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Das Birnbaumhaus: Roman
Das Birnbaumhaus: Roman
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eBook412 Seiten5 Stunden

Das Birnbaumhaus: Roman

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Über dieses E-Book

"Emma ist wie der Birnbaum in ihrem Garten und der Birnbaum ist wie Emma: über Jahrzehnte geformt, trotzig und angepasst zugleich."

Emma wird in den letzten Kriegswochen 1945 schwanger. Hin- und hergerissen zwischen einer alten und einer neuen Liebe heiratet sie schlussendlich Enzo und bekommt ein Mädchen. Je älter die Kleine wird, desto angespannter wird das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. Die Heranwachsende wehrt sich gegen Emmas Angepasstheit und die Enge der Heimat. Dann, am 21. Geburtstag der Tochter, gesteht Emma: Nicht der schüchterne Enzo, sondern der Nazi und Kriegsgewinnler Theo ist ihr leiblicher Vater.

Die Enthüllung stellt die Welt auf den Kopf und scheint die Differenzen zwischen Emma und ihrer Tochter unüberwindbar zu machen.
Wie ein Anker wirkt da der große Birnbaum am Elternhaus, der, beständig und knorrig, die Generationen überlebt.

Ein Roman vom Leben und Älterwerden einer Frau und von den Mühen ihrer Tochter, sie zu verstehen.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum12. Feb. 2018
ISBN9788872836415
Das Birnbaumhaus: Roman

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    Buchvorschau

    Das Birnbaumhaus - Anna Maria Leitgeb

    Nachtrag

    I. Verästelungen

    Die Karte

    Rabstein, Herbst 2010

    Die Sache, von der ich erzählen will, wie soll ich sagen, sie hat alles auf den Kopf gestellt: mein Leben, das Verhältnis zu meiner Mamme, mein Selbstverständnis. Sie hat mich lange Zeit total überfordert. Was genau war, wie es sich zusammenfügte und was es bedeutete, wurde mir nie ganz klar, denn keiner der Beteiligten wollte reden. Nur eines war sicher: Die Mamme hatte ihn geliebt! Sie musste ihn geliebt haben! Der ganze Rest war ein Puzzlestück nach dem anderen aus einer alten Schuhschachtel. Und was mich anging – ein Gerechter käme möglicherweise zum Schluss, ich hätte mich in ihre Fußstapfen begeben, ein prinzipienloses Chamäleon wie sie. Ich könnte es ihm nicht verargen.

    So fing es an. Anfang Jänner 1967 bekam ich eine Karte von Emma. (Ich nannte meine Mutter, seit ich denken konnte, bei ihrem Vornamen, ich kann das nicht genau erklären, aber irgendwie war sie für mich nach dem Bruch mit Enzo nicht die Mamme, die ich mir wünschte.)

    „Liebe Kleine, komm unbedingt heim zu deinem 21. Geburtstag! Bitte sei so gut, tu mir diese Liebe!"

    Ich fragte mich, was sie mir so dringend zu sagen hätte, was nicht auch am Telefon hätte besprochen werden können. War sie krank? Was war passiert? Sie neigte eigentlich nicht zu dramatischen Übertreibungen. Inmitten meiner Abnabelungsphase von alten Bindungen und Mustern versetzte mich der Gedanke einer irgendwie auseinanderfallenden Mutter in unangenehme Gefühlswallungen. Zudem, das sage ich frei heraus, ärgerte mich das Wort „heim, das sie gebrauchte, denn „daheim war für mich immer noch Bozen und nicht dieses Dorf Rabstein, wo sie seit meiner Matura lebte.

    Ich war nach der Matura mit dem Cello nach Salzburg gezogen, um am Mozarteum zu studieren. Nach Rabstein fuhr ich zu dem Zeitpunkt nicht oft, denn ich wollte endlich dort bleiben, wo das Leben lebendig war und mein Einsatz einen Sinn ergab. Heute muss ich schmunzeln, wenn ich daran denke, wie viel Enthusiasmus ich an die verschiedensten Protestaktionen vergeudet habe. Anfangs war sogar das Cello mit von der Partie. Absurd, nicht? Aber damals hielt ich es für angebrachte Streitkultur. Ich nahm mein Instrument zum Beispiel mit auf die Demo gegen den Schah-Besuch in Deutschland. Leider. Ein Guadagnini aus Turin! Wie blöd kann man sein! Wir hatten uns in der Nähe des Landestheaters platziert. Circa zwanzig Kameraden im Kreis um mich herum, Banner hoch, Parolen. Ich auf einer Flaschenkiste spielte mit fliegendem Schopf wie im Rausch, was mir einfiel: „Bella Ciao", Mozart, Bach, die Beatles. Der Verkehr dröhnte. Die Passanten glotzten, fluchten, weil sie nicht weiterkamen, aber das war ja der Zweck: Ohne Provokation nahm der Mensch nichts wahr. Dann die näher kommenden Sirenen. Sie pferchten uns in Polizeiwagen, schmissen das Cello lieblos hinterher, den Kasten auch, lachten uns aus, von wegen Revolution, haha, wir sollten doch lieber einmal arbeiten gehen, und brachten uns aufs Revier. Einer von uns war Wehrdienstverweigerer und musste ins Gefängnis. Der Gipfel der Herzlosigkeit war jedoch, dass das Cello konfisziert wurde! Ich bekam es erst nach drei Wochen wieder und der Lahmarsch von einem Professor hatte kein Verständnis dafür, dass ich in der Halvorsen-Passacaglia nicht sattelfest war. Zum Glück fand ich einen anderen Prof, der mich zum nächsten Semester aufnahm. Der war in Ordnung, der distanzierte sich von den faschistoiden Großkopferten! Sogar bei den Streiks gegen Bildungsnotstand und die erhöhten Studiengebühren machte der mit!

