Aus dem Leben kleiner Leute
Von Dagmar Herrmann
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Über dieses E-Book
eine erleichterung - ein durchatmen
nur die sonne scheint, und das macht
sie mit der all macht der sich selbst
genügenden natur - ganz ohne dass
ich einen finger dafür krumm mache
den strapazierten kopf bemühen
müsste, in dem sich verknotungen
wie knoten, die man in taschentücher
knotet, aber das macht doch auch
keiner mehr aufgrund des tempos
Dieser tag also will einfach nur ein
ganz gewöhnlicher tag sein und
sagt hallo! Die bäume nicken dazu
und die mücken schwärmen vor
der vom blütenstaub der linden
mit einem dünnen gazeschleier
bedeckten fensterscheibe - auch
erste feinestes spinnengewebtes
netzwerk hängt sich noch zittrig
und unbeständig in den rahmen
erstes zeichen heran nahen den
altweibersommers, den weiber
alt wie ich all zu gerne sich selbst
überlassen möchten - - - - - schon
gedacht - sich ein kleiner misston
in das sotto voce die lazy hazy day
of sommer stimmung hineindrängt
Danke schön gedanke! Lass gut sein
und beschwer mich nicht mit den
sonstigen rolling stones, die mir
ständig in den weg - von dir unruhe
stifter - gelegt werden. Heute hat der
tag das sagen mit der angenehmsten
stimmlage ... hier an dem • an dem
sich zeigt, wie schon wieder alles
seinen gewohnten gang geht
und das ist auch alle tage alltag
und das ist es, worum es geht
in diesem buch von © dagmar herrmann
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Buchvorschau
Aus dem Leben kleiner Leute - Dagmar Herrmann
Aus dem Leben kleiner Leute
ebook
Texte und Bilder ©Dagmar Herrmann
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daherverlag 28237 Bremen 2019
Vorwort
Man stelle sich das Bild vor: An einem öffentlichen Platz mit dörflicher Prägung der ehrwürdigen Hansestadt Bremen sitzt tagtäglich auf einer bereits in die Jahre gekommenen Bank eine alte Frau. Die alte Frau – schlohweißes Haar, hellblaue wache Augen – sitzt wie ihr eigenes Denkmal und betrachtet das Geschehen um sich herum. Nicht wie ein Raubvogel angespannt, der auf Beute lauert, sondern in sich gelassen. Wie eben ein gereifter Mensch beobachtet, den kaum noch etwas wirklich zu überraschen vermag. Und dennoch scheint die alte Frau das Gesehene genauestens zu notieren, als ob sie, in die bescheidene Wohnung zurückgekehrt, ihre Notizen nebst den eigenen Gedanken dazu aus dem Kopf in ein Tagebuch übertragen wolle.
Die alte Frau sieht etwa einen Mantel ohne Knöpfe, der in einer Pfütze liegt, und überlegt sich sogleich, ob der Knopflose möglicherweise einem Zigarillos schmauchenden Taxifahrer gehören könnte, der, unentschlossen darüber, ob ihm geschlossene Knöpfe hinter dem Steuer behindern würden oder eher nicht, dieses Problem einfach auf den nächsten Sommer verschiebt, in dem er wohl weitere Zigarillos rauchen wird. Allerdings ohne Mantel.
Die alte Frau sieht Spatzen Gassenhauer von den Dächern pfeifen, und die Überlegung drängt sich ihr auf, ob diese schamlose Unterstellung den betroffenen Piepmätzchen tatsächlich nicht völlig piepe ist.
Oder die alte Dame schaut einer verbitterten Ehefrau zu, wie sie an einem nahen Gemüsestand grüne Erbsen einkauft. Die Alte gewinnt den Eindruck, daheim würde das Eheweib die Erbsen zählen – die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpfchen –, Speck, Zwiebeln und durchpassierten Fliegenpilz sorgsam hinzufügen, anschließend eine Erbsensuppe köcheln, dass ihrem lieben Ehemann im wahrsten Sinne des Wortes Hören und Sehen vergeht.
