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Max und Anny
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eBook270 Seiten3 Stunden

Max und Anny

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Über dieses E-Book

Als der bekannte Hamburger Schriftsteller Hans Leip dieses Buch über Anny Ondra und Max Schmeling schrieb, waren beide auf dem Höhepunkt ihrer schauspielerischen und sportlichen Karriere angelangt. Und sie waren spätestens seit zwei Jahren, seit ihrer Hochzeit 1933, das deutsche Traumpaar schlechthin. Während beide noch über 50 Jahre, Max Schmeling sogar noch 70 Jahre, leben sollten, sind es doch ihr Kinderjahre und ihr Weg zum Ruhm und zueinander, die es zu entdecken gilt. In bekannt liebevoller Art bebildert Hans Leip ihre Lebenswege. So bewundert der kleine Max von der Hamburger Lombardsbrücke einen Eiskunstläufer und möchte "mehr, mehr" davon. Selbst muss er noch eine weite Wegstrecke zurücklegen, bis er andere Jungen zu solchen Begeisterungsstürmen veranlassen kann.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum16. Juli 2016
ISBN9788711467503
Max und Anny

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    Buchvorschau

    Max und Anny - Hans Leip

    www.egmont.com

    Lütt Mackie

    An einem hübschen klaren Frosttage stand ein Knirps von drei Jahren zu Hamburg auf der Lombardsbrücke. Seine schwarzen Strupphaare wehten im Wind, er war ohne Mütze, er war ohne Mantel, es machte ihm nichts. Bald hielt er sich mit seinen kleinen rotgefrorenen Fäusten bäuchlings oben auf der dicken Steinbrüstung, bald versuchte er, seinen Kopf zwischen die vasenförmigen Balustradenpfeiler zu zwängen. Seine schwarzen Augen starrten gebannt auf einen Schlittschuhläufer, der auf freigefegter Fläche von einem dunklen Ring Zuschauer umgeben, seine Kunststücke zeigte.

    Beifall klatschte und verwehte dünn in der grauen Dämmerung. Unermüdlich zog der Kunstläufer seine Schleifen, vorwärts, rückwärts, tanzte einen Walzer, sprang, legte sich tief ins Knie, wirbelte wie ein Kreisel. Es dunkelte schon. Noch immer hing der schwarzhaarige Knirps über dem Brückengeländer. Es fror ihn nicht, er war entzückt.

    „Mehr, mehr!" schrie er mit heller Stimme.

    Aber der Mann schien ihn nicht zu hören und ging daran, die Schlittschuhe abzuschnallen. Schon verzogen sich die Zuschauer.

    Dem Knirps auf der Brücke passte es nicht. Er versuchte über die Brüstung zu klettern. Ein bärtiger gütiger Herr kam vorbei und hielt ihn zurück vom Sturz in die Tiefe.

    „Wie heisst du, mein Kind?" fragte er besorgt.

    „Mackie Schmeling!" antwortete ungnädig der Knirps.

    „Und wo wohnst du?"

    „Weiss ich nicht!"

    Da war guter Rat teuer. Menschen versammelten sich um das Kleinformat des verlorenen Sohnes. Er zeigte sich gefasst. Es machte ihm augenscheinlich Spass, Mittelpunkt zu sein, wie etwa ein Eiskünstler. Er hielt den Fragern stand wie später den Reportern, und seine später oft bewundernswerte Geschicklichkeit, zwischen Sportneigung und Zuhause den rechten Weg zu finden, erwies sich früh, als er mit einem lässigen Aufleuchten in seinem kleinen prallen Jungensgesicht schliesslich erwähnte:

    „Meine Bomboms krieg ich immer inne Brennerstrasse."

    Durch den Krämer und Bonbonlieferanten dort, wohin man mit ihm gelangte, ergab sich die nähere Anschrift.

    Es war übrigens derselbe Krämer, bei dem ein paar Jahre früher auch Hans Albers, der nicht weit entfernt in der Langenreihe gross wurde, ab und an genascht hatte, und auch der Verfasser dieser Zeilen, der den grössten Teil seiner Jugend im Stadtteil St. Georg wohnte (z. B. auch in der Langenreihe), kannte ihn gut.