    Unsere Protestaktionen richteten sich häufig auch gegen die Vereinigten Staaten, diesen gepriesenen Hort der Demokratie. Dabei konnte doch jeder, der Augen im Kopf hatte, sehen, wie sich die Amis mit Brachialgewalt und ungezügeltem Kapitalismus über die Welt hermachten. Aber die wenigsten hatten eine Ahnung davon, was in Vietnam wirklich passierte oder wie brisant die atomare Kriegsgefahr war, denn die Presse informierte kaum, die lullte bloß ein, schaltete gleich und ließ das Establishment fröhlich weitermachen mit dem Vertuschen und Drangsalieren und Melken der einfachen Bürger.

    Da musste sich doch einmal jemand für die Wahrheitsfindung ins Zeug legen, da musste doch jemand das Unrecht vor Ort heraussezieren und die grassierende Stumpfheit gegenüber der Politik durchbrechen! Genau das taten wir. Wir klärten auf, damit die Bevölkerung nicht wie zu Hitlers Zeiten wegschauen konnte.

    Damals wimmelte es nur so von Ex-Nazi-Bonzen im öffentlichen Leben, die den Leuten Honig ins Hirn schmierten, auf dass sie die Opfer des NS-Regimes vergaßen. Höchste Zeit, dass die Menschen wachgerüttelt wurden! Die Naziverbrechen durften nicht unter einem blumigen Teppich verschwinden! Waren nicht schon die Verjährungsdebatten absurd? Die Nebel des Schweigens mussten ein für alle Mal zerrissen werden, die Sauereien unserer Eltern endlich aufhören! War es denn möglich, dass die Leute aus zwei Weltkriegen rein gar nichts gelernt hatten?

    Ich hatte zudem einen persönlichen Beweggrund für mein Engagement. Verwandte von mir waren umgebracht worden. Im Massaker der Deutschen in Sant’Anna di Stazzema am 12. August 1944. Die Nonna hatte mir die Geschichte von klein auf eingetrichtert, wenn ich die Sommer bei Enzo in La Spezia verbrachte. Sie war selber dem Tod nur knapp entkommen. Hinauf durch Wald und Gestrüpp war sie gehetzt, einer ihrer Schuhe steckt vermutlich heute noch im Bachbett, das sie durchqueren musste. Sie hatte sich an Eichen-Schösslingen hochgezogen, immer höher hinauf in die Berge, wo sich der Nonno versteckt hielt, während hinter ihr die Welt zusammenbrach.

    Die Arme keuchte wie eine Lungenkranke, wenn sie erzählte. Die Bestialität schnitt ihr jedes Mal die Luft ab und doch musste sie reden. Sie sah immer die störrische Zia Elisa vor sich, ihre älteste Tochter, deren Namen ich bekommen habe. Die hatte sich geweigert mitzukommen, die hatte darauf bestanden, zu Hause zu bleiben. Warum das Baby unnötig aufwecken, hatte sie gesagt. Der kleine Livio war gerade einmal drei Monate alt. Von den Warnungen hielt sie nichts. Sie war überzeugt davon, dass die Tedeschi Frauen und Kinder in Ruhe ließen. Aber wie sich herausstellte, war sie einem Gehirnfurz erlegen, denn sie wurden zusammengetrieben, ausnahmslos alle, auf dem Kirchplatz oder in irgendwelchen Stallungen oder Hinterhöfen erschossen und anschließend verbrannt. Alle. Frauen, Kinder, Alte. Die Häuser zerstört. Noch wochenlang der Brandgeruch.

    Jeden Sommer erzählte mir die Nonna dieselbe Geschichte. Sie redete wie unter Zwang, schnaufte, streichelte mir die Hand und sah mich an mit ihren grün gesprenkelten Eulenaugen. Je älter sie wurde, desto leiser, rauchiger wurde ihre Stimme. Schließlich hauchte sie ihren Bericht nur mehr: von verkohlten Menschenhaufen; von Gestank; von vielen (um die fünfhundert) Toten. Das war sozusagen ihre Hinterlassenschaft für mich.

