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(K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE: Eine offenherzige Autobiografie über ein deutsch-deutsches Leben
(K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE: Eine offenherzige Autobiografie über ein deutsch-deutsches Leben
(K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE: Eine offenherzige Autobiografie über ein deutsch-deutsches Leben
eBook442 Seiten6 Stunden

(K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE: Eine offenherzige Autobiografie über ein deutsch-deutsches Leben

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Über dieses E-Book

Diese Erzählung beschreibt offen und schonungslos den Werdegang des kleinen Manni - an Körper und Seele vom Vater misshandelt und später noch von einem Pädophilen missbraucht -, der mit seiner Mutter aus dem Osten Deutschlands in den Westen floh, während seine Geschwister in die Fänge der Stasi gerieten. Im Laufe seiner Kindheit, die ihn durch verschiedene Flüchtlingslager führte, lebte er mit ständigen Verlustängsten und war bis in die Pubertät auf der Suche nach seiner Identität. Während des Erwachsenwerdens erlebte er die Höhen und Tiefen des Lebens sowie menschliche Abgründe und entrann mehrmals dem Tode. Er durchlebte eine Welt voller Widersprüche und Grausamkeiten, ohne daran zu zerbrechen. Die bildhafte Schonungslosigkeit seiner Beschreibungen ist freizügig, aber stets authentisch.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum14. Nov. 2019
ISBN9783749783038
(K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE: Eine offenherzige Autobiografie über ein deutsch-deutsches Leben

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    Buchvorschau

    (K)EINE DEUTSCH-DEUTSCHE ERFOLGSGESCHICHTE - Fritz Krieg

    Vorwort

    Diese Erzählung beschreibt offen und schonungslos den Werdegang des kleinen Manni – an Körper und Seele vom Vater misshandelt und später noch von einem Pädophilen missbraucht –, der mit seiner Mutter aus dem Osten Deutschlands in den Westen floh, während seine Geschwister in die Fänge der Stasi gerieten. Im Laufe seiner Kindheit, die ihn durch verschiedene Flüchtlingslager führte, lebte er mit ständigen Verlustängsten und war bis in die Pubertät auf der Suche nach seiner Identität. Während des Erwachsenwerdens erlebte er die Höhen und Tiefen des Lebens sowie menschliche Abgründe und entrann mehrmals dem Tode. Er durchlebte eine Welt voller Widersprüche und Grausamkeiten, ohne daran zu zerbrechen. Die bildhafte Schonungslosigkeit seiner Beschreibungen ist freizügig, aber stets authentisch.

    Einleitung

    Schon von Weitem hörte man das tiefe und monotone Brummen, das sich unaufhaltsam der Stadt näherte. Und dann war er da! Das Dröhnen der Propellermotoren des Bombers, der nur wenige Meter über den teils zerstörten Häuserschluchten Berlins hinwegflog und diese in ihren Grundfesten erzittern ließen, sodass man meinte, sie könnten jeden Moment einstürzen, ebbte langsam ab und verlor sich in den Straßen der geschundenen Stadt. Die nackten Gerippe der Ruinen streckten anklagend ihre Finger in den Himmel.

    Hier und da sah man vereinzelt Menschen zwischen den Schuttbergen umherirren, um ihren Tagesgeschäften nachzugehen. Manch einer richtete noch ängstlich seinen Blick nach oben, eingedenk des Infernos, als die Bomber zu Hunderten hoch am Himmel im Minutentakt ihre tödliche Fracht über der Stadt entluden … damals, fast immer nachts, als die Lichtfinger der Scheinwerfer ihre Ziele zu erfassen versuchten und die Flakbatterien ihre Granaten in den Himmel schickten, während in der Stadt selbst ein Flammeninferno wütete und das grauenhafte Geheul der Sirenen die angsterfüllten Menschen in die Luftschutzbunker trieb …

    Dieser Bomber flog so tief, dass man den Piloten in seinem Cockpit sehen konnte. Doch diesmal blieben die Bombenschächte geschlossen und entließen keinen alles vernichtenden Bombenhagel. Schon lange standen keine Menschen mehr vor ihren noch teils zerstörten Häuser im Herzen der Stadt und winkten voller Freude, Enthusiasmus und Dankbarkeit dem Bomberpiloten zu, wohl wissend, dass dieser mit jedem Flug sein Leben aufs Spiel setzte. Auch wurden jetzt keine Fallschirmchen mit Schokolade oder anderen Süßigkeiten von dem Piloten aus dem Cockpitfenster geworfen, worauf sich insbesondere die Kinder gestürzt hatten. Nur vereinzelt schauten noch erwartungsvolle Kinderaugen hoch, in der Hoffnung eines dieser Schirmchen zu erhaschen. Aber es gab sie nicht mehr. Es waren die sogenannten Rosinenbomber, auf die sie sehnsüchtig warteten. – Einer der Bomber hatte kurz vor Weihnachten für die Bäckereien in der eingeschlossenen Stadt Rosinen geladen und seither hießen diese Versorgungsflieger Rosinenbomber.

    Es war alles ein wenig ruhiger geworden. Die Angst der Menschen, zu verhungern oder im kommenden Winter zu erfrieren, weil es nichts zu Essen oder keinen Brennstoff mehr gab, wich der Hoffnung, weiterleben zu dürfen. Trotzdem flogen nach wie vor die Flugzeuge in die Stadt, um die so dringend benötigten Güter für die notleidende Bevölkerung Berlins aus ihren Bäuchen zu entladen. Jetzt jedoch nicht mehr im Minutentakt, wie Anfangs, denn die westlichen Alliierten hatten die Berliner Luftbrücke im Mai 1949 offiziell für beendet erklärt, sodass jetzt nur noch Vorräte für die nächsten zwei Monate eingeflogen wurden. Es gab nur drei Flugkorridore nach Westberlin, die die Versorgungsmaschinen nehmen konnten, zu den Flughäfen Tempelhof, Tegel und Gatow.

