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Geben ist seliger denn Nehmen
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eBook383 Seiten5 Stunden

Geben ist seliger denn Nehmen

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Über dieses E-Book

Der fünfundzwanzigjährige Johann ist ein ruhiger und stiller Vertreter seines Geschlechts. Als er zufällig  er auf die blutjunge und elfenhaft schöne Sara trifft, die kaum der Kinderzeit entwachsen ist, ist Johann hin und weg, Liebe auf den allerersten Blick. Seine Schüchternheit verhindert ein schnelles Kennenlernen und doch kommen sie zusammen. Für beide ist es die eine große Liebe, die es nur einmal im Leben geben kann. Schon bald heiraten sie. Beide bekommen eine Tochter, Thea, und ab jetzt ist diese Familienidylle komplett, bis Saras schreckliche Krankheit die junge Mutter hinwegrafft.

Johann verzweifelt fast an diesem Schicksalsschlag und lebt nur noch in seiner Trauer, aber seine kleine Tochter braucht ihn, und mit der Hilfe seiner Eltern und Schwiegereltern versucht er, ihr Vater und Mutter zugleich zu sein. Andere Frauen interessieren ihn überhaupt nicht mehr.

Dann gibt es noch Anna, die eher unscheinbare alleinerziehende Mutter, eine Friedhofsbekanntschaft, die später Theas mütterliche Freundin wird, und ihr "kleiner Bruder".

Plötzlich kracht Emma wie ein aktiver Vulkan mit brachialer Wucht in sein bis dahin graues und beschaulich träges Leben, Emma, die äußerst attraktive und rassige, lebenslustige und verwöhnte Nymphomanin, Tochter reicher Eltern. Sie stellt Johann und Theas Leben total auf den Kopf, bis ihre Kontakte zum Organisierten Verbrechen in einer Katastrophe enden.

Für Thea scheint sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden die dramatische Geschichte ihrer Eltern zu wiederholen...

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum11. Sept. 2019
ISBN9783748715139
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    Buchvorschau

    Geben ist seliger denn Nehmen - Franz Hermann Romberg

    *

    Dies ist ein Roman. Daten und Zeiten sind weitestgehend korrekt wiedergegeben worden und die Orte existieren tatsächlich. Die Handlung und die handelnden Personen sind dagegen frei erfunden und jede etwaige Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wäre rein zufällig.

    1 Erinnerungen

    Es war noch kühl an diesem frühen Samstagmorgen im April 2001 und silbern lag noch glänzend-nasser Tau auf dem Gras, doch die Sonne, die gerade erst zögernd aufgegangen war, versprach von einem beinahe wolkenlosen Himmel einen schönen Frühlingstag; nur wenige weiße Wolken waren zu sehen und ein leichter Wind wehte durch die Zweige der Bäume, die bereits jetzt, viel zu früh für diese Jahreszeit, ein erstes zartes Grün erkennen ließen. Ein frühes Eichhörnchen kreuzte flink und keck Johanns Weg, lief schnell einen Baumstamm hinauf, verschwand in den noch frühlingshaft schwachen Zweigen und dem allerersten Grün des Baumes und ward nicht mehr gesehen, und auf einer freien Rasenfläche saß, ihn aufmerksam beobachtend, fluchtbereit, doch eifrig mümmelnd, ein scheues kleines Kaninchen. Vereinzeltes Vogelgezwitscher ließ den nahenden Frühling ahnen. Sonst war es still auf dem Friedhof.

    Johann Bauer bog von dem breiten Hauptweg ab in einen kleinen Nebenweg, ging auf eine gut gepflegte Grabstelle zu, blieb stehen und verhielt dort einen kurzen Augenblick lang bewegungslos in beinahe andächtiger Stille. Seine blauen Augen prüften schnell und trotzdem gründlich das Grab, an dem er hoch aufgerichtet und doch mit leicht gesenktem Kopf völlig unbeweglich stand.

    Sein volles dunkelblondes Haar war nackenlang und reichte bis über den Kragen seines hellblauen Hemdes, es gab trotz seiner Länge seinem ruhigen Gesicht einen soliden Rahmen, seine sehr gerade Nase, die vielleicht eine Kleinigkeit zu groß war, und volle Lippen ließen sein Gesicht für andere markant erscheinen und zusammen mit seiner eindrucksvollen Größe von fast einem Meter neunzig wirkte er außerordentlich ruhig und distinguiert. Er war schlank, beinahe hager, zurückhaltend im Wesen, was seine Freunde durchaus zu schätzen wussten und er sprach stets angenehm leise und bedächtig. Insgesamt war er mit seinen dreiunddreißig Jahren ein Mann, der mitten im Leben angekommen war.

