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Der Gast
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eBook154 Seiten2 Stunden

Der Gast

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Über dieses E-Book

Als Möne Braaken den Maler Pirmin Scheufelrainer heiratet und zu ihm in die Berghütte gezogen ist, die er für dauernd eingerichtet hat, scheint das Glück perfekt. Doch Pirmin entdeckt Aufzeichnungen seiner Frau, in denen er nachzuspüren versucht, was er Möne bedeutet. Was er nicht weiß, ist, dass es wirklich in ihrer Vergangenheit eine rätselhafte Beziehung gegeben hat, die Mönes Gefühle auch für ihren Mann beeinflusst. Eine Tages steht ein Gast in der Tür der Jagdhütte.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum13. Okt. 2015
ISBN9788711467169
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    Buchvorschau

    Der Gast - Hans Leip

    Saga

    Sie stammte von der nördlichen Küste und hieß Möne Braaken, hatte Musik studiert und auf der Hochschule jemand kennengelernt, der zu Großem berufen schien, aber ins Leichtere geriet. Darüber entzweite sie sich mit ihm. Sie war damals dreiundzwanzig und heiratete bald einen Maler, der eben zu Erfolg kam, und zog mit ihm gen Süden in seine Heimat.

    Nun wohnte sie schon runde zehn Jahre viele hundert Meter höher als der ferne krause Spiegel der See und hatte sich eingewöhnt. Es war dort unterhalb des Pursenjochs im Londagog, südwestlich vom Montafongebiet, unweit der heute durch ihre Malereien berühmten Kapelle Birgitt im Gschwand, wo es auf der Flunt heißt für den, der es weiß. Dort hatten sie die kleine Jagdhütte, die Pirmin Scheufelrainer schon als Junggeselle besessen, erweitern lassen und für dauernd eingerichtet.

    Die pfeifenden Murmeltiere und das Gekrächz der gelbschnäbeligen Bergdohlen, das mag ein trefflicher Ersatz sein für die Kaninchen der Heide und die Möwen der See. Über das Herz aber wollen wir schweigen, bis der Wind vorm Fenster leise ist, damit der Pulsschlag zu hören sei, der durch das Unbegrenzte tickt.

    Sehnsüchtiges Herz! Unersättliches Herz!

    Wer die beiden kannte, mußte sie für glücklich halten. Und sie selber versicherten oft — und nicht nur in Gesellschaft — daß kein Ort in der Welt so schön und geruhig sei wie der erwählte. Hatte Pirmin sie im Anfang ihres Beisammenseins manchmal scherzhaft, seiner behutsam täppischen Art gemäß, das Seufzerl genannt, so war das lange her und stand in keinem Zusammenhang mit ihrer klaren innersten Entscheidung. Sie war aufgeblüht wie ein Busch Almrausch, und blieb sie auch ohne Kinder, so hatte sie doch auch keine Sorgen, pflegte Haus und Garten, soweit dort oben von Garten die Rede sein konnte, mit Geschmack und brachte manche freie Stunde, falls sie nicht musizierte, damit hin, ein Tagebuch umständlich mit der Beschreibung der Alltäglichkeit zu füllen, wobei ihr nichts gleichgültig erschien, sei es der Zustand des spärlichen selbstgezogenen Gemüses oder die Übungen am Klavichord oder die Blumen im Krug, sei es die Art und der Anklang der Suppe oder des Puddings oder die Gespräche bei Tisch oder sonstwo oder die Inhaltsangabe gelesener Bücher und Zeitschriften, ganz abgesehen von den seltenen Besuchern, deren Erwähnung viele Seiten beanspruchte, übertroffen höchstens von den Schilderungen neuer Gemälde ihres Mannes, zumal bei seinem steigenden Ruhme. Pirmin wußte übrigens in diesen Geheimblättern seiner Frau, ohne daß sie es ahnte, gut Bescheid. Sie pflegten beide nichts voreinander abzuschließen und hätten nie daran gedacht, in den Schubladen nach gegenseitigen Entdeckungen zu fahnden, denn ihr Vertrauen und Takt schien fest gegründet, so daß es reiner Zufall war, als beim Suchen einer Freimarke der Wind durchs offene Fenster fuhr und von dem säuberlichen Stapel dicker, in rotes Wachstuch gebundener Hefte, die ein Schreibtischfach ziemlich füllten, das oberste aufschlug und Pirmins raschem Auge, ob er wollte oder nicht, einen höchst freundlichen Satz über sein letztgeschaffenes Bild enthüllte. Er war, wie alle Maler, so dankbar als mißtrauisch über jedes Wort, das versuchte, etwas, das für ihn einzig in Form und Farbe auszudrücken war, mundgerecht zu erläutern, und so war es vielleicht verständlich, wenn er dem Windstoß ein wenig nachhalf und, da er sich unbeobachtet sah, ein paar Sätze mehr las, die alle noch vom gleichen Gegenstand handelten und ihn maßlos erstaunten. Denn gesprächsweise pflegte Möne sich keineswegs so ausführlich zu äußern, namentlich nicht über das, was seine Sachen anging, und es hätte ihn auch mehr bedrängt als erbaut. Hier aber, so still und ohne Zeugen, rührte und schmeichelte es ihm, und er hörte erst auf zu lesen, als ohne Übergang etwas Belangloses von dem täglichen Weg zur Schlü-Alm dastand, wo Möne Butter und Milch bezog.

