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Die schwarze Kasse der Terroristen: Kriminalroman
Die schwarze Kasse der Terroristen: Kriminalroman
Die schwarze Kasse der Terroristen: Kriminalroman
eBook321 Seiten4 Stunden

Die schwarze Kasse der Terroristen: Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Berlin und Washington.
Das Geld der Terroristen.
Und ein Fememord.

Keiner läßt sich gern etwas wegnehmen, schon gar nicht einen Koffer voller Geld. Das jedoch passiert den vier vermummten Gestalten aus der linken Terroristenszene, die Barbara Henderson anfang der siebziger Jahre bei einem Fememord im Berliner Wald beobachtet. Die Suche der Terroristen nach Barbara bleibt zunächst erfolglos.

Zwei Jahrzehnte geht alles gut. Nach dem mysteriösen Tod von Barbaras Mann und ihrer Rückkehr in die alte Heimat kurz nach der Wiedervereinigung machen sich die einstigen Genossen wie auch Geheimdienstler auf die Jagd nach dem Geld. Schließlich gelingt es ihnen, Barbara in ihre Gewalt zu bringen …
SpracheDeutsch
Herausgebercmz
Erscheinungsdatum18. März 2017
ISBN9783870622572
Die schwarze Kasse der Terroristen: Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Die schwarze Kasse der Terroristen - Gabriele Greenwald

    Autoreninfo

    Gabriele Greenwald, Jahrgang 1944, Studium der Philologie, Soziologie, Politischen Wissenschaften und Publizistik. Sie war Dozentin für Deutsch und Englisch, Medienanalytikerin für die US-Regierung, Auslandskorrespondentin für deutsche und amerikanische Medien. Seit 1978 hat sie ihren Hauptwohnsitz in Washington, DC.

    Haupttitel

    Gabriele Greenwald

    Die schwarze Kasse

    der Terroristen

    Kriminalroman

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Amerikanischer Originaltitel:

    »No Place Like Home«

    © 1997 by Gabriele Greenwald

    © 2016 by CMZ-Verlag

    An der Glasfachschule 48, 53359 Rheinbach

    Tel. 02226-9126-26, Fax 02226-9126-27, info@cmz.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    Umschlagfoto: Berliner Dom

    Trotz intensiver Nachforschungen konnte der Rechteinhaber dieses Fotos

    nicht ausfindig gemacht werden; er wird eine Vergütung im üblichen Rahmen

    erhalten, wenn er sich mit dem Verlag in Verbindung setzt.

    Umschlaggestaltung: Lina C. Schwerin, Hamburg

    eBook-Erstellung: rübiarts, Reiskirchen

    ISBN Paperback 978-3-87062-177-3

    ISBN epub 978-3-87062-257-2

    ISBN mobi 978-3-87062-258-9

    20160717

    www.cmz.de

    Motto

    In Gefahr und großer Not

    bringt der Mittelweg den Tod.

    Fredrich von Logau

    Inhalt

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    Der Service war superb. Nicht wie das letzte Mal, als ich die Strecke über den Atlantik flog, Washington – Brüssel, Economy Class aus anerzogener Sparsamkeit, immerhin Fensterplatz, und auf den beiden Sitzen neben mir ein volleibiges Ehepaar hatte, das mir mit seinen flächendeckend entfalteten Zeitungen und überschwappenden Körperteilen auch noch das letzte bißchen Bewegungsfreiheit nahm. Meine verzweifelten Blicke in Richtung Stewardess waren so erfolgreich wie eine Eingabe beim Fiskus. In meiner Not bemerkte ich zu meinen Nachbarn beiläufig, daß ich ein akutes Blasenleiden hätte und voraussichtlich alle paar Minuten aufs Örtchen müßte. Binnen der nächsten fünf Minuten hatte ich die Sitzreihe für mich.