    Nun beugte er sich zum Grab hinunter, legte den mitgebrachten Blumenstrauß ab, nahm verblühte Schnittblumen aus der Vase und brachte sie zum Abfall, dann holte er frisches Wasser mit der Vase und stellte die frischen Blumen hinein, ordnete sie und stellte die Vase wieder auf das Grab. Dann zupfte er sorgfältig noch ein paar kleine Gräser und Unkräuter heraus, die sich nie ganz verhindern ließen, und richtete sich wieder auf, und jetzt entrang sich ein kurzer, aber schwerer Seufzer seiner Brust:

    „Ach, Sara, Liebste! Warum musstest du uns so verdammt früh verlassen? Ich bin fast böse auf dich! Du fehlst mir an allen Ecken und Enden! Du fehlst mir unglaublich!"

    Er erschrak ein wenig über sich selbst, als er in der morgendlichen Stille des Friedhofs seine eigene Stimme hörte, scheu und befangen, beinahe ängstlich, sah er sich um, weil es ihm wahrhaft peinlich gewesen wäre, wenn ihn jemand gehört hätte; er stellte aber beruhigt fest, dass niemand in seiner Nähe war, dass er an diesem Gräberfeld alleine war und dass ihn niemand hören konnte, deshalb sprach er jetzt weiter, er konnte es nicht unterdrücken, leise und zärtlich, als ob die Verstorbene ihn hören könnte:

    „Du weißt, dass du für mich die beste Ehefrau warst, die es gibt! Du weißt, dass du die einzige Frau für mich warst! Du weißt, wie sehr ich dich geliebt habe! Sara, ohne dich ist das Leben so unglaublich schwer, beinahe sinnlos. Du fehlst mir wahnsinnig! Jetzt bin ich ganz allein mit meinen Sorgen und mit meinen Problemen und davon gibt es wirklich mehr als genug. Manchmal glaube ich sogar, viel mehr, als ein Mann alleine tragen kann. Ich könnte dann geradezu verzweifeln und manchmal weiß ich einfach nicht mehr ein noch aus! Das Schlimmste ist, dass ich mit niemandem reden kann, so wie ich immer mit dir reden konnte. Ich bin so unglaublich allein...", schluchzte er plötzlich auf, er konnte es einfach nicht unterdrücken.

    „Was soll nur werden aus uns? Wie soll es bloß weitergehen? Wie soll ich denn Thea Vater und Mutter zugleich sein? Das geht doch gar nicht! Wie lange kann deine Mutter sich noch um unser Kind kümmern, oder meine, wenn ich arbeiten muss? Und wenn sich Thea mit den beiden auch noch so gut versteht, die Omas können ihr doch niemals die Mutter ersetzen – selbst wenn sie sich noch so sehr bemühen! Und ich kann ihr doch auch nicht Vater und Mutter zugleich sein! Klar, ich gebe mein Bestes! Das weißt du! Für Thea tue ich alles, was ich kann. Aber es ist so verflucht schwer ohne dich. Manchmal weiß ich wirklich nicht mehr weiter...; warum musstest du denn auch so verdammt früh gehen?!", fügte er seinem Gejammer und den verzweifelten Wehklagen plötzlich laut und fast grimmig hinzu.

    Tatsächlich lief ihm jetzt eine vereinzelte dicke Träne übers Gesicht und in seinem Hals saß ein unglaublich dicker Kloß, der ihn fast zu ersticken drohte. Es war offensichtlich, dass er noch lange nicht über den schrecklichen Tod seiner großen Liebe hinweggekommen war. Schnell und beinahe verstohlen, obwohl ihn hier niemand sehen konnte, wischte er die Träne weg, dann holte er noch immer schluchzend tief Luft, riss sich nun aber zusammen, denn er wusste ja, dass er stark sein muss, es gab keine Alternative dafür, dass er stark sein muss, stark für Thea, für seine einzige Tochter, die jetzt alles war, was ihm von seiner viel zu früh verstorbenen Frau geblieben ist. Selbstmitleid war nun wirklich das Letzte, das er brauchen konnte, das Allerletzte, das wusste er ja ganz genau. Deshalb riss er sich jetzt wieder zusammen, so schwer es ihm auch fiel.

