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Innere Dialoge an den Rändern: 2016-2021
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Innere Dialoge an den Rändern: 2016-2021
eBook301 Seiten3 Stunden

Innere Dialoge an den Rändern: 2016-2021

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Über dieses E-Book

(Deutsch)Im vielfältigen Werk Peter Handkes gehören die Journale gewiss zu den Büchern, in denen uns Leserinnen und Lesern der Dichter am nächsten kommt, auch in seinem »Ideal«, in der »Souveränität eines, der von niemandem etwas will, von niemandem etwas fordert, von niemandem etwas erwartet«. Seine über die Jahre gesammelten Aufzeichnungen sind ein Wunder der Literatur. Handke zitiert darin (auswendig) aus seinen Lektüren, aus Tolstoi, Goethe, Doderer, Simenon, aus der Apostelgeschichte u. a., blättert im bereits knisternden Griechisch-Deutsch-Schulwörterbuch, schreibt an der »Obstdiebin «, später an »Zdeněk Adamec« und an »Das zweite Schwert«, zweifelt, wundert sich, horcht, beobachtet mit zartem Blick seine nahe Umgebung und erdichtet wieder und wieder ein 11. Gebot. Wir dürfen ihn durch die Jahre bei all dem begleiten, auch durch die »Quarantänestille « der jüngsten Zeit.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Apr. 2022
ISBN9783990271865
Innere Dialoge an den Rändern: 2016-2021
Autor

Peter Handke

Geboren 1942 in Griffen, Kärnten, lebt in der Nähe von Paris. Er hat mehr als siebzig Erzählungen und Prosawerke sowie knapp zwei Dutzend Stücke verfasst. Für sein Schaffen ist Peter Handke mit zahlreichen internationalen Preisen geehrt worden.

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    Buchvorschau

    Innere Dialoge an den Rändern - Peter Handke

    2016

    »Und du bist meinem Geiste, was er sich selbst ist – / Immer als wenn meine Seele spräche zu sich selbst / … / Und mitgeborene Harmonien / In ihr erklängen aus sich selbst« (Prometheus zu Pallas Athene »Minerva«, in des jungen Goethe Worten [1773?], und ich am 6. Januar 2016 lesend als alter Prometheus, Προμηθεύς, »Vor- wie Nach-Sinner, -spinner«, sitzend auf einem Thron zerschlissener Kissen)

    Der Dreikönigstag, das Fest der Epiphanie heute, als der Tag der Besinnung, an die winterliche Rückkehr vom Dorf seinerzeit, vor über sechzig Jahren, in die Fremde der Fremden, des Internats; verzehrt von Heimweh? Eher aufgezehrt vom In-der-Fremde-Sein – eine Auszehrung lebenslänglich, bis jetzt, am 6. Januar 2016, nachwirkend – lebenslänglich ausgezehrt (Ch., Haus, Dunkel; Nachwehen jener Auszehrung)

    Zu dem, der seine Untaten, oder sein Ungutsein rechtfertigt mit dem »So bin ich eben!«: »Du lügst. So, wie du bist und tust, ist es nicht wahr!« (Zu »dem, der …«? – Ebenso zu »mir, der …«)

    Ein Tagwerden im Tag, ein »Tagen« im Tag (oft erst gegen Abend): Sowie ich mich selber einhole, und verdoppele. – Und ein Doppelter werde? – Nein, ein Ganzer Jeder wirklich epische Traum gibt eine Lehre: über Orte-Erzählen, ein Ausschwingen, eine Entdeckung unbekannter, nie zuvor gesehener, unversehens geöffneter Räume, Rhythmus, die Überraschung ungeheurer Liebe, grenzenlosen Begehrens (Einfache Fahrt ins Landesinnere)

    »Ein Gebet, das allein im Lassen besteht – weht – ergeht«

    »Sich in Geduld fassen«: Ja, die rechte Geduld ist eine Art des Sichfassens – was sich aber so oft als Geduld gibt, aufspielt, sich sehen lässt, ist ohne jede Fassung(skraft)

