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Der Käsesturm
Der Käsesturm
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eBook230 Seiten3 Stunden

Der Käsesturm

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Über dieses E-Book

Glitzer, Glanz und Großmarkttreiben

Peter Loetsch - Astronom, talentfreier Bestsellerautor und verkrachte Existenz - geht in seiner neuen Heimat Hamburg zufällig seinem alten Studienfreund Ferdinand Rauterberg in die Fänge.
Ferdinand - immer eine Spur "feiner" als im zusteht - führt ihn in eine Parallelwelt des Hamburger Großmarkts ein, wo Maximilian Sturm - seines Zeichens Käse-Affineur - einen schillernden Kreis illustrer Persönlichkeiten um sich scharrt. Die Dekadenz kennt keine Grenzen und reißt so manche Seele in den Abgrund...

Vom Schein und Sein einer Miniaturgesellschaft
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum26. Okt. 2015
ISBN9783765021343
Der Käsesturm

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    Buchvorschau

    Der Käsesturm - Andreas Tietjen

    kriegen!«

    FERDINAND

    Meine Wohnung in Köln hatte ich wegen meiner vorübergehend angespannten finanziellen Lage nicht mehr halten können. Sie war zudem viel zu groß für mich alleinstehenden Mittfünfziger und zu weit entfernt für die häufigen Besuche bei meinem Hamburger Verleger. Kurz entschlossen war ich dem Wink des Schicksals gefolgt und hatte meinen Wohnsitz in die Hansestadt verlegt. Ich hatte in Köln keine nennenswerten sozialen Kontakte, also würde ich mich in Hamburg in dieser Hinsicht nicht verschlechtern können. Der Frühling stand vor der Tür, und mein Gefühl sagte mir, dass ein neuer Lebensabschnitt bevorstand. Diesmal sollte es nach vielen unbefriedigend verlaufenen Veränderungen endlich wieder bergauf gehen. Ich spürte das, und aus diesem Grund war mir nicht, wie gewöhnlich, unwohl bei meinem Standortwechsel.

    Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie schwer es sein sollte, eine bezahlbare Wohnung in einem einigermaßen adäquaten Umfeld zu finden. Meine Ansprüche und Vorstellungen wurden Zentimeter für Zentimeter nach unten korrigiert, um schließlich in einem wahren Provisorium zu enden. Bis mein Verlag seinen Aufgaben und Pflichten mir, dem Schriftsteller, gegenüber nachkommen und meinen zweiten Roman gewinnbringend vermarkten würde, wollte ich mich mit einer altmodisch möblierten Eineinhalbzimmerwohnung im Stadtteil Borgfeld zufriedengeben. Und von dort konnte ich bei schönem Wetter mit Vergnügen zu Fuß zum Verlagshaus am Rothenbaum gehen.

    Bei einem dieser Fußmärsche geschah es dann, dass sich eine neue Tür in meinem festgefahrenen Leben auftat.

    »Was für eine verdammte Sauerei!«, rief eine mir irgendwie bekannte Stimme mit schrill nasalem Timbre. »Ich könnte diese verfluchten Köter allesamt umbringen! Mit den bloßen Händen! Wenn ich einen von euch asozialen Hundehaltern in die Finger bekomme, dann gnade euch Gott! Ihr erbärmliches Pack!«

    Ich hatte genug gehört, um mir ganz sicher zu sein.

    »Ferdi, was für ein Zufall! Was führt dich in diese ehrwürdige Stadt?«

    Ein Mann von hagerer Gestalt, die in einem tadellosen Anzug steckte, drehte sich langsam zu mir um. Er hielt noch das beschmutzte Taschentuch in der Hand, mit dem er sich den Hundekot von seinem linken Schuh abgewischt hatte.

    »Wenn ich nicht ein so verdammt gutes Gedächtnis hätte, dann würde ich dich nach so vielen Jahren nicht erkennen. Peter Loetsch, wenn ich mich nicht irre? Der farblose Peter, der uns ehedem im Hörsaal der Universität zu Heidelberg die Luft zum Atmen nahm.«

    »Ferdi wie er leibt und lebt. Du machst immer noch die gleichen Scherze wie damals«, erwiderte ich säuerlich.