    Von da an hatte er öfters den Wind gespielt, wie er es bei sich nannte, indem er es sich verschmitzt und lustig machen wollte. Denn zu bösem Gewissen spürte er von Natur keine Neigung. Er war von gedrungener Bauart innen und außen, nicht gerade stiernackig, aber von genügender Härte und Gutmütigkeit, auch in Bezug auf sich selber, um ohne viel Umschweife und Quälereien durchs Dasein zu kommen. Hätten ihm die Redewendungen so vortrefflich zu Gebote gestanden wie seiner Frau in den Tagebüchern, er hätte wohl eine Möglichkeit gefunden, die Näscherei zu beichten. So aber druckste er ein paarmal herum, kam darüber hinweg und gewöhnte sich an die gelegentliche Lektüre auf Zehenspitzen wie an irgend ein freundliches Laster und Narkotikum, ja, diese insgeheime Beleuchtung seines Schaffens, die, obwohl kindlicher, doch um vieles liebenswürdiger und inniger war als das, was die Kritiker der Ausstellungen zu sagen wußten, wurde ihm bald zu einer unentbehrlichen Anregung. Und lange Zeit beschränkte er sich streng einzig auf das, was ihn so persönlich anging.

    Aber die Grenzen des Persönlichen sind in einem gemeinsamen Haushalt schwer festzulegen, und je mehr er das freigebige geheime Mitteilungsbedürfnis der ihm lieben Frau als Echo und Anreiz seiner Arbeit genoß, desto begieriger wurde er, nicht nur sein Werk, sondern auch seine Person gespiegelt zu finden, was denn in den Berichten über die Mahlzeiten und über Spaziergänge und Ausflüge hin und wieder sich ergab, ohne jedoch mehr als äußerliche Erwähnungen, etwa des Anzuges oder ob rasiert oder nicht, und der pünktlichen Wiedergabe seiner kargen Gesprächsbrocken zu bieten. Was er suchte, war natürlich etwas Herzliches, etwas, das ihre eigene aufrichtige Meinung über ihn recht sichtbar ins Licht stelle. Nicht, daß er erst Beweise ihrer Zuneigung hätte erfischen brauchen. Er konnte sich nicht über mangelnde Freundlichkeit und Gefälligkeit beklagen und entsann sich auch manch zärtlichen freimütigen Wortes. Aber schriftlich vermißte er es, dort, wo es ohne jede Schämigkeit wie zu sich selber gesagt hätte hervorquellen dürfen, der ungezwungenen Genauigkeit des Übrigen gemäß, und wäre es nur die Andeutung dessen gewesen, daß sie sich zufrieden und geborgen bei ihm fühle. Er las nach und nach, immer, wenn sie zur Alm zum Milchholen war, die gesamten Hefte durch, und es waren mehr als zwei Dutzend. Was er gewann, war ein sonderlich getreues und behagliches Abbild seiner zehnjährigen Ehe und Werkstatt, und doch schien ihm schließlich, als habe er trotz allen Reichtums des Ausdrucks in nichts mehr als in einem Foto-Album geblättert.

