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Prosa: Erzählungen und Skizzen
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eBook233 Seiten3 Stunden

Prosa: Erzählungen und Skizzen

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Über dieses E-Book

Der ideale Einstieg in die wunderbar wunderliche Welt des Fritz von Herzmanovsky-Orlando: kurz, kurios, klassisch, komisch! Kakanien in kleinen Dosen.

DIE WELT DES FRITZ VON HERZMANOVSKY-ORLANDO ist ein Kabinett von Kuriositäten, ein Sammelalbum des Sonderbaren, ein Bilderbogen des Bizarren. Sie ist bevölkert von Figuren, weniger von Menschen - von Exemplaren, Gestalten und Ausgeburten. Was ihm einfällt, ist unbedingt ausgefallen. Was er beschreibt, ist Karikatur. Kurz und gut, seine Welt gleicht einem wunderlichen Tiergarten: Treten Sie ein, schauen Sie sich um! Sie werden staunen, wenn Sie sich plötzlich selbst gegenüberstehen.

Band 2 der "konzentrierten Werkausgabe" enthält eine Auswahl von Erzählungen und kürzeren Prosastücken. Viele davon zählen zu Herzmanovskys beliebtesten Werken und sind längst klassisch: "Der Kommandant von Kalymnos", "Apoll von Nichts", "Onkel Tonis verpatzter Heiliger Abend", "Die Wurstmaschine" und viele andere mehr. Hier haben Sie die Welt von von Herzmanovsky-Orlando im Kleinen, ein Käfig voller Narren: Freuen Sie sich auf Pater Kniakal, Cavaliere Huscher und Chinesius von Schluck!
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum2. Sept. 2013
ISBN9783701743650
Prosa: Erzählungen und Skizzen

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    Buchvorschau

    Prosa - Fritz von Herzmanovsky-Orlando

    978-3-7017-1502-2

    Cavaliere Huscher oder von Ybs verhängnisvolle Meerfahrt

    Mein Freund Achatius von Yb, ein liebenswürdiger, stiller und – wie ich besonders bemerken möchte – ein durchaus wahrheitsliebender Mann, erzählte mir einmal die nachfolgende wunderliche Geschichte, die er in schon immerhin reiferen Jahren erlebt hatte. So scheinbar absurd, ja vielleicht von so widerlicher Dämonie erfüllt sie auch an der Hauptstelle erscheint, so ist sie doch unendlich lehrreich, besonders für die heranwachsende Jugend, deren geistige Fundamente in geradezu leichtfertiger Weise auf den trügerischen Sand veralteter und für die bereits eingetretene kosmische Spannungsperiode nicht ausreichender Logikbücher gebaut erscheinen. Meiner Meinung nach gehörte sie eigentlich in die Lesebücher, neben solide Prosa und zwischen die Gipsbrocken anerkannter und geprüfter vaterländischer Lyriker der alten Schule. Und ungewöhnlich wie die ganze Geschichte war auch der ganze Herr von Yb.

    Das Schicksal hatte ihn in eine gar prunkvolle Goldwiege gelegt, oder, wollen wir genauer sein: Die Wiege war aus Ebenholz und mit falschen Elfenbeininkrustationen aufs tollste und unübersichtlichste verziert, wie es die Pariser Mode des zweiten Empire tyrannisch verlangte. Trotz dieser falschen Elfenbeinpracht und trotz dem stilvoll dazu angepassten Nachttöpfchen mit Musik war von Ybs späterer Lebensweg von – wir übertreiben nicht! – geradezu haushohen Disteln umwuchert.

    Weiß der Teufel, in was für Aspekten die großen Himmelslichter zueinander standen, die im Moment seiner Geburt empordonnerten! Damals fiel es noch keinem Menschen ein, Horoskope zu verfassen. Die Schicht, die dies heute tut, machte damals in Wanzentinkturen und Hühneraugenmitteln oder versprach geradezu verboten üppige Büsten und meterlange Schnurrbärte. Denn Aufklärung und Liberalismus blühten. Gummizugschuhe galten als der letzte Chic, und vor allem war jeder, der ein bisschen etwas auf sich hielt, stolz, vom Affen abzustammen, was eine triumphierende Wissenschaft jeden Tag aufs Neue kristallklar bewies. Es war die Zeit, wo ein ankommendes Telegramm oft ein bis zwei Tage liegen gelassen wurde, und angesehene Familien zerkrachten sich in leidenschaftlichen Diskussionen im Für und Wider über die Möglichkeit und den Nutzen der Pferdebahnen. Manch himmelstürmender Sohn wurde ob solcher Fragen mit feierlichem väterlichen Fluch aus dem Elternhaus gestoßen und musste nach Amerika oder nach ähnlichen wilden Ländern. Trotz alledem gab es in dieser lichtvollen Zeit noch immer wahrsagende Zigeunerinnen. Solch eine Vettel – der Ausdruck ist nicht zu stark gewählt! – drang bis zur wöchnernden Mutter Ybs vor, schob die Hebamme beiseite und verkündete mit seherischer Stimme, dass das Kindlein sich ja in acht nehmen müsse vor viel Wasser und ... ja ... vor Mist, oder vor allem, was mit Mist zusammenhinge ..., setzte sie, starr in die Ferne blickend, hinzu.