All das und noch viel mehr beobachtet die alte Frau und schreibt es in ihr Tagebuch. Und zum guten Schluss auch etwas über sich selbst. Man stelle sich nur jene Gedanken, die überwältigende Flut an Bildern vor ... Nein, braucht man nicht. Man kann, muss diese Bilderflut lesen.
Hans-Dieter Heun, ein Fan.
Inhaltsverzeichnis
Am Straßenrand
Am Stand drehte er Zuckerwatte
Wenn der Papagei im unteren Stockwerk krächzt und schreit
Die Zeit, die wir noch haben …
Er sagte immer Schnucki zu ihr
Lebensentwürfe
Eine Tee-Geschichte
Das Sterben ist einfach
Ein Hochzeitsfoto
An die Nachgeborenen
Aus dem Leben kleiner Leute … Erinnerungen
Henriette hatte einen Hang zum Philosophieren
Mutter … und … Vater
Eine Holzkiste
Samuel
zuschauer am rande
von der einsamkeit der vorübergehenden mitbewohner
Aus dem Leben kleiner Leute
Im Werden
M. hat gesagt
Schuld und Sühne?
Strychnin
Schau
Emil und eine ungewöhnliche Begegnung
Auf der Suche nach etwas, das verloren ging …
Herr Mazinke – Teil I
Herr Mazinke – Teil II
Es ist April, die Winde wehen
Im Kreisverkehr
Fußballheld
Ein Tag wie der andere ist der schönste,
wenn alles so bleibt wie es ist
Fluchtinstinkt
Der Besuch
Blaubeerkuchen
Eine Weihnachtskarte
Mit dem Einkaufszettel
Aus dem Leben kleiner Leute …
Treusorgend bis ins Grab
philosophie am küchentisch
Der Weg war schmal
Reisefieber
Sie …
Liberty
Klavierstunden kostenlos
liebeswerben
Ein bisschen von mir über mich
Nacht der Nächte
Was ich erzählen möchte …
Beim Blumengießen ∙ Mein Miljöh
Ich kenne den Weg
Die nette Frau mit den ondulierten Haaren,
Und das schon am Morgen
Unser täglich Bluff gib uns heute …
stumme blicke hinaus geschickt zu dir
Nur so im Vorbeigehen
ändern wird sich nichts
Machen Kleider Leute?
Juist und Alpträume
Benvenuto
Tages einstieg
eine begonnene reise
Die Autorin
Danksagung
Am Straßenrand
Unschlüssig stehe ich am Fenster, sehe, wie der Wind über den Marktplatz fegt die braun und rotorange eingefärbten Blätter, schon trocken, sich am Rande kräuselnd, fliegen eilig über den Boden und erzeugen ein Geräusch wie prasselnder Regen. Ich verfolge das Blattgestöber, das von dem Bauzaun auf der Straße aufgehalten wird und sich dort staut.
Mein Blick geht hinüber zur anderen Straßenseite. Auf dem Bürgersteig steht ein Mann, ich vermute türkischer oder vielleicht auch bulgarischer Herkunft. Er steht mit verschränkten Armen, seine Lederjacke ist leicht geöffnet, krawattenlos, auch das Hemd am Hals weit offen, es ist noch mild für die Jahreszeit. Mit gespreizten Beinen, die Füße fest am Boden, verharrt und beobachtet er mit großem Interesse die Arbeit eines Straßenarbeiters, der Pflastersteine legt, der sich nicht eine Sekunde von seiner Tätigkeit abbringen lässt durch jenen Zuschauer, dem er in seiner gebeugten Haltung auf die Schuhspitzen sehen kann.