    Mackies Vater, weiland Bootsmann bei der Hamburg-Amerika Linie, hatte den Nachmittag schon verzweifelt mehrere Polizeiwachen abgesucht. Er schloss das wiedergewonnene Kind dankbar in die Arme.

    „Wo bist du gewesen?" fragte er streng.

    „Ich hab zugekuckt! antwortete Mackie. „Da war irgend so’n Mann ...

    Der Vater sollte noch erleben, dass auch sein kleiner Max einmal „irgend so’n Mann ..." sein würde, bei dem es sich lohnte, zuzugucken.

    Am gleichen Abend, auf der anderen Seite der Erde, in Australien, gewann der Neger Jack Johnson die Boxweltmeisterschaft, in dem er den weissen Titelhalter, Tommy Burns, in der 14. Runde k. o. schlug.


    Um diese Zeit gab es in Hamburg auf dem Steindamm ein „Kinematographen-Theater, das, wie damals üblich, durch das Hineinstellen von Stuhlreihen und eines mit Pappornamenten verzierten leinwandbespannten Teppichklopfrahmens aus einem Gastwirtschaftslokal hervorgegangen war. Die Musik zu den „Lebenden Bildern wurde von einem Orchestrion bestritten, und es lief derzeit unter rasselnder und klingelnder Begleitung Verdischer Melodien einer der ersten Starfilme, dessen Held auch Max hiess, jener kleine schmachtäugige behende Franzose Linder, der sich in den kurzen Szenen, die angestrengte Attacken auf das Zwerchfell des Publikums machten, „Max mit’m Schwung" nannte.

    Bootsmann Schmeling sah es sich an und lachte in seinen breiten Schnauzbart über die Witze, die uns heute keine mehr dünken, und er hielt die Leinwand, mit der gesegelt wird, für wichtiger.

    Aber die Leinwand, mit der gesegelt wird, war damals schon zum Aussterben verurteilt. Was an Jachtsegeln übrig blieb, hielt sich besser an Baumwolle. Die Leinwände jedoch, die vor die dunklen Säle gespannt waren und nach Gutdünken mit den Zuschauerhirnen davonsegelten, die wuchsen heran und vermehrten sich ins Ungeahnte.

    Klein Ānny

    Es war ein munterer Sommertag zu Pola an der Adria. Der österreichische Kriegshafen prangte in Flaggengala. Englische Kreuzer lagen zu Besuch auf der Reede. Es war ein paar Jahre vor dem Kriege. Klein Annys Vater, Verpflegungsoffizier der k. u. k. Armee, trug Paradeuniform und hatte zu tun, die Bankette der Verbrüderung mit dem Nötigen zu versorgen. Das glutäugige kroatische Kindermädchen Minka fuhr Klein Anny mit dem zarten federnden Kinderwägelchen spazieren. Es war nicht lange vor jener Zeit, da Mackie zu Hamburg seine eifersüchtig geliebte kleine Schwester im Kinderwagen spazierenfuhr. Doch zu Pola auf der Hafenpromenade gab es mehr Augenweide als im Eilbecker Park.

    Eine Menge netter Jungen der britischen Marine flanierte dort, und Tag für Tag gab es Platzkonzerte. Klein Anny staunte unter dem Spitzenmützchen hervor, und Vatis Bursche, ein vorbildlicher Steiermärker, begleitete den Spaziergang, teils weil er Zeit hatte und teils weil er zwischen den vielen fremden Blicken und dem feurigen Temperament seiner Minka abwegige Anknüpfungsmöglichkeiten ahnte. Sein kühles Gebirgsblut begann unter der heissen Sonne Istriens zu sieden in der Vorstellung, dass die österreichische Gastfreundschaft sich nicht allein in offiziellen Liebesbeteuerungen und Empfängen erschöpfen würde. Ein lustiger irischer Bootsmannsmaat kam des Weges, und strich mit seegrauen Augen bewundernd über Minkas niedliches Galionsantlitz.

