Martin Luther King - Amerikas Träumer: Ein SPIEGEL E-Book
Von SPIEGEL-Verlag
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Über dieses E-Book
Das E-Book "Martin Luther King", das 20 neue, einordnende sowie zeitgenössische Artikel aus dem SPIEGEL seit 1957 umfasst, vermittelt ein umfassendes Bild von der historischen Figur Martin Luther King und zeigt, die Zeit spiegelnd, wie mächtig und verbreitet die Vorurteile waren, gegen die "Amerikas Träumer" kämpfte.
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Rezensionen für Martin Luther King - Amerikas Träumer
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Buchvorschau
Martin Luther King - Amerikas Träumer - SPIEGEL-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Vorwort
Martin Luther Kings Erbe
Träumer
50 Jahre nach der Ermordung des Bürgerrechtlers: Was bleibt von Martin Luther King?
Obamas Traum
Die Bürgerrechtsbewegung und ihr Blick auf den ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten
„Ihr tötet unsere Kinder!"
50 Jahre nach dem Civil Rights Act: Neue Rassenunruhen in den USA
Sein Leben, sein Werk
Der schwarze Moses
Wie aus dem Baptistenprediger King der Anführer der Bürgerrechtsbewegung wurde
Zwischenfall im Urwald
Wie Martin Luther King Vizepräsident Nixon bei einer Afrika-Reise in Verlegenheit bringt
Nur ein Federstrich
Die Rassenfrage bleibt John F. Kennedys heikelstes innenpolitisches Problem
Tötet sie, tötet sie
Martin Luther Kings Kampagne in Birmingham, der Hochburg der Rassentrennung
„Martin, erzähl ihnen von dem Traum"
Der Marsch auf Washington und die berühmteste Rede
„Ich habe einen Traum"
Auszug aus Kings Rede auf dem „Marsch nach Washington"
„Let my people go!"
Wie Martin Luther King in Ost-Berlin gegen „trennende Mauern der Feindschaft" predigte
Hilfe vom Feind
Selma: Der blutige Kampf für das Wahlrecht
Schwarze Macht
„Black Power" übertönt Kings Aufruf zur Gewaltlosigkeit
Noahs Blöße
Reverend King trifft auf weiße Rassisten in den Kirchen
Alles oder mehr
Bei Protesten in weißen Wohnvierteln Chicagos entgleitet King die Kontrolle
Ein Mord und viele Fragen
Russisches Roulette
Ausschreitungen nach dem Mord an Martin Luther King
Weißer Mustang
Die schwierige Suche nach dem Mörder
Viele Finger
Die fragwürdige Verurteilung James Earl Rays
Black Holiday
Nach Kings Tod beginnt die Heldenverehrung
Wer erschoß Martin Luther King?
Fast drei Jahrzehnte nach der Tat will seine Familie gemeinsam mit dem verurteilten Mörder den Fall neu aufrollen
Martin Luther King im Film
Sweet Home Alabama
„Selma" – der erste, erschreckend aktuelle Spielfilm über Martin Luther King
Anhang
Impressum
Einführung • Einleitung
Vorwort
Martin Luther King hat die Vereinigten Staaten verändert wie kein Schwarzer und wenige Weiße vor ihm. Dabei blieb ihm nur wenig Zeit: Als der Baptistenprediger und Anführer der Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren ermordet wurde, mutmaßlich von einem weißen Rassisten, war er gerade mal 39 Jahre alt. Dieser Martin Luther King war der bis dahin jüngste Mensch, der mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, vier Jahre vor seinem Tod. In seiner Heimat allerdings wurde King verhaftet, bespitzelt, bedroht, immer wieder, weil er eine so schlichte wie revolutionäre Wahrheit aussprach: Die staatliche Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ist durch nichts zu rechtfertigen.
King fand andere, elegantere Worte für diese Wahrheit, er bewegte die Menschen mit seinen Worten und riss sie mit; nur wenige konnten und können so reden wie er. Diese Gabe war es, die ihn zum Anführer des friedlichen Widerstands der Schwarzen machte, zum Prediger einer Nation.
Was würde Martin Luther King sagen, wenn er seine Heimat heute sähe, das Amerika Donald Trumps? King wird verehrt in diesem Amerika, auf einen Sockel gehoben als göttlich-reiner Held, der er nie war. Gleichzeitig kämpft das Land noch immer mit seiner Ursünde, dem Rassismus, der unter Trump wieder offener zutage tritt.