    Frau von Yb erschrak fürchterlich und war wütend, dass in ihrem feinen Hause von so ordinären Dingen wie Wasser oder gar Mist gesprochen würde, und verweigerte der Hexe den Liedlohn. Unter gurgelnden Verwünschungen verschwand die schmutzige Tochter Indiens, aber ihrer Rede Samen war auf fruchtbaren Boden gefallen.

    Aufklärung hin, Aufklärung her – man berief einen Familienrat ein, dem Onkel Doppelhör präsidierte, ein Mann von so stadtbekannter Vorsicht, dass er sogar am Schattenspender einen kleinen Blitzableiter mit nachschleifender Silberkette trug. Bald war man sich einig, dass für den kleinen Achaz zwei Dinge ein für allemal ausgeschlossen seien: a) dass er einmal später Admiral und b) dass er Großgrundbesitzer würde. Dafür schlug der besagte Onkel Doppelhör für das Knäblein den bekanntlich außerordentlich trockenen und man könnte gewiss sagen durchaus müllfreien Beruf vor, an den Brüsten der Wissenschaft ... die Damen sprangen empört und schamglühend auf und fächelten sich wie toll. Aber schließlich einigte man sich doch, den Kleinen einen namhaften Privatgelehrten werden zu lassen.

    Von seiner Kindheit und Jugend ist mir so gut wie nichts bekannt. Ich hatte das Vergnügen, ihn auf einem Kongress der Akademie der Wissenschaften kennenzulernen, nebenbei erwähnt, einer der leidenschaftdurchwühltesten Sitzungen, die diese überaus vornehme Vereinigung zu verzeichnen hat. Gab es doch eine erregte Diskussion. Musste da nicht irgendjemand aus einem andren Parnass des Geistes Zugereister mit der Frage, ob Archimedes oder Raimundus Lullus als der Erfinder der Geduldspiele anzusehen sei, in ein wahres Wespennest stechen?

    Das Geschnatter war furchtbar. Glatzköpfe hieben voreinander staubkrachende Schmöker auf den Boden oder hielten sich, vor Leidenschaft zitternd, an den Gehrockknöpfen fest. Manche spuckten sogar voreinander aus. Plötzlich tauchte ein gelehrter Kopf mit eisig funkelnder Brille auf und brachte Licht in die trübe Wirrnis. Es war Ernst Mach, der große Physiker, den ich damals ehren und bewundern lernte. Neben mir krähte ein Herr vor Begeisterung. Wir schüttelten uns die Hände, es war Achatius von Yb, den ich einige Jahre später unter traurigen Umständen wieder sehen sollte. Zur Zeit unseres ersten Zusammentreffens mochte er Anfang der Dreißig gewesen sein. Er sah aber ganz unbestimmbar alt aus. Sein schütteres, seidendünnes Haar war von fahler Farbe, seine Haltung etwas vorgebeugt. Seine Kleidung, nachlässig, doch von bester Qualität, sah schon, wenn sie vom Schneider kam, verlegen und verschossen aus.

    Die Eltern, schwerfällige Leute der Gesellschaft, waren frühzeitig verstorben, noch zur Zeit, da von Yb die Universitätsstudien noch nicht beendet hatte. Sie hatten eine vornehm-dunkle Wohnung in einem monumentalen Stadtviertel inne, in welcher der Sohn einen Hoftrakt bewohnte. Auch nach dem Tode der Eltern blieb von Yb in seinen düsteren Junggesellengemächern wohnen, nach wie vor in seine unentwirrbaren Studien und eigenartigen Betrachtungen versenkt.

    Dabei war er keineswegs menschenscheu: Zweimal im Jahr gab er ein großes Fest, bei dem die sonst nie betretenen Salons im Glanz unzähliger Kerzen erstrahlten und die melancholischen Gemächer für wenige Stunden von einem rauschenden Scheinleben erfüllt waren. Dann war wieder alles totenstill um ihn, der seine Zimmer oft jahrelang kaum verließ.