    Er dachte an Thea, die ihn mit ihren drei Jahren so sehr an Sara erinnerte und die ihn immer an Sara erinnern wird, dessen war er sich sicher.

    „Ich will ja gar nicht klagen, sprach er, jetzt aber nur noch lautlos und in Gedanken, weiter, „aber es ist wirklich so verflucht schwer, immer stark sein zu müssen, damit Thea meine Traurigkeit und meine wahnsinnige Verzweiflung nicht sieht.

    Er spürte, dass es ihm guttat, sich seiner tiefen Traurigkeit einmal einfach hingeben zu können, seine Emotionen in dieser Friedhofsidylle nachgeben zu können, es war beinahe so, als ob er diese Traurigkeit und seine Sorgen am Grab seiner Frau abladen könnte, als ob seine tote Frau sie ihm abnehmen könnte.

    Jetzt aber gelang es Johann endlich, sich wieder zusammenzunehmen; mit einem Ruck richtete er sich gerade auf, straffte sich energisch und ging trotzdem langsam, weil er so gedankenvoll und geistesabwesend war, zu einer Friedhofsbank in der Nähe, von der aus er das Grab seiner Frau im Blick hatte, ließ sich schwer auf ihr nieder und ließ endlich zu, dass seine Gedanken zurückgingen, zurück in die schönste Zeit seines Lebens.

    Tief in Gedanken versunken saß er da, lange Zeit, jetzt aber vollkommen ruhig. Er sah keine Kaninchen mehr und keine Eichhörnchen, er hörte nicht mehr den Gesang der Vögel und er spürte nicht den schwachen Wind in seinen Haaren, er versank in eine unwirkliche Traumwelt.

    Vor acht Jahren, im Sommer 1993, als Johann Bauer fünfundzwanzig Jahre alt war, sah er seine spätere Frau zum ersten Mal; es war in der Stadtbücherei im Glashaus der Stadt Herten, wo er sich ein Fachbuch für einen Fortbildungskurs bei der Volkshochschule holen wollte: In dieser Bücherei sah er ein kleines, schlankes, beinahe schmales und zierliches Mädchen, das kaum der Kindheit entwachsen war und das so zart wirkte, als sei es gerade einem Märchenbuch entstiegen; sie hatte tatsächlich die zerbrechliche Schönheit einer Elfe. Dieses Mädchen war höchstens einen Meter sechzig groß und was ihm sofort auffiel, waren ihre kleinen und sehr schmalen Hände, die er sah, als sie eine Reihe Bücher nach einem bestimmten Buch absuchte.

    Dieses feenhafte Geschöpf hatte schulterlange und sehr helle blonde Haare, fast weiße, und es hatte unglaublich blaue Augen, eisblaue, und eine zierliche Nase, ihr herzförmiger Mund hatte, obwohl er nur klein war, ausgeprägte Lippen, die, wenngleich sie ungeschminkt waren, einen auffallenden Kontrast zu ihrer sehr hellen Haut bildeten. Schneewittchen, dachte Johann begeistert. Mit ihrer frischen Jugend wirkte sie tatsächlich sogar noch ein bisschen kindlich, zerbrechlich, und eine zarte Feinheit umgab sie, eine wirkliche Grazie, und als sich auf einmal zufällig ihre Augen trafen, durchzuckte ihn ein jähes Gefühl, ein plötzlicher Drang, dieses zauberhafte Wesen, das auf ihn beinahe fragil und schutzlos wirkte, zu beschützen. Was ist da mit ihm passiert? Was war es? Er wusste es nicht.

    So etwas hatte er noch nie verspürt. Er war völlig perplex, baff, verwirrt, ganz plötzlich. Total überrascht. Man mag es als Liebe auf den ersten Blick bezeichnen, doch das war es nicht, man mag sagen, er wusste sofort, das ist sie, das ist die Frau fürs Leben, doch so war es nicht. Aber der Anblick dieses so wunderschönen Geschöpfes verwirrte Johann völlig und brachte ihn total aus der Fassung. Er wusste überhaupt nicht, wie ihm geschah und was da mit ihm passierte. Aber er wusste im selben Augenblick, als er diese kleine Fee sah, dass das ein ganz außergewöhnlicher Moment war, dass da gerade mit ihm etwas ganz Besonderes geschieht, es war etwas, auf das er keinen Einfluss hatte, etwas, dass er nicht steuern und das er auch nicht verhindern konnte. Er bekam Herzklabastern und feuchte Hände, bescheuert, auch das wusste er, total verrückt, was war das nur? Was sollte das? Was geschah da mit ihm? Er war sich auch nicht bewusst, was er tun sollte oder wie er sich verhalten sollte und er war sich noch nicht einmal seiner Unschlüssigkeit bewusst. So tat er gar nichts, er war wie gelähmt. Total handlungsunfähig. Es war, als sei ein Wunder geschehen und er könne es nicht halten.