    Am 30. September 1949 stellten die Alliierten die Flüge ein. Die Land- und Wasserwege in die Stadt wurden von den Sowjets wieder geöffnet. Die Berlin-Blockade war beendet und die Menschen im Westteil dieser geteilten Stadt konnten wieder mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Nicht so die Menschen in der anderen Stadthälfte und schon gar nicht in der gesamten restlichen Ostzone Deutschlands.

    Wenige Monate später kam ich auf die Welt. Nein, nicht in Berlin, sondern in einem klitzekleinen Dorf am Rande der thüringischen Kleinstadt Weimar im Osten Deutschlands. Während der Doktor verzweifelt versuchte, meine Herztöne zu vernehmen, beteuerte meine Mutter unter Tränen, dass ich leben würde. Sie spürte es doch. Kaum war er weg, wanderten meine Füßlein von innen ihren Bauch entlang. Dieses Spiel trieb ich so oft, dass der Doktor meinte, die Schwangerschaft abbrechen zu müssen. »Entweder sie oder ich«, war der eindeutige Tenor des Doktors. Meine Mutter blieb stur und so kam der Tag, da ich mithilfe der Hebamme das Licht der Welt erblickte.

    Viel weiß ich nicht von meinem Heimatdorf, denn als ich zweieinhalb Jahre alt war, zogen meine Eltern nach Weimar in ein kleines Häuschen am Rande der Stadt.

    In Berlin selbst wohnten meine Großeltern, im Stadtteil Alt-Moabit, im Westsektor – also im Westen! Und von ihnen sollte auch einiges in meinen Erinnerungen haften bleiben. Von den Problemen der Menschen in der sowjetisch besetzten Zone, die sich jetzt Deutsche Demokratische Republik (DDR) nannte, ahnte ich noch nichts. Trotzdem beginne ich an diesem Punkt mit meinen Erinnerungen.

    Das erste Abenteuer

    Es war einmal ein kleiner Junge. Der verstand die Welt so, wie sie sich ihm darstellte, nämlich ganz normal … So fangen alle Märchen an, nur mit dem Unterschied, dass dies hier kein Märchen ist. Der Knirps wurde kleener Manni gerufen und das nicht ohne Grund. Klein war er und gerade mal drei Jahre alt. Er besaß eine außergewöhnliche Leidenschaft – Busfahren, oder besser gesagt: Fahren überhaupt.

    Und so passierte, was passieren musste: Eines Tages war er plötzlich verschwunden, einfach so! Es begann eine stundenlange Suche seiner Mutter und Geschwister; erst im Haus, dann ums Haus herum … Die Suche wurde immer weiter ausgedehnt, Nachbarn wurden befragt, doch niemand wusste, wo der Knirps abgeblieben war. Abends entschloss man sich, die Polizei um Hilfe zu bitten.

    Währenddessen vergnügte der Bub sich beim Busfahren. Damals gab es noch diese großen O-Busse, die mit Stangen an der elektrischen Oberleitung verbunden waren. In strengen Wintern knitschte und knisterte es zwischen den Verbindungen von Stangen und Oberleitungen, wenn der elektrische Kontakt kurz unterbrochen wurde. Die O-Busse hatten vorne und hinten jeweils einen Ein- und Ausstieg und durch einen davon ist er hineingeschlüpft. Wie es der Junge schaffte, allein zur Haltestelle zu kommen, die mindestens einen oder anderthalb Kilometer von zu Hause entfernt war, bleibt bis heute ein Rätsel. Der Busfahrer fand den Jungen am Ende des Tages, gegen Mitternacht, zusammengerollt wie ein Embryo schlafend auf einem der hinteren Sitzplätze. Er hatte ihn von vorne nicht sehen können, weshalb der Kleine so lange unentdeckt blieb und Runde um Runde durch die Stadt fuhr, immer hin und her. Tja, nun hatte der Spaß sein Ende gefunden. Erstaunt über seinen Fund und etwas hilflos, was er damit anfangen sollte, nahm der Busfahrer vorsichtig das kleine Bündelchen und trug es ins Zentralgebäude.

    Zu Hause ging dann der erlösende Anruf ein, der kleene Manni könne auf dem Polizeirevier abgeholt werden. Bei Ankunft der Mutter lag Manni auf einer Bank, zugedeckt mit einer Uniformjacke, und schlief tief und fest. Der Schlaf des Gerechten hatte ihn übermannt. Vermutlich war die große Stulle schuld, die er zuvor von einem der Polizisten erhalten hatte. Die paar Schlucke Tee aus der Thermoskanne des Mannes gaben ihm dann dem Rest, schließlich gab es im Bus ja nichts zu futtern. Der hilfsbereite und mitfühlende Polizist würde nun sicher bis Dienstende hungern müssen.

    Für den kleinen Manni war das alles normal, wollte er doch nur seiner heimlichen Leidenschaft frönen. Sie sollte ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr verlassen.

    Dieser Ausflug geschah im Ossi-Land, Anfang der 50er-Jahre, und ich kenne sie nur aus der Erzählung meiner größeren Geschwister. Nun kommen meine eigenen Erinnerungen.