Apropos Rassismus: Schwer zu ertragen ist aus heutiger Sicht die Wortwahl in manchen Artikeln, die der SPIEGEL zu Kings Lebzeiten über diesen veröffentlichte. Vom „Negerführer und „Messias des Negertums
ist da die Rede – ein „gedrungener, fast elegant gekleideter Mann, der „die Masse der Neger
in seinen Bann geschlagen habe. Aufschlussreich ist auch, was der SPIEGEL in den Fünfzigern und Sechzigern in seiner Berichterstattung berücksichtigte und was nicht: Ausführlich berichtet wurde über Rassenunruhen und Gewalt, zum Marsch auf Washington und zu Kings berühmtester Rede, „I have a dream", erschien hingegen keine aktuelle Geschichte. Auch nicht zu seinem Nobelpreis.
Wäre es nicht besser, die alten, in Teilen beschämenden Texte unauffällig im Archiv ruhen zu lassen? Wir haben uns entschieden, trotz allem einige in diesem E-Book zu veröffentlichen, zusammen mit einer Auswahl jüngerer SPIEGEL- und SPIEGEL-ONLINE-Artikel über King, die Bürgerrechtsbewegung und den bis heute währenden Kampf gegen den Rassismus. Denn gemeinsam vermitteln sie ein umfassendes Bild der historischen Figur Martin Luther King – und zeigen, die Zeit spiegelnd, wie mächtig und verbreitet die Vorurteile waren, gegen die King bis zu seinem Tod kämpfte.
Samiha Shafy
Martin Luther Kings Erbe • Ausland
SPIEGEL 13/2018
Träumer
Vor 50 Jahren wurde Martin Luther King ermordet. Er hat sein Land verändert wie nur wenige vor ihm. Doch etwas Entscheidendes fehlte. Von Samiha Shafy
Martin konnte sehr verspielt sein, sagt Andrew Young, 85,
aber so albern wie an jenem Abend habe ich ihn sonst nie erlebt. Ein Lächeln huscht über sein freundlich zerfurchtes Gesicht.
Er hat sich aufgeführt wie ein Zehnjähriger!"
Es war der 4. April 1968, und sie waren im Lorraine Motel in Memphis abgestiegen: Dr. Martin Luther King Jr., sein Mitstreiter Young und weitere Bürgerrechtler; sie wollten einen Protestmarsch von Müllmännern unterstützen.
Der letzte Tag in Kings Leben.
Wenn er an einem Ort erschien, erregte er Aufmerksamkeit. Er hatte in den Jahren zuvor den friedlichen Widerstand der Schwarzen organisiert: gegen die Diskriminierung in Bussen, Restaurants, Wahllokalen. Immer wieder war er verhaftet, geschlagen, bedroht worden. Doch am Ende hatte er die USA verändert wie kein Schwarzer und wenige Weiße vor ihm. Nun hatte er ein neues, noch größeres Ziel: einen gewaltfreien Aufstand der Armen, schwarz und weiß, gegen ihre Ausbeutung.
Andrew Young hatte den Tag am Gericht verbracht, er kämpfte gegen ein Verbot des Marsches. Als er ins Motel kam, saß King mit Freunden im Zimmer, scheinbar beleidigt: Wo warst du? Warum hast du nicht angerufen?
Young wollte antworten, da traf ihn etwas Weiches. „Martin begann einfach, mich mit Kissen zu vermöbeln, erzählt er. „Ich wehrte mich, aber dann stürzten sich die anderen auf mich, sie drückten mich zu Boden und stapelten alle Kissen auf mich. Und Martin war ...
Er stockt. „Martin war so glücklich, wie ich ihn schon lange nicht mehr gesehen hatte."
Warum? Der alte Mann, fein gekleidet mit Sakko und blau-gelber Fliege, hebt die Schultern, als wären sie aus Blei. Wieder und wieder hat er diese Szene durchlitten, die unbeschwerten letzten Minuten vor einer Tragödie, die den Rest seines Lebens geprägt hat – und die Geschichte der USA.
„Martin wusste, dass wir vor Gericht gesiegt hatten, sagt er. „Er war froh und entspannt.
Es war fast 18 Uhr, sie waren zum Dinner eingeladen. Aber King hatte es nicht eilig. Er trat auf den Balkon hinaus, eine Zigarette in der Hand. Young sagt: „Dann hörten wir einen Schuss."
Dieser Teil der Geschichte ist Schulstoff: Martin Luther King, der so fulminant davon erzählen konnte, wie es ist, als Schwarzer in einem rassistischen Land zu leben, dieser Prediger einer Nation, der Menschen inspirierte wie Gandhi oder Mandela, ging zu Boden, tödlich getroffen durch die Kugel eines Weißen, der Schwarze hasste. So banal, so niederträchtig.