    Heute ist mir der Armadio della Vergogna ein Begriff. Der sogenannte Schrank der Schande stand jahrzehntelang versiegelt und mit der Tür zur Wand im Palazzo Cesi-Gaddi in Rom, im Sitz der Militärstaatsanwaltschaft. In diesem Schrank wurden die Akten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien aus politischem Opportunismus ganz bewusst dem Vergessen preisgegeben. Erst 1994, zwei Jahre vor Emmas Tod, wurden sie „wiedergefunden". Zu spät, denn da waren die meisten Verantwortlichen im Ausland oder tot oder vergreist oder es gab Probleme mit der Zuständigkeit.

    In Salzburg jedenfalls hatte keiner meiner Freunde von den Massakern, von denen meine Nonna berichtete, je etwas gehört. Und ich hatte keine Ahnung von der bewussten Unterschlagung der Wahrheit.

    Mein Studentenleben war also gekennzeichnet von einem oft nahezu schwärmerischen politischen Eifer. Ein Stipendium der Südtiroler Landesregierung sorgte für Unterkunft und Verpflegung. Zusätzlich brachten mir kleine Finanzspritzen Emmas und kurze Auftritte – hie und da eine Hochzeit, eine Eröffnungsfeier, ein Adventskonzert – etwas ein. Finanziell hielt ich mich also über Wasser. Alles in allem war ich frei und ausgefüllt und das passte mir so. Dann kam diese Karte.

    Emma

    Rabstein, 1922–1936

    Was die Kleine nicht wusste, war, dass Emma in den Wochen vor dem besagten Geburtstag, wenn sie einmal einschlief, von Angstträumen heimgesucht wurde. Auch tagsüber schaute sie besorgt aus dem Fenster, sei es auf den zerwühlten Schulhof, während die Schüler mit gebeugten Köpfen über einer Arbeit saßen, oder von ihrer Küche auf den glänzenden Strang der Bahngleise, stets irgendeine Bedrohung des Leibes oder der Seele erwartend.

    Wenn es ihr nur gelänge, sich ein kleines bisschen in den Kopf ihrer Tochter zu denken! Sie selber war doch auch einmal jung gewesen, jedoch im Gegensatz zu der Kleinen nichts anderes als ein gehorsames Kind, auch als ihr die Umgebung immer mehr auf die Nerven ging. In ihrer Generation zählte Loyalität noch mehr als alles andere und die erwartete sie irgendwie auch von der Kleinen.

    Also mündeten die Grübeleien Emmas meistens in den Entschluss, die spröde Widersetzlichkeit ihres Sprosses so gut es ging zu ignorieren oder als vorübergehenden Entwicklungsabschnitt wegzuerklären. Aber tief verborgen im Gestrüpp der Denkschaltungen im Gehirn wucherte die Furcht, dass im Grunde ein Versagen ihrerseits vorlag, ein Versagen, das sich ihr allerdings nur bruchstückhaft offenbaren wollte und daher umso mehr die Enttäuschung, den Frust und das Unverständnis schürte. Trotzdem trat sie der Kleinen bei jedem ihrer spärlichen Besuche mit einer Art von grimmiger Liebe entgegen, die keine Widerrede duldete und mit der sie die Ahnung von dem diffusen Scheitern kaschierte.

    Emmas Aufwachsen fiel in das Chaos von Okkupation und Krieg, allerdings innerhalb einer Gesellschaftsordnung, die auf einem Bewusstsein von Zugehörigkeit aufbaute.

    Sie wurde als Emma Egger im Jahre 1922 in Rabstein geboren, einem Dorf im Herzen Südtirols. Die Ortschaft lag von steilen Talflanken umrahmt am Schnittpunkt von zwei Tälern. Aufgrund dieser verkehrsstrategischen Lage war Rabstein seit k. u. k. Zeiten ein Eisenbahnknoten, an dem alle Züge hielten.

    Die Rabsteiner arbeiteten entweder bei der Eisenbahn oder in der Pappfabrik. Emmas Vater überließ den Italienern die Eisenbahn und zog wie die meisten Einheimischen die Pappfabrik vor. Er hatte sich nach einem Holzunfall auf die Warteliste für die Fabrik setzen lassen, denn der schlecht heilende Unterschenkelbruch machte die Waldarbeit zur Qual. Nach einem guten Jahr wurde seine Geduld belohnt und er wurde zu seiner und zur Erleichterung seiner Frau den Trocken- und Lagerräumen zugeteilt.

    Emmas Mutter bewirtschaftete direkt am Rangiergelände der Bahn eine Keusche mit Küchengarten und Birnbaum, Bienenhütte sowie Hennen- und Ziegenstall.