    Gewiß, er war klug genug, sich zu sagen, daß unbefangenere Leser als er nichts als den Eindruck einer angenehmen und heiteren Erscheinung in jeder Zeile bestätigt gefunden haben würden, denn wie ein wahrhaft Gesunder kaum je von seiner Gesundheit spricht, so ein wirklich Glücklicher kaum von seinem Glück. Er schalt sich töricht, überhaupt noch zu fragen, wo jeder Tag ihm bewiesen hatte und bewies, wie prächtig Möne zu ihm gehöre. Er ertappte sich, daß er auf der Lauer lag nach ihren Bemerkungen, ihren Blicken, ihren Gesten, ja, ihren Atemzügen, daß er keine ihrer Freundlichkeiten mehr hinnahm wie sonst, sondern sie abschätzte und verglich, bis sie es denn merkte und sich still wunderte und zurückhaltender wurde und noch weniger redelustig als sonst, so sehr hingegen er sein Gespräch zu beleben anhub und keine Mühe und Holperei scheute, anregend zu wirken.

    Und was er sonst kaum je fertig gebracht, er setzte sich nun bisweilen zu scheinbarer Andacht in die Nähe, wenn sie Klavichord spielte. Die Räume der einstigen Jagdhütte gestatteten kein größeres Instrument und, da ihn beim Malen jedes Geräusch störte, auch kein lauteres. Er war ziemlich unmusikalisch und höchstens fürs Zuschauen und nicht fürs Zuhören geduldig genug, und so hatte er denn auch bald das Skizzenbuch dabei, recht wie ein Verliebter, sie zu konterfeien, wobei er, nach seiner Art, bald vor sich hin zu stöhnen und zu fluchen begann, auch verlangte, sie solle sich weniger bewegen.

    Aber selbst über derlei Ungewöhnlichkeit fand er keineswegs eine persönlichere Stellungnahme in Mönes Tagebuch, sondern einzig die üblichen kargen Beobachtungen wie: P. heute sehr unruhig. Es ist Föhnwetter. Auch liegt ihm das Figurenzeichnen nicht. Ich spielte: Vier weiße Reiter ...

    Und die wörtliche Aufbewahrung seiner stolprigen Erklärungen zur Weltlage und gar seines bemühten tapsigen Liebesgeflüsters drohten ihm nicht nur das heimliche Lesen, sondern auch das Haus und alles, was er so trefflich geschildert fand, ja, seine ganze Malerei und die Berge und sogar die Jagdausflüge und schließlich sich selbst zu verleiden. Seine Neigung zu der Schreiberin dagegen entfachte sich mehr denn je, und das weniger zu seinem Vergnügen als zu seiner Last, als entpuppe sie sich, die ihm so selbstverständlich und nichts als lieb gewesen, erst jetzt als eine Aufgabe und wie ein gänzlich aus dem Blauen neu zu schaffendes anspruchsvolles Bild.

