Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Domino: Roman
Domino: Roman
Domino: Roman
eBook248 Seiten3 Stunden

Domino: Roman

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Dies ist die Geschichte von Samuel, Joe dem Rocker und Hoss dem Bauer. Während sich in den Schweizer Städten die ersten Rockerbanden bilden, bleibt man auch auf dem Land nicht untätig. Es geschah zu einer Zeit, als sich in der bürgerlichen Schweiz die ersten Subkulturen bildeten: Lederkleidung und Elvis-Tolle werden zum Statement, Halbstarke und Gammler irritieren die Erwachsenenwelt – und Motorradgangs bilden sich und bevölkern die Straßen. Andreas Haldner schildert Ereignisse einer bleiernen Epoche, als anarchischer Aufruhr die Jugendbewegung beherrschte und sich erstmals in Gewalt und Gegengewalt artikulierte. Es ist eine stilbildende Epoche, die bisher in der Schweizer Literatur kaum beschrieben wurde.
SpracheDeutsch
HerausgeberElster Verlag
Erscheinungsdatum30. Mai 2016
ISBN9783906903972
Domino: Roman

Ähnlich wie Domino

Ähnliche E-Books

Fiktion für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Domino

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Domino - Andreas Haldner

    Vergangenheit

    R.I.P.

    Wir vergruben ihn auf der Alp Arin in den frühen Morgenstunden des achtzehnten September, einem Mittwoch.

    Das Vieh war seit wenigen Tagen wieder im Tal und außer einigem Wild, das uns vielleicht aus sicherer Ferne bei unserem Geschäft beobachtete, hatten wir keine Zeugen der Entsorgung. Am Freitag brach der Föhn zusammen, dann fiel über 1600 Metern der erste Schnee des kommenden Winters und legte eine weiße Decke über das Grab, die Alp, den Berg. Stille über allem.

    Hoss machte sich am fünfundzwanzigsten September über Amsterdam auf den Rückweg nach Syracuse, nachdem er Karl noch ein paar Tage beim Mosten und Zäuneflicken geholfen hatte.

    Joe stellte seine Maschine in der Scheune auf Pardill ein und fuhr am dreißigsten September via Brindisi nach Piräus. Er wollte dort auf einem Schiff namens «Tampico» anheuern, um so bald wie möglich nach Australien zu gelangen. Er sagte, er sei frühestens in fünf Jahren zurück.

    Ich verkaufte den VW-Bus für sechstausendfünfhundert Franken an zwei junge Liechtensteiner, die ihren Großeltern soviel Geld abgeschwatzt hatten, dass sie damit problemlos mehrere Jahre in Indien würden herumhängen können. Vom Erlös legte ich viereinhalbtausend auf die Sparkasse und kaufte in Triesen einen bronzefarbenen Dodge, den ich im August zur Probe gefahren hatte. Der Garagist hatte im Juli noch viertausend für den Schlitten gewollt, war aber nun reif, das Auto für die Hälfte wegzugeben. Es hatte ihm wohl gedämmert, dass die Treibstoffpreise nicht so bald wieder sinken würden, und da kam ihm ein Angefressener wie ich sicher recht, den die horrenden Spritkosten nicht zu jucken schienen.

    Am 1. Oktober begann ich mein Engagement im Zürcher «Roxy». Nach den bewegten und düsteren Wochen des Sommers im Rheintal nahm mein Leben wieder einen ruhigeren Gang, der Vorwinter ließ sich gut an.

    19. Mai

    «Samuel, wie geht‘s?»

    «Hallo, Teeb, setz dich, ich spendier dir einen.»

    «Danke, ein anderes Mal, bin pressiert. Kannst du mir einen Zwanziger pumpen?»

    Ich nehme einen Geldschein aus der Brusttasche meines Hemds und strecke ihn ihm entgegen.

    «Teure Zigaretten kaufst du dir da …»

    Teeb lacht verlegen. «Keine Sorge!»