    »Was ist Ihr Beruf?« – »Ich habe viele Berufe, unter anderen den des Liebhabers.« – »Liebhaber von was?« – »Zum Beispiel von alten Hemden«

    Ist nicht bei all der Überinformiertheit und Überkommunikation eine zunehmende Scheu in der Menschheit, wenn auch nicht die »gute alte«, vielmehr eine neue, wie böse – eine Scheu mit zugleich blicklos machenden Scheuklappen gegen den je Andern, vor allem an öffentlichen Orten, und nicht bloß in Wartezimmern und Aufzügen?

    Das Licht einzuatmen: Gibt es das? Geht das? Zieht das? – Ja. »Aide-la retrouver la lumière!« (im Bittbuch der Kirche)

    Ideal: die Souveränität eines, der von niemandem etwas will, von niemandem etwas fordert, von niemandem etwas erwartet

    »Das Wort ›Verrat‹ hat seinen Sinn verloren« (»Aus der Nacht gesprochen«)

    Ein Dichter erkennt den Anderen: Erkennen als eine Art wie Weise des Umarmens

    »Leere« und »Leere«: Nur wenn die Leere sich als eine Frucht zeigt, in Fülle wie Form, ist sie »richtig«; Frucht Leere; fruchtige Leere

    Von Zeit zu Zeit – zu allen heiligen wie unheiligen Zeiten – aufs Ganze gehen! – Ja, doch dabei nie selber das Ganze geben; dieses wird, oder kann, vielleicht, sich »von sich aus« dazugeben

    Die Obstdiebin stiehlt nur Wertloses?

    Schöpfer-Gott? Lasser-Gott? – Kein Widerspruch

    »Denken«? Gültig, geltend, wirkend, schaffend, vor allem im Wegdenken

    Ein anderes Tagwerden im Tag: Sowie ich ins Hören komme (wie »ins Gehen kommen«); »endlich höre ich« (auch nichts als das ferne Rauschen der Autobahn, daherkommend durch die Winterwälder); »ich bin im Hören«

    Meine Art »Freiheitskampf«: Ich kämpfe, auf daß ich, kraft meiner Beschränkungen wie meiner Bedingtheit, sagen kann: »Ich bin so frei!« Und das wäre meine Art wie Weise der Freiheit

    Tagen im Tag: Der Andere kommt mir in den Sinn (ins Sinnen). – Der Andere? – Mein Anderer

    Deinen Ernst dem anderen nicht aufhalsen, auflasten, aufbrummen – vielmehr ihn ausspielen, hin zum andern. – Ausspielen? – Ja, aber nicht vollends, und das gilt für Schreiber wie für Schauspieler

    »Sprachwitz«? Die Sprache selber, sowie sie Sprache wird – ihren »Namen verdient« – ist Witz

    Daß du ein »schweres Leben« gehabt hast, gibt dir keine Ermächtigung, das Leben eines andern, gleichwie es dir erscheint, geringzuschätzen

    So viele Witwer und Witwen in Goethes Erzählungen (»Mann von fünfzig …«): So war es eben seinerzeit?

    Die Mädchenheldin der »Einfachen Fahrt …«: Es drängt sie, die Generationen vorher zu ENTSÜHNEN

    Ja, »Reue« ist nur jene, die tätig wird, die »tätige«. Aber ist nicht auch schon das Ausdrücken und Aussprechen der Reue, insbesondere vor demjenigen welchen »tätige Reue«?

    Das Gegenteil von Zufriedenheit ist nicht Unzufriedenheit. – Sondern was? – Weiß nicht. Wer sagt es mir? Wer singt es mir?