    Geschwister hatte Emma keine, aber einen Großvater, der nach dem Tod der Großmutter die Stube belegte. Wenn Emma später an Rabstein dachte, dann stellte sich sofort, auch nach Jahren, der säuerliche Geruch seiner Diwandecke ein, eines steifen, bräunlichen, vornehmlich aus Rosshaar angefertigten Stücks. Auch im Dunst von Dampf, Ruß und Diesel, der immer über dem Ort hing, war sie daheim. Sogar der Bärlauch konnte im Frühling mit seinem grün-saftigen Aroma, das vom Waldrand herunterwehte, diesen Geruchsschleier nicht durchdringen. Das Bahnhofsgebäude selber stank immer etwas nach Pissoir. Ansonsten war Rabstein die Tankstelle, wo es nach Benzin, Öl und Leder roch, das Posthotel, wo Pferdedung vorherrschte, und die Kirche mit der weihrauchigen Winterluft.

    Wie überall war das Gotteshaus der Ort, an dem alle wichtigen Rituale des Menschenlebens stattfanden, Taufen, Erstkommunionen, Schülermessen, Hochzeiten, Begräbnisse, ohne aber eine allzu starke Prägung in Emma zu hinterlassen. Sonst konnte sich Emma, was ihr Aufwachsen anging, abgesehen vom Olfaktorischen, nur mehr an einen Mischmasch aus traurigen Objekten erinnern: an die Lederschuhe, die immer unbequem waren, an das Plumpsklo hinter dem Haus, an die welke Blüte in Vaters Hutschnur, an den gesprungenen Waschtischspiegel, an die Romane aus dem Volksboten, von der Mutter ausgeschnitten und zusammengeheftet in einer Schachtel aufbewahrt – keine irgendwie erhebende Literatur, bloß eine geistlose Baroness nach der anderen oder eine brave Bauernmagd und ihre böse reiche Widersacherin, die beide denselben Jungbauern wollten.

    Auf die Bauernmädchen des Orts war Emma nie neidisch. Feld- und Stallarbeit waren langweilig bis eklig, das stellte sie fest beim obligaten Verwandtenbesuch um Allerheiligen in einem Hochgebirgstal in der Nähe der österreichischen Grenze. Was Baronessen anging, so kannte sie keine, ihr Leben zwischen Internat, Tennis und Reisen erschien ihr aber entschieden interessanter. Zu der Zeit wäre sie allerdings schon mit dem Leben der Tochter des italienischen Bahnhofsvorstehers zufrieden gewesen. Nicht, dass Emma mit Sandra Pizzari befreundet gewesen wäre. Obwohl sie in dieselbe Klasse gingen, hatte sie außerhalb der Schule keinen Kontakt mit den Italienerinnen. Die Mutter hatte sie nicht nur vor der Sprache der Besatzer gewarnt, sie hatte Emma auch auf einleuchtende Weise deren moralische Minderwertigkeit eingetrichtert. Das Mädchen war aber nichtsdestotrotz Inhalt von Emmas Sehnsüchten, und diese Schwäche verunsicherte sie so sehr, dass sie die vermeintliche Todsünde sogar einmal dem Pfarrer beichtete.

    Sandra hatte glänzendes Kastanienhaar, das ihr in weichen Locken auf die Schultern fiel und in dem sie immer zu den Kleidern passende Schleifen trug. Sie aß zur Pause weißes Brot mit Mortadella und übte nachher mit der dicken Grazia Seilspringen, saltare la corda – und das in schwarzen Lackschuhen! Sie hatte Eltern, die mit ihr Motorrad fuhren, sie und ihre ondulierte Mutter im Beiwagen. Außerdem unternahmen sie immer wieder einmal eine Bahnfahrt, irgendwohin, wo es Gold regnete, jedenfalls kam das Mädchen entweder neu eingekleidet zurück oder mit einem neuen Ball oder gar einem Fahrrad.

    Sandra Pizzari führte in Emmas Augen ein akzeptables Leben. Es lag doch auf der Hand, dass Emma in diesem unglückseligen Kaff mit diesen Eltern den Kürzeren zog. Sie tat sich selber leid.

    Zudem war ihr Vater mit einem ungemütlichen Grant gesegnet. Er verspürte den Wetterumschwung im Bein, die Honigbienen waren von Milben befallen, der Ziegenkäse wollte ihm nicht gelingen, das Hausdach hatte ein Leck, das Fahrrad vorne einen Achter.

    Für die Mutter war sie Luft. Die hatte ein lebensnotwendiges Werk nach dem anderen im Auge, entweder eine Besorgung oder den Besuch eines kranken Verwandten im Gebirge oder sie putzte im Gasthaus, wenn dort wieder einmal faschistische Kommandanten logierten.

    Der Großvater war immer im Weg oder sekkierte Emma mit seinen läppischen Fragen.