    Ein selbstgefälliges Lächeln schlich sich ein in Erinnerung an einst erlittene Erniedrigungen. Auf diesem Flug konnte ich in meinem breiten Sitz auf dem Oberdeck des Jumbos ausgiebige Streckübungen machen, ohne daß dies jemanden gestört hätte. Zwar hatte ich mir nur ein Business-Class-Ticket gegönnt – mein längst abgelegter Protestantismus stand zwischen mir und der First Class –, aber bis zum Flugzeugwechsel in Frankfurt fast das gesamte Deck und einen unablässig tänzelnden Steward für mich allein.

    Nach all den Jahren kehrte ich nun, zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, nach Berlin zurück, in die Stadt, in deren Trümmern ich gespielt, an deren Schulen ich gelitten und durch deren Universität, der Freien, ich mich meistens gelangweilt hatte. Hier wollte ich den Rest meines Lebens verbringen – und in Ruhe das beträchtliche Vermögen genießen, das mir, nun, sagen wir: zugefallen war. Die garstige Jahreszeit ließe sich unschwer in einer Villa auf Sanibel Island, Florida, oder in einem Condo in Vail, Colorado, absolvieren. Ich hatte vor, dennoch nicht allzu aufwendig zu leben. Nicht so jedenfalls, daß es die Aufmerksamkeit der Steuerbehörden hüben wie drüben oder Neid und Habgier bei meinen Mitmenschen erregen würde. Understatement – das war es. Mir würde es genügen zu wissen, daß ich mir nahezu alles leisten könnte, wenn ich nur wollte. Und – ich mußte mich in acht nehmen. Denn mein Geld hatte Vergangenheit.

    Trotz gegenteiliger Bemühungen konnte ich mich einer gewissen Rührung nicht erwehren, als wir in das Berliner Stadtgebiet einflogen. Da, wo Mauer und Todesstreifen die Stadt jahrzehntelang wie ein enger Gürtel in oben und unten geteilt hatte, war nun ein leeres breites Band, auf dem sich Radler und Spaziergänger statt der menschlichen und hündischen Greifkommandos des Ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Gebiet tummelten. Tegels Wälder und Seen lösten die Plattenbaumonumente der Ost- und Westberliner Stadtplaner ab, die sich in ihrer Auffassung von menschengerechtem Wohnen über alle ideologischen Schranken hinweg wundersam einig gewesen waren.

    Gerade war mir, als hätten wir den ›Pavillon du Lac‹ überquert, den französischen Offiziersclub in der Viermächte-Vergangenheit Berlins. Erinnerungen flossen in mein Hirn wie ein klebriges Rinnsal, gleich dem maple syrup, den ich mir immer auf die Frühstücks-Eierkuchen kippte. Ich hatte jahrzehntelang verdrängt. Kann man da wieder anknüpfen, wo man vor ewigen Zeiten aufgehört hat? Die nächsten Monate würden es zeigen.

    Die Boeing 737 setzte ruckelig auf und löste den faustgroßen Stein, der sich bei Landungen immer in meinem Magen einzunisten pflegte. Ich haßte das Fliegen. Es war nichts Kultiviertes an dieser Art der Entfernungsbewältigung. Mein Körper brauchte immer Tage, um sich von solcher Mißhandlung zu erholen, trotz Melatonin. Während ich gut zwanzig Minuten auf das Auftauchen meiner Koffer warten mußte, legte ich mir im Kopf noch einmal den Zeitplan für meine ersten Tage in Berlin zurecht. Vorläufiges Quartier hatte ich im ›Hotel Seehof‹ am Lietzensee bestellt, wollte mich jedoch schnellstens nach einer preiswerteren Unterkunft umsehen. Hoffentlich ließ sich auf dem notorischen Berliner Wohnungsmarkt überhaupt etwas halbwegs Erschwingliches finden, aber – man konnte sich ja etwas leisten.