    Wenn ihm damals jemand gesagt hätte, dass er einmal scheu von einem seiner fünfzig Absteigquartiere ins andere würde huschen müssen, und all dies einer kleinen Dummheit wegen, zu der ein unscheinbarer Moment den Grundstein legte.

    Das kam so: Herr von Yb begab sich eines Morgens aus der dunkel getäfelten Studierstube, in die nur in den ersten Sommertagen ein vereinzeltes Goldlicht von irgendwoher fiel und dann allerdings ein zauberhaftes Spiel von melancholisch kurzer Dauer aufführte, in seine Bibliothek, ein schmales Gemach mit arkadenartigen Bogenfenstern, die in einen halbfinsteren Lichthof hinaussahen. Da fiel es dem versonnenen Privatgelehrten auf, dass mehr Licht als gewöhnlich in dem bücherdufterfüllten Gelasse sei, und als er an eins der Bogenfenster trat, sah er, dass hoch oben im schmalen Spalt des Lichtschachtes juwelensprühendes Sonnenlicht eine wahre Orgie von Strahlengeglitzer aufführte.

    Der kristallklare Himmel war von der dunklen Bläue, wie man sie sonst nur über Gletschern sieht, und leuchtend weiße Wolken zogen wie jubelnde schneeige Engelscharen in raschem Fluge immer und immer wieder vorüber. Tief unten, am Grunde des Hofes, neben einigen moosigen Stellen an der schweren Rustika, zwitscherte ein armseliges Vögelchen in seinem Käfig, und gerade Yb gegenüber waren die Fenster eines Glasganges, in den das Kofferzimmer einer hochherrschaftlichen Wohnung des Nachbarhauses mündete. Eine offene Gasflamme in einer Milchglasschale brannte Tag und Nacht in dem mit Gepäckstücken aller Art gefüllten Raume, wie dies Yb schon des Öfteren, wenn auch ohne besonderes Interesse, bemerkt hatte.

    Da geschah es, dass dieses Zusammentreffen geeigneter Umstände in von Yb mit suggestiver Gewalt eine noch nie gekannte Sehnsucht nach den Schönheiten dieser Welt erweckte, so dass er sich mit dem Gefühl süßer Wonne, wie sie so voll und ganz nur Kinder am Vorabend der Ferienfahrt empfinden können, daran machte, alles zum Antritt einer großen Reise vorzubereiten, einer Reise, die ihm zum ersten Male das Meer zeigen sollte.

    In Genua wollte er dieses großartige Schauspiel Wahrheit werden lassen, wozu wohl im Unterbewusstsein der Umstand mitwirkte, dass sein Großvater 1849 unter Radetzky in Oberitalien gekämpft und dort den Heldentod gefunden hatte.

    So war dies Land, das wie nicht bald ein anderes der Brennpunkt tragischen Geschehens ist, mit seinem Blute irgendwie verknüpft, so dass er, der Enkel, in einer Art dämonischer Anziehung zu diesen bizarren, dabei doch wieder philisterhaftbetriebsamen Provinzen, dieser transalpinen Spiegelung Sachsens, sich unterwegs befand. Im schwach besetzten Nachtschnellzug fuhr er weg, um nach angenehmer Fahrt die Frühnebel Kärntens zu erblicken. An großen Seen jagte der Zug vorüber, durch herrliche, tiefdunkle Wälder, endlich an frischbeschneiten, ins Gigantische getürmten Bergreihen dahin, um am Frühnachmittage die italienische Grenze zu erreichen.

    Hart abgeschnitten begann dort eine andere Welt: hier waldreiche, nordische Behaglichkeit, wenige Schritte davon auffälliger Holzmangel, verstaubte Steinhäuser, flatternde schmutzige Wäsche, öde Gassen, durch die stark besetzte Eselskarren jagten. Über dem Ganzen ein Geruch, gemischt aus Öl, essigstichigem Wein, Rauch und dem fadsüßlichen Brodem, wie er Leichenzimmern anhaftet. Nach unnütz langem Zollaufenthalt – von Yb war, wie er sich leicht überzeugen konnte, der einzige Reisende – tollte der ratternde Zug in wahrhaft beängstigender Weise an den steilen Felswänden dahin, war umtost von sich immer steigernden, unerklärlichen Donnerschlägen in den zahllosen Tunnels und sprühte um die Kurven, dass man nicht gerade stehen konnte.