    Als dieses fremde Zauberwesen, diese kleine Fee, das Buch gefunden hatte, das sie suchte, und zur Kasse ging, um die Leihgebühr zu bezahlen, hörte er sie zu der Angestellten der Bibliothek sagen:

    „Also, tschüss dann! Macht’s gut! Vielleicht bis nächsten Freitag!"

    Offensichtlich war sie öfter in dieser Bücherei und ganz offensichtlich war sie mit den Angestellten bestens vertraut, denn Johann hatte sie mit ihnen kurz fröhlich und etwas albern reden und lachen gehört.

    Im Hinausgehen drehte sie sich in der Tür plötzlich noch einmal kurz um – und wieder trafen sich ihre Blicke. War es Zufall? Johann kam sich ertappt vor, weil er ihr mit den Augen gefolgt war, und eine plötzliche Röte schoss ihm ins Gesicht. Verlegen wandte er seinen Blick ab. Verwirrt. Scheu. Verschämt war er. Vollkommen durcheinander. Panne. Er wusste nicht, was da mit ihm geschehen ist.

    Dann ging sie hinaus und augenblicklich überfiel ihn ein schreckliches Gefühl des Verlustes; ganz plötzlich ärgerte er sich fürchterlich über sich selbst! Warum habe ich sie nicht angesprochen? dachte er. So ein wunderschönes Mädchen! Jetzt ist es zu spät! Jetzt ist sie weg! Bin ich denn dämlich? So etwas Hübsches habe ich doch noch nie gesehen! So etwas Feines, Zartes! So einmalig! So ein hübsches Mädchen! Und sie hat mich doch auch angesehen! Sogar zweimal! Sogar, als sie hinausging, hat sie sich noch einmal nach mir umgedreht! Nach mir? Hat sie sich wirklich nach mir umgedreht? Gibt es das? Wirklich? Johann war nun vollkommen durcheinander, seine Verwirrung hatte ein nicht mehr tolerierbares Ausmaß erreicht und gleichzeitig war er enttäuscht, komplett durch den Wind und er verstand sich selbst nicht mehr! Wie konnte denn so etwas geschehen? Er war doch nicht plemplem, er war doch kein pubertierender Halbstarker mehr, sondern ein erwachsener Mann! Er sieht ein so wunderschönes Mädchen, bemerkt sogar, dass es ihn auch angesehen hat, dass er ihr also auch aufgefallen ist, und lässt es einfach gehen! Verrückt! Wahnsinn! Bekloppt! Warum hab‘ ich sie denn nicht angesprochen, verdammt noch einmal! fluchte er gedanklich vor sich hin. Zu spät! Sie ist weg! Verfluchte Scheiße noch einmal!

    Nach langen Minuten, nachdem er sich wenigstens wieder ein bisschen gefangen und von seiner Verwirrtheit erholt hat, verließ er das Glashaus und trat auf die Hermannstraße in der Fußgängerzone hinaus, doch er hatte viel zu lange gezögert, weil er so extrem verwirrt und durcheinander war, von dieser märchenhaften Erscheinung war nichts mehr zu sehen, was ja auch zu erwarten gewesen ist, weil er so lange gezögert hatte, das wusste er schon, und das starke Gefühl des Verlustes, das sich seiner unmittelbar bemächtigte, tat schon ziemlich weh. Enttäuschung verspürte er jetzt. Tiefe Enttäuschung bedrückte ihn nun. Zu spät! Es war einfach zu spät, dieses zauberhafte Mädchen war nicht mehr zu sehen, es war weg. Tief enttäuscht und noch immer komplett verwirrt ob dieser Begegnung, die genaugenommen ja gar keine wirkliche Begegnung gewesen ist, irrte er schließlich eine Zeitlang planlos und ziellos durch die Hertener Fußgängerzone und gab endlich enttäuscht auf.