    »Nenn mich bitte nicht Ferdi! Wir sind seit ein paar Jahrzehnten erwachsene Menschen. Ich sage ja auch Peter zu dir und nicht Popel oder Pupsi, wie wir dich früher zu nennen pflegten.«

    Diese Spottnamen hatte ich völlig aus meiner Erinnerung verbannt, obwohl oder gerade weil ich jahrelang darunter gelitten hatte. Aber in der Zwischenzeit hatte sich ja einiges verändert und ich war ein angesehener Autor und Schriftsteller geworden. Ich hatte sogar einen Bestseller gelandet. Drei, vier Jahre ist das jetzt schon her, aber mein neuer Roman würde mit Sicherheit an den alten Erfolg anknüpfen.

    »Ich habe von deinem Buch gelesen«, fuhr Ferdinand in versöhnlichem Ton fort. »Alle Achtung! So etwas hätte ich dir gar nicht zugetraut!«

    »Hast du nur über mein Buch oder hast du das Buch selbst gelesen?«, fragte ich neugierig.

    »Nein, nein, solche Schundliteratur würde ich nie in die Hand nehmen. Solche Verwechslungskomödien sind doch eher etwas für reifere Damen oder Taxifahrer während der Nachtschicht.«

    »Das Buch ist keine Verwechslungskomödie, sondern eher ein Schicksals…«

    »Richtig, ich erinnere mich! Schicksal und Herzschmerz, so ungefähr. Nein danke, nichts für mich, mein Lieber!«

    Ich gab es auf, Niveau und Genre meines Romans zu verteidigen. Ferdinand war ein brillanter Rhetoriker, aber auch ein hundsgemeiner Zyniker – immer schon. Und wie es schien, hatte er in den Jahren noch reichlich zugelegt. Dennoch entwickelte sich unser Gespräch später in eine interessante und erbauliche Richtung. Ab dem Moment, da wir uns über unseren beruflichen Werdegang unterrichteten, begannen wir so etwas wie eine gemeinsame Sprache zu finden. Wir hatten damals beide Physik studiert. Während ich im Fach blieb und lediglich meinen Schwerpunkt auf Astronomie verlagerte, wechselte Ferdinand die Fakultät und schloss sein achtjähriges Studium – natürlich finanziert von seinem Herrn Papa – als Industriedesigner ab.

    »Ich habe den designprämierten Eiskugelformer von Moderazzi gemacht«, brüstete er sich. »Das war noch vor meinem Examen, und was glaubst du, habe ich dafür an Honorar bekommen? Genau zweitausend Mark. Die Zigtausend, die die Lizenzen all die Jahre über abgeworfen haben, haben sich der Prof und die Uni unter den Nagel gerissen. So läuft das Geschäft, mein Lieber, aber ich habe sie später alle in den Sack gesteckt!«

    Es begann leicht zu nieseln und wir standen immer noch in einer ruhigen Seitenstraße direkt vor dem Schaufenster eines kleinen Käsefachgeschäfts. Ferdinand kannte ein nettes, modernes Café mit anregendem Publikum, wie er sagte. Doch bevor wir unser Gespräch nach dort verlagerten, wollte er noch geschwind ein Stückchen Roquefort kaufen.

    So betraten wir den düsteren Laden, ohne dass ich ahnte, die zweite wichtige Tür geöffnet zu haben, die in mein neues Leben führen sollte.

    »Oh nein, wie sieht der Käse gammelig aus!«, lamentierte Ferdinand und deutete auf einen mit schwarzem und weißem Schimmel überwucherten Käse, aus dem nur ein kleines Stückchen herausgeschnitten war.

    »Wenn Sie keine Ahnung von Käse haben, dann kaufen Sie doch gefälligst bei Aldi ein. Auf solch ignorante Kundschaft kann ich gut und gerne verzichten!«, knurrte eine brüchige Stimme.

    »Und wenn Sie nichts von Lebensmittelhygiene verstehen, dann sollten Sie Ihren Beruf wechseln!«, polterte Ferdinand zurück.

    Die alte Verkäuferin in ihrem schmuddeligen Kittel war drauf und dran, uns beide aus ihrem Laden zu werfen; nur mit Mühe gelang es mir, die Streitenden auseinanderzuhalten. »Dürften wir vielleicht ein klitzekleines Stückchen des edlen Schimmels probieren, um uns selbst ein Bild von dessen Qualität zu machen?«, warf ich diplomatisch ein.