    In einer kleinen Station, in der der Train mit Klirren und Krachen anhielt, stieg eine einzelne, überelegante Dame ein, setzte sich von Yb gegenüber, um ihn mit rätselhaft großen Augen, Augen, wie er sie noch nie gesehen hatte, anzustarren.

    „Glaukopis Pallas Athene", fiel ihm da unwillkürlich ein.

    Eine Station später verließ ihn die Erscheinung wieder, um einem schwarzgekleideten Herrn Platz zu machen, dessen hagere Gestalt ein ganz kleines, olivgelbes Vogelköpfchen krönte, schwer durchfurcht, und die Furchen wieder ausgefüllt mit einer tiefschwarzen Patinamasse, wie man solche bei frisch ausgegrabenen Antiken zu finden pflegt. Dieser Mann zog nach einiger Zeit dumpfen Brütens eine Dose hervor, schnupfte und ließ besagtes Kleinod ein Preislied auf den längstverschollenen General Palafox, den Helden von Saragossa, erklingen. Dann flogen noch zwei große Fliegen davon, die er wohl mitgebracht haben mochte. Er aber, der wusste, was sich gehört, fing an, sie mit einem blauen Schnupftuch zu jagen, wobei er mit den Schnallenschuhen seinem Gegenüber heftig auf die Füße trat, wodurch sich wie von selbst eine Konversation ergab. Er sei Spanier und zum vierten Male bis ganz knapp an die Grenze Österreichs, das Sehnsuchtsziel seines Lebens, gekommen, müsse jedoch abermals aus Geldmangel umkehren.

    Yb erstaunte über das befremdlich hohe Organ des alten Mannes. Der fuhr fort, er sei Priester gewesen und trotz seines erhabenen Berufes dreimal schwer durch Messerstiche verwundet worden, am schlimmsten das letzte Mal, bei den Lamentationen am Gründonnerstage des verflossenen Jubeljahres.

    Von Yb gab seinem Bedauern lebhaften Ausdruck und fragte, warum er denn sein hohes Amt zurückgelegt habe. Auf das hin krähte der Mitreisende noch ein paarmal schrill auf, murmelte etwas von kanonischer Unvollkommenheit, zuckte die Achseln und sah fortan stumm zum Fenster hinaus.

    So ging das weiter, bis man Udine erreichte.

    Gellendes Leben erfüllte die Bahnhofshalle. Überall brannten grelle Lichter, und übermäßig viel Volk drängte am Perron herum, war offensichtlich den Bediensteten im Wege und trat schlummernde Kinder, die gewohnte Schlafstätten auf dem Steinpflaster des Bahnsteiges haben mochten.

    Man nötigte unsern Reisenden in den Speisesaal, wo auf einem vergoldeten, altarartigen Buffet in schreiend bunten Farben leuchtende Flaschen mit eiskaltem Schwefelwasser und gallbittre Liköre standen. Prunkvoll kostümierte Generale und fächelnde dicke Damen mit schwarzbehaarten Warzen promenierten im Saal, auch viele auffallend hübsche Mädchen, bunt gekleidet, manche mit hohen Kämmen und Spitzenshawls, durchzwitscherten die Menge.

    Ein Kellner mit einem unheimlichen, starren Glasauge pries Herrn von Yb, während er ihm eine südländische Schüssel servierte, die Reize eines jungen Mädchens an, das sich einer nicht alltäglichen Anomalie rühmen dürfe. Doch indigniert wehrte von Yb ab.

    Um seinen Hauptverdienst gekommen, versuchte der Garçon sich wenigstens durch Herausgabe nicht gangbarer Kupfermünzen einigermaßen schadlos zu halten; doch unser Reisender war entzückt, Soldi des letzten Dogen von Venedig, Manin, eine Notmünze des von Voltaire besungenen Königs Theodor von Korsika, ja selbst die reichverschnörkelte Kontrollmarke eines Neapler Bordells aus Casanovas Tagen zu bekommen, so dass er fast das schrille Glockenzeichen zur Abfahrt überhörte.

    Der Zug brauste in die Nacht hinaus, um plötzlich langsamer zu fahren, nach minutenlangem, jammergellendem, immer steigendem und fallendem Pfeifen stehen zu bleiben und schließlich wieder in die Station zurückzufahren.

    Kaum im Bahnhof angelangt, begann ein Laufen der Stationsbeamten zur Lokomotive, wo unter Laternenschwenken eine von allen Seiten heftig geführte Debatte begann.