    Auf daß ich nie vergesse, wie ich mein Leben lang gezittert habe um die Meinen. – Die Deinen? – Ja. – Gezittert? – Ja, alles sonst wurde da schändlich nichtig

    So lange schon die ungeschaukelt hängenden Schaukeln im Nachbargarten. – Die Kinder von einst sind eben keine Kinder mehr. – Ja, es hat sich ausgeschaukelt

    Aufschwung der Trauer, universell

    Immer wollte ich retten. – Und wen oder was hast du gerettet? – Niemand und nichts

    »Ich muß draußen bleiben!« (Auf andere Weise als zum Beispiel die Hunde)

    Da tat ich das Einzige, was in meiner Macht stand: Ich bog ab zu meinem Kind« (»Aus der Nacht gesprochen«)

    Eine Unvergleichlichkeit: Wie eine Spinne, angeblasen vom Wind oder sonstwem, sich einrollt

    Künstler: Bei dem der Staub der Welt, der angewehte, der Flugstaub, sich transformiert und Gestalt annimmt

    Es gibt keine Nebenerscheinungen. Oder so: Gerade an den Nebenerscheinungen, da erscheint’s – Was erscheint? – Es

    Seltsames Paradox: Die Freude, die für mich zählt – die »sich auszahlt«, »sich rechnet«, ist Freude über nichts und wieder nichts. Paradox, oder auch nicht?

    Das Mondlicht auf der Erde im Rauhreif: eine Harmonie, wo nichts Einzelnes mehr unterscheidbar ist – und so beinahe »dräuend« –; nichts mehr zu entziffern, nichts zu umzureißen – als ob das Chaos, die Chaos-Formen im Gegensatz zu diesem Mondlicht im Rauhreif eine Art von Vis-à-vis sein könnten, ein fruchtbares, etwas zu Erforschendes

    Manchmal im Aufblick das »Erbarme dich meiner!« als Gebet um Jetzt

    »Er wird immer weniger!« – »Respekt!«

    »Wo ziehst du’s vor: auf der Sieger- oder Verliererstraße?« – »Wenn möglich, auf keiner von beiden. Aber wenn’s anders nicht geht, auf der Verliererstraße«

    Mein Animismus: zu unterscheiden zwischen »gutmütigen« und »bösartigen« Zwirnfäden

    Das Eislaufen zu Goethes Zeit vor 200 Jahren, und das jetzt: ziemlich anders und genau gleich. Und in 100 Jahren? Ebenso. – Und die Welt? – Ziemlich anders und genau gleich

    »Dorfheimat« – wie? – »Es war dort ein schönes Reden«

    »Sorge dich nicht!« sagte die sorgende Mutter zum ewig sich sorgenden Sohn

    Ruhe: mein Auge als Auge der Wasserwaage, genau in der Mitte

    »Heute hab’ ich was Liebes gelesen. Heute ist mein Tag!« (Gasthaus)

    »Ja, meine Lieben, jetzt geh’ ich heim zu meinem Hund, der ist schon lang allein.« – »Einen Hund kann man fünf Stunden alleinlassen« (Gasthaus)

    »Du verstehst keinen Spaß.« – »Ich bin halt ein unguter Mensch« (Gasthaus)

    Daß ich den Schmerz, den mir eigenen, den so fruchtbaren, so wenig, so kurz nur halten und fruchten lassen kann, und gar zu bald, zu voreilig, mit ihm, meinem Schmerz, ostentativ werde …

    Philosophie, philosophische Haltung, ist allein die, welche mich zur Besinnung bringt – ob das die epikuräische Haltung ist (»die Freundschaft umtanzt den Erdkreis«), die platonisch fragende, die aristotelisch analysierende, usw. – Auch die kynische, zynische? – Auch sie, gerade die! (»Geh mir aus der Sonne!« Jetzt!)

    Rechtes Lesen: Die Rahmen, die vergoldeten, der Bilder im »Leseraum« beginnen zu leuchten – auch wenn sie gar nicht vergoldet sind. – Rechtes Lesen? – Ich bin, jetzt, rechtens, ich bin der Leser!