    Später hätte Emma das nicht mehr zugegeben, aber damals störte sie so gut wie alles an ihrem Daheim: der Himmel wie ein Deckel auf den schroffwandigen Talseiten, das winzige, hässliche Haus, die Hennen, die Ziegen, die Ribiselmarmelade, das Birnenmus, der Gang in die Fabrik, um dem Vater zwischen höllisch lärmenden Maschinen das Essen zu bringen, der sonntägliche Spaziergang nach Untermühl, um ein Kracherle zu trinken. Quälende Langeweile. Emma hatte das Gefühl, einem verhängnisvollen Schicksal ausgesetzt zu sein, aus dem auszubrechen ihr, wie sie glaubte, für immer und ewig versagt sein würde.

    Sie war ein ruhiges Kind, sommersprossig, schmal, eher klein für ihr Alter, das widerspenstige Haar gescheitelt und in Zöpfe gebannt. In der Volksschule war sie unter den drei, vier Besten, was ihr keine große Mühe abverlangte, auch wenn der Unterricht auf Italienisch stattfand.

    Die Schule war der Lichtblick ihres Kinderlebens, der Ort, wo sie aufatmen konnte, sich ausdehnen, die magere Atmosphäre des Elternhauses vergessen. Mit wachen Augen hing sie an den Lippen der Lehrerin, sog alles Neue auf und lernte abends vor dem Schlafengehen mit zusammengepressten Lippen aus ihren tadellos sauber mit weißem Packpapier eingebundenen Heften, die mit ihrer netten kleinen Handschrift bedeckt waren.

    Zum Spielen war kaum Zeit, auch beim Äpfelstehlen im Obstgarten, der zum Pfarrhof gehörte, war sie nicht öfter als einmal dabei.

    Als Emma zwölf war, fanden die Eltern, dass sie sich nun als ein nützliches Glied der Gesellschaft bewähren müsse. Da schob sie das große orange Kuvert, das ihre glänzenden Zeugnisse enthielt, mit einem Seufzer ins Nachtkästchenregal über dem Nachttopf und fing an, sooft es sich ergab, für andere Leute zu putzen und zu waschen.

    Als der Pfarrer zwei Jahre später einmal die Familie aufsuchte, um Geld für ein neues Kirchendach einzutreiben, änderte sich jedoch alles.

    „Eure Emma ist eine hübsche junge Dame geworden!"

    Er wiegte nachdenklich den Kopf und bedauerte, sie nicht mehr in der Schule zu haben. Sie sei ihm und der Lehrerin eine große Stütze gewesen mit ihrem schnellen Verstand und der Fähigkeit, den schwächeren Schulkindern anspruchsvolle Lerninhalte begreiflich zu machen – sogar in der Fremdsprache. Der Gemischtwaren-Egon hätte es nie geschafft ohne Emma, behauptete er. Eigentlich sei sie eine geborene Lehrerin, verkündete er der Stubenrunde. Ein solches Talent dürfe man nicht unter den Scheffel stellen, das wäre glatt ein Sakrileg. Er habe zu einem Kloster in Bozen einen besonderen Draht, ja, er glaube, er sei in der Lage, Emma dort einen Platz zu beschaffen. Er rede von den Tertiarschwestern in der Wagengasse. Wie er gehört habe, nähmen die Nonnen im kommenden Herbst sieben Mädchen auf. Sie würden Emma ein ordentliches Deutsch in Wort und Schrift beibringen und noch viel mehr. Ja, natürlich sei der deutschsprachige Unterricht unter dem faschistischen System verboten, aber die Kirche habe sich ihren Freiraum ausgehandelt. Der Pfarrer schloss mit den Worten:

    „Bedenkt doch: Bald ist das italienische Joch abgeschüttelt, dann braucht es muttersprachliche Erzieher!"

    Die versammelten Eggerischen machten große Augen angesichts dieser gänzlich unerwarteten Aussichten. Emma war die Erste, die das Staunen abschüttelte und vor Freude in die Hände klatschte. Lehrerin würde sie gern werden, strahlte sie, das wäre ihr Traum. Die Mutter beeilte sich, ihre Ansicht der Sache beizusteuern, dass nämlich ein Mädchen in Zeiten wie diesen im Schoß der Kirche am besten aufgehoben sei. Emma war jedoch nicht verlegen einzuwerfen, dass ihr ein Leben als Klosterfrau eigentlich nicht vorschwebe. Da möge sie sich einmal keine Sorge machen, entgegnete der Pfarrer, in den Orden müsse sie bestimmt nicht eintreten, wenn sie es nicht wolle. Diese Feststellung überraschte die Eltern, denn es war in den ärmeren Schichten üblich, sich Bildung im Tausch gegen eine Ordensverpflichtung einzuhandeln. So gab es zwei Studierte im Kreis der weiteren Egger’schen Verwandtschaft, die auf diese Weise der Armut entkommen waren: den Pater Felix, Mathematiklehrer bei den Franziskanern in Bozen, und die Schwester Anastasia, Krankenschwester im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Zams.