    Weimar

    Wir wohnten in einem Häuschen am Rande einer Kleinstadt. Diese lag in einem größeren Talkessel, umgeben von sanften Hügeln, weiten Feldern und jeder Menge Wäldern. Stadtauswärts gab es auch einen markanten Berg, der sich vom Stadtrand aus erstreckte. Wir, das waren meine Schwester Ilse und mein fast drei Jahre älterer Bruder Roland. Mein dreizehn Jahre älterer Bruder Hajo wohnte nicht mehr bei uns zu Hause. Manchmal kam er zu Besuch und dann hatten wir viel Spaß. Er kam nur, wenn mein Vater nicht zu Hause war, und das aus gutem Grund.

    Vor und hinter dem Haus befand sich jeweils ein Garten, der hintere war sehr groß. Dort standen zwei Pappeln und eine riesengroße Tanne, welche bis über den Hausgiebel reichte. Dort konnten wir den Vögeln zuschauen. Die rechte Seite des Gartens säumten hohe Sträucher. Hier fühlten sich die Piepmätze besonders wohl, waren sie doch vor den verschiedenen Räubern gut geschützt. Auch das eine oder andere Nest fand sich darin. Es war ein einziges Kommen und Gehen unserer gefiederten Freunde. Den ganzen Sommer über begleitete uns ihr Gesang und erfüllte unsere Herzen mit Frohsinn. Manches Mal mussten wir auch ein Junges, das aus dem Nest gefallen war, seiner Mama zurückbringen, oft auf abenteuerliche Weise, weil das Nest nicht so leicht zu erreichen war, aber wir schafften es immer.

    Wenn der Winter sein weißes Kleid über die Landschaft ausbreitete und unsere kleine Welt in Zuckerwatte packte, freuten wir uns ganz besonders, weil wir dann unseren Gartenbewohnern am nächsten kamen. Bei klirrender Kälte saßen sie dick aufgeplustert im Geäst der Bäume, um ihren Energiehaushalt zu regeln, damit sie nicht erfroren. Besonders in dieser Zeit legten wir immer etwas mehr Futter aufs Fensterbrett und wunderten uns über die Vielzahl verschiedener Wintergäste, die sich zum Greifen nahe auf dem Fensterbrett tummelten. Freilich waren die verschiedenen Meisenarten in der Mehrzahl, aber auch der Dompfaff oder Gimpel, wie wir ihn bezeichneten, fehlte nicht. Auch einige Grünfinken waren vertreten. Die Spatzen dagegen waren eine freche Bande. Sie hatten nur vor den Elstern oder dem Gimpel Respekt. Gelegentlich gelang es einem Eichhörnchen, von der Tanne aufs Fensterbrett zu springen. Das war dann unser Star. Es durch die Gardine beim Fressen zu beobachten, erfüllte unsere Kinderherzen mit grenzenloser Freude. Es war einfach spannend zuzuschauen, wie sie die Nussschalen knackten. Ich als Kleinster bekam den besten Platz. Sie sahen wirklich putzig aus … und dann der buschige Schwanz, den sie beim Rumrennen und Springen zum Steuern brauchten. Er wackelte ununterbrochen hin und her, außer wenn sie auf ihren Hinterbeinen saßen und versuchten, eine ganze Walnuss zu knacken. Dann stand ihr buschiger Schwanz in die Höhe und schützte sie vor den eisigen Winden. Manchmal schälten sie ein paar Erdnüsse und dann stopften sie sich die Backen voll, um sofort mit einem Satz in der Tanne zu verschwinden. Manchmal opferten wir ein paar Wal- und Haselnüsse, die von einem Einkauf aus Westberlin stammten, wo Oma und Opa wohnten. Wenn sie nicht gerade futterten, waren sie ununterbrochen in Bewegung, zuckten hecktisch hin und her. Jedes Mal überfiel uns Traurigkeit, wenn sie mit einem riesigen Sprung in der Tanne landeten, den Stamm hochflitzten und nicht mehr zu sehen waren. Nur noch der herunterrieselnde Schnee kündete davon, dass dort im Baum noch Leben war. Ach, war das schön anzuschauen. Wir vergaßen rundum alles, denn schließlich war das unser Heimkino und manchmal stritt ich mit Roland um den besten Fensterplatz.

    Spannend wurde es immer dann, wenn Hajo wieder einen neuen Waldvogel für seine Voliere fangen wollte, eines seiner wenigen Hobbies. Also wurde ein kleiner Käfig aufs Fensterbrett gestellt, mit etwas Futter bestückt und die offene Tür mit einem Bindfaden versehen. Dieser führte durchs angelehnte Fenster. Jetzt hieß es warten. Das waren spannende Momente, weil ja auch unerwünschte Kandidaten hineinflogen. War dann der richtige Vogel drin – Zack! – wurde am Bindfaden gezogen und schon saß der gefiederte Geselle im Käfig fest.

    Ein andermal, im Winter, gingen wir ins nahegelegene Gehedrich, das war so ein kleines Wäldchen am oberen Ende des Schanzengrabens. Dort baute er eine andere Vogelfalle: Er grub ein Loch in den Waldboden, 25 mal 25 Zentimeter im Quadrat und etwa 20 Zentimeter tief, legte reihum alles mit kleinen Brettern aus und streute Futter hinein. Mit ein paar Stöckchen wurde schräg oben ein Fallbrett befestigt und ein Stöckchen ragte frei in das Karree hinein. Das war ein einfacher Mechanismus. Flog ein Vogel dort hinein, um zu fressen, berührte er zwangsläufig das Stöckchen und der Deckel fiel herunter. Dann musste man ihn nur noch vorsichtig herausholen. Für uns Kinder war das immer eine spannende Sache. Wir versteckten uns in einiger Entfernung hinter Bäumen und warteten voller Spannung, ob da endlich mal ein Vögelchen reinfliegen würde und ob es auch das richtige wäre. Immer klappte das natürlich nicht und viele falsche Vögel wurden wieder freigelassen. Dann ging das Spiel von vorne los. War der richtige Kandidat gefangen, kam er in den kleinen Vogelbauer und wir machten uns auf den Heimweg. Die Falle entfernte mein Bruder vorher. Oft waren wir danach durchgefroren und hatten eiskalte Hände und Füße, unsere Wangen jedoch glühten vor lauter Aufregung. Und da war noch die Rotznase, aber dafür gab´s ja den Jackenärmel. Daheim in der warmen Stube erzählten wir Mama voller Begeisterung unser Abenteuer, während heißer Tee uns von innen wärmte. Manchmal gab es auch eine Tasse Kakao oder so ein Instant-Getränk aus dem Westen.