    Mürrisch trennte die Alte ein Stück des französischen Käses ab und reichte es uns auf der Spitze des großen, scharfen Messers. »Teufel!«, stieß Ferdinand aus. »Das ist ja ein höllisch guter Käse! Wo haben Sie solch einen Käse her?« Und in der Tat entwickelte sich auch auf meinem Gaumen eine Geschmackssymphonie, wie ich sie von einem Stück Schimmelkäse nie erwartet hätte.

    »Schmeckt er also doch, mein Gammelkäse, ja? Dann probiert erst mal diesen hier!« Die Verkäuferin schnitt einen Streifen des von schwarzen Eichenblättern umhüllten Hartkäses ab.

    »Nein! Das darf nicht wahr sein!« Ferdinands Begeisterung kannte keine Grenze. »Ich verlasse dieses Geschäft nicht eher, bis Sie mir verraten haben, woher Sie diese fantastischen Milchprodukte beziehen!«

    Nun huschte ein Lächeln über das Antlitz der alten Dame. »Das kann Ihnen nur mein Sohn sagen. Er ist Affineur und macht aus seinen Rezepten große Geheimnisse. Ist mir auch egal, Hauptsache, die Kasse klingelt!«

    Wir erfuhren, dass ihr Sohn einen Verkaufsstand im Großmarkt hatte, der aber zu dieser Zeit bereits geschlossen war, und so setzten wir unser Gespräch, wie verabredet, in einem gemütlichen Café fort, ohne weitere Gedanken an den Käsehändler zu verschwenden.

    Nach unruhigem Schlaf erwachte ich schon im Morgengrauen. Ich hatte mich im Traum gewälzt, konnte mich jedoch nicht an Einzelheiten erinnern. Meine Morgenzeitung lag durchweicht vor der Tür und ich hatte am Vortag vergessen, Brot oder Toast zu kaufen.

    So unbefriedigt konnte ich diesen Tag nicht beginnen. Sollte ich mir ein teures Frühstück in einem Kaffeehaus gönnen? Ich kannte jedoch noch nicht viele in meiner neuen Umgebung. Kurz entschlossen warf ich meinen Regenmantel über und kämpfte mich, mit Schirm bewaffnet, durch das nordische Aprilwetter. Da ich kein geöffnetes Lokal fand, bestieg ich den Bus in Richtung Innenstadt. Im Gedränge der Passagiere und durch die beschlagenen, regennassen Fensterscheiben gelang es mir weder mich zu orientieren, noch entdeckte ich irgendein Lokal, in dem ich meinen Hunger hätte stillen können.

    Irgendwann sah ich an einer Haltestelle die Leuchtschrift des Hamburger Großmarkts. »Halt!«, schrie ich, als der Bus sich gerade wieder in Bewegung setzte. Der überraschte Fahrer hatte Erbarmen und entließ mich in das Hamburger Schmuddelwetter.

    Nun stand ich im Nieselregen vor einem hohen Drehkreuz und blickte auf das Treiben in einiger Entfernung jenseits des Zauns. Ein junger Mann mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze drängte an mir vorbei, zog seine Ausweiskarte durch das Lesegerät und zögerte. »Wolltest du auch rein?«, fragte er mich knapp. Als ich mit einem unsicheren »Jo!« antwortete, drängte er: »Na dann komm!«, und ließ das Tor eine weitere Runde für mich drehen.

    In der imposanten Markthalle herrschte große Geschäftigkeit und ständig hatte ich das Gefühl, jemandem im Weg zu stehen. Es gab zehn mal zehn Gänge, die zu teilweise richtigen kleinen Geschäften in verschieden großen Boxen aus Blech oder sogar Beton führten, die nach vorn hin mit riesigen Rollläden verschlossen wurden. Einige dieser Boxen waren nichts anderes als Maschendrahtkäfige, andere wiederum sahen massiv und seriös aus. Dazwischen gab es Freiflächen, die durch gelbe Farbmarkierungen auf dem nackten Betonboden unterteilt waren. Auf diesen Flächen standen Obst- und Gemüsekisten auf Holzpaletten. Gabelstapler und elektrische Ameisen flitzten mit Kolli oder großen Behältnissen durch die ganze Halle.

    Wer ihnen in die Quere kam, wurde erbarmungslos aus dem Weg gehupt und mit Schimpfkanonaden der Fahrer bedacht. Ich bahnte mir meinen Weg durch die engen Gänge, ohne recht zu wissen, was ich hier eigentlich suchte. Zwar hingen meine Gedanken an dem gestrigen Erlebnis in dem Käsegeschäft, aber in erster Linie war ich hungrig und lechzte nach einer heißen Tasse Kaffee. Beides würde ich wohl zwischen den Bergen von Obst, Gemüse, Kisten und Fässern nicht finden.