    Prototyp des unbegabten Menschen: der Fraglose

    »Die schweren Schritte der Prinzessin Marja«: wie wenig Tolstoi braucht für eine Tiefengestalt

    Gewissenserforschung im Erwachen: »Wen habe ich gestern gekränkt?« – »Niemanden – außer den einen im Traum«

    »Bist du Mitglied einer Sekte?« – »I wo. Oder doch: der Blue-Mountain-Sekte. Nur bin ich bis heute noch keinem anderen Mitglied begegnet«

    Leo Tolstoj: ein Mann wie nur je einer, und zugleich war Tolstoj eine Frau

    Der Vaterlose: Seine bleibende Vorstellung, oder Einbildung, alles, was ihm vorschwebt, werde sich erfüllen, soll sich erfüllen

    Was wartest du auf das Blühen? Jetzt blüht es, jetzt ist das Blühen, die Blütezeit, auch wenn nichts blüht (außer den Haselkätzchen)

    Immer noch ist zeitweise alles in mir Schuld, Schuld am gekrümmten Daliegen meiner Mutter auf der Küchencouch bis zur Schuld jetzt am Außersichgeraten, dem hilflosen, meines Kindes

    »Für mich wird alles zum Problem.« – »Des freue dich!«

    Schreiben auf Kriegspapier in Friedenszeiten / Schreiben auf Friedenspapier in Kriegszeichen (Einfache Fahrt …)

    Ein anderer Mondrian: das Nachbild des Fensterkaros, dunkel-helles Rechtecke-Muster, farblos

    Variante: Die Träume haben mich noch jedesmal gerettet (geborgen) aus dem Malstrom des Todesschlafs. – Auch die Alpträume? – Ja, indem sie mich aus dem Malstrom des Todesschlafs jählings ans Land warfen – ans Land des Erwachens. – Achtung, Genitivmetaphern. – Und wenn?

    Verb zu den Nachbildern (siehe das mondrianische der Fensterkreuzsprossen): Sie »begütigen«, auch noch im Schwinden und Verblassen, vor allem da

    Der Rückwärtsgeher (Gestalt »Einfache Fahrt«)

    »Aber hie und da auch Kleinigkeiten / Außerhalb des Gesetzes« (W-Ö Diwan)

    Die regionale Geschichte (Vexin/Picardie) studieren? – Ja, aber um etwas ganz anderes, grundanderes zu erzählen (Krieg im Frieden, Frieden im Krieg). »Die Wahrheit zu erzählen, ist sehr schwer« (nach Tolstoj) – vor allem im Krieg – und so erzählt Rostow, ohne es zu beabsichtigen, das Falsche zur Schlacht von Schöngrabern

    Morgengruß, an gleich wen: »Wie schaut’s aus?« – Und französisch? – »Comment ça se présente?« (»Wie gestaltet sich’s?«)

    Die blassen Gedanken, die farblosen, sind keine – sind nicht. Aber sowie sie sich färben, röten, blauen, grünen, unterlegt selbst mit Sichschwärzen und Grauen: Willkommen, Gedanke!

    »Energisch schlug er mit den Flügeln, bis er merkte, daß er keine hatte. Hilflos schlug er weiter« (So »Einfache Fahrt …«)

    Rein in der Gegenwart leben, ganz ge(gen)wärtig sein – und mithilfe der Gegenwart und des Gewärtigseins erzählen von jenem »ganz anderen«. – Ganz anderen?