    Erwähnen möchte ich noch, dass mein Bruder bei seinem Hobby extrem umsichtig war. Ich selbst habe niemals in meinem Leben versucht, frei lebende Waldvögel zu fangen.

    Einen alten Hühnerstall hatten wir auch, aber leben mussten die hinterm Haus, nebst Stallhasen, die wir natürlich zu gegebener Zeit aufgegessen haben. Gelegentlich ging es einem Huhn an den Kragen. Das machte zumeist der Nachbar, der uns gegenüber wohnte. Das Schlachten selber war nämlich eklig. Das Fangen des Hühnchens dagegen musste generalstabmäßig durchgeführt werden, liefen die doch frei im Garten herum. Es musste eingekreist und in eine Ecke des Zaunes bugsiert werden. Der am nächsten stand hatte dann leichtes Spiel. Das arme Ding wurde an beiden Beinen gepackt, drei- bis viermal kräftig in der Luft herumgewirbelt, dass es vor Schreck erstarrte, und dann mit dem Kopf auf den Hackstock gelegt. Zack! Schon war die Rübe ab. Wenn man es dann aber versehentlich losließ, flatterte es, im wahrsten Sinne des Wortes, kopflos im Garten umher, bis es tot umfiel. Ein etwas makabres Schauspiel, aber für uns Kinder recht abenteuerlich. Wir freuten uns immer auf diese Mahlzeit, weil immer nur wenig Fleisch auf den Tisch kam.

    Der hintere Garten diente uns weitestgehend zur Selbstversorgung. Jede Menge Obstbäume – verschiedene Apfelsorten, Birnen, Kirschen – und viele Beete mit angebautem Gemüse sicherten uns ausreichend Vitamine für den Winter. Es wurde eingekocht und eingelagert und immer wurden wir Kinder bei der Herstellung miteinbezogen. Im Keller wurden auf langen Regalen die Winteräpfel gelagert. In Kisten mit Sand wurden die Möhren aufbewahrt.

    Aber das war ja nicht genug. Nach der Kartoffelernte durften einige Familien, die den Bauern gut kannten, nachklauben, wie es so schön hieß. Das brachte für den Winter so ein oder zwei Zentner zusätzliches Futter. Das Ganze wiederholte sich im Spätsommer nach der Getreideernte, wenn wir Ährenstoppeln durften. Das waren die Ähren, die der Mähdrescher nicht erfasst oder verloren hatte. Für uns Kinder war das schlimm, denn wir holten uns an den Stoppeln blutige Füße, egal wie sehr wir aufpassten.

    Was noch ekliger war als das Stoppeln, war die grässliche Haferflockensuppe, die es oft gab. Es gab sie in allen möglichen Variationen, mal süß, mal mit Brot und Rosinen (natürlich aus dem Westen) und immer mit Milch. Manchmal schmeckte das Ganze auch verbrannt, wenn es mit Zwiebeln zubereitet wurde. Das Schlimme daran waren die verdammten Spelzen, die oft im Zahnfleisch steckenblieben und tagelang Probleme bereiteten, manchmal sogar Zahnfleischentzündungen hervorriefen. Noch heute hasse ich Haferflocken, genauso wie diese eklige Froschaugensuppe, wie wir sie nannten. Graupen müssen das wohl gewesen sein. Die Brotsuppe mit Milch und Rosinen dagegen mochte ich sehr. Es lag wohl am Zucker oder den Rosinen aus dem Westen, die sich darin befanden. Im Großen und Ganzen konnten wir uns als Selbstversorger bezeichnen, aber es reichte nicht, um über die Runden zu kommen. Doch es gab ja noch die Lebensmittelmarken. Ich habe niemals Hunger gelitten. Wir Kinder aßen einfach alles, was uns zwischen die Zähne kam, am liebsten roh: Gurken, Tomaten, Möhren, Weißkohl und, was uns besonders schmeckte, die Herzen des Wirsingkohls. Diese klauten wir mit Vorliebe auf dem Weg zur Schule, weil dieser an einigen Feldern vorbeiführte. Manchmal war es auch eine rohe Kartoffel, obwohl die geschmacklich nicht so toll waren. Bei diesem Mundraub hatten wir natürlich nie Wasser zur Hand, was zur Folge hatte, dass wir eine Menge Dreck mitaßen. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir niemals (auch heute noch nicht) an irgendwelchen Allergien litten. So was war uns völlig unbekannt. Vielleicht lag es auch daran, dass wir den ganzen Sommer über barfuß herumliefen, auch wenn es regnete. Keine Pfütze wurde ausgelassen. Heute sagt man: Dreck macht Speck

    Bei ganz starken Regenfällen konnten wir in den Rinnsteinen unsere selbst gebastelten Schiffchen mit der Regenflut die Straße hinunterschwimmen lassen. Das machte so richtig Spaß!