    Seine dunklen Augen und der vergoldete Schneidezahn leuchten um die Wette, sein Charme ist ungebrochen.

    «Friss keinen Scheiß, du Schönling», sage ich.

    «Wir sehen uns am ersten Wochenende im Juni im ‹Afrika›, bist du vor Ort?»

    «Pfingsten am Baggersee ist fix. Wie immer. Ich werde aufpassen, dass du im Tümpel nicht absäufst.»

    «Das wird schon. Danke für den Schein!»

    Bevor Teeb sich Richtung Bahnhof davon macht, zeigt er mir ein V-Zeichen und zieht los.

    Ich trinke mein Bier aus und mache mich auf in die «Rätia».

    An den Sonntagabenden versammeln sich dort stets die gleichen übernächtigten Typen, junge Männer zwischen Schulbank und erstem Kind, fast alle den Kopf voll mit hochfliegenden Plänen. Der eine will sich eine Kawasaki kaufen, bevor der Sommer richtig losgeht, der nächste an die marokkanische Westküste abhauen, ein dritter spricht von einem Trip nach Goa.

    Auf ihre Weise wollen eigentlich alle immer weg hier, jedenfalls jene, von denen ich meine, dass es sich lohnt, ihnen zuzuhören. In irgendeiner Form gelingt es fast allen, wenigstens einige Zeit übers Tal hinauszugucken, die Beengung der Dörfer hinter sich zu lassen. Der Föhn verbläst uns in alle möglichen Richtungen.

    In der «Rätia» treffen die Rückkehrer auf diejenigen, die weg wollen, um mit ihnen über die Abwesenden zu quatschen.

    Weg, weg, weg von hier. Ich wollte auch immer weg. So schnell es nur ging, habe mich davongemacht, ein Mal, zwei Mal, viele Male, und trotzdem ist es mir bisher noch nicht gelungen, auch weg zu bleiben.

    Seit ich vierzehn wurde und zum ersten Mal ohne meine Eltern in die Kneipe ging, ist die «Rätia» für mich zum wichtigsten Fixpunkt des Dorfs geworden. Wie für fast alle meine Freunde ist die Gaststätte eine zweite Stube, in der manche von uns wesentlich mehr Zeit verbringen als in ihren eigenen vier Wänden.

    In Buchs gibt es am Tag und an den meisten Abenden keinen anderen Treff für solche, die der Norm nicht entsprechen. Als die ersten Jungs des Bezirks sich die Haare wachsen ließen und sich von den Kleiderzwängen befreiten, gab es keinen Platz für sie als hier, wo für jeden, der sich nicht krass daneben benimmt, ein Stuhl steht.

    Die Seele der Kneipe ist Magda Gruber, eine Frau von etwa fünfundsechzig Jahren, die in ihrem Leben viel herumgekommen ist. In den zwanziger Jahren war ihr Vater «verlumpt», wie sie es nennt, sein Stickereibetrieb ging wie viele hundert andere im Rheintal nach 1918 pleite. Die Familie kratzte die letzten Franken zusammen und kaufte damit eine Schiffspassage nach Argentinien, wohin ein Onkel Magdas bereits vor dem Krieg ausgewandert war. Nach einigen Monaten in Buenos Aires zogen die Grubers mit ihren drei Kindern aufs Land.

    Der Vater hatte schon im Rheintal Bienen gezüchtet. In ihrer neuen Heimat nutzte er seine Kenntnisse der Imkerei und schuf sich mit dem Verkauf von immer größeren Mengen Honig ein ansehnliches Vermögen.

    Magda kehrte 1928 in die Schweiz zurück und lernte in der Hotelfachschule Lausanne ihren künftigen Mann, den Sohn des «Rätia»-Wirts kennen. Nach ihrer Heirat arbeiteten die beiden in großen Hotels rund um die Welt, ihre letzte Station im Ausland war das «Grand Hôtel Jeanne d’Arc» in Paris. Nach dem Einmarsch der Deutschen kehrten sie nach Buchs zurück und übernahmen dort die «Rätia». Sie wollten nach dem Krieg wieder weg, doch die Umstände ließen es nicht zu.