    An den Nachbildern entdecken und erforschen, erst an ihnen, was im einzelnen, in den einzelnen FORMEN, Bild war, und ist (anderes »Blow up«)

    »Es war zu merken, daß sie das, was sie jetzt sagte, schon früher gesagt hatte, unter Tränen« (Krieg und Frieden)

    Vergleich für nichts Vergleichbares bei Tolstoj: »Wie ein Hase, von Hunden umringt, mit angelegten Ohren in seinem Lager liegen bleibt«

    Pierre und Marja in »Krieg und Frieden«: Sie sind die Ungeschickten, die »Danebenstehenden«, als die wahren Helden (und so möge es auch bei der »Einfachen Fahrt …« zugehen: die »Unselbstverständlichen«)

    Steigerung: Gerechter Mensch → rechtlicher Mensch (Erfüllung und Verwirklichung des Gerechten)

    »Tertium non datur« der Logiker? Nichts ist gegeben, auch nicht das »Primum«, auch nicht das »Sekundum«, höchstens, dann und wann, eine »Sonderzahl« (im Blick auf die Zeder im Wind: Sie ist mir nicht gegeben, ist nicht »meins« – samt Mahlen im Wind ist sie mir keine »Gegebenheit«)

    Eine meiner täglichen Ansprachen an mich selber: »Und jetzt sag du!« Oder: »Und was meinst du?« Oder einfach: »Und du

    Bei Tolstoj sind alle seine Helden mehr als sie erscheinen, tönen, sagen, handeln – oder jedenfalls auch noch ganz andere – und darauf ist Verlaß – und das ist das natürlich Epische

    Bei manchen Weißhaarigen: »gerettet«. Aber wozu? Wohin? (»Die sinnlos Geretteten«)

    Islamisten, vor allem junge: »Busy being born to kill«

    Manchmal, etwas im Stillen Gedachtes aussprechend, ihm eine Stimme gebend, geht mir auf … – Daß es nicht »stimmig« ist? – Nein, nicht »stimmt«

    Ich, jetzt Anteil habend an meinem Licht, jetzt Teil meiner Finsternis – jetzt neu Teil meines Lichts – jetzt Rückfall in meine Finsternis – und so vergeht meine Zeit auf Erden (14. Febr. 2016, 1. Fastensonntag)

    »Und«: Werfen und (Er-)messen. Wirf so, daß du zugleich (den Raum) ermißt; »zärtlich will geworfen sein«

    Gibt’s denn das: einem Strauß von Gänseblümchen in einem Marmeladeglas zu salutieren? – Das gibt es, denn ich habe es erlebt (für Heimito von Doderer)

    »Wortbild entzündet, Liebe schürt zu« (Rustan und Rodawu)

    Ich habe zu lesen, ich bin, fürs erste, in Sicherheit (nur so ist Lesen)

    Verb zu den ersten frischgrünen Grashalmen im Vorfrühlingswind: sie »flügeln«

    Noch einmal »Gänseblümchen«: Jede der Blüten ist zugleich eine Rose

    Eine andere Heimat: in der Schneeflockenkurvenkonstante; mich mit Leib und Seele in diese Kurve, diese Konstante legen – schmiegen

    »Was ist dein nächstes Projekt?« – »Vorösterliches Fensterputzen«

    Eins der Elften Gebote: »Tagtäglich übers Land gehen!« (Picardie)

    »Flughafenluft«: Oxymoron

    Er schaute, schaute, und schaute, und dachte dann: »Eigentlich müsste man viel mehr schauen«

    Einsamkeit: etwas so anderes als das (in allen Sprachen) klingende Wort. Einsamkeit heißt Verstoßen sein, Verlassenheit, Weltverlust – ohne daß jemand Zweiter oder Dritter den Vereinsamten eigens verlassen oder verstoßen hätte. Einsamkeit ist kein Gefühl, ist ein Un-Gefühl, eine (unumstößliche) Tatsache

    Manchmal in »Krieg und Frieden« verwandelt sich Diogenes, der Kyniker, in den Erzähler T. – Und dazu fragte ich mich gerade: »Wie kann ein Mensch solch ein Werk bloß alleine schaffen?« Und gab mir dann die Antwort: »Solch ein Werk kann ein Mensch nur alleine schaffen«

