Bonn. Atlantis der BRD
Von Joachim Bessing und Christian Werner
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Buchvorschau
Bonn. Atlantis der BRD - Joachim Bessing
Sprout
Kennen Sie die wilde Schwermut, die einen ergreift, wenn man sich an Zeiten des Glücks erinnert? Wie unwiderruflich sind sie dann dahin, und unbarmherziger sind wir von ihnen getrennt als durch alle Entfernungen. Auch treten im Nachglanz die Bilder lockender hervor.
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Als Deutschland noch viel kleiner war, gab es nur drei Fernsehprogramme. Meine Hände waren auch noch viel kleiner gewesen, damals. Ich hatte viel draußen an der frischen Luft zu tun. Und jeder Tag wurde um acht Uhr abends beendet mit dem Geräusch eines Gongs aus dem Lautsprecher des Fernsehapparats. Dann die Fanfare der Tageschau; und die erste Ortsmarke des Nachrichtensprechers war an vielen, beinahe an jedem dieser Abende: Bonn.
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Als Deutschland noch viel kleiner war, gab es tagsüber manchmal einen gewaltigen Knall, vielleicht tat es auch einen Schlag, ich kann mich an das Schockgeräusch nur noch ungefähr erinnern, es war aber sehr laut, und es schien unheimlich nahe, entsetzlich nahe am Ohr zu passieren, dabei sah man aber gar nichts davon, wenn ein Düsenflugzeug hoch am Himmel die sogenannte Schallmauer durchbrochen hatte. Die Schallmauer, dieses Wort hatte eine sehr große Bedeutung für mich. All die Jahre, in denen ich draußen, an der frischen Luft, zu tun hatte.
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Bonn, die deutsche Hauptstadt zu jener Zeit, als nicht nur Deutschland, als auch die Hauptstadt Deutschlands noch viel kleiner war, spielte in meinem Leben keine Rolle. Berlin ebenso wenig. Meine Familie hatte keine Verwandten in der DDR. Ich war nie dort. An meiner Schule gingen die Klassenfahrten nach London oder Regensburg, wo wir eine historische Wurstbratküche besichtigten, in der schon den Römern Bratwürste zubereitet worden waren. Ich war damals weder in Berlin noch in der DDR gewesen. Wenn in der Tagesschau etwas aus Bonn vorgelesen wurde, sah man auf der grafischen Darstellung des Territoriums ganz rechts oben außen einen Fleck, dort war Berlin. Ein Außenposten der Bundesrepublik.
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Am 10. November des Jahres 1989 stand dann unser Geschichtslehrer vor der Tafel und ließ die Tränen laufen. Die Klasse hatte eine Doppelstunde Mathematik hinter sich, man zeigte sich dementsprechend erschöpft. Den von ihm geforderten Enthusiasmus über die historische Stunde, die wir nun miterleben durften, brachte keiner auf. Das hatte eine Enttäuschung zur Folge, von der er sich nie wieder erholen sollte. Er starb an seinem gebrochenen Herzen. Unter anderem um sich an uns zu rächen. Das hatte er uns mehrfach angekündigt in den vorangegangenen Halbjahren, die aus historischer Sicht gänzlich unhistorisch unter Helmut Kohl versickert waren, bis zu jenem Tag.
»Darf ich mich näher zu Ihnen setzen?«, heißt es bei Fassbinder (in Angst essen Seele auf).
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Als Deutschland noch viel kleiner war, wurde vor allem sehr viel mehr geraucht. Es war extrem. Ich kann mich an Szenen erinnern, da ließ man sich zwischen den Gängen einen Aschenbecher bringen; man betrat mit einer glimmenden Kippe das Restaurant. Jeden Sonntag wurde im TV der Internationale Frühschoppen gezeigt, geleitet vom Vater Candida Höfers, deren Werk damals noch nicht existierte, da wurde durchgehend geraucht und geschmaucht, es wurde regelrecht gequalmt. Es war gemütlich, aber es würde auch bald vorbei sein, davon ahnte ich freilich nichts.
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Das Atlantis der BRD liegt nicht auf dem Grund eines Meeres – welchem denn; dem schwäbischen etwa, dem Grund des Bodensees? Oder der Müritz?
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Die Welt der einstigen Bundeshauptstadt liegt unter dem Dunst von Milliarden von Zigarren, Tabakspfeifen und Zigaretten versunken. Selbstgedrehte und Orient. Mit Filter und ohne.
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In jener Zeit, in den Siebzigerjahren, wurde ich eines Abends von einer Biene in die nackte Fußsohle gestochen. Das war um die Stunde nach dem Abendbrot, zwischen sieben und acht, wenn die Kinder noch einmal »ohne Händewaschen« hinaus in die Gärten geschickt wurden. Dann traf man, wenn es dort nichts Besonderes gab, bald auf der Straße zusammen, die hufeisenförmig verlief und nur wenig breiter als eine Fahrspur war. Zu beiden Seiten von einem Trottoir umgeben. Im Sommer – und es musste ja Sommer gewesen sein; höchste Bienenzeit – war es dann vor dem Zubettgehen noch hell, und zwischen den Häusern stand abscheidend ein staubiges Licht. Weit und breit war kein Erwachsener zu sehen. Die Männer schenkten sich das zweite Bier ein, denn der erste Krug war, nach getaner Arbeit, noch in der Kehle verzischt. Jemand hatte seinen Rasen gesprengt, und eine Garbe von dem Gießwasser aus dem Schlauch war auf den Asphalt des Trottoirs gefallen. Dieser Duft war fortan Sommer für mich. Ich hatte mich an einer Hecke zu schaffen gemacht. Vielleicht hatte die Biene sich auf dem warmen Asphalt bloß ausruhen wollen, vielleicht war es aber auch schon September und sie hatte sich dort niedergelegt, um zu sterben. Als ich aus Unachtsamkeit mit nacktem Fuß auf sie getreten war, stach sie mitten in die sie überwölbende Bedrohung hinein.
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So fand mich jammernd, auf dem