Andrew Young sitzt in seinem Büro im dritten Stock des Georgia Public Broadcasting Building in Atlanta und lässt sich noch ein Ginger Ale bringen. Sein Leben ging weiter: Er war Kongressabgeordneter, Botschafter bei der Uno, Bürgermeister von Atlanta. Heute steht er einer Stiftung vor, die seinen Namen trägt. Fotos zeigen ihn mit Muhammad Ali, Jimmy Carter, Barack und Michelle Obama und immer wieder: der junge Young mit seinem Freund, der nur 39 Jahre alt wurde.
Bis heute glauben manche, dass der Mörder, James Earl Ray, nicht allein gehandelt habe – dass das FBI oder andere Mächtige ihm die Hand geführt hätten. King, als 35-Jähriger mit dem Friedensnobelpreis geehrt, war eine Gefahr für die herrschende Ordnung. Seine Gegner in Washington reizte es bis aufs Blut, dass er sich durch Gewalt nicht provozieren ließ, einfach nur unbeirrt seine Wahrheit aussprach: Die staatliche Unterdrückung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe sei durch nichts zu rechtfertigen.
„Ich habe eine Meinung zu alldem, sagt Young, „aber letztlich macht es keinen Unterschied. Es geht nicht darum, wer Martin getötet hat, sondern darum, was ihn getötet hat.
Müde klingt er nun, traurig: „Donald Trump war noch nicht auf der Bildfläche erschienen, aber die gleiche Krankheit, an der heute der Präsident leidet, die gleichen Ängste und Unsicherheiten haben damals zu Martins Tod geführt."
Young hat sein Leben lang versucht, den Weißen ihre Angst zu nehmen. Doch der Rassismus, so glaubt er heute, wurzelt tief im Erbgut des Landes wie ein defektes Gen. „Amerika gründet auf der Annahme, dass Weiß besser sei als Schwarz. Dass Schwarze versklavt wurden, weil sie Weißen intellektuell und moralisch unterlegen seien. Leise, bitter fügt er hinzu: „Das ist nur einfach nicht wahr. Es war nie wahr.
Seit Monaten bereiten sich die USA auf den 4. April 2018 vor, in vielen Städten sind Gedenkfeiern geplant. Hunderte Straßen, Schulen und Kirchen sind nach King benannt, es gibt einen Feiertag zu seinen Ehren, ein gigantisches Monument in der Hauptstadt, und nun, im 50. Jahr nach seiner Ermordung, wird er bei jeder Gelegenheit gepriesen – sogar von Trump.
Es ist, als brauchten die Amerikaner einen schwarzen Nationalheiligen, um sich selbst zu beruhigen. Zerrissen und wund ist das Land, es ringt um seine Seele, vielleicht auch um seinen Verstand. Schwarze Kinder werden in Amerika von Polizisten erschossen, und wer dagegen protestiert, wie mehrheitlich schwarze Footballspieler, besudele die Ehre des Landes; so sieht es der weiße Nationalist im Weißen Haus. Als vergangenes Jahr Neonazis durch eine Stadt marschierten, sagte Trump, einige von ihnen seien „sehr feine Leute".
Ja, Amerika braucht die Erinnerung an Martin Luther King. Aber wer war er wirklich? Und was würde er sagen, wenn er sein Land heute sähe?
Die Suche nach Antworten führt zu Weggefährten wie Andrew Young und Clarence B. Jones, der einst Reden für King schrieb. Sie führt zu Kings Kindern, die in Atlanta sein Vermächtnis hüten. Und zu einer jungen Frau, die heute dämonisiert wird wie einst King: Patrisse Khan-Cullors, eine der Gründerinnen der „Black Lives Matter"-Bewegung.
Die Auburn Avenue in Atlanta ist der Ort, an dem alles begann. Hier kam am 15. Januar 1929 Michael King Jr. zur Welt. Das zweite von drei Kindern von Alberta Williams King, einer Lehrerin, und Michael King, einem Baptistenprediger, der den Reformator Martin Luther verehrte. 1934 reiste Vater King zum Weltkongress der Baptisten nach Berlin, und als er zurückkam, inspiriert, änderte er seinen Vornamen – und auch den des Sohnes.
Ein Spaziergang durch die Auburn Avenue ist eine Zeitreise ins Jahr 1968; Coretta Scott King, die Witwe, sorgte damals dafür, dass die Straße ein Freilichtmuseum wurde. Im selben Jahr noch gründete sie hier das King Center: ein roter Backsteinbau, Museum und Ort für Veranstaltungen. Daneben die Grabstätte des Ehepaars King, aus Marmor und von Wasser umspült.
Nur ein paar Schritte entfernt steht das Haus, in dem Martin Luther King aufwuchs: zwei Stockwerke, hell gestrichenes Holz mit braunen Fensterläden, eine Veranda; die Familie litt keine Not. Vater King predigte in der Ebenezer Baptist Church, und von