    Auch in den nächsten Tagen kriegte er dieses Mädchen nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er morgens in seinem Bett aufwachte, dachte er an sie, tagsüber bei der Arbeit dachte er an sie und seine Arbeit litt bereits darunter, abends, wenn er schlafen ging, dachte er an sie und nachts träumte er von ihr, und das Gefühl des Verlustes wurde täglich größer, es wurde beinahe unerträglich, obwohl er dieses Mädchen überhaupt nicht kannte, obwohl er noch nicht ein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte. Aber er hatte sie reden gehört, er hatte ihre zauberhafte und jugendlich glockenhelle Stimme gehört und er hatte sie gesehen. Das hatte genügte, ihn völlig zu verzaubern, ihn völlig in ihren Bann zu ziehen. Er dachte ununterbrochen an sie, Tag und Nacht, und in seiner Phantasie, in seinen Träumen wurde sie immer schöner.

    In den nächsten Tagen ging er mehrmals in die Bücherei und er war jedes Mal wie benebelt oder berauscht, noch immer verwirrt ob dieses Gefühls, dabei war es vergebens. Er sah sie nicht wieder und deshalb wurde er furchtbar wütend und zornig auf sich selbst, weil er sich so dämlich verhalten hat, als er sie im Glashaus gesehen hatte. Am späten Donnerstagnachmittag, als er wieder einmal vergeblich ins Glashaus gegangen ist, fiel ihm ganz plötzlich siedend heiß ein, dass sie an der Kasse der Bücherei zu der Kassiererin gesagt hatte, an dem Tag, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hat:

    „Also, tschüss dann! Vielleicht bis nächsten Freitag!"

    Das war es doch! Das war doch die Lösung! Warum ist mir das denn nicht eher eingefallen, dachte er böse auf sich selbst. Das war doch die Lösung seines Problems! So konnte er sie wiederfinden, er brauchte doch nur noch bis morgen zu warten und morgen um dieselbe Zeit wie letzten Freitag wieder hierherkommen! Warum ist er denn nicht eher darauf gekommen? Jetzt war er sich ganz sicher, dass er sie morgen wiedersehen wird. Es konnte keinen vernünftigen Zweifel daran geben. Und morgen würde er auch vernünftig reagieren und nicht wie ein halberwachsener Mann, morgen würde er sich wie ein erwachsener Mann benehmen, morgen würde er sie ansprechen.

    Gut, dachte er dann, dass morgen Freitag ist. Denn freitags, wenn es ins Wochenende ging, verließ er regelmäßig nachmittags schon ziemlich früh sein Büro in der Spedition in Herne, der Transport und Lager Winterberg GmbH, in dem er arbeitete, und machte Feierabend und Schluss für diese Woche.

    Als es dann endlich Freitag geworden war, beendete er seine Arbeit schon sehr früh, schon kurz nach der Mittagspause, weil er es kaum erwarten konnte und ging schnell ins Glashaus – und sofort sah er sie! Er konnte es kaum fassen, kaum glauben! Sie war da! Sie musste ja auch da sein, es ging ja gar nicht anders, denn darauf hatte er sich ja fest versteift! Sein Wunsch war so stark gewesen, sie muss es einfach gespürt haben! Sie saß in der Bücherei an einem Tisch direkt gegenüber dem Eingang und sie hatte ein Buch vor sich liegen. Im selben Moment, als er den Raum betrat, sah sie auf und es schien ihm plötzlich, als huschte ein heimliches kleines Lächeln über ihr schmales und blasses Gesicht, als strahlte es plötzlich auf, es war ihm, als sei sie erleichtert darüber, dass sie ihn gesehen hat, es schien ihm sogar, als hätte sie auf ihn gewartet.

    Eingebildeter Pinkel, er, dachte er im selben Moment.

    Sofort überfiel Johann wieder heftiges Herzklopfen, schon wieder bekam er Herzrasen und feuchte Hände und plötzlich überfielen ihn völlig unerwartet und aus heiterem Himmel schwerste Hemmungen; das war ihm noch nie passiert! Obwohl, vor einer Woche hatte er sich ja ähnlich dämlich verhalten…

    Er stoppte abrupt, als wäre er vor eine unsichtbare Wand gelaufen, stolperte beinahe über seine eigenen Füße, er bekam einen knallroten Kopf, sein Puls explodierte, Schnappatmung setzte urplötzlich ein, sein Herz raste, komplett verlegen und verwirrt wendete er sich ab, sah zur Seite und ging stracks, fast fluchtartig stolpernd nach links zu einem Bücherregal! Zu irgendeinem Bücherregal, egal, wohin, holpern und stolpern und dann wühlte er planlos darin herum! Dieser Idiot, bescheuert! Total verrückt! Und das war ihm im selben Moment auch durchaus bewusst.