    Zwischendurch, in der entsprechenden Jahreszeit, gingen Roland und ich immer wieder auf Diebestour. Besonders geeignet waren dafür die LPG-eigenen Plantagen (LPG = Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft). Die waren nur zwei bis drei Kilometer von unserem Haus weg und nicht bewacht, weil niemand auf die Idee kommen würde, LPGs der DDR zu bestehlen. Wir schon! Es ging dabei nicht ums Überleben, vielmehr war alles ein großes Abenteuer: ausspähen, anschleichen und auf dem Bauch robbend rein in die Erdbeerplantage. Da es zur damaligen Zeit keine Plastiktüten gab und andere Behältnisse nur verdächtig gewesen wären, dienten unsere Unterhemden als Transportmittel; effektiv, aber nicht sehr hygienisch. Bei Muttern hätte es Backpfeifen gehagelt, aber Schwesterlein half uns jedes Mal aus der Bredouille. Na ja, nicht ganz ohne Eigennutz. Schließlich konnte man Erdbeeren nicht so einfach kaufen. Solche Produkte gingen nur in die Großstädte oder an die höchsten Mitglieder des Zentralkomitees der SED. Diese Bonzen mussten auf nichts verzichten und lebten wie die Maden im Speck des Arbeiter- und Bauernstaats.

    Im Wechsel der Jahreszeiten gab es dann mal ein paar Kohlköpfe, Gurken, Erbsen und manchmal eben auch ein paar Wirsingherzen. Auf Erbsen waren wir besonders scharf. Sie schmeckten meisten so gut, dass wir gar nicht erst versuchten, sie aus den Schoten zu pulen: Waren die Schoten noch grün und saftig, verschlangen wir sie gleich als Ganzes. – Einfach köstlich!

    Obst hatten wir selbst reichlich im Garten. Was wir jedoch nicht hatten, waren Walnüsse, und die gab es auch bei der LPG. Es waren richtig große Bäume und meistens prallvoll mit herrlichen Nüssen. Natürlich konnten wir nicht warten, bis sie reif waren, da würden die sie ja selbst ernten. Das war jedes Mal ein Krimi, denn einmal hätten sie uns beinahe erwischt; just in dem Moment, als wir ganz oben im Baum saßen und verzweifelt versuchten, nicht zu atmen. Unsere Herzen schlugen bis in den Hals hinauf und manchmal hätten wir vor lauter Angst beinahe in die Hose gemacht. Waren sie weg, füllten sich auch hier unsere Unterhemden, aber wesentlich schneller als sonst. Dann nichts wie los! Zu Hause hatten wir einen großen Balkon zur Südseite hin, der von einer Hausecke zur anderen reichte; dort breiteten wir unsere Beute zum Trocknen aus. Sehr bald wurden die grünen Schalen braun, platzten auf und dann konnten wir sie schälen. Das gab vielleicht braune Finger! Danach die Nüsse noch ein paar Tage in der Sonne trockenen lassen und – voilà! – sie schmeckten einfach herrlich. Mama erzählten wir irgendeine wilde Geschichte über ihre Herkunft, aber letztendlich war nur wichtig, dass wir Weihnachten herrliche Nüsse auf dem bunten Teller hatten.

    Am wichtigsten waren jedoch die Weihnachtspakete von Oma und Opa aus Berlin. Zu erzählen, welche Köstlichkeiten jeweils auf uns warteten, würde den Rahmen dieser Erzählung sprengen. Es gehört ja auch nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, wie wir vor dem reich geschmückten Weihnachtsbaum standen und der Glanz der brennenden Lichter sich in unseren Kinderaugen widerspiegelte.

    Der Lichterglanz der Kerzen durchflutete das Zimmer, tauchte alles in ein unwirkliches, himmlisches Leuchten und erfüllte unsere Kinderherzen mit Andacht. Christbaumkugeln, Rauschgoldengel, Engelshaar und jede Menge verschiedener Anhängsel nebst Lametta zierten den Tannenbaum; es herrschte eine Atmosphäre, als würde das Jesuskind samt der himmlischen Heerscharen auf die Erde hernieder kommen und gleich im Zimmer erscheinen. Oh du fröhliche, oh du selige … klang es aus dem Plattenspieler. Dann sagten wir ein kleines Gedicht auf, um anschließend das Festessen zu genießen, denn vor der Bescherung kam erst das Weihnachtsessen. Noch heute ist mir unbegreiflich, wo meine Mutter die Köstlichkeiten dafür her hatte. Die anschließende Bescherung war dann der Höhepunkt des Jahres und blieb lange Zeit unvergessen: Als alle gegessen hatten –, und das dauerte viel zu lange, denn unsere Neugierte stieg bereits ins Unermessliche –, durften wir wieder in das wunderschön geschmückte Zimmer gehen. Für jeden von uns lagen kleinere oder größere Geschenkpäckchen unter dem Weihnachtsbaum. Beim Auspacken hatten wir keine Geduld, nur noch Augen für den Inhalt. Mit Spannung und klopfenden Herzen wickelten wir die Geschenke aus und harrten der Überraschungen, die sich gleich enthüllen würden. Zumeist waren es praktische Dinge des Alltages, wie Mützen, Handschuhe oder ein Schal, gelegentlich auch mal ein Spielzeug. Natürlich fehlten die Süßigkeiten nicht. Vieles davon kam aus Westberlin. Schokolade und Marzipanbrote waren der Renner. Auch kleine Tütchen mit den verschiedensten Bonbonsorten. Einfach köstlich! Wir waren so glücklich … Konnte nicht jeden Tag Weihnachten sein?