    Da ergrimmte das steirische Herz, das den zarten Spaziergang zu schützen gedachte, und der irische Maat fühlte plötzlich eine heftige Pranke in seinem Gesichtsfeld landen, was er natürlich nicht unverzollt hingehen liess. Und da er ein regelrechter Boxer war, welche Kunst in Britannien seit mehr als hundert Jahren volkstümlich ist (auf dem Festlande damals aber noch gänzlich in den Windeln lag), so wäre der Kampf wohl zuungunsten Österreichs entschieden worden, wenn nicht Klein Annys hellzwitscherndes, mörderisches Geschrei den Eingeborenen der grünen Insel ein wenig aus der Fassung und im nächsten Augenblick, dank der Aufmerksamkeit des Steirabuas, aufs Pflaster gebracht hätte.

    Vielleicht ist es dieser, aus Annys Bewusstsein längst fortgewischte Vorfall gewesen, der sie später davon abhielt, je an Boxkämpfen Vergnügen zu finden. Obschon sie, als sie eben sprechen konnte und zufällig an Pola erinnert wurde, ihrer Minka geraten haben soll, den starken Mann zu heiraten.

    Die Kriegsläufte kamen dazwischen, und es ist nicht mehr festzustellen, ob der Rat befolgt wurde oder ob das Schicksal derzeit nur, wie es oft tut, sich eine kleine Andeutung hatte leisten wollen für Späteres.

    Mackie verdient Geld

    Die Familie Schmeling zog nach Rothenburgsort, dorthin, wo Max seinen vielleicht ruhmvollsten Kampf gegen den tüchtigen österreichisch-amerikanischen Studenten, Allround-Athleten und Wirbelwind Steve Hamas austragen wird.

    Während des Krieges war Mackies Vater bei der Marine eingezogen, und im Hause sah es nicht rosig aus. Da versuchte Mackie auf manche Weise Geld zu verdienen. Er wohnte derzeit mit Mutter, Bruder und Schwesterchen in der Hasselbrookstrasse (Hamburg-Eilbeck), und eben elfjährig, bewarb er sich auf eigene Faust in der Apotheke an der Wandsbecker Chaussee um einen Laufjungenposten. Seine Offenheit und Zutraulichkeit gefielen dem Apotheker und dessen Tochter, und Mackie blieb dort über ein Jahr.

    Regelmässig lieferte er seinen kleinen Wochenverdienst in die Hände seiner Mutter, von den Trinkgeldern aber kaufte er jeden Sonnabend Blumen für sie.

    Und man kann wohl sagen, diese kleinen bescheidenen Jungssträusse wiegen alle Blumen auf, die Mackie in späteren Jahren so reichlich empfangen durfte.

    Die Lebensmittel wurden damals knapp, aber Mackie war immer rechtzeitig darauf bedacht, seinem Körper zu geben, was ihm gebühre. Somit erlag er eines Tages der Versuchung, eine Flasche Rahm und eine Flasche Lebertran-Emulsion mitgehen zu heissen. Da er sie zu Hause nicht zu vertilgen wagte, nahm er die Schätze mit in die Schule. Dort trank er den Rahm selber. Den Lebertran aber, der so ähnlich aussah, schenkte er grossmütig den Kameraden, die sich in der Pause reihum gütlich daran taten.

    Dem kleinen Max bekam der Rahm glänzend. Die Emulsion aber war weniger leicht verdaulich. In der Stunde meldeten sich seine Mitschüler einer nach dem andern, um wegen Übelkeit einen stillen Ort aufzusuchen.

    Das wollte dem Lehrer eine auffällige Sache scheinen, und er forschte nach, drang bis zu der geleerten Lebertranflasche vor, von da bis zu dem Spender und sodann, ungeachtet der flehentlichen Bitten: „Herr Fehse, ich will es auch wirklich nicht wiedertun, Herr Fehse!" — bis zu dem gutherzigen Apotheker, der dann aber dem reumütigen Sünder verzieh und ihn behielt.

    Damals jedoch dachte Mackie, er würde eines Tages Seemann werden wie sein Vater. Allzusehr lockten ihn die fernen Länder, von denen der weitgereiste Bootsmann so oft erzählt hatte.