    Emma hoffte und betete in den folgenden Wochen um einen günstigen Bescheid. Sie träumte in den Birnbaum hinauf, statt den Garten zu jäten, bis sie Teil der summenden weißen Blütenwolke über ihr wurde. In der Verästelung der Zweige erahnte sie Wege, die sie gehen würde, Reisen, die ihr bevorstünden, und roch in dem leicht fischigen Duft der Blüten Abenteuer, bei denen eine Romanze keine unerhebliche Rolle spielte. Wenn sie morgens das vom Baum abgefallene Verwelkte von Stufen und Pflaster vor dem Haus fegte und jemand vorbeikam, dann grüßte sie in die Morgenröte neu aufkeimender Möglichkeiten gehüllt, sagte ein paar Worte über das Wetter und seufzte.

    Ein neuer Horizont

    Bozen, 1936–1939

    Emma war vierzehn, als sie mit einem Kribbeln und dem Pappköfferchen in der Hand in Bozen ausstieg. Sie war noch nie dort gewesen, denn was hätte eine Egger in der faschistischen Stadt schon zu suchen gehabt? Überall breiteten sich die Italiener aus mit ihren protzigen Gebäuden und Denkmälern. Nein, den bitteren Anblick könne sich einer ersparen, hatte die Mutter ausgerufen, als sie und Emma vor einem Jahr im Zug an Südtirols Hauptstadt vorbeigefahren waren. Die beiden waren von Leifers aus zur wundertätigen Muttergottes von Weißenstein gewandert, um ihren Beistand für die Erleichterung der Leiden einer Verwandten herbeizubeten.

    Aber nun war Emma tatsächlich da, die zwei Zöpfe zu Schlingen hochgefasst und mit einer Schleife in Ohrenhöhe am Kopf festgebunden, das störrische Haar an den Schläfen mit Spangen befestigt. Sie hatte weiße Socken an und die schwarzen Sonntagsschuhe der Mutter, die ihr noch zu groß waren. Sie schwitzte in dem festen braunen Kleid, weil es in Bozen viel wärmer war als in Rabstein, doch sie merkte es kaum, so aufgeregt war sie, so voller Abenteuerlust und Entdeckerdrang, gespannt bis in die letzte Faser. Alles war fremd und mysteriös. Die Bürgersteige waren voller wunderbarer Kleider, Uniformen, Frisuren. Die Straßenbahn faszinierte sie, die Geschäfte, die Plätze. Vor einem Gasthaus spielten zwei Geiger, ein verliebtes Paar tanzte. Die Welt war neu, sehr lebendig und roch gut. Sie war schön, unglaublich schön.

    Emma fügte sich problemlos in das neue Leben ein. Ausstattung und Möbel des Klosters erschienen ihr elegant, obwohl sie in Wirklichkeit wohl eher schlicht gewesen sein müssen, aber eben bei weitem nicht so karg wie zu Hause.

    An den Tagesrhythmus von Gebeten und der täglichen Messe gewöhnte sie sich leicht. Beim Essen wurde geschwiegen, was Emma nur recht war, weil sie das Imponiergehabe einiger Mädchen nicht mochte. Sie lernte die Lektionen der Mater Oberin fleißig. Was immer man von ihr verlangte, tat sie willig: polierte die Kelche, machte die Wäsche, bis die Fingerkuppen runzlig waren, und kehrte die Weberknechte von den Gewölben, alles mit einem Blick in eine bessere Zukunft. Sie erwartete weder Lob noch Hätschelei, denn sie war daran ohnehin nicht gewöhnt.

    Mit den anderen Mädchen verband sie allein der Umstand, dass keine eine andere kannte. Zunächst war das kein Problem. Später jedoch, als im Unterricht die Schrauben angezogen und die Ansprüche höher und höher gesteckt wurden und sie sah, dass sie sehr viel nachzuholen hatte, begann sie, Gleichgültigkeit oder gar Kälte mancher der Kolleginnen ihr gegenüber zu spüren. Es waren kleine Vorkommnisse, die sie wurmten. Emma setzte sich etwa als Letzte an den Frühstückstisch und sofort hörte die Konversation der anderen auf. Oder sie kam darauf, dass sie als Einzige nicht eingeweiht worden war, als die anderen der Schwester Gertrudis von der Sakristei einen Streich spielten. Oder die Kolleginnen hatten Erlaubnis zu einem Ausgang in ein Konzert eingeholt, ohne Emma einzuschließen. Sie fingen auch an, über Emmas fabelhaftes Italienisch zu spotten, eine Fertigkeit, die ihr das Lob eines Monsignore aus Padua einbrachte, der an einem Donnerstag mit dem Kaplan zum Mittagessen auftauchte.