    Was bildete er sich eigentlich ein!? Dass ein so schönes Mädchen sich für ihn interessieren könnte? Ein Mädchen, das nicht nur so traumhaft schön aussah, sondern das auch noch so jung war, das sollte sich für ihn interessieren? Johann hatte sich selbst noch nie als besonders attraktiv, als besonders gutaussehend, gesehen. Nein, so eingebildet war er nicht. Außerdem war er wahrscheinlich auch viel zu alt für ein so junges Mädchen. Aber er hatte sie doch eine Woche lang so fürchterlich verzweifelt gesucht – und war jetzt trotzdem schon wieder wie gelähmt und unfähig, etwas Vernünftiges zu unternehmen. Unglaublich unsicher. Ängstlich. Bange. Scheu. Bescheuert! Was war nur mit ihm los?

    Total verlegen sah er eine Reihe Bücher durch, ohne überhaupt zu sehen, was er sah, ohne zu wissen, was er tat, ohne zu hören, was er hörte. Mehr als eine Stunde lang strich oder schlich er dann durch die Bücherei, mit bangem Herzen, schaute hierhin, schaute dorthin, traute sich nicht, sie anzusprechen und sah trotzdem immer wieder zu ihr hinüber, er versuchte es heimlich zu tun, hatte unglaublich starke Hemmungen und Zweifel und Bedenken. Was war nur mit ihm los? Was? Was war es? Warum konnte er seine Nerven nicht unter Kontrolle kriegen und warum konnte er sich nicht beruhigen und diese Zaubermaus einfach ansprechen?

    Sein Herz schlug heftig in seiner Brust, es raste und polterte bis zum Hals! Kräftig spürte er die Halsschlagadern an seinem Hals pochen. Er war total von der Rolle, er stand komplett neben der Spur und war vollkommen außer sich. Er hatte sich selbst überhaupt nicht mehr unter Kontrolle!

    Sie dagegen hatte ihren Blick in ein Buch vertieft, aber sah doch manchmal auf, dann trafen sich ihre Blicke, aber nur hin und wieder. Interessierte sie sich doch für ihn? Johann kriegte seine Verwirrung einfach nicht in den Griff. Er wusste tatsächlich nicht, was mit ihm geschah, er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Lange fehlte ihm, dem Feigling, wie er sich inzwischen selbst eingestand, der Mut, sie anzusprechen, er verstand sich selbst nicht mehr, und als er sich endlich energisch zusammennahm und sich ein Herz fasste, als er es endlich wagte, wagen wollte, als er trotz seines Herzgepolters plötzlich aufsprang und zu ihr stolpern wollte – da war sie nicht mehr da! Da war sie weg, da war sie tatsächlich schon wieder weg! Er hatte die Gelegenheit schon wieder verpasst! Vor lauter Enttäuschung und unglaublich riesiger Wut auf sich selbst hätte er sich glatt selbst in den Hintern beißen können, wenn er dazu gelenkig genug gewesen wäre! Wie kann man nur so doof sein, schimpfte er sich in Gedanken selbst aus und er verzweifelte fast daran, dass er überhaupt wieder so ängstlich gewesen ist, ja, so feige gar!

    Dämlack, dämlicher Feigling! Nannte er sich gedanklich selbst, schon wieder! Mein Gott nochmal! Das war doch nicht das erste Mädchen, das er sah! Es war doch nicht das erste Mädchen, das ihn interessierte! Und doch war plötzlich alles anders. Er verstand sich selbst nicht mehr, war vollkommen durcheinander, wusste überhaupt nicht, was eigentlich mit ihm los war. Wieso konnte ein Mädchen ihn nur so aus der Fassung bringen? Er hatte nicht gesehen, dass sie aufgestanden ist, er hatte nicht gesehen, dass sie weggegangen ist. Aber er wusste jetzt: sie ist weg! Sie ist schon wieder weg! Jetzt war es zu spät, wieder einmal zu spät!

    Trotzdem lief er nun schnell hinaus auf die Hermannstraße, die jetzt, am späten Freitagnachmittag, sehr belebt war. Viele Menschen liefen durch die Fußgängerzone, manche saßen vor einer Eisdiele, andere vor einem Straßencafé; dieses so traumhaft schöne Mädchen sah er nicht mehr! Sie war wie vom Erdboden verschluckt! Zu spät! Es war einfach zu spät! Sie war weg!