    »Das darf doch einfach nicht wahr sein! Ich hab dich schon eine Weile beobachtet und dachte, das gibt’s doch nicht!« Eine Hand legte sich wie eine Schraubzwinge von hinten auf meine Schulter. Ich hätte mich gar nicht umzudrehen brauchen, um zu wissen, wer da so aus dem Häuschen geraten war. Auch nach Jahrzehnten war Johanna v. Trebischs baltisches ›r‹ unverwechselbar.

    Johanna. Ausgerechnet ihr mußte ich beim Frühstück im Vorgarten vom ›Forsthaus Paulsborn‹ im wahrsten Sinne des Wortes in die Hände fallen. Meine Vergangenheit lauerte mir bereits am dritten Tage meiner Rückkehr auf. Das konnte ja heiter werden. Ich machte eine Vierteldrehung mit dem Plastiksessel und sah sie leibhaftig vor mir, die einstige Erdmutter unserer Revolutionären Roten Zelle des Instituts für Soziologie an der Freien Universität Berlin, kurz Rotz Soz genannt. Noch immer wogte alles an ihr, einschließlich der naturkrausen braunen Haare, die jetzt abwechselnd grau und dunkel waren. Unterhalb ihres Burberry-Saums hatten zwei Rauhhaarteckel eine Spirale von Leinen um ihre Waden geschlungen.

    Schon wegen der Perspektive war ich aufgestanden, unsicher, ob ich sie umarmen sollte oder nicht. Ich entschied mich gegen einen solchen Ausbruch von Spontaneität, streckte ihr unter Ausrufen der Verblüffung und des kontrollierten Entzückens die Hand entgegen und forderte sie zum Platznehmen auf.

    »Du, ich hab nicht viel Zeit. Meine nächste Probandin ist in zehn Minuten fällig, und die beiden hier müssen schnell noch ein paar Bäume vergiften.« Sie deutete bedauernd auf die beiden zweifellos reinrassigen Zuchtexemplare an ihren Fesseln. »Aber ich hab heute nachmittag ein paar Freistunden. Komm doch vorbei, wenn du Zeit und Lust hast. Ich bin hier ganz in der Nähe zu Hause.« Mit einem schnellen Griff zog sie eine Visitenkarte aus der Manteltasche und schob sie mir zu.

    Ich nickte dümmlich, noch immer etwas überwältigt von der Begegnung.

    »Also dann, so um drei.«

    Johanna strahlte, entwirrte ihre Beine und zog mit ihrem Jagdgeschwader von hinnen. Als ich meinen Blick von ihr lösen konnte, warf ich den nächsten auf die zurückgelassene Visitenkarte: Dr. Johanna v. Trebisch, Psychotherapeutin. Die Adresse war eine der feinsten in Berlin. Nicht schlecht für eine linke Revoluzzerin, aber sie hatte ja immer ihre betuchte Familie im Hintergrund gehabt.

    Stunden später wurde mein Klingeln am Gartentor in der Max-Eyth-Straße Sekundenbruchteile darauf von einem hündischen Heulduett beantwortet. Dann erschien die Dame des Hauses an der Tür und summte mich in ihr Anwesen. Die Gründerzeitvilla verfehlte ihren Eindruck auf mein biederes Gemüt keineswegs. So hatte ich mir in meiner vor-pseudorevolutionären Zeit immer das komplette bürgerliche Glück vorgestellt.

    Johanna hatte, obwohl sie nie in Lettland gelebt hatte, den exotischen Teil ihrer baltischen Familienvergangenheit mit Leidenschaft kultiviert. Die weniger vorzeigbaren Segmente hatte sie wahrscheinlich mit der gleichen Intensität verdrängt und kompensiert. Zusammen mit Joachim Wedekind war sie die radikalste in unserer Zelle gewesen, hatte sich des ›von‹ in ihrem Namen schnellstens entledigt und die Neubauwohnung, die ihr die Familie in Lankwitz gekauft hatte, mit einer ideologisch geziehmenderen Wohngemeinschaft in Moabit vertauscht, trotz der langen Anfahrt zur Uni.