    Die Kartothek des Hamburger Seemannsamtes enthält übrigens nicht weniger als siebzehn Typen des Namens Schmeling, die alle zur See gefahren sind. Der Vater von Mackies Vater aber war Malermeister gewesen, und dessen Vater hatte die Militärkantine zu Stettin geleitet, war also in der preussischen Heeresverpflegung tätig gewesen und somit sozusagen ein vormärzlicher Kollege des Schwiegervaters seines Urenkels. Mütterlicherseits waren Mackies Grosseltern Bauern aus der Uckermark, in denen aber die Sehnsucht zu Höherem aufstand und sich der Kunstmalerei zuwandte, was teils in Berlin, teils in den Vereinigten Staaten sesshaft wurde. Aber auch der Bruder des Vaters steigerte die vererbte Grundlage der Farbenbehandlung ins Künstlerische, und dieser Onkel lebte in Hamburg.

    Max in seiner weissen Marinebluse, die Schülermütze keck ein wenig auf das rechte Ohr gerückt, den breiten Sportgürtel mit dem doppelten Schlangenschloss eng um die Taille gezogen, verkehrte dort gern, zumal drei nette Kusinen das verwandte künstlerische Haus belebten.

    Mackies aufkeimende Meinung, dass vielleicht Kunstmaler ein noch netterer Beruf sei als der des Seemanns, wurde von seiner Mutter kräftig unterstützt. Denn keine Seemannsfrau wünscht die Sorgen, die sie um ihren Mann gehabt, in dem Sohne noch einmal zu durchleben.

    Der kleine Max wurde also für manchen Nachmittag einem Kunstmaler übergeben, sein Ehrgeiz aber gedachte die Kosten für den Unterricht selbst aufzubringen. Und das gelang ihm volle vier Wochen, indem er als Fremdenführer bei Hagenbeck wirkte. Er tat es heimlich und auf eigene Faust, seine Eltern hätten es ihm nämlich nicht gestattet, und da sein Fehlen nachmittags zu Hause aufgefallen wäre, verlegte er seinen neuen Posten auf die Vormittage. Er schwänzte einfach die Schule. Seine grosse Liebe zu Tieren, die ihn auch heute noch erfüllt, war sicher seiner Idee zu Hilfe gekommen.

    Aber in der Schule roch man schliesslich Lunte. Der Schuldiener wurde zur Erkundigung ins Haus geschickt, und das zweckmässige Abenteuer war aus.

    Max Schmeling sagt selbst darüber: „Ich fand dieses Vorgehen sehr hässlich, denn ich hatte jeden Tag einen Entschuldigungszettel durch meinen Bruder Rudolf abgeben lassen — dass ich für meine Mutter unterschrieb, geschah doch nur, um ihr eine Arbeit zu ersparen ... und noch lange Zeit spürte ich beim Sitzen die Folgen meiner Tätigkeit als Fremdenführer."

    Zu Ende des Krieges war Mackie schon ein stämmiger Junge und Mitglied eines Fussballvereins.

    Seine Erkenntnis, dass es für einen Mann im Leben wichtig sei, Geld zu verdienen, hatte ihn nicht wieder verlassen. Er versuchte in der Zeit der ausserordentlichen Tabakknappheit einen flottgehenden Handel mit selbstgedrehten Zigaretten. Vielleicht kommt es daher, dass es ihm später nie schwer gefallen ist, sich des Nikotins zu enthalten.

    Die Sache ging gut, bis er einmal im Dunkel des Wandsbecker Gehölzes seine Erzeugnisse versehentlich dem eigenen Vater zum Kaufe anbot.

    Der hatte Humor genug, zu sagen: „Bitte, geben Sie mir zehn, aber dann scher dich nach Haus, Bengel!"

    Ānnys erstes Theater

    Annys Vater wurde, wie es bei aktiven Offizieren üblich ist, von einer Garnison in die andere versetzt, von Tarnow in Westgalizien, wo Anny geboren wurde, nach Pola, von Pola nach Theresienstadt, von Theresienstadt nach Prag.

    Zwischen der Adria und der Nordsee erstreckte sich einst das alte deutsche Kaiserreich. Es gab einen alten deutschen Kaisertraum, Adria und Nordsee durch ein phantastisches Kanalsystem über Donau, Moldau und Elbe miteinander zu verbinden. Derselbe Kaiser gründete die erste deutsche Universität, nämlich die zu Prag. Prag liegt auf halbem Wege zwischen Süden und Norden. Manche sagen, es sei auf halbem Wege liegen geblieben und halten es, wie weiland der Triester Theodor Däubler, deshalb für eine zwiespältige, aber reizvolle Stadt. Und heute ist nicht Triest, heute ist Hamburg der Seehafen Prags.