    Nie zuvor war ich in einer vergleichbaren Halle gewesen und darum einigermaßen überrascht, dass es einen italienischen Spezialitätenhändler gab, der an Bistrotischen mit Hockern Espresso, Cappuccino und dazu knackige Brötchen, wahlweise mit Gorgonzola oder Parmaschinken belegt, anbot.

    Flaviano Pinifarina war unablässig damit beschäftigt, sein Sortiment an Würsten, Käse, Antipasti und anderen italienischen Spezialitäten in der Auslage hin und her zu sortieren. Dabei schimpfte er unablässig auf Italienisch mit einer rundlichen, älteren Frau in Kittelschürze, seiner Ehefrau vermutlich. Ich verstand kein Wort, wohl aber seine überdeutlichen Gebärden.

    Ein Kunde, anscheinend ebenfalls Italiener, kam mit einem Plattenwagen herangerollt. Die beiden begrüßten sich temperamentvoll und beluden den Wagen mit Kartons und großen Blecheimern. Anschließend säbelte Flavio gekonnt hauchdünne Scheiben von mehreren Schinken und Salamis ab und drapierte sie auf einem Holzbrett. Dazu schnitt er Parmesankäse in feine Streifen und reichte alles herum, an mich und ein paar weitere Gäste. Ich wähnte mich im Schlaraffenland, aber ein enorm korpulenter Herr mit Glupschaugen, kreisrundem Mund und Doppelkinn nörgelte an dem Parmesan herum.

    »Flavio, was ist das für ein krümeliges, trockenes Zeug?!«, lamentierte er. »Ihr Italiener habt doch keine Ahnung vom Lagern. Ihr könnt durchaus guten Käse machen, aber von Reifeprozessen habt ihr keinen Schimmer!«

    »Maxi, hör auf!«, protestierte Flavio. »Geh mir nicht auf die Nerve mit deine Vorträge. Ich verkaufe meine Käse seit zwanzig Jahre so, wie ich ihn aus Bella Italia bekomme, basta.«

    Der Dicke machte eine abwertende Handbewegung und schlurfte wortlos davon. Ich sah ihm nach. Er war eine auffallende Erscheinung, trug einen schwarzen Anzug mit silbergrauer Weste. Seine ebenfalls schwarzen Halbschuhe sahen breit und ausgetreten aus, waren aber hochglanzpoliert. Er ging darin wie in Pantoffeln.

    Ich trank noch einen Espresso, zahlte und schlenderte weiter durch die Hallen. So gestärkt wollte ich mich auf die Suche nach dem Käsehändler Sturm machen, dessen Mutter Ferdinand und mir am Vortag eine sehr unpräzise Wegbeschreibung gegeben hatte. Ich sah zum anderen Hallenende hinüber und stieß mit der Sackkarre eines Einkäufers zusammen.

    »Herr Loetsch, lassen Sie die Halle stehen!«, rief eine mir bekannte Meckerstimme. »Wo du auftrittst, regiert das Chaos!«

    »Ach, sieh einer an, der Ferdinand«, antwortete ich, positive Überraschung vortäuschend. »Da wollte dem Herrn wohl des Sturms Käse nicht aus dem Sinn gehen?«

    »Da hast du recht, mein Lieber. Hast du ihn schon gefunden, den Käsehändler? In Halle 1, wie die gute Frau Mama gestern behauptete, ist er jedenfalls nicht.«

    »Ach, gibt es noch weitere Hallen?«, fragte ich erstaunt.

    »Die gibt es in der Tat. Drei Haupthallen und noch Nebengebäude sogar.«

    Wir taten uns noch eine Weile gemeinsam um, sprachen dann ein paar Händler an und wurden geradewegs in Halle 2 geschickt.

    Hier ging es etwas gemächlicher und übersichtlicher zu. Ferdinand nahm sich im Vorbeigehen ein paar Macadamianüsse aus der Auslage eines Händlers und gab mir wie selbstverständlich davon ab. Ganz hinten in der Halle bogen wir nach rechts in einen Gang und standen nach wenigen Schritten vor einem ordentlichen Laden. Der korpulente Herr, den ich bereits zuvor beim Italiener gesehen hatte, war gerade dabei, seinen Verkaufstresen zu reinigen. Etwas überrascht blickte er uns an, so als ob er fragen wollte: Was jetzt, kurz vor Ladenschluss kommt ihr her zum Einkaufen?