    »Erzähl du zuerst«, drängte sie, »wir haben uns ja völlig aus den Augen verloren. Wie lange ist es her …?«

    »Fast ein Vierteljahrhundert!«

    Sie schlug in einer beinahe kindhaften Geste die Hände vor sich zusammen und ließ ihre mütterliche Form in einen tiefen Ledersessel fallen, der seine Insassin nicht ohne Kampf wieder herausgeben würde. Ich begann zu erzählen, von meinem Leben in Amerika, meinem Antiquitäten-Geschäft, etwas vager von den Gründen meiner Rückkehr nach Berlin.

    Sie unterbrach mich mit keiner Silbe. Zuhören hatte sie schon immer gekonnt. Fast hatte ich den Eindruck, als speichere sie jedes meiner Worte. Ich ertappte mich dabei, wie ich vorsichtiger wurde, mich nicht so total zurückfallen ließ in die einstige Vertrautheit, die einmal zwischen uns geherrscht hatte, obwohl ich ein tiefes Bedürfnis danach verspürte. Doch es gab einfach Dinge, die niemand auch nur ahnen durfte.

    Unsere Freundschaft hatte damals mit einem kleinen Eklat begonnen. In einer der endlosen richtungbestimmenden Sitzungen von Rotz Soz hatte mich Johannas betuttelnde Art gereizt. Sie, die ein paar Jahre älter war als die meisten von uns, mit Ausnahme von Joachim und Robert und einer unsäglichen Angelika, verteilte ständig Gratisratschläge. Ich brummte, sie solle mit ihrem Babuschka-Gehabe aufhören, und traf damit mitten ins Schwarze. Aus ihren goldfarbenen Augen schoß ein Reptilienblick zu mir herüber, und ich dachte, ich hätte soeben eine lebenslange Vendetta auf mich gezogen. Aber genau das Gegenteil trat ein: Irgendwie hatte ich ihr imponiert. Bislang war ich nur durch sprachlose Anpassung und erfolgreiches Teekochen in der Gruppe aufgefallen; mit der dahingesagten Bemerkung an Johannas Adresse hatte ich mich in ihren Augen emanzipiert. Fortan genoß ich ihr Interesse an mir mit der kuriosen Faszination, die Kleinbürger nur für den Adel reserviert haben, und war mir plötzlich selbst viel mehr wert. Johannas palatales ›r‹ riß mich aus meinen Reminiszenzen.

    »Und was soll nun weiter werden? Hast du schon eine Behausung? Du könntest natürlich bei mir wohnen, bis du etwas Passendes gefunden hast. Ich kenne da einen Top-Makler, der hat sicher schon etwas für dich in seinem Zettelkästchen.«

    Sie war schon wieder dabei, mein Leben zu organisieren. Dazu durfte ich es nicht kommen lassen. Ich hatte damals nicht ohne Grund den Kontakt zu ihr und den anderen einschlafen lassen. Zu total waren Aufsicht und Kontrolle geworden. Also log ich, ich hätte schon vorübergehendes Quartier bei einer anderen Bekannten, und obendrein wisse ich doch noch gar nicht, ob ich endgültig hierbleiben würde. Das hinge von so vielen Dingen ab, unter anderem davon, ob ich mich hier wieder heimisch fühlen könnte.

    Mit einer wortlosen Geste akzeptierte sie mein Ringen um Distanz und bot mir an, mich wieder bei ihr zu melden, wenn ich Lust hätte. Sehr geschickt, wie sie die Longe wieder etwas durchhängen ließ. Ihre nächste Klientin wartete bereits im Konsultationszimmer, und ich verabschiedete mich nicht ohne Herzlichkeit. Sie hatte mir in großen Zügen ihre Geschichte erzählt. Aber warum hatte sie mit keinem Wort Joachim oder Robert erwähnt? Ich mußte sie unbedingt fragen.