    Das Ganze spielte sich in einer Kleinstadt im Thüringer Land ab. Die war nicht groß oder gar interessant, im Gegensatz zu den 90ern, als jährlich Tausende dorthin pilgerten, um sich den kulturhistorischen Denkmälern und der weiterführenden Bildung zu widmen. Bereits bevor Weimar 1999 zur Kulturhauptstadt erhoben wurde, war die Stadt ein Ort der kulturellen Begegnung. Schiller und Goethe hatten ihre Spuren hinterlassen. Die Amalia-Bibliothek und auch das Schloss, nebst Belvedere, zogen Bildungshungrige an. In der Musikhochschule studierten junge Menschen aus vielen Ländern. Goethes Gartenhaus im Stadtpark war und ist bis heute ein Besuchermagnet und der alljährliche Zwiebelmarkt im Oktober, den es seit 1653 gibt, platzte aus allen Nähten. An jeder Ecke sah man Besucher, die sich die berühmte Thüringer Rostbratwurst munden ließen. Viele Besucher und Studierende sowie Arbeiter aus den sozialistischen Bruderstaaten tummelten sich hier.

    Das ist so ungefähr der Zeitraum, in dem meine Erinnerungen beginnen, irgendwo ab dem vierten oder fünften Lebensjahr. Ich erhebe keinen Anspruch auf chronologische Richtigkeit, da ich hier keine Autobiografie zum Besten geben will. Also bitte ich um Nachsicht, wenn zwischen dem Erlebten und meinen Erinnerungen größere oder kleinere zeitlich Ungenauigkeiten auftreten. Vielmehr liegt der Schwerpunkt auf der Rückbesinnung in meine früheste Kindheit und dem Erlebten, welches für mich am einprägsamsten war und sich unauslöschlich in meinem Gedächtnis manifestierte. Gleichzeitig war dies auch der Beginn vieler schlimmer Momente, die mein weiteres Leben prägen sollten. Und es soll auch nicht der Eindruck erweckt werden, dass das als Entschuldigung für mich und meine spätere Entwicklung dienen soll. Ich möchte mich nur erinnern und was davon noch in meinem Kopf ist zu Papier bringen. Wertfrei und ohne jegliche Schuldzuweisungen, falls das möglich ist. Gewisse Kommentare zum früheren oder neueren Zeitgeschehen kann ich mir dennoch nicht verkneifen. Es war ja nicht alles schlecht in meinem Leben. Aber auch die schönen Momente sollen hier nicht zu kurz kommen. Dabei möchte ich so authentisch wie möglich berichten, wie ich das alles empfunden habe. Tabus gibt es keine. Ich schreibe alles auf, lasse nichts wegen eventueller moralischer Bedenken weg – passiert ist passiert! Alles andere macht für mich keinen Sinn.

    Aber jetzt kommt erst mal was Nettes …

    Mein ganz großer Bruder Hajo war wieder mal zu Besuch. Wir alberten rum und machten irgendwelche Spielchen. Zum Beispiel sollten wir die kleinen Silberkugeln aus seiner Hand nehmen, die darin herumrollten. Wer das schaffte, bekam ein Bonbon. Wir hatten aber keine Chance. Es war fies, weil das, was da in seiner Hand lag, Quecksilberkügelchen aus einem Fieberthermometer waren. Aus lauter Frust schlug ich ihm die Kügelchen aus der Hand und ihm ins Gesicht. Die Folge war, dass er mich verkloppen wollte; das Zeug war schließlich hochgiftig. Also nahm ich meine kleinen Beine in die Hand und sauste die Treppe runter, Hajo mir hinterher. Und nun passierte das, was mich veranlasste, Stunden in dem verdammten stinkenden Hühnerstall zu verbringen. Der war zwar abgeschlossen und Mutter hatte den Schlüssel irgendwohin gelegt, aber der Ein- und Auslass war für mich groß genug, um hineinzukriechen. Mein Bruder war mir also so dicht auf den Fersen, dass ich hinter mir die Tür zuschlug – er lief mit vollem Karacho in sie hinein. Zu allem Unglück war die Tür mit wunderschönen Buntglasscheiben ausgestattet. Es gab ein mordsmäßiges Klirren und Scheppern, da wusste ich, was die Stunde geschlagen hatte. Also blieb ich bis zum Abend, wenn Mutter nach Hause kommen würde, in dem Verschlag. Mein Bruder hatte sich wieder verdünnisiert und ich beteuerte unter Tränen, an dem Unglück keine Schuld zu haben. Man glaubte mir. Es hat schon seine Vorteile, wenn man das Nesthäkchen ist.

    Ein anderes Mal, als mein Vater auf der Baustelle war, kam Hajo wieder zu Besuch. Der Eklat vom letzten Mal war vergessen. Auch war sein Zorn verraucht, denn wir liebten uns sehr. Ich wartete stets mit Ungeduld auf seinen Besuch, weil dann immer was los war. Da mein Vater viele Baustellen hatte, war er in der glücklichen Lage, über ein Auto zu verfügen. Er war abgeholt worden, weswegen sein Opel P4 auf der Straße vorm Haus stand. Eigentlich war es nur ein Schotterweg, er endete ein Haus nach dem unseren. Hier wohnten nur Nachbarn, die wir alle kannten, weshalb Papas Auto nie abgeschlossen war. Jetzt war mein ganz großer Bruder da und los ging´s! Alle eingestiegen, einen Nagel ins Zündschloss gesteckt und schon sprang der Motor an. Wie er das nun genau gemacht hat, weiß ich nicht mehr, nur die Spritztour blieb in meiner Erinnerung haften. Die war einfach nur der Hammer und das Größte daran war: Mein Vater hat es nicht bemerkt. Nach der Fahrt saßen wir noch in der Küche zusammen und Hajo erzählte uns aus seinem Leben. Es war wirklich kein schönes, manches Mal traten uns Tränen in die Augen. Währenddessen arbeitete Mama wieder in der Spätschicht im Restaurant. Die Gelegenheiten, zu in denen wir vier Geschwister zusammen sein konnten, waren selten und verliefen meist harmonisch, denn wir hatten uns alle lieb. Oft weinte ich, wenn Hajo wieder gehen musste.