    Denn die Ungerührtheit ihrer Darstellungen damit zu erklären, daß ihr die wärmere seelische Tiefe fehle, aus der alle echte Anteilnahme zum Ausdruck drängt, ließ die Eitelkeit in ihm nicht zu. Er hatte sich geschmeichelt und in den Bestätigungen seiner Freunde gesonnt, daß er ein ausnehmend feinfühliges Geschöpf zu seiner Gefährtin erjagt habe, so, wie es einem nervigen Künstler zur Ergänzung gebühre und wohltue. Kurz, seine Gleichmäßigkeit, die ihn in allen Verrichtungen ausgezeichnet hatte, sein Fleiß, seine Schaffensfreude, sein Appetit, sein guter Schlaf und sein derber schlichter Humor, seine ganze sichere, bequeme und einträgliche Grundlage geriet ins Wanken. Er wurde unerquicklich. Und eine aufbegehrende wilde Art, sich der eigenen und ihrer Liebe machtvoll zu versichern, mußte, da das Täppische nie sanft gewesen war und das Behutsame weniger verständnisvoll als verlegen, sich nunmehr als gewaltsam und kaum als überwältigend zeigen.

    Möne widerstrebte zwar nicht, sie war gesund genug, es sogar zu genießen. Er aber, dem sonst der Zuklang offener Sinnlichkeit ein unvergleichliches Labsal bedeutet hatte, schien jetzt darüber hinweg zu lauern nach verborgenerer Harmonie. Ihm wollte es trübe dünken, daß sie gänzlich nur von sich erfüllt sei anstatt von ihm. Und es sengte ihn, bis er, sich selber zur Verachtung, wieder an ihren Schreibtisch schlich, ob denn nicht dennoch auch dort nun endlich ein Funke angegangen sei, ein funkelnder Bogen zwischen ihm und ihr, von dem er träumte, er, der sonst den Träumen abhold gewesen. Aber er entdeckte nicht viel mehr als sonst. Und geradezu verletzt fühlte er sich durch die nüchterne Bemerkung: P. ist augenscheinlich in einer Krise und sehr anstrengend. Er übernimmt sich, geht kaum aus dem Haus, kränkelt. Möge es einen neuen Aufschwung seines Schaffens einleiten!

    Ihre Schrift allerdings schien ihm weniger klar und zierlich als sonst, und dem Tagesbericht war, wie oft in den ersten Jahren, doch diesmal in auffällig großen Zügen angefügt: Ich hoffe, was ich schon manchmal gehofft ...

    Aha, war es das? War es je eine wichtig zu nehmende Hoffnung gewesen? Reichte er nicht aus? Immer noch nicht? Mußte es ein Würmchen sein? Er sehnte sich nicht darnach, er malte Berge und keine Putten. Er hielt ganz und gar nichts von einer körperlichen Fortsetzung bei Künstlern, die nur eine Enttäuschung oder eine Übertrumpfung ergeben konnte. Ihm war es mit der Einmaligkeit seines Namens und Ruhmes ernst. Und er brachte, so geschickt er es vermochte, ganz allgemein das Gespräch darauf, und da sie nur seufzte, wie in alter Zeit, vergaß er alle einstige Zärtlichkeit und polterte seine Ansicht hervor, gröblich wie nie. Es war kein ersprießlicher Zustand.

    Und als der Schnee kam und man auf gute Weise zu Tal gelangen konnte, nahm Pirmin seine letzte Würde, wie er sich sagte, zusammen und reiste seinen Bildern nach in die Ausstellungen.

    Bis dahin war er stets mit seiner Frau gereist. Es wäre ihm wohl auch sauer geworden, ihr rundweg zu empfehlen, diesmal daheim zu bleiben. Sie hatte aber vorgebaut und ihre Mutter zu Besuch gebeten. Und da diese eine muntere und kluge Dame war, ließ er bei seiner Abfahrt durchaus keine geballte Trauerwolke zurück. Er wußte nicht, sollte er sich freuen oder ärgern.


    Ihre Mutter liebte den Winter in den Bergen und verstand sich, wie die Tochter, auch ein bißchen aufs Schilaufen, schlank und emsig, wie sie trotz der grauen Haare geblieben war. Sie hatte die Heimatstadt längst mit einer südlicheren vertauscht, um ihrem einzigen Kinde näher zu sein. Immer hatte sie sich bereitgehalten, zu irgend welchem Beistand gerufen zu

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