    Entgegen meinen Gepflogenheiten orderte ich beim Zimmerservice meines Hotels einen Cognac, denn die etwas popelige Zimmerbar enthielt nur Weinbrand. Ich trank sonst nie harte Sachen, auch nicht, wenn sie nichts kosteten, wie im Flugzeug. Aber dies war eine Ausnahmesituation. Kurz darauf brachte der Etagenkellner, ein junger Schlaks, das Gewünschte. Er machte an der Tür noch einmal kurz halt und wandte sich um. Hatte ich zu wenig Trinkgeld gegeben? Oder zu viel? Blöde weibische Unsicherheit!

    »Sie sind aus Washington, stimmt’s?« kam es zögernd aus der Richtung der Tür. »Ich bin nämlich ’n Redskins-Fan!« Was sollte ich bloß auf dieses unerwartete Geständnis erwidern?

    »Ach, du meine Güte, da haben Sie sich aber ein Team ausgesucht. Die sind seit dem Fortgang von Joe Gibbs ja nicht mehr wiederzuerkennen!« Ich mimte die Fachfrau und hatte offenbar genau die Meinung dieses Football-Fans getroffen, der heftig nickte.

    »Das könnse laut sagen. Übrigens«, ein kurzer, innerer Kampf schien in meinem Zimmerkellner stattgefunden zu haben, »da war vorhin so’n Typ an der Rezeption, der hat nach Ihnen gefragt. Der Empfangschef sollte Ihnen nichts sagen. Das müssense aber für sich behalten.«

    Ich nickte verschwörerisch und zutiefst beunruhigt. Die Personenbeschreibung des Kellners brachte mir auch keine Erleuchtung. Nach mehr als zwanzigjähriger Abwesenheit – von einem mehrwöchigen Aufenthalt abgesehen – war ich kaum wieder hier in Berlin, und schon hatte ich eine ehemalige Mit-Revolutionärin aus meiner ideologischen Dinosaurierzeit getroffen und geheimnisvollen Besuch im Hotel gehabt. Niemand hatte von meiner Ankunft wissen können. Außer Sandy und Marion Allen, aber die würden sich nicht so affig geheimnistuerisch verhalten haben.

    Am nächsten Morgen sah alles ganz anders aus. Meine Phantasie war wohl etwas mit mir durchgegangen. Alles ist erklärbar, und es gibt auch so etwas wie einen Zufall, versicherte ich mir. Gerade wollte ich zum Telefonhörer greifen, um eine Serie von alten, ehrbaren Uni-Kontakten zu reaktivieren, da klingelte der Apparat. Ich hob den Hörer ab und meldete mich kurz mit »ja bitte«. Das Knacken am anderen Ende der Leitung sagte mir, daß man dort auf eine Konversation keinen Wert legte. Verdammt, war das auch ein Zufall?

    Schnell trat ich ans Fenster. Zwar hatte ich nie an richtigen Aktionen teilgenommen, aber an ein paar Sachen aus den konspirativen Schulungsabenden erinnerte ich mich noch. Auf der anderen Straßenseite stand ein Telefonhäuschen. Ein Mann kam heraus, etwa späteres Mittelalter, warf eine Zigarette zu Boden, trat sie aus und sah langsam zu meinem Zimmerfenster herauf. Obgleich er mich durch die Gardine unmöglich sehen konnte, zuckte ich zurück. Mir war die Telefonierlust zunächst vergangen, ich wollte erst einmal von hier fort. Da das Frühstück nicht in der Zimmermiete enthalten war, konnte ich es ebensogut woanders einnehmen. Meine Nostalgie trieb mich an die alten Orte von früher zurück, die wieder mit meinen Geruchsmarken versehen werden mußten. Ob die ›Wannsee-Terrassen‹ schon geöffnet waren? Bis ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin gelangte, waren sie es sicher. Bevor ich zur Bushaltestelle gegenüber ging, stattete ich der Telefonzelle noch einen Besuch ab. Dort lagen drei Kippen. Zwei antike, eine ganz frische. Gut, daß ich immer ein Tempo-Taschentuch dabei hatte.