    Yb, der sich auch nach vorne begeben hatte, konnte dem in friaulischem Dialekte geführten Streite nur so viel entnehmen, dass man „Es gesehen habe, ganz deutlich, und dass es genau so gehen würde wie „damals vor siebzehn Jahren. Unter keinen Umständen führen sie weiter, weder er, Cesare, der Maschinist, noch Pompeio, der Heizer.

    An wen immer sich von Yb wandte, ihm gegenüber schwieg alles wie ein Grab. Endlich gestand ihm ein alter Träger, dem er ein überraschend hohes Trinkgeld zugesteckt hatte, dass es der „Gnomenleichenzug von Verona" gewesen sei, den man noch nie so nahe bei Udine gesehen habe, und der sehr Böses voranzeige. Er solle ihn aber nicht verraten und brotlos machen, da diese Geistererscheinung als tiefstes Amtsgeheimnis vor Fremden sorgfältig verborgen würde. An eine Weiterfahrt auf dieser Strecke sei natürlich nicht zu denken.

    Und richtig wurden die Passagiere in einen andern Zug umquartiert, der aus ganz veralteten Waggons der ersten Eisenbahnepoche bestand, die trübselig beleuchtet in die laue Sommernacht fuhren. Als er sich in seinem Abteil näher umsah, umgab ihn ein so anheimelndes Gefühl vormärzlich-großmütterlicher Stimmung, dass es dem einsamen Reisenden seltsam weich ums Herz wurde. Die Decke des Wagens war mit bunten Arabesken bemalt, die Wände aus graugesternter Wachsleinwand, die Sitze tief und behaglich, die Fenster wie bei alten Kutschen unten abgerundet und mit bequemen Armschlingen in Perlstickerei versehen. Auch eine Tapetentür gab’s in dem engen Raume, die seinen Forscherdrang nicht wenig reizte.

    Neugierig öffnete er und trat in ein Nebencoupé, das fast den Eindruck eines Boudoirs machte; lagen doch Damenkleider herum, und ein feines Parfum erfüllte den Raum. Dort gab’s wieder eine Türe, die er zaghaft öffnete. Was er aber jetzt sah, ließ ihn nur mit Mühe einen leisen Schrei der Überraschung unterdrücken: Von einer Ampel rosig beleuchtet, erhob sich ein Himmelbett, und auf ihm schlummerte in malerischer Attitüde ein wunderschönes, schwarzlockiges Mädchen. Auf den Zehenspitzen zog sich der Diskrete in sein Abteil zurück, wo es ihm nach einiger Zeit Wartens gelang, des an den Laufbrettern heranturnenden Kondukteurs habhaft zu werden. Auf die Frage, ob er etwas über die Dame nebenan wisse, erfuhr er, dass es die jüngste Enkelin der berühmten, 1854 an der Cholera verstorbenen Tänzerin Taglioni sei, dass ihr das Operntheater in Port Said gehöre und der Waggon, ein alter, ausrangierter, sardinischer Hofwagen, von ihr gemietet wäre. Der Herr befände sich im Kammerherrncoupé, was übrigens gar nichts mache, dabei hielt er ihm die offene, affenartig behaarte Hand hin. Kaum war der faunisch lächelnde Schaffner verschwunden, als eine noch nie dagewesene Abenteuerlust von Yb übermannte. Eine große Tüte Pralinés aus seinem Gepäck nesteln und die Tür zum Heiligtum Cupidos gewinnen, war eins.

    Leise stahl er sich zum Lager der Schönen. Sein Herz schlug im Takt zum dumpfen Rollen der Räder unter seinen Füßen. Schon lag er auf den Knien und drückte einen flüchtigen Kuss auf die rosigen Lippen seiner anbetungswürdigen Reisegefährtin. Damit war seine ganze Kühnheit erschöpft, und er wollte wieder auf leisen Sohlen zurückschleichen. Aber die schöne Schläferin erwachte, schlang ihren schwellenden Arm um den Knieenden und murmelte leise, wie ein Hauch: „Oh ... momognone mio ...", schlug dann die Augen auf und stieß mit einem Schrei der Entrüstung den verliebten Fahrgast von sich. Eine wogende Flut von Schimpfworten in der Lingua franca folgte. Zuerst war von Yb sprachlos, und er wusste nicht, was er tun sollte. Schließlich fiel ihm das Einfachste und Beste in seiner peinlichen Lage ein: Er überreichte der Erzürnten die Bonbonniere. Man nahm sie an. Grollend verschlang das holde Mädchen den wohlschmeckenden Inhalt, ward ruhiger und ruhiger und fragte endlich in

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