    Aufgeregt lief er die ganze Hermannstraße auf und ab, immer wieder, hastig, dann lief er durch die Jakobstraße zur Antoniusstraße, strolchte verzweifelt lange und aufgeregt durch die Fußgängerzone, vergebens! Er fand sie nicht mehr. Völlig sauer, todunglücklich, enttäuscht und wütend auf sich selbst gab er die Suche nach ihr schließlich auf und fuhr total bedröppelt und tief verzweifelt zurück nach Herten-Disteln und ging zurück in seine kleine Junggesellen-Wohnung.

    In der nächsten Woche mied er das Glashaus, das Schauplatz seines so idiotischen Verhaltens geworden ist, allerdings nur bis zum Freitag. Am Freitag war er wieder da und lümmelte den ganzen Nachmittag darin blödsinnig herum. Er war wieder schon sehr früh gekommen, um diese kleine Zauberfee bloß nicht zu verpassen. Die ganze Woche lang hatte er gehofft und vor Vorfreude gebibbert, er, der Träumer! Phantast! Ängstlicher Feigling! Warum hatte er sich auch so dämlich und so doof verhalten! So jämmerlich und so bange! So feige! Normalerweise war er doch gar nicht schüchtern – oder war er es doch? fragte er sich plötzlich erstaunt. War er doch schüchtern? Unsicher? Gehemmt?

    Wenn er sie noch einmal sehen sollte, das wusste er jetzt mit absoluter Sicherheit, dann würde er sie ansprechen, egal, ob er schweißnasse Hände haben würde und Herzklopfen oder sonst was...

    Und wenn er stotternd vor ihr stehen würde oder vor ihr stolpern und auf die Knie fallen würde, Johann wusste jetzt: Das wäre auch egal! Dann merkt sie eben, dass sie es ist, die mich dermaßen kirre macht! Dass sie es ist, die mich so aus der Bahn wirft!

    Er wartete, er wartete und wartete, sah immer wieder zur Eingangstür. Umsonst und vergebens! Sie kam nicht! Seine so frohe Hoffnung verwandelte sich ganz langsam in tiefste Enttäuschung und sogar in Wut auf diese Schönheit, weil sie nicht kam. Dabei wusste er natürlich, dass er selbst schuld daran war, wenn er sie nie wiedersehen sollte! Warum war er denn auch zu feige gewesen sie anzusprechen? Was wäre denn passiert, wenn er sie angesprochen hätte? Im besten Fall wäre es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft geworden oder auch mehr, im schlimmsten hätte er sich einen Korb eingefangen. Der Versuch wäre es wert gewesen! Dämlicher Idiot, er, dass er die Gelegenheiten verpasst hat! Saudämlicher Feigling!

    Es half alles nichts, es war zu spät. Er konnte sie schließlich nicht herbeizaubern. Aber aufgeben wollte er auch nicht, noch immer nicht, denn inzwischen war er zu der Einsicht gelangt, dass er dieses zauberhafte Wesen lieben musste! Das war es! Das musste es sein! Das ist ihm mittlerweile ganz langsam bewusst geworden in den letzten Tagen, wenn er dauernd an sie denken musste. Das war die einzig logische Erklärung für sein dämliches Verhalten. Jetzt war er tatsächlich davon überzeugt, dass er sie liebte, obwohl er noch immer kein einziges Wort mit ihr gesprochen hatte. Es konnte gar nicht anders sein! Warum denn sonst war er so gehemmt gewesen? So bescheuert? Es musste Liebe sein! Natürlich! Ganz klar! Richtige Liebe! Echte Liebe! Er zweifelte nicht daran und er steigerte sich gewaltig hinein in diese Vorstellung (in diese Einbildung?), das ist Liebe! Wirkliche Liebe! Die eine große Liebe, die einzige, auf die man nur einmal im Leben trifft, ein einziges Mal, wenn überhaupt! Nicht jeder hat das große Glück, die eine große Liebe zu finden, die einzige Liebe, die ein ganzes Leben prägt.