    Das Saufen brachte Magdas Mann erst um den Verstand und dann ins Grab. Nach seinem Tod schaffte sie es, das Gasthaus wieder auf Vordermann zu bringen. Es ist heute zwar nicht mehr erste Adresse, aber ein solides Speiserestaurant und Hotel für fast alle Ansprüche.

    Dank ihrer Offenheit und Toleranz haben unter Magdas Dach neben der konservativen Stammkundschaft auch weniger Angepasste Raum. Die Unvoreingenommenheit der Wirtin gegenüber aller Art von Kundschaft ist mit einer seltenen Geschäftstüchtigkeit verbunden. So stand den ersten Beatniks bereits in der ersten Hälfte der Sechziger, als sie andernorts noch bespuckt und verprügelt wurden, die Türe der «Rätia» weit offen. Wenn man ins Restaurant tritt, geht von der großen Schankstube eine Tür in einen neueren Flügel, der für mich und so viele meiner Freunde eine Zuflucht und ein Zuhause ist, ein Ort, wo wir von den verstockten Erwachsenen in Ruhe gelassen und von der Wirtin und ihrem Personal respektiert werden.

    Der Raum hat außer der Sicht auf die Bahnhofstraße, einer Jukebox und einem Flipperkasten, der im hintersten Eck neben den Türen zu den Toiletten steht, nichts Besonderes an sich. Er ist unser Iglu, unser Nest, unsere Hütte, wo wir uns keine blöden Sprüche wegen unserer Kleider oder Haare anhören müssen.

    Magda kommt regelmäßig vom Stammtisch in «unser Revier», gibt jedem, der seit ihrer letzten Kurve neu hinzugekommen ist, die Hand, hat für alle ein paar freundliche Worte und oft einen träfen Spruch übrig. Es hat, soweit ich mich erinnern kann, noch nie wesentlichen Streit hier gegeben, ihre Präsenz lässt dafür keinen Raum. Wenn die Diskussionen eine gewisse Lautstärke überschreiten, kommt sie her, um zum Rechten zu sehen und die Streithähne zu beruhigen. Manche meiner Kumpel kreiden ihr an, dass sie nicht anschreiben lässt und jede weitere Konsumation verweigert, wenn sie einen für betrunken hält, doch jeder von uns ist sich bewusst, was für einen Goldschatz sie darstellt.

    Fast alle, denen es hier zu eng wird und die deshalb ihren Aufbruch planen, verbrauchen viel Kraft, um ihrer Verwandtschaft zu erklären, warum es ihnen lieber ist, einige Monate in Indien, Kalifornien oder an einem anderen, exotischeren Ort als in Buchs zu leben. Wenn hingegen Magda erfährt, dass wieder jemand auf dem Sprung aus dem Tal ist, unterstützt sie die Aufbruchwilligen. Sie erzählt dann mit Leidenschaft davon, wie viel inneren Reichtum und wie viele großartige Begegnungen ihr die Reisen und die Aufenthalte fern von hier gebracht haben. Als einer meiner Bekannten ihr von seinem Vorhaben erzählte, nach Bolivien auszuwandern, kramte sie auf dem Speicher nach ihren angegrauten Wörterbüchern und bot ihm sogar an, mit ihm spanische Konversation zu üben.

    Die Wirtin hat das Alter unserer Großmütter, ist aber in vielen Belangen jünger geblieben als die meisten Menschen ihrer Generation.

    Wenn ihre jungen Stammgäste von ihren Auszeiten zurückkehren und in der «Rätia» von ihren Reisen erzählen, so gibt es kaum eine, die begieriger zuhört als Magda. Sie nimmt sich mehr Zeit für die Erzählungen der Weltenbummler als die Altersgenossen der Globetrotter selbst.