    Der Ausblick von den ›Wannsee-Terrassen‹ war so herrlich wie früher, auch Frühstück und Bedienung waren dieselben geblieben: genau so lieblos wie einst. Die Halbinsel Schwanenwerder – immer hatte ich von einem Haus dort geträumt. Jetzt hätte ich es nicht einmal gewollt, selbst wenn eines käuflich gewesen wäre. Nicht, weil die Insel weniger attraktiv geworden wäre; nein, die Sicherung eines Hauses dort am Wasser mußte ein Alptraum sein, davon konnte ich ein Lied singen.

    Ich machte mich bei strahlendem Frühsommerwetter auf den Rückmarsch entlang des Wannseebadwegs zu meiner Bushaltestelle Ecke Kronprinzessinnenweg. Alle Busliniennummern und Routen waren seit der Wiedervereinigung geändert worden. Auf der Hinfahrt hatte ich mich zweimal verfahren, weil ich zu stolz war, in meiner Heimatstadt nach den Anschlüssen zu fragen. So gedemütigt erkundigte ich mich diesmal beim Fahrer, denn ich wollte noch schnell beim Konsulat in der Clayallee nachfragen, ob Post für mich eingetroffen sei.

    Es lag ein Brief meines Anwalts da, der mich drängte, endlich eine Entscheidung über den Verkauf unseres Hauses in Great Falls, Virginia, zu treffen. »Man hängt hier nicht so an Häusern wie wir in Deutschland«, hatte mich einst meine Cousine Juliane ins Bild gesetzt, die ebenfalls, wenngleich auch zehn Jahre früher, in die Vereinigten Staaten geheiratet hatte und justament wieder glücklich geschieden war. Am Anfang meines amerikanischen Lebens im Jahre 1973 war sie ein unaufhaltsam sprudelnder Quell an Lebenshilfe gewesen. Auch an den Ehemännern hänge man laut besagter Juliane eben nicht so sehr, zumal es sich durchaus lohnen könne, sich einvernehmlich und einträglich scheiden zu lassen.

    Für mich verbanden sich zu viele Erinnerungen mit diesem unserem Haus. Es war ein Paradies direkt am Potomac, das wir, das heißt Mr. and Mrs. James Beaufort Henderson III, uns 1975 zugelegt hatten, als sich unser Verbleib in der Washingtoner Gegend abzeichnete. Das im Kolonialstil erbaute rote Backsteinhaus auf dem fünf acres großen Grundstück (ich habe bis heute nicht gelernt, wie viele Morgen fünf acres sind) war eine absolute Extravaganz, denn es war viel zu groß für uns. Da wir auch keine Anzeichen für die Gründung einer Großfamilie erkennen ließen, war von vornherein klar, daß wir zwei Figuren mit Hund zuzüglich gelegentlichem Logierbesuch eine Menge Platz haben würden. Außerdem war es in bedauernswertem Zustand, weswegen wir es uns leisten konnten, und eines der wenigen älteren Häuser in einer ländlichen Gegend, die rapide mit riesigen brandneuen Lustschlössern zersiedelt wurde. Ich hatte mein Herz, gallonenweise Schweiß und unzählige Blutergüsse in die Restauration dieses Juwels gesteckt, und im Laufe der Jahre war es ein richtiges Zuhause geworden.

    Verkaufen? Jetzt noch nicht. Ich faxte George, unserem Anwalt, er solle die Maklerfirma Pardoe & Graham mit der Vermietung des Hauses beauftragen. Meine Sachen würde ich im Laufe der nächsten sechs Wochen ausräumen und auf den Speicher stellen, bis ich eine endgültige Entscheidung über meinen weiteren Verbleib getroffen hätte.