    Dann, um einiges später in meinen Erinnerungen, waren da noch die Russen. Für mich als kleinem Knirps waren die Russen und ihre riesigen Lkws von besonderem Interesse. Sie kamen in einem Lastwagenkonvoi von der nahegelegenen Kaserne, die etwas außerhalb der Stadt lag, hierher zur Großwäscherei. Die befand sich gegenüber der Kirche und direkt an unserem Flüsschen, der Ilm. Die Fahrer waren stets Soldaten niederen Ranges, mit grün-braunen Uniformen: Hose, lange Hemdjacke mit einer Koppel außen rum, der hinten die typischen Falten warf, und dazu die unförmigen Stiefel. Das obligate schrägsitzende Schiffchen auf dem Kopf fehlte nie. Grundsätzlich wurden sie von einem höheren Dienstgrad begleitet, so in richtiger Uniform mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. Das war wohl der Capo von dem Verein. Wir nannten sie der Einfachheit halber Offiziere. Meistens waren es drei oder vier, weil die Lkw-Kolonne mindestens aus fünf Autos bestand. Die gemeinen Soldaten durften mit uns Kindern keinen persönlichen Kontakt haben, die Offiziere dagegen schon.

    Wir warteten ungeduldig, bis sie kamen, um die Lkws zu stürmen. Während die gemeinen Mannschaften abluden, standen die Offiziere draußen rum und rauchten eine Zigarette. Das waren schon richtige Filterzigaretten, während die gemeinen Soldaten diesen stinkenden Tabak, Machorka, rauchten. Gedreht wurde das Zeugs meistens in Zeitungspapier. Die stanken schon von Weitem. Das war unser Moment! Wir hatten zu den Offizieren ein besonderes Verhältnis. Sie versorgten uns Kinder mit Süßigkeiten, Schokolade, manchmal ein paar Groschen und … mit diesen kleinen roten Sternchen, die sie an ihren Pelzmützen trugen. Die hatten sie nur im Winter auf. Wir durften auf ihrem Schoß sitzen, das riesige Lenkrad drehen und so tun, als würden wir fahren. Manchmal durften wir auch ein paar Meter mitfahren. Meistens redeten sie nur Russisch, aber einige Offiziere sprachen ein wenig Deutsch und erkundigten sich, wie es uns Kindern so ginge und was wir den lieben langen Tag machten, ob wir auch noch Eltern und Geschwister hätten, noch in den Kindergarten oder schon zur Schule gingen. Mehr an Konversation mit ihnen war nicht möglich – leider.

    Am Allerwichtigsten aber waren für mich die kleinen roten Sterne. Sie waren die ideale Handelsware, um Zinnsoldaten oder andere Sachen dafür einzutauschen. Manchmal konnte ich so einen Kreisel eintauschen, den man mittels einer Peitsche zum Tanzen bringen konnte. Das klappte nicht sofort, aber wenn man den Dreh raushatte, tanzte er auf dem Asphalt lustig vor sich hin. Wenn er zu schwächeln begann, gab`s ein paar Peitschenhiebe extra. Sogar ein paar Runden mit einem alten Tretroller waren drin. Ich hatte es schon vergessen, aber jetzt erinnere ich mich, dass es da einen alten Tretroller gab, der mich oft am Fuß verletzte; bei den Hinterrädern standen die Schrauben nämlich so weit raus, dass man dauernd dran stieß und dann floss Blut.

    Die Russen waren jedenfalls ziemlich hilfreich bei unseren Tauschgeschäften. Wir mochten sie, weil sie so nett waren und es jedes Mal ein Abenteuer für uns Steppkes darstellte. Es gab auch niemals sexuelle Übergriffe, wie die meisten Eltern dachten. Es waren in der Regel russischen Offiziere, die schon jahrelang in Ostdeutschland stationiert waren und von ihren Familien getrennt leben mussten. Wir Kinder waren für sie ein Stück Heimat, Familie, geliebte Kinder, welche sie so sehr vermissten, nichts anderes sahen sie in uns. Die Sehnsucht nach ihren Liebsten zu Hause übertrugen sie auf uns Kinder und wir vermittelten ihnen ein kleines bisschen das Gefühl von Zuhause.

    Anders verhielt es sich mit den Frauen in unserer Stadt. Es gab viele Gerüchte über Übergriffe durch russische Soldaten, aber auch, dass diese umgehend entfernt wurden und ihr weiteres Schicksal weitestgehend im Dunkeln blieb. Selbst Offiziere waren mitunter plötzlich verschwunden. Dass die russische Militärpolizei, die MP nicht zimperlich war, konnte ich viele Jahre später mit eigenen Augen sehen, als ich zu Besuch in meiner Heimatstadt war. Hier gab es ein Nobelhotel, in dem die höheren Kreise verkehrten und insbesondere die der Russen. Jede Menge Offiziere und auch höhere Ränge. Ich stand zufällig auf der anderen Straßenseite, weil ich zum Bus wollte, als ein LKW vorfuhr, russische MPs ausspuckte und das Hotel stürmte. Es gab einen Mordskrach und schon kamen sie wieder heraus. Im Schlepptau, teils gefesselt, teils halb ohnmächtig, wurden einige Offiziere auf den Laster verfrachtet und der ganze Spuk war auch schon wieder vorbei.

    Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch erwähnen, dass einige Kilometer von der Russenkaserne entfernt ein ehemaliges Konzentrationslager war. Es lag einige Kilometer stadtauswärts. Eine Straße führte an den Kasernen vorbei und weiter bergauf durch dichten Wald. Hitlers SS hatte es 1937 als reines Arbeitslager konzipiert und es bestand bis 1945. Untergebracht wurden dort politische Gegner des Nazi-Regimes, Kriminelle und sogenannte Asoziale, Juden, Homosexuelle, sogar Zeugen Jehovas. Erst mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden Menschen aus den verschiedensten Ländern interniert. Insgesamt ging man von 260.000 Gefangenen aus, wovon bis zum Ende des Lagers ca. 56.000 Menschen umkamen. Das Motto hieß Vernichtung durch Arbeit! Der Patenonkel meiner Schwester wurde kurz vor Kriegsende ebenfalls dorthin verbracht und kam dort um – er hatte sich geweigert, der Gestapo Namen preiszugeben. Das erzählte mir Ilse, die sich noch genau daran erinnern konnte. Anfang 1945 wurde das Lager auch zur Endstation für Todesmärsche aus Auschwitz und Groß-Rosen. (Kurz vor der Befreiung des Lagers durch die 3. US-Armee Mitte April 1945 versuchte die SS, das Lager zu räumen und schickte 28.000 Häftlinge auf die Todesmärsche.) Noch heute gibt es dort die Blutstraße. Weil die Amerikaner nicht glauben konnten, dass die Bewohner der Stadt angeblich nichts von dem Lager mit all seinen Gräueln wussten, wurden ca. 1000 Bürger gezwungen, das Lager persönlich anzuschauen. Sie mussten diese ausgemergelten Menschen und die überall herumliegenden Leichenberge ansehen. Auch ich habe sehr viel später Filmmaterial darüber gesehen. Es war schrecklich. Was Menschen anderen wegen einer fehlgeleiteten Ideologie anzutun im Stande waren, ist mir immer noch unbegreiflich. Jetzt, über 50 Jahre später, musste ich feststellen, dass sich nichts geändert hat. Das Morden geht unvermindert auf die eine oder andere Weise weiter. Bereits nach Ende des Krieges 1945 wurde dieses Lager jedenfalls von den Sowjets als Internierungslager weitergeführt. Bis zu 7.000 Menschen kamen dort um. Das war ab der Zeit, als die Amerikaner Anfang Juli 1945 Thüringen an die Sowjets abtraten. Man nannte es KZ Buchenwald.

    Aber das tangierte mich zu jener Zeit nicht, da ich mit den größeren und kleineren Sorgen des Alltages beschäftig war, so zum Beispiel, wann das nächste Paket meines Vaters, der in den Westen geflohen war, eintraf. Er hatte sich politisch dämlich verhalten und so das Interesse der Stasi auf sich gelenkt. Also flüchtete er eines nachts überstürzt nach Westberlin und ließ uns alle zurück. Ich war natürlich das Nesthäkchen und auch nicht besonders betrübt darüber, hörten doch die Schläge auf, die es sonst für geringfügige Verfehlungen gab. Na ja, er hatte eine preußische Erziehung genossen und wir mussten eben spuren. Im September 1939 heiratete er meine Mutter. Da war er schon Feldwebel bei der Wehrmacht. Spurten wir nicht, und da reichten schon Widerworte, gab es Hiebe. Nicht so primitiv mit einem Stock oder den Händen, das geschah schon effektiver: mit einer Peitsche, an der sieben Lederriemen befestigt waren. Nicht sehr nett, aber ungemein einprägsam. Hieraus resultierte auch meine mangelnde Trauer über seine Flucht in den Westen – nach drüben, wie es allgemein hinter vorgehaltener Hand hieß. Die Zuneigung zum Vater verlor ich so mit Fünf. Ich probierte am Fahrrad meines Vaters aus, was es mit dem Ventil auf sich hatte. Ich schraubte es langsam heraus und freute mich riesig über das Zischen der entweichenden Luft. Dann hatte ich Panik ob des Plattens. Zu diesem Malheur gesellte sich noch der Verlust des Ventils, das ich im hohen Gras verloren hatte. Was sollte ich tun? Ich stellte das Corpus Delikti einfach an seinen alten Platz zurück und tat so, als ginge mich das Ganze nichts mehr an. Aber zu meinem seelischen Verdruss kam nun noch der körperliche hinzu. Das Holzscheit, mit dem mein Vater mich traktierte, hinterließ nachhaltige Spuren, nicht nur an meinem Körper, vielmehr nahm meine kleine Seele Schaden – er hatte gerade seine Peitsche nicht zur Hand. Die Furcht vor meinem Vater hatte sich tief in meiner Psyche manifestiert.

    Ich hatte aus dem Keller von den Äpfeln, die fein säuberlich auf Regalen aufgereiht waren, ein paar geklaut. Da der Keller abgeschlossen wurde, ließ ich zu gegebener Zeit das Kellerfenster offen und wenn die Gelegenheit günstig war, stieg ich von außen ein und bediente mich. Ich liebte Äpfel, auch wenn die von der langen Lagerung schon recht schrumpelig waren. Und das blieb nicht unbemerkt. Zur Strafe wurde ich in den Keller gesperrt. Dort war es natürlich dunkel und der Lichtschalter befand sich außen. Anfangs dachte ich, die holen mich gleich wieder, aber dem war nicht so. Je länger es dauerte, umso mehr kroch die Angst in mir hoch, dass sie mich vergessen würden. Und es dauerte! Ich begann zu frieren, zu zittern und die Angst legte sich wie ein dunkler

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