Der Mann am Straßenrand verfolgt jeden Handgriff des Arbeiters beinahe andächtig, als wolle er von ihm lernen, wie kunstvoll ein Kopfsteinpflaster zusammengefügt wird. Gleichgültig mit stoischer Ruhe setzt der Straßenarbeiter Stein für Stein, er hebt nicht ein einziges Mal den Kopf, um dem beharrlichen Zeugen seiner Arbeit ins Gesicht zu sehen, vielleicht mit ihm ein Wort zu wechseln. Er arbeitet beständig weiter, pflichtbewusst, verlässlich, das Bild eines urwüchsigen deutschen Arbeiters abgebend, einer wie er im Buche steht, unerschütterlich, zuverlässig, pflichtgemäß seine Arbeit verrichtend, geradezu wie die Demonstration des Fleißes gegenüber dem Müßiggänger, der Maulaffen feilhält.
Mag sein, das denkt so in seinem Kopf, unter seinem blonden, kurzgeschnittenen Haar, hinter seiner glatten Stirn, während er mit seinen starken sehnigen, braungebrannten Händen Stein um Stein setzt, Fuge um Fuge füllt.
Jetzt nimmt er den Hammer und klopft die Pflastersteine fest und fester, nachdrücklich hämmert es, laut, der wuchtige Klang des Hammers hat etwas Beunruhigendes. Der Zuschauer rührt sich nicht vom Fleck, die Haltung unverändert. Mir ist seltsam zumute, ich wende mich ab, trete zurück ins Zimmer.
Windböen wirbeln
leergefegt der Bürgersteig
ein Mann irrt umher.
(Ein Haibun, das sein Format überschritten hat.)
Am Stand drehte er Zuckerwatte
Kleine Jungenstreiche machten die Rotzlöffel aus der Nebenstraße, die jetzt um die Ecke rennende Bande von kurzgeschorenen Morgenlandnachkömmlingen, die noch frisch hinter den Ohren, sich ohne Rücksicht, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, in den Straßen tummelte. Mit ihren dunklen, frech blitzenden Augen kamen sie vorbeigerannt, und er schenkte jedem einen gedrehten Zuckerwattestiel, und das Leuchten dieser glänzenden runden Kinderaugen brachte sein schwaches, nachgiebiges Herz zum Pochen.
Die Freude nahm er wie ein Geschenkpaket an sich und drückte es unter die schäbige Jacke, und am Blumenstand, der noch bis spät abends geöffnet ist, kaufte er für die Schneiderin, die in Parterre eine Nähstube betrieb und gleichzeitig das Haus hütete, einen einfachen Strauß Margeriten, von denen er dachte, sie würden gut zu ihrem glatten freundlichen Gesicht passen.
An der Imbissbude stand der Taxifahrer und schmauchte sein Zigarillo, und sie grüßten sich verhalten, denn der Georg, der das eigene Taxi seit kurzer Zeit erworben hatte und stolz durch die Straßen der kleinen Stadt steuerte, hatte seitdem einen Dünkel, und er dachte, er verachte seine ziellose Unentschlossenheit, seinen Mangel an Willen, es zu mehr zu bringen als jeden Tag diesen kleinen Stand und dann gelegentlich auf den Märkten und dabei diese lächerliche Figur abzugeben mit schlotternden Hosen und dem mageren Ziegenbärtchen und einer bescheidenen Mansarde, in der er wohnte, nach Georgs Meinung hauste; aber es war blitzeblank und man hätte, wie die Frau Schneiderin immer sagte, vom Fußboden essen können, und niemals kam ein böses Wort über seine Lippen.
„So ein Depp, der Anton," sagte der Georg und dann warf er den Zigarillostummel in den Gully und riss für eine aufgedonnerte Dame mittleren Alters die Wagentür auf, und Anton pfiff ein Liedchen und dachte an die leuchtenden Augen und an das rundliche schimmernde Gesicht der Schneiderin, die Lieselotte hieß, und er klingelte an ihrer Wohnungstür.