    2

    Es war ein hinreißend schöner Tag gewesen, dieser Donnerstag, der 24. August 1972, jedenfalls noch um 6.30 Uhr in der Frühe. Einer von jenen Spätsommermorgen, die einen mit fast religiöser Dankbarkeit erfüllen. Sonnenstrahlen suchten sich im noch frischen Grün des Waldes einen Weg, der Boden duftete nach köstlichem Verfall, Flechten, Moosen und Pilzen.

    Eigentlich machte mein Reitstall am Hundekehlesee erst um 8.00 Uhr auf, aber ich hatte mich ein wenig mit dem Pfleger Herbert angefreundet, der mir Wotan auch früher herausgab, wenn nicht so viel zu tun war. Herbert war schmal, von unbestimmbarem Alter, ein abgehalfterter Jockey, dem zum Verhängnis geworden war, daß man auf Pferden nicht nur sitzen, sondern auch auf sie setzen konnte.

    »Wetten und Saufen, weeßte«, hatte er mir anvertraut, »ham mein Leben ruiniert. Jetz mußick Ställe ausmistn und diesn einjebildetn Lackaffen von Privatbesitzan den Hintan inn Sattel hieven!«

    Schon kam er mit dem gesattelten Wotan aus der Box und freute sich über den Fünfer, den ich ihm für seine Gefälligkeit in die Hand drückte. Wotan gehörte nicht mir, sondern war das Weihnachtsgeschenk eines Berliner Bau-Unternehmers an seine Gattin. Diese hatte ihn – den Wallach – nach Gesichtspunkten der Abstammung und des Exterieurs ausgewählt. Beim Ehemann hatte sie offenkundig andere Kriterien walten lassen. Nach mehreren Versuchen des Besteigens, bei denen Wotan jeweils sein Mißfallen geäußert hatte, beschloß sie, er sei wohl doch nicht das richtige für sie. So war ich an ihn geraten, denn er mußte bewegt werden.

    Nach ein paar bangen Stunden in der Bahn stellte ich fest, daß Wotan gar nicht so übel war, wenn man die Gerte zu Hause ließ. Der Trakehner hatte einen hohen Vollblutanteil und war daher sensibel und, soweit man bei Pferden davon sprechen kann, intelligent. Im Laufe des Frühjahrs und Sommers hatten wir bei unseren Ausritten in den Grunewald Gefallen aneinander gefunden. Das Beste war, daß mich dieses exquisite Vergnügen keinen Pfennig kostete, denn als frisch examinierter Kunsthistorikerin kam mir jede Spende recht.

    Ich griff den Zügel, saß am Abreitplatz auf und verließ das Gelände durch die hintere Pforte in Richtung Wald. Wenn man so früh ausritt, waren die Jungs von der Reiterstaffel Grunewald noch in den Buntkarierten, und man konnte schon mal vom Hufschlag hinunter und querwaldein reiten. Wotan hatte das Zeug zum Military-Pferd, ich wollte heute am Schwarzen Weg entlang zu den Urstrom-Hügeln und -Tälern an der Havel. Da gab es gute Steigungen, und außerdem war Pilzsaison. Oft schon hatte ich einen Beutel Pfifferlinge von einem Morgenritt mitgebracht, damals noch sehr zur Freude meiner Mutter.

    Wotan war ausgesprochen gut aufgelegt. Berlins Pferdenarren schätzten den Schwarzen Weg als rasante Galoppstrecke. Es wurde immer ausgesprochen ereignisreich, wenn sich zwei große Gruppen von Schulreitern entgegengaloppierten und im Scheitel einer Biegung unverhofft aufeinandertrafen. Ich bog links auf den Weg ein in Richtung Havel, schnallte die Bügel höher und gab dem Pferd den Kopf frei. Seine Hufe berührten kaum den Boden, so glatt und fließend waren seine Bewegungen.