    Emma wurde aber auch mit der Häme der Stadtbewohnerinnen für Landgurken bedacht. Sie war zwar nicht die Einzige aus einem Dorf, aber sie war öfters irgendwelchen Frotzeleien wegen ihrer „zopfigen" Herkunft ausgesetzt. Ob es wirklich das war oder ob es ein anderes, in ihrer Persönlichkeit liegendes und ihr verborgen gebliebenes Manko gab, das die Mädchen aufspürten, hatte sie nie herausfinden können. Selbstprüfung, Selbstbeobachtung war nicht ihre Sache. Sie hatte keine Ahnung, was sie hätte suchen sollen in sich selbst. Wenn sie allein war, lernte sie oder schlief oder wusch sich oder zog sich an. Die Geräusche, die zu ihr drangen, das Reden der anderen, das Huschen der Nonnen, das Schellen der Glocke, das Vorbeiklappern eines bespannten Wagens oder das Vorbeirauschen von Automobilen registrierte sie kaum. Sie verschloss all ihre Sinne gegenüber den kleinen Widersprüchlichkeiten, mit denen die Mädchen ihr begegneten, denn sie wollte sich die Illusion erhalten, dass zwischen ihnen alles stimmte, dass sie ein gut eingefügtes Glied im Getriebe der Gemeinschaft war, dass sie Freundinnen hatte und dass es keine großen Geheimnisse gab. Sie wollte weder die Verdrossenheit der Rabsteiner Kindheit noch eine neue zulassen, und doch, eine diffuse Verstimmung war da und ließ sich nicht ganz verscheuchen und folgte Emma wie ein luftiger Schleier.

    Am schnellsten verflüchtigten sich die Schatten bei einem Spaziergang in der Freizeit. Es gab herrliche Promenaden mit mediterranem Flair auf den sanften Anhöhen am Rand der Stadt. Emma liebte die Palmen, Oliven, Magnolien, Kaktusfeigen, Zypressen und Zedern und saß öfters einmal ein halbes Stündchen auf einer Bank. Über ihr wuchs an den Hängen der Wein. Vor ihr breitete sich die Stadt in einem weiten grünen Kessel aus. Da waren Ansitze, die rötlichen Dächer der Häuser, der Bahnhof, Kirchtürme und Glocken, die sie bald alle den bestimmten Pastoraten zuzuordnen wusste, auch die neuen Fabrikanlagen am Schnittpunkt der Täler. Im Nordosten saßen hinter Waldbuckeln die Zacken der Rosengartenkette. Nach Süden hin sanken die Bergzüge sanft ab und verschwanden im silbernen Dunst.

    Es gab auch die Pfade in den Flussauen, wo der Wind in die Birken fuhr und gelbe Blätter daherschwärmten. Wie Emma den Wind liebte, die Farben, die er durcheinanderwirbelte, das plappernde Wasser, den wilden Wein an der Mauer, das Zerfließen der Landschaft in der Sonne. Das Licht war hier ganz anders als in Rabstein, denn der Himmel war größer. Und es roch so gut nach Efeu und Buchs, nach gegerbtem Kuhleder und Traubenbottichen, nach Sugo, Risotto, Spargel, Obst.

    Die Zeit in der Stadt war ein Netz von Zufällen, Symbolen, Ahnungen, Vorzeichen. Es war, so glaubte sie später, das erste Mal, dass sie sich an einem Ort wirklich zu Hause fühlte. Rückblickend würde sie sich schmunzelnd über die jugendliche Verklärung von Bozen amüsieren. Sicher hatte es dort auch damals so wie überall Baustellen gegeben, die nach Abwasser und Kot rochen. Oder stinkende Mülltonnen. Oder Erbrochenes auf dem Pflaster in der Nähe einer Bar. Oder eine verwesende Katze. Aber der Eifer, mit dem sie ihr Zuhause ausradierte, ließ keine negative Erinnerung zu. Der Ort war ihr sozusagen ins Blut übergegangen und sie konnte sich kein anderes Leben mehr vorstellen, schon gar nicht in der staubigen Talenge von Rabstein, nein, dort wollte sie nicht mehr hin.

    Zweieinhalb Jahre lang lebte und lernte Emma in Bozen. Wenn sie zu allen heiligen Zeiten einmal mit dem Zug nach Hause fuhr, freute sie sich auf ihr Zimmer mit dem Fenster zum Garten hinaus, das Federbett mit dem ausgewaschenen Blümchenmuster. Da waren die in die Täfelung gehefteten Madonnenbilder, das Schutzengelbild von der Erstkommunion, auch Bildchen, die bei verschiedenen Einkehrtagen, Wallfahrten und Wanderungen vom Pfarrer verteilt worden waren. Das einfache Mus, das die Mutter zum Abendessen auf den Tisch stellte, erschien ihr köstlicher als das Sonntagshähnchen im Kloster. Sie fand die Eltern zufrieden mit ihrem eigenen Leben vor. Die Aussicht auf eine gebildete Tochter schien ihnen zu imponieren.