    In den letzten zehn Jahren ist es selbstverständlicher geworden, dass junge Menschen sich unangepasst kleiden und Sachen tun, von denen ihre Eltern nicht einmal zu reden wagten. Die Musik unserer Generation, die Kleidermoden aus den großen Städten, der Minirock, die Pille und radikale politische Ideen aus Berlin, Paris und San Francisco, die über die Radiostationen, das Fernsehen und die Magazine auch unseren Zipfel der Welt erreicht haben, sind wie ein warmer Sommerregen auf ein durstiges Feld niedergegangen. Es ist für uns Teens und Twens leichter geworden, sich von den Zwängen der Alten frei zu machen, auch wenn uns gewisse Beschränkungen durch verbohrte Lehrer und das Militär immer noch einengen. Wer will, der kann von hier weg, in Räume aufbrechen, wo freier geatmet wird, wo weniger drückende Winde als der allgegenwärtige Föhn blasen, wo persönlichere Freiheiten und luftigeres Leben möglich sind.

    Wenn Magda eines Tages ihr Vorhaben wahr macht und ebenfalls wieder ihre Koffer packen wird, um nach Argentinien und wer weiß wo hin zu reisen, wenn ihre Tochter und der dumpfe Schwiegersohn das Restaurant übernehmen werden, brauchen wir wahrscheinlich einen neuen Ort.

    Montagskater

    Ich wache mit einem dumpfen Kopf und pelziger Zunge auf. Die Sonne weckte mich, ich brauche einige Zeit, um mich zu erinnern, wie der gestrige Abend zu Ende ging.

    Es ist bereits gegen Mittag. Der Wecker, den ich heute morgen nicht klingeln hörte, zeigt elf Uhr zwanzig. Langsam puzzle ich zusammen, wo ich die Nacht vor dem Schlaf verbracht habe.

    In der «Rätia» war niemand gewesen, mit dem ich Lust zum Quatschen hatte.

    Ich stand an Flipperkasten und spickte einigermaßen lustlos die Kugeln in die Höhe, doch «Captain America» bot mir schon längst nicht mehr den Kick, den er mir einst verschaffte.

    Beim Rausgehen aus der Kneipe fuhr eine Polizeistreife vorbei. Ich ließ den Bus hinter der «Rätia» stehen, ging zu Fuß durch die Bahnhofstraße und sah mir die Auslage von Hombergers kleinem Plattenladen an.

    An den Schaufenstern und Kneipen vorbei zog ich in die Richtung des Sees.

    Bei der «Sonne» angekommen, standen davor vier verdreckte Motorräder. Zwei Harleys, eine Norton «Commando», eine BMW mit hochgezogenem Lenker. Alle mit Zürcher Zulassungsschildern.

    Beim Eintreten in die Gaststube begrüßte mich die Wirtin mit einem kurzen «Hallo, Sam». Ich sah Joe, der mit den Motorradjungs am runden Tisch saß.

    «Hey, Joe!», sagte ich zu ihm, «Grüß Euch» zu den anderen.

    «Samuel! Gutes Omen, dich hier zu treffen! Setz’ dich zu uns, ich stell dich vor.»

    Er zeigte auf einen sympathischen Dicken mit einem Bart, dem sich mit Bestimmtheit seit mindestens drei Jahren keine Schere mehr genähert hatte.

    «Das ist Kurt mit der BMW.»

    Joe legte seine Tatze auf die Schulter eines besonders kräftigen Mannes, dessen Hände voller Ringe waren und der eine auffällig krumme Nase besaß.

    «Ralph», stellte sich dieser selbst vor.

    «Ich bin die Norton», lachte der dritte, «ich heiße Ritzi. Eigentlich Moritz, aber so nennt mich nicht mal mein Bewährungshelfer.»

    Dröhnendes Gelächter der ganzen Runde.

    «Und was machst du in der Heimat?», fragte ich Joe.