    »Sind Sie der Herr Sturm? Maximilian Sturm?«, fragte Ferdinand.

    Sturm wiegte seinen Kopf wie ein Inder. Es war kein Zustimmen, aber auch kein Verneinen. »Und wer möchte das wissen?«, fragte der Dicke.

    Ferdinand sah mich kurz fragend an, dann wandte er sich an den Käsehändler. »Ein Verehrer Eurer verflucht leckeren Käseschweinereien, nicht mehr und nicht weniger!«

    »Nun denn, der bin ich«, antwortete der Mann divenhaft und musterte Ferdinand vom Kopf bis zu den Füßen. »Ich bin der Käse-Sturm, Maximilian. Maxi sagen meine Freunde und die, die mich besser kennen.«

    »Was für eine Tunte!«, spottete mein Freund unüberhörbar.

    Sturm sah ihn an. Erst fassungslos, dann böse, dann abwertend, dann verschämt und dann fragend.

    »Aber ein stattlicher Mann!«, ergänzte Ferdinand gönnerhaft. Sturm senkte kurz die Augenlider und deutete eine wohlmeinende Verbeugung an. »Wollt ihr mal etwas Besonderes probieren?«, fragte der Käsehändler und leckte mit der Spitze seiner Zunge kreisförmig über seine Lippen. Er griff unter den Tresen und holte ein großes Stück Hartkäse hervor. Mit einem Hobel zog er hauchdünne Scheibchen davon ab und drapierte diese liebevoll auf einem Glasteller. Er bot uns davon an und legte sich selbst ein oblatengleiches Stück auf die Zunge.

    »Was sagt ihr?«, triumphierte Maximilian, genannt Maxi.

    »Nicht schlecht!«, gab ich anerkennend zu.

    »Nicht schlecht?« Der Mann war entrüstet. »Nicht schlecht war das, was dir der Ithaka angeboten hat. Das warst doch du vorhin, oder?« Ich nickte schuldbewusst, hatte ich doch wirklich nicht die richtige Formulierung getroffen. »Meine kleine Kostprobe ist exakt der gleiche Parmigiano, den du vorhin gekostet hast, ich habe ihn selbst bei Flavio gekauft. Der Unterschied liegt darin, dass ich ihn viele Monate lang gelagert habe, nach einer Methode, die kein Mensch außer mir kennt. Flavios Käse ist …«, er wedelte mit der rechten Hand, »… nicht schlecht, aber meiner ist edel und besonders. Das ist der Unterschied!«

    Uns beiden, Ferdinand und mir, fehlten die Worte, ich jedoch wusste, dass der dicke Sturm recht hatte mit dem, was er sagte. Maxi klatschte zweimal in die Hände und augenblicklich traten zwei Jünglinge hinter einem Vorhang hervor, der einen weiteren Raum verbarg. Sie bewegten sich wie Balletteusen und beäugten uns von oben bis unten.

    »Bringt Trauben und Brot, los, los!«, befahl Sturm.

    Die beiden jungen Männer trugen ebenfalls schwarze Anzüge, die hochmodern waren und ihnen ausgezeichnet standen. Darüber aber hatten sie bordeauxrote, steife Stoffschürzen angelegt, auf denen in hauchdünner, eleganter Schrift der Name »Affineur Sturm« in grauer Farbe eingestickt war. Sie hießen Rolf De Longe und Siegbert Sydow, genannt Sü-Sü.

    Es war eigentlich nicht viel passiert am gestrigen Tag im Großmarkt. Ich hatte ganz gut gefrühstückt, meinen ehemaligen Kommilitonen Ferdinand Rauterberg getroffen, gemeinsam hatten wir ein paar Sorten Käse probiert und waren dabei mit roten Trauben und etwas geröstetem Baguette verwöhnt worden. Und dennoch spürte ich ein zwanghaftes Verlangen, diesen Ort schnellstmöglich wieder aufzusuchen. Die Kerngeschäftszeiten des Großmarkts waren frühmorgens von zwei bis neun Uhr. Danach ging der Handel für kleinere Kunden wie etwa Küchenchefs bedeutender Restaurants noch bis in den Vormittag hinein weiter. Anschließend

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