    Einen halben Kilometer vor der Einmündung des Weges in die Havelchaussee nahm ich die Zügel wieder auf und bog nach links vom Weg ab in den Wald. Die linke Seite war abschüssig, stieg dann aber nach der Talsohle wieder an. Rechts ging es ziemlich steil bergan. Kurz vor der Havelchaussee mündete noch ein anderer Pfad in den Schwarzen Weg und bildete eine Art Ypsilon, in dessen Gabel ein Hügel lag. Auf den hielten wir zu. Er war zwar unten nur von Eichen und Buchen bestanden, auf halber Höhe jedoch begann gut belaubtes Unterholz, das mir für meine Absichten Schutz gewähren sollte, denn der Morgenkaffee meldete sich und heischte nach Entsorgung.

    Ich saß ab und schlang Wotans Zügel um einen kräftigen Zweig, wobei ich nicht verhindern konnte, daß er sich trotz Wassertrense im Maul gierig über das Grün machte. Hastig nestelte ich an mir und gab mich meiner Morgenandacht hin und war schon wieder im Hochrappeln, da sah ich noch aus der Kniebeugenperspektive einen Mann näherkommen. Er mußte von der Havelchaussee her auf dem Pfad entlanggegangen sein und hielt schnurstracks auf einen Punkt in der Talsohle zu, etwa hundert Meter von mir entfernt. Das Merkwürdige war, daß er einen Koffer schleppte.

    Sachte komplettierte ich meinen Aufzug und nahm das kleine japanische Fernglas aus meinem Anorak, das ich im Wald immer bei mir trug. Ich mußte gegen die Sonne schauen, konnte aber dennoch die Gesichtszüge des Mannes erkennen. Ungläubig setzte ich das Glas ab, als hätte es einen optischen Fehler. Das da unten war unzweifelhaft Robert, das stille Wasser aus meiner alten Zelle Rotz Soz! Was der da bloß wollte? Das sollte ich gleich sehen. Die darauffolgenden Stunden bestimmen noch heute mein Leben.

    Robert hatte die Waldstelle gefunden, die er gesucht hatte, und ließ sich auf beide Knie nieder. Vorher hatte er einmal in die Runde geschaut, nicht gehetzt, aber auch nicht ohne Eile. Offensichtlich hatte er mich und das Pferd nicht entdeckt, denn jetzt räumte er mit behandschuhten Fingern die Blätter und die Humusschicht beiseite und nahm etwas hoch, was wie eine Plastikplane aussah. Ich reckte meinen Hals, um besser sehen zu können. Dort schien eine vorbereitete Grube zu sein, die er eben bloß noch freigelegt hatte. Sich umschauend nahm er den grauen Samsonite-Koffer und legte ihn flach dort hinein, breitete darüber dann die Plane, den Waldboden und ein paar Windbruchäste, und nach ein paar Minuten sah alles so aus, als sei niemand dort gewesen.

    Er richtete sich auf, ging ein paar Meter weiter an einen Baum und steckte sich eine Zigarette an. All dies kam mir wie eine Ewigkeit vor, und doch waren erst ein paar Minuten vergangen. Ich war gebannt. Was konnte in dem Koffer sein? Meine Phantasie war gerade dabei, auf Touren zu kommen, als Robert sich in Bewegung setzte, auf mich zu, in Richtung Schwarzer Weg und Havelchaussee. Sicher hatte er dort seinen Wagen geparkt, denn er war ja wohl nicht mit dem Koffer durch den ganzen Wald gelaufen.

    Noch etwa vierzig Meter war er von mir entfernt, unten in der Talsohle, als ich von der Havel her das rhythmische Keuchen von Joggern hörte. Vier Männer kamen Robert entgegengetrabt, in Sweatshirts mit Handtüchern um den Hals und

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