    «Rekognoszieren. So nannten wir das doch bei den Pfadfindern, nicht? Ich wollte meinen Kumpeln den Baggersee und das Gelände drum herum zeigen. Wir suchen einen Platz für Pfingsten. Die letzten Jahre fuhren wir immer ins Tessin, doch an den Plätzen, wo es uns gefällt, ist das Klima mittlerweile selbst im Hochsommer frostiger als am Nordpol.»

    Wieder Gelächter.

    «Und, was halten deine Freunde vom ‹Afrika›?»

    «Passt wie eine langbeinige Blonde», brummte Ralph.

    Er war klar die zentrale Figur. Joe erzählte mir, nachdem ich mich zu ihnen gesetzt hatte, er sei ihr «Sergeant at Arms», was ich mir erst erklären lassen musste.

    «Der setzt die Regeln durch», antwortete Ralph, «ich bin eine Art von Feldwebel, nur nicht so hübsch gekämmt und sauber rausgeputzt, das habe ich mir seit der Rekrutenschule wieder abgewöhnt.» Er erzählte mir mit einem ähnlichen Feuer in den Augen, wie ich es von meinen Onkeln kannte, die im Zweiten Weltkrieg gedient und oft mit ihren Einsätzen geprahlt hatten, wie die «Hell’s Angels» aufgebaut waren und wer welchen Rang in der Hierarchie einnimmt.

    Ich wusste schon einiges über ihren Lebensstil, weil Joe mir ganze Abende lang von den Trupps mit dem geflügelten Totenkopf erzählt hatte. Die Rocker tauchten in letzter Zeit ständig in der Presse und im Fernsehen auf. Den drolligsten Auftritt hatten sie mal mit Friedrich Dürrenmatt in Bern, als sie ihn zur Entgegennahme eines Literaturpreises eskortierten.

    Mein ehemaliger Deutschlehrer soll damals vor Entsetzen beinahe ins Koma gefallen sein. Die Wut der Bildungsbürger über die Dekadenz des dicken Konolfingers war riesig; er hatte mit seinem provozierenden Akt das ganze verkrustete Kulturpack zum Schäumen gebracht. Die Zeitungen berichteten angewidert von seinem Schabernack, aber sowohl der Dramatiker wie die Rocker hatten tadellose Werbung in eigener Sache geleistet.

    «Bist du an Pfingsten da, Sam? Wir könnten gut einen Fahrer brauchen, der die Verhältnisse hier kennt. Nichts Großes. Im Dorf Bier kaufen und es an den Baggersee fahren.»

    Joes Frage überrumpelte mich ein wenig, ich war auf eine solche Idee nicht gefasst. Es gab aber auch keinen Grund, ihm und seinen Clubbrüdern den Gefallen zu verweigern.

    «Ich habe jetzt einen VW-Bus. Wenn der Schlüssel dazu nicht in falsche Hände gerät, helfe ich gern», erwiderte ich. «An Pfingsten bin ich sowieso im ‹Afrika›, der Termin ist fix. Nehmt ihr Euer Campingzeug auf den Motorrädern mit?»

    Joe und die anderen drei lachten dröhnend. Kurt klopfte sich auf seine Schenkel und sagte: «Wir sind keine Pfadfinder, kochen keinen Risotto und keine Suppe. Das einzige, was hinten auf meinem Eisenschwein mitfährt, ist eine Braut, zwei Schlafsäcke und vielleicht eine Blache. Bei dem vielen Holz, das am Baggersee liegt, können wir bei Regen schnell einen Unterstand bauen.»

    «Wem gehört das Gelände jetzt?», wollte Joe wissen.

    «Zur Zeit ist es noch im Besitz von Hanselmann und seinen Brüdern. In zwei Jahren soll die neue National-Straße dort durchführen, drum verschwindet das ‹Afrika› in Kürze. Der Kanton kauft den Kieshändlern die Parzelle ab, die Brüder machen den Reibach ihres Lebens. Der Bagger und das andere Gerät liegen schon lang still.»

    «Dann regt sich niemand darüber auf, wenn eine Party steigt.» Ralph nickte zufrieden.