    Die Gedanken »einen«? – Nein, sie »umspannen«

    Der Heimatlose: Alle haben ihn aus den Augen verloren – recht so

    In »Krieg und Frieden« wird viel geschrien (und gekreischt), vor allem im Frieden

    »In diesem Buch kann ich nicht zu lesen aufhören.« – »Kein gutes Zeichen«

    »Wenn der Soldat auf Urlaub nach Haus kommt, trägt er das Hemd wieder über den Hosen« (Krieg und Frieden)

    Die nächtlichen Reden, die so klar artikulierten wie unverständlichen, seinerzeit des Knechts allein in seinem Verschlag, der etwas von einem Baumhaus hatte, vor bald siebzig Jahren, quer durch das ganze, sonst schlafstille Dorf, selbst die Tiere in den Ställen still schlafend, ein Schallen, das dabei ganz für sich blieb; jetzt noch, hier im anderen Land, im innersten Ohr weiterschallend, als Nachhall Jakob Böhmes und dessen Hall Gottes (Einfache Fahrt)

    Die mich am tiefsten ergreifenden, die universellsten Passagen in »Krieg und Frieden«: Wenn Tolstoj erzählt, auf welche Weise jemand anderer erzählt, redet, stottert, stammelt

    »Als [dem Sterbenden] gesagt wurde, er möchte den Knaben doch auch noch segnen [nach dem Küssen], da tat er auch dies noch, und blickte dann um sich, als wollte er fragen, ob es vielleicht noch etwas zu tun gäbe«

    Der Kindesentführer vor Gericht: »Das erste, was ich dachte bei seinem Anblick: ›Es ist ein Kind, und das wird mir wenigstens nichts Böses tun!‹«

    »Den Gruß des Unbekannten ehre ja! Er sei dir wert als alten Freundes Gruß … / Drum grüße freundlich jeden der begrüßt« (G.)

    Zwei Arten von Reue: die Reue über etwas, das ich gesagt / getan habe – und die Reue über etwas, das ich nicht gesagt / getan habe

    Beim Lesen von »Krieg und Frieden« geht mir auf, daß Kafkas »Schloß« und »Prozeß« die bislang ersten und letzten Darstellungen der universellen Menschengeschichte sind – und nicht die Geschichte von mir und dir, von uns je einzelnen (→ Einfache Fahrt …)

    Brechendes Herz – guter Tod; »mein Herz bricht.« – »Guter Tod«

    »Frage nicht, durch welche Pforte / Du in Gottes Stadt gekommen, / Sondern bleib am stillen Orte, / wo du einmal Platz genommen«

    »Ich kam zu den Meinen, aber die Meinen haben mich nicht erkannt!« – Gilt für mich jedoch nicht eher, wenigstens zeitweise: »Ich kam zu den Meinen, und ich habe die Meinen nicht erkannt!«?

    Tagwerden im Tag: Eine Sorge-für-nichts-und-wieder-nichts erkennen

    Die Geheimnisse und Abenteuer der Nähe, der Dinge, Winkel, Wesen in der Nachbarschaft

    »Malte Laurids Brigge« lesend: Auf Rilke trifft besonders zu, was ich einmal von falscher Prosa dachte, und jetzt wieder denke: »Es gibt keine wahren Sätze inmitten von falschen« (auch wenn, bei Rilke, dann und wann ein Satz als »wahr« frappiert)

    Nichts geht über einen Feldweg, kein Zöllnerpfad auf Klippen hoch überm Meer, kein Gipfelsteig in Himmelhöhen

    »El cuerpo busca otro cuerpo desconocido« (María Zambrano) (Der Körper sucht einen anderen unbekannten Körper)

    Ausruf: »Ein neuer Weg!«

    Andrerseits doch Rilke: »Junger Mensch irgendwo, in dem etwas aufsteigt, was ihn erschauern macht, nütz es, daß dich keiner kennt« (ich, ≈ 1962 an der Mur; an den Peripherien)

    »Du gehst mit jedem um, du sprichst mit

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