Vorbeigegangen
ein Mantel ohne Knöpfe
lag in der Pfütze
(Haiku)
Wenn der Papagei im unteren Stockwerk krächzt und schreit
als ginge es um sein Leben. Es geht um sein Leben
Vielmalig die Schreie
in anders gearteten Käfigen Eingezwängter
unhörbar. Weit weg nicht
dicht unter dem Fenstersims,
an dem die lustigen luftigen
behüteten Köpfe der Sommersehnsüchtigen
vorbeiflanieren
Ein Sonntag wie dieser
auch der letzte Obdachlose findet heute eine Bank,
seine Beine lang zu strecken.
An den Ecken lümmeln sich
die Schlingel aus der Nachbarschaft
kopfnickend und handzeichengesprächig:
Bald ist kiffen erlaubt
Lachend! Wir haben bisher auch nicht gefragt
und die Omis mit ihrem Rollator unterwegs
die Haare sind weiß und der Buckel krumm.
Nein, sagen die wackligen Köpfe:
Wir gehören nicht zu der Sorte Alter
die lustig ist das Rentnerleben behaupten
Skipisten bezwingen oder sich in Malle
noch mal richtig was gönnen
Auch der Hund am strengen Gängelband
über den Gehweg gerissen hat keine Wahl
treublickend, die Augen empor
zu dem Quälgeist und Schinder
So ein Sonntag am Morgen:
Noch ist alles offen für mich
aber alles ist auch so wie sonst
Die Zeit, die wir noch haben …
Herr Schulte machte seinen Morgenspaziergang, kaufte am Kiosk die Tageszeitung. Wie gewohnt holte er Brötchen beim Bäcker um die Ecke, zwei Krosse und ein Kaneelbrötchen für Hertha.
Hertha konnte nicht mehr so richtig beißen, sie war zu schwach zum Kauen, sogar das weiche Brötchen musste sie einstippen, lutschte es in die Mundhöhle hinein.
Es schauderte ihn beim Zusehen, und gleichzeitig empfand er schmerzhaftes Mitleid, wenn er sah, wie die Milch in kleinem Rinnsal wieder aus den Mundwinkeln hinunter in die Halsbeuge lief. Er wischte sie dann immer mit aller Zartheit und Rücksichtnahme, derer er fähig war, mit dem neben dem Kopfkissen bereitgelegten Handtuch fort.
Ihr Hals war dünn und hager wie der eines kleinen Vogels geworden, spitz ragte zwischen den Hautfalten der Kehlkopf hervor. Vor einiger Zeit hatte sie das Sprechen aufgegeben. Herr Schulte wusste nicht, ob sie nicht mehr sprechen konnte oder nicht mehr wollte. Ihre Augen sahen ihn jedoch beredt wie stets an. Mehr als in jedem Wort lag die Liebe vieler Jahre in ihnen. Herthas Augen waren braun, von einem besonderen Braun, gelblich wie Bernsteine.
Herr Schulte kletterte schwerfällig die Stiegen hinauf. Sie wohnten im dritten Stock. Jetzt war es zu spät umzuziehen. Jahrelang hatten sie davon geredet: Wenn wir mal nicht mehr können, dann sollten wir in eine Parterrewohnung ziehen, oder in ein Haus mit Fahrstuhl. Vor der Haustür ächzte er, rang mühsam nach Atem, seine Hand zitterte, als er den Schlüssel ins Schloss steckte. Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang.
In der Diele lastete eine bedrohliche Stille. Seltsam, dass es ihm so erschien, es war immer still in der Wohnung. Aber irgendein Laut war stets zu hören. Manchmal ließ er das Radio in der Küche laut laufen, damit sie, wenn er fortging, sich nicht so einsam fühlte. Das hatte er heute beim Weggehen vergessen. Es lag wohl daran, dass er es auch versäumt hatte, ein Fenster zum Lüften zu öffnen. Draußen war ein so wunderbarer klarer Wintermorgen, und er hatte keine frische Luft hereingelassen. Sofort plagte ihn das schlechte Gewissen