    Statt des sonntäglichen Spaziergangs nach Untermühl, das im Stausee untergegangen war, wanderten sie nach Obermühl. Emma bekam ihr Kracherle wie früher, die Eltern tranken ein Glas Wein. Der Vater hatte das Bedürfnis, immer wieder dieselbe Geschichte zu erzählen, sich gleichsam in Ermangelung anderweitigen Gesprächsstoffs hinter der Geschichte zu verschanzen: Als der Stausee aufgefüllt wurde, als mit der unteren Brücke ganz Untermühl samt Gasthaus, Wirtschaftsgebäuden und Kapelle in den Fluten des Bachs versank, versuchten die zurückgelassenen Bewohner des Flurstücks, die Ratten und Mäuse, die Staumauer zu erklimmen, um sich vor dem Ertrinken zu retten. Unter den anfeuernden Zurufen der Passanten versuchte manch ein geübter Steinewerfer, die Tiere zurückzuschmettern in den Tod. Ratten seien eigentlich stille Tiere, aber in Todesnot … Emma hätte das Spektakel hören sollen, das sie machten.

    Die Mutter wartete immer auf das Ende der Geschichte, um ihren Kommentar anzubringen, ein Anprangern der Habsucht der faschistischen Machthaber, die ganze Landstriche zugrunde richteten, um weit unten im italienischen Stiefel in großem Stil mithilfe der einheimischen Wasserenergie gut leben zu können. Wenn Emma dann sagte, so ein See sei doch auch schön, fielen die Blicke der Eltern erschrocken auf die Tochter, um sich dann verlegen in den Schroffen über ihnen zu verlieren.

    Im Grunde hatten sie sich nichts mehr zu sagen. Die Eltern hatten das Gefühl, so äußerte sich die Mutter zu Mizzi von der Gemischtwarenhandlung, der Vogel sei ihnen entflogen, er habe das Nest für immer verlassen. Und als er wiederkehrte zum Hineinschnuppern in sein früheres Leben, war von ihrer Seite nur mehr Staunen übrig über die Fremde, die einmal ihr Kind gewesen war.

    Für Emma waren die Eltern so etwas wie vorzeitliche Fossilien geworden, kuriose, längst ausgestorbene Kreaturen. Doch seltsamerweise schien es ihr, als wäre ihre Liebe zu ihnen gewachsen durch den Verlust an Nähe, und es gefiel ihr, der Mutter über das straff nach hinten gekämmte Haar zu streichen. Ja, sie hatte derart einen Narren an deren Haarknoten am Hinterkopf gefressen, in den ein ganzes ungereimtes Leben eingeflossen war, dass sie ihn der Widerstrebenden auseinandernahm, Nadel für Nadel, das Haar durch die Finger gleiten ließ, es kämmte, es ihr um die Schultern legte, bis der ältelnden Frau der Geduldsfaden riss und sie die Strähnen wieder in Besitz nahm mit den Worten:

    „Jetzt reicht es aber! Jetzt habe ich genug von deinen spinnerten Faxen!"

    Was den Vater anging, da begnügte sie sich, ihm zuzusehen. Wie schmächtig er war, wie unordentlich die Kleider. Er bewegte sich so, als hätte er ständig ein Gewicht auf dem Rücken. Er kramte gedankenverloren herum, machte sich hüstelnd für die Arbeit zurecht, schlang noch im Sommer eine Schärpe um den Hals, bevor er sich in den Radsattel hievte und die Straße entlangstrampelte. Seine Bewegungen waren ihr in ihrer Alltäglichkeit vertraut und doch steckte in ihnen eine nahezu verbotene Intimität, sodass sie sich für ihr Zuschauen ein wenig zu schämen begann.

    Meistens kehrte Emma früher in die Stadt zurück, als sie es vorgehabt hatte.

    Das erste Semester

    Salzburg, 1965

    Das Zimmer war kahl und leer wie mein neues Leben. Viele Schichten von weißer Farbe an den unebenen Wänden, sonst nichts. Ein unbeschriebenes Blatt, das sich mir anbot. Genau was ich wollte. Ich hätte den Eindruck nicht durch Möbel verstellen wollen, hätte ich welche gehabt. Da war nichts auf dem geflickten Linoleumboden als die Matratze mit der ineinandergreifenden Landkarte von Flecken. Kein Bettgestell. Kein Schrank. Emma war entsetzt, als sie das sah. Kein Vorhang. Kein Tisch. Je fassungsloser sie schien, desto zufriedener war ich. Die Monate und Jahre von Protest und Verweigerung konnten nun beginnen. Ich stellte den Koffer auf den leeren Boden. Das Cello. Den Notenständer. Die zwei Obstkisten, die alles

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