt, vor allem nicht, wenn es um gekrönte Häupter geht, um keinen Preis verpassen wollten. Die Fernsehsender jubilierten, die Einschaltquoten schossen in die Höhe und die Telefonrechnungen auch. Per Telefonumfrage waren die Zuschauer in der Lage, direkt bei dem sogenannten „Ted anzurufen, den keiner kennt und von dem niemand weiß, wie er aussieht, und ihm mitzuteilen, ob und wie ihnen das ganze Spektakel gefallen hat. So sind heutzutage die Zeiten, sie können gar nicht schlecht genug sein, um darauf zu verzichten, sich auf „Deubel, komm raus unterhalten lassen zu wollen, oder wie es Neudeutsch heißt „fun" zu haben. Dem einfachen, leicht beeinflussbaren Volke, das, wie man aus der Geschichte weiß, aus ihr nichts gelernt hat, muss zugute gehalten werden, dass die Presse im Vorfeld durch fortlaufende tagtägliche Berichterstattung die Spannung geschürt hatte. Also, die Erwartungshaltung war riesig!

    „Wir stehen hier in der Residenz des Kaisers Kokolores von Wirsindwer und erwarten jede Minute, dass er das Schloss verlässt und sich den Zuschauern endlich in seinen prächtigen neuen Gewändern präsentiert. Es gab ja zuvor schon Lobgesänge und Vorschusslorbeeren für die, wie man hört, unvergleichlichen Kreationen, dass es allen anderen etablierten und namhaften Modeschöpfern die Schames- und Zornesröte ins Gesicht getrieben hat. Die beiden Couturiers sind ja nur ganz simple Schneidergesellen, in der Modebranche vollkommen unbeschriebene Blätter, die für den Kaiser Kleidung erfunden haben sollen, mit der nur Ludwig XIV., der sogenannte Sonnenkönig, mithalten könnte, wenn er nicht längst das Zeitliche gesegnet hätte, so wird gesagt!" So oder so ähnlich tönte es nun aus den Lautsprechern in die guten Stuben.

    Endlich war der große Augenblick gekommen! Dem Kaiser war zwar noch etwas mulmig zumute, aber er tröstete sich damit, dass all die Leute, die sich hier scharenweise eingefunden hatten, sein Hofstaat und die ganz gewöhnlichen Menschen da draußen, klüger als er selber seien und insofern seine neuen Kleider Würdigung und Beifall finden würden.

    Unter Fanfarenklingen und Fahnenschwingen traten Kaiser Kokolores und sein Gefolge mit seltsam anmutenden hochroten Köpfen durch das pompöse Portal des Schlosses hinaus in Freie. Alles reckte die Köpfe und die Hälse, beides zusammen, weil ja eins zum anderen gehört. Ein gewaltiges, unüberhörbares Raunen ging nun durch die

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