    Bei allen Übersiedlungen war Annys grösste Sorge, ihre umfangreiche Puppenfamilie auch ja vollzählig mitzubekommen. Ihre Lieblingspuppe hiess Leni, und die konnte die Augen auf- und zumachen und sagte, wenn man sie entsprechend bewegte, deutlich „Mama. Im Wettbewerb mit dieser Süssen siegte aber eines Tages der Dackel „Satan, ein schwarzes, wildes, unfolgsames und schlaues Rabenvieh, das sich von niemandem etwas sagen liess, ausser der kleinen Anny. Von Anny liess er sich sogar geduldig ankleiden, von Kopf bis Fuss, mit Lenis Kleid, Höschen, Strümpfen, Hut und Schuhen, und Leni sass nackt und starren Auges dabei. Diesen „Satan" liebte Anny sehr, und wenn er Haue kriegte, weinte sie mit.

    Er war die lebendige Auferstehung eines Stoffhündchens, das sie besessen hatte, als sie noch kleiner war. Das war ein Wunder von Hündchen gewesen: wenn man seinen Schweif drehte, ertönte eine kurze lustige Melodie.

    Eines Tages war man zu Besuch bei Bekannten. Da lagen gerade ein paar ganz junge Hündchen im Korb. Sofort nahm Anny das nächste beste heraus und drehte es am Schweif, gerad als sei es ein Leierkasten. Leider musste sie mit Bedauern feststellen: es spielte nicht.

    Einer von Annys Onkeln hatte die freundliche Gewohnheit, Klein Anny zur Begrüssung auf die Wange zu küssen. Wenn sie diesen netten Herrn beim Spaziergang von weitem kommen sah, sagte sie zu dem Kindermädchen: Minka, wisch mir rasch die Nase ab, Onkel kommt! — Denn sie wusste schon damals, was sie ihrem Äusseren schuldig sei.

    In Prag war Anny schon so gross, dass sie zur Schule musste, und es wurde für sie die Klosterschule gewählt. Denn sie war ein kleiner Unband, der Tag für Tag Theater spielte und Tänzerin zu werden gedachte. Ergatterte sie ein weisses Stück Papier, so bemalte sie es mit zierlichen Tänzerinnen oder schnitt Tänzerinnen daraus, und schliesslich bewegte sie ihren älteren Bruder, ein Puppentheater für sie zu bauen.

    Angeregt war solche frühe Neigung durch den verschiedentlichen Besuch des Nationaltheaters in Prag, wo es Sonntags nachmittags schöne Ballette und Märchen für Kinder gab. Kinos mit Kindervorstellungen kannte man damals noch nicht in Prag.

    Annys älterer Bruder war technisch hochbegabt und ist jetzt Ingenieur der Eisenwerke zu Kladno. Es braucht kaum gesagt zu werden, dass es damals eine ausserordentlich prächtige Puppenbühne für seine kleine Schwester wurde. Die Puppen dazu machte Klein Anny selber, und zwar aus Kartoffeln. Sie bemalte sie süss und zog sie phantastisch an. Auch Tiere durften nicht fehlen; denn der Grossvater mütterlicherseits war Oberförster in den grossen Wäldern der Hanakei in Mähren. Obwohl die Beine des Bühnengetiers nur Streichhölzer waren, erschien Anny doch alles zauberhaft lebendig.

    Hauptsächlich wurden Märchen gespielt. Es befand sich ein grosses altes Märchenbuch im Haus, in dem, wenigstens in der Erinnerung, alle Märchen gestanden haben müssen, die es in der Welt gibt. Aber das schönste darin war das Märchen vom Fliedermütterchen. Es hat kaum eine Handlung und ist ungemein schwer zu spielen, aber vielleicht gerade darum, weil es von allen Tollheiten frei ist, die so oft im Film verlangt werden, ist Andersens Fliedermütterchen bis heute Anny Ondras liebstes Märchen geblieben. Es kam soviel von Abschied und Wiedersehen darin vor, von der Fahrt des Liebsten übers Meer und von treuer Liebe.