    Er steigerte sich jetzt dermaßen übertrieben in eine phantastische Gefühlswelt, dass er nicht mehr klar und logisch denken konnte. Wenn er dieses Mädchen nicht wiederfindet, muss sein künftiges Leben düster und traurig verlaufen, glaubte er. Vergessen könnte er sie niemals, denn so etwas Schönes hat er noch nie gesehen! Wie von Sinnen war er. Verrückt! Nicht mehr Herr seiner Sinne! Als hätte dieses Mädchen ihn verhext! In seinen Phantasien hob er dieses Mädchen in ungeahnte Höhen und stellte es auf ein Podest, auf dem es für ihn unerreichbar bleiben muss und so wurde es für ihn langsam zu einem beinahe bedrückend unwirklichen oder überirdischen Fabelwesen. Er war von ihr besessen, er war bis über beide Ohren verliebt in sie, er war wie verhext, nicht mehr zurechnungsfähig, – und plötzlich empfand er das sogar als vollkommen selbstverständlich.

    Die nächsten zwei Wochen vergingen äußerst zäh und schleppend. Johann wurde immer unruhiger, zappeliger. Immer wieder ging er in die Bücherei ins Glashaus, aber stets nur kurz. Er warf immer nur einen schnellen Blick hinein. Da er sie nie antraf, ging er jedes Mal sofort wieder hinaus. Die Mitarbeiterinnen der Bücherei wunderten sich schon über den seltsamen jungen Mann und belächelten ihn heimlich, machten sich über ihn lustig. Das entging ihm natürlich nicht und es war ihm überaus peinlich. Doch es half alles nichts. Wenn er sie wiedersehen wollte, durfte er das Glashaus nicht meiden, denn das Glashaus war ja der einzige Ort, an dem er dieses Mädchen gesehen hatte, es war die einzige vage Möglichkeit, sie wiederzufinden, es war seine einzige Hoffnung, eine schwache Hoffnung.

    Dann änderte er seine Taktik, denn aufgegeben hatte er sie noch lange nicht und hartnäckig sein konnte er durchaus. Am übernächsten Freitag ging er wieder ins Glashaus, schon kurz nach Mittag, setzte sich mit einem Buch, in das er kaum einen Blick warf, an den kleinen Tisch, an dem sein Traum-Mädchen gesessen hat, als er sie zum ersten Mal sah und von dem er die Eingangstür direkt im Blick hatte; und als sie dann, wie von ihm erhofft, tatsächlich die Bücherei betrat, sah er sie sofort – und sie sah ihn.

    Er hatte sein Buch aufgeschlagen vor sich auf dem Tisch liegen, ignorierte es aber vollkommen, er wusste gar nicht, um was es da eigentlich ging, und sah stur zur Tür... bis sie eintrat. Oh, wie herrlich sah sie aus an diesem so schönen Freitagnachmittag in ihrer so schönen kurzärmeligen himmelblauen Bluse und der so schönen engen weißen Jeans, sie verwirrte ihn wieder so vollständig, dass er schon wieder nicht mehr klar denken konnte, ihr Anblick brachte ihn wieder so vollständig aus der Fassung, dass er Mühe hatte, weiter atmen zu können, und ihr Anblick machte ihn unfähig, auch nur einen klaren Gedanken fassen zu können. Er stand lichterloh in Flammen.

    Sie trat ein – und Johann sprang auf, eilig, fieberhaft, hastig, wie irre, wie von der Tarantel gestochen, ohne zu überlegen, ohne nachzudenken, ohne auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können stürzte er auf sie zu und rief laut und erleichtert, ohne auf die anderen Gäste in der Bibliothek zu achten, sie waren ihm in diesem Augenblick überhaupt nicht bewusst:

    „Gott sei Dank! Da bist du ja endlich!"

    Und ihm war überhaupt nicht bewusst, dass er sie duzte. Ihm war auch nicht bewusst, dass die Mitarbeiterinnen der Bücherei ihn heimlich lächelnd beobachteten, dass sie sich wieder über ihn lustig machten, so ein verrückter junger Bengel. Doch plötzlich erkannte er, was er tat, indem er auf sie zustürzte. Abrupt bremste er ab, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen, und sagte, jetzt leise und schüchtern und verlegen, verwirrt und beschämt, zu diesem so wunderbaren Mädchen:

    „Ich hatte fürchterliche Angst, ich würde dich nie wiedersehen, ich würde dich wieder verlieren!"

    Ihm war auch gar nicht bewusst, wie er in diesem Augenblick auf dieses Mädchen wirken musste und auch auf andere Leute in der Bücherei. Das, was er tat, tat er nicht wirklich willentlich, es geschah einfach mit ihm, es geschah einfach so! Er hatte es nicht geplant und er wusste auch nicht, wieso er mit einem Mal den Mut

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