    «Nein», sagte ich, «das Gelände liegt zu weit von den nächsten Wohnhäusern entfernt, um jemanden zu stören. Die einzigen, die sich belästigt fühlen könnten, sind die Leute vom Tennisclub. Der kürzeste Weg vom Dorf zum ‹Afrika› führt an ihrem Platz und dem Schwimmbad vorbei, aber man kann von Süden her oder über den Rheindamm einen Umweg machen.»

    «Die Polizei darf nichts von unserem Kommen wissen, Samuel. Du musst dicht halten, um keine schlafenden Hunde zu wecken», sagte Ralph ganz ernst.

    «Ich schweige wie ein Grab.»

    «Wo nehmen wir das Bier her?», fragte Ritzi.

    «Direkt aus der Brauerei, da ist es am günstigsten.»

    «Wir werden etwa zwanzig Männer sein», sagte Kurt, »da brauchen wir dreißig Kisten, es gibt einige Gäste.»

    «Wenn nichts Außergewöhnliches vorfällt, sind wir in zehn Tagen hier, Sam», sagte Joe, «wir werden am Mittwoch entscheiden. Du besorgst uns also die Getränke und fährst nach Pfingsten die Flaschen und die Kisten zurück in die Brauerei?»

    «Gern, ich brauche aber zwei, die tragen und vor allem einen, der bezahlt».

    «Mach dir mal keinen Kopf, Sam», erwiderte Ralph, «du kriegst die Eskorte, und ich sorge dafür, dass wir anschließend wieder zu unserem Pfandgeld kommen.»

    Wir saßen noch weit über die Sperrstunde zusammen. Die Wirtin ist da nicht genau, vor allem, wenn der Umsatz stimmt. Sie löschte um Mitternacht die Außenlampe, schloss die Tür und zog die Vorhänge zu.

    «Wie war das im Tessin, wieso fahrt Ihr da nicht mehr hin? Hier im Rheintal ist’s doch eindeutig weniger sonnig.»

    «Wir stecken in einer schwierigen Phase», erwiderte er, «seit bald zwei Jahren weht uns ein steifer Wind ins Gesicht. Die Staatsanwaltschaft in Zürich lässt uns nicht mehr in Ruhe, denen ist jeder kleinste Scheiß recht genug, um uns etwas anzuhängen.»

    Ralph ergänzte: «Unser Präsident ist voriges Jahr aus dem Knast abgehauen. Der Druck, den die Polizei und ihre Rechtsverdreher ausüben, hat seither zugenommen. Unser Anwalt meinte neulich, dass auch politisch einiges im Busch sei. Weil sie beim Räumen einer Wohnung, die wir benützten, eine deutsche Polizeipistole fanden, wollten sie uns sogar eine Verbindung mit der RAF anhängen. Als wenn wir mit solch linkem Pack irgendwas am Hut hätten.»

    Joe fügte hinzu: «RAF, Politik, was soll’s! Die Zürcher Behörden haben uns nie verziehen, dass wir ein Außenseiterleben führen, das passt den Kleingeistern nicht ins Muster. In ‹Easy Rider› gibt es eine Szene, an die ich oft denken muss. Nachdem Jack Nicholson in der Nacht von den Rednecks totgeschlagen wird, sagt einer der Überlebenden, Fonda oder Hopper, dass sie halt die Bürger erschrecken würden mit ihrer Lebensweise und dass deshalb zurückgeschlagen wird. Ich glaube, wir machen mehr Leuten Angst, als wir wollen.»

    Ich konnte mir ein kurzes Lachen nicht verkneifen. «Ihr möchtet aber nicht mit der Heilsarmee oder der Caritas verwechselt werden. Leute erschrecken gehört doch zu Rockern wie der Most zum Motor, sonst würden Euch die Konzertveranstalter nicht ständig als Ordner engagieren.»

    «Ich will Respekt», antwortete Ralph, «ich will Ordnung, klare Regeln. Ich akzeptiere keine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1