    Bald schrieb sie auch selber Stücke und erkor die Stube zur Bühne und stellte befreundete Kinder in den Nebenrollen an. Die Kostüme waren aus Seidenpapier, aber heimlich wurde manchmal der Kleiderschrank der Eltern ausgeräumt, und die würdigen Uniformen der einstigen k. u. k. Armee und die Ballkleider der Mama dienten dann dem Hofstaat der Könige und Königinnen in Annys Kindertheater.


    An der Moldau, in den ausgedehnten Grünanlagen, befindet sich auch ein Planschbecken für Kinder, so schön, wie es Mackie zu Hamburg im Stadtpark nicht mehr geniessen konnte, da er schon zu gross war, als man hier solcherlei eröffnete. Längst badete er schon lieber in der Elbe. Er war ein kräftiger Schwimmer. Aber wenn man dem romantischen Gedanken folgen will, der sich aus der unaufhaltsamen Verbindung von Moldau und Elbe ergibt, so mag es sein, dass Mackies Schicksal schon sehr früh auf dem Wasserwege einen unbewussten zarten Strömungshauch verspürte von einem blonden hübschen kleinen Prager Mädchen, das auch das Wasser liebte.

    Dort in den Moldauanlagen durfte Anny eigentlich nicht spielen. Alle Mütter pflegen dem Sprichwort „Stille Wasser sind tief" unbedingt zu trauen, aber dass ein von vielen Patschbeinen unruhiges Planschbeckenwasser nicht tief sei, wagen manche Mütter nicht zu glauben. Anny aber zog es dorthin. Erstens stand dort ein grosser, alter Holunderbusch, der just aus Andersens Fliederteemärchen zu stammen schien. Und zweitens hatte sie ein nettes kleines Mädchen kennengelernt, das zu diesem Märchen passte und zudem entfernt etwas vom Theater geäussert hatte, sich auch überdies ungewöhnlich zierlich zu bewegen wusste. Es tanzte sozusagen Ballett mitten in dem kleinen himmlisch flachen Anlagensee, vermochte auch wie eine zarte Marmorstatue unbeweglich eine Nixe oder einen Schwan darzustellen. Anny blieb der Atem weg vor Entzücken. Sie wartete Tag für Tag auf nähere Offenbarungen. Nein, sie mochte nicht fragen, um nicht die leise Ahnung, die sie hegte, vielleicht zu bald zerstört zu sehen.

    Eines Sonntags nun in der Aufführung der „Puppenfee" sah Anny zu ihrem Erstaunen und unbeschreiblichen Jubel, dass die Planschbeckenfreundin einer der kleinen Stars auf der Bühne sei. Da hatte ihr Herz keine Ruhe mehr, heimlich musste Lusette ihr alle Übungen und Schritte zeigen, und es dauerte nicht lange, da konnte auch Anny Spitze tanzen und allerhand akrobatische Tanzkunststücke. Ihre Eltern konnten sich gar nicht erklären, woher sie solches habe.

    „Klopfet an, so wird euch aufgetan"

    Es behagte Mackie nicht in der Eilbecker Schule, und er setzte es durch, wieder nach Rothenburgsort zu kommen. Wie er auch später keinen langen Weg gescheut hat, um zu erlangen, was er wollte. Er wurde in der Eilbecker Kirche konfirmiert, und der Tag war festlich geschmückt durch die Anwesenheit seiner drei munteren Kusinen. Der Spruch, den ihm der Pastor mit auf dem Weg gab, hiess: „Klopfet an, so wird euch aufgetan." Kein schlechtes Omen fürwahr für seinen späteren Beruf.

    Auch für das, was er nun erstmal wurde, war es ein gängiger Spruch. Das Kunstmalen hatte er nach zwölf Monaten aufgegeben. Danach hatte ihm eine Weile vorgeschwebt. Förster zu werden, denn sein verehrter Onkel war nebenbei auch ein leidenschaftlicher Jäger. Die Mutier jedoch riet ihm notgezwungen von der langwierigen Laufbahn ab, und das ganz energisch. Somit wurde er Stift in einer Anzeigenvertretung, die mit dem Hamburger Fremdenblatt zusammenarbeitete.

    Es war das

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