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Weit war das Land und weit war der Weg
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eBook515 Seiten7 Stunden

Weit war das Land und weit war der Weg

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Über dieses E-Book

Toni Erlkämper war der älteste Sohn seines Vaters und damit der natürliche Erbe eines großen Gutes im Münsterland. Seit seiner Geburt im Jahre 1813 sagten ihm seine Eltern immer wieder, dass er als der Erstgeborene eine ganz besondere Bedeutung habe. Er müsse später einmal sehr genau aufpassen bei der Wahl seiner künftigen Ehefrau, damit er nicht auf ein Mädchen hereinfällt, welches ihn nur wegen des Gutes heiraten will. Im Bewusstsein dieser außerordentlichen Verantwortung wuchs er heran. Als Toni vierundzwanzig Jahre alt war, teilte sein Vater ihm völlig überraschend mit, dass nicht er das Gut erben wird, sondern sein jüngerer Bruder Lambert. Toni fiel aus allen Wolken, für ihn brach eine Welt zusammen, ihm wurde geradezu der Boden unter den Füßen weggezogen.

Nun galt es für ihn, sich zu entscheiden, wie er sein künftiges Leben gestalten könnte. Um nicht als Öhm, als ein leicht verblödeter, nur geduldeter und nicht geliebter Hilfsarbeiter auf dem Gut leben zu müssen, der dann von seinem Bruder bewirtschaftet wird, verließ er dieses. Toni nahm nun einen kleinen, völlig heruntergekommenen Bauernhof in Besitz, der vor undenkbar langer Zeit von seinem Eigentümer aufgegeben worden war. Trude, seine Verlobte, hielt in dieser schrecklichen Zeit trotz der Widerstände ihres Vaters zu ihm. Deshalb gelang es ihm unter großen Mühen, diese kleine Kate wieder in Schwung zu bringen.

Trudes Vater akzeptierte den armen kleinen Kötter Toni nicht mehr als Schwiegersohn, denn er war ebenfalls Besitzer eines großen Bauernhofes und Trude war sein einziges Kind und deshalb die künftige Großbäuerin. Trude und Toni trotzten den Bemühungen von Trudes Vater, der sich mit Hilfe der Obrigkeit und der Kirche ihrer Heirat widersetzte. Als Trude erkannte, dass sie schwanger war, wurde sie von einem korrupten Pfarrer so massiv beeinflusst, dass sie völlig verunsichert und verängstigt Toni verließ und zurück zu ihren Eltern ging.

Bitter enttäuscht und schrecklich allein bewirtschaftete Toni seinen kleinen Hof alleine weiter. Doch nach einem entsetzlichen Hungerjahr mit fürchterlichen Missernten zwang ihn Trudes Vater zur Flucht aus seiner Heimat. Toni drohte die Todesstrafe. Damit begann Tonis abenteuerliches Leben in Amerika zusammen mit einem unscheinbaren und mittellosen Mädchen. Sie beide erlebten Abenteuer auf ihrer Reise durch die Weiten der nordamerikanischen Prärie, die sie zu wunderbaren Partnern machten, die sich uneingeschränkt aufeinander verlassen konnten und es entstand eine wahrhaft tiefe und echte Liebe zwischen ihnen.

Doch das Schicksal hatte anderes mit Toni vor. Nach einem neuen grässlichen Schicksalsschlag, der ihn beinahe gebrochen hätte, fand Toni die Partnerin fürs Leben. Mit ihr baute er eine beachtliche Existenz in einer für weiße Einwanderer gefährlichen Wildnis auf.

Viele Jahre eines glücklichen Lebens später war Toni ein reicher alter Mann geworden. Jetzt zog ihn das Heimweh noch einmal zurück an den Ort seiner Kindheit und Jugend, wo er in der glücklichen Lage war, als reicher Amerikaner viele seiner Lieben aus einem früheren Leben vor dem Hungertod zu bewahren. Hier erfuhr er die größte Überraschung seines Lebens und musste erkennen, dass er sein Leben in Amerika auf einer grausamen Lüge aufgebaut hatte.

 

Dieses Buch ist ein Roman. Jede Ähnlichkeit mit noch lebenden oder längst verstorbenen Personen wäre deshalb rein zufällig. Die Menschen und die Orte der Handlung sind Produkte der Phantasie des Autors. Zwar gibt es im Münsterland einen Ort namens Wessum, es ist aber fraglich, ob es dort jemals einen korrupten Dorfpfarrer gegeben hat. Es gab kein Gut Erlenkamp und es gab keine Familie Erlkämper und auch keine Familie Donnermeier. Es gab Hardys Farm nicht und nicht die h

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum15. Mai 2021
ISBN9783748782797
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    Buchvorschau

    Weit war das Land und weit war der Weg - Franz Hermann Romberg

    1 Die Hochzeit

    „Da kommt die Herrschaft ja noch mal gerade so eben an einer Blamage vorbei!"

    Geraune und leises Gelächter des Gesindes vom Gut Erlenkamp begleitete diese respektlose Bemerkung von Maria, einer Magd des Hofes, und – nicht überraschend – wurde Maria umgehend von Elisabeth, der zweiten Magd, gerügt, wenn auch mit einem heimlichen Schmunzeln.

    „Pass bloß auf, dass dich die Herrschaft bei solchen Reden nicht erwischt, sonst kannst du bald im Wald die Ziegen hüten!"

    „Ist doch wahr, protestierte Maria, „man sieht bei der Braut ja schon ein kleines Bäuchlein! Wahrscheinlich hat der Brautvater den Pfarrer ordentlich geschmiert, damit die Braut noch in weiß heiraten darf!

    Maria wusste nicht, dass es nicht der Brautvater war, der dem Pfarrer eine beachtliche Spende übergeben hatte, sondern Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper, der Vater des Bräutigams.

    Alle Knechte und beide Mägde waren seit Tagen von früh morgens bis spät abends schwer beschäftigt, der Hof musste tipptopp in Ordnung sein für die Hochzeit, nirgends durfte irgendetwas herumliegen, was da nicht hingehörte. Die Ställe für das Vieh mussten blitzsauber sein, die Tenne sowieso, denn da würde ja die Feier stattfinden. Eine Bauernhochzeit war zu der damaligen Zeit, im September 1837, im tiefsten Münsterland nämlich ein nicht alltägliches Fest, sondern eine eher seltene Gelegenheit, opulent zu feiern, und diese Gelegenheit wurde stets gerne ausgiebig genutzt, erst recht, wenn die Hochzeit auf einem so großen Bauernhof, wie dem Gut Erlenkamp gefeiert wurde.

    Zwar war es damals auf dem flachen Land eigentlich üblich, dass der Brautvater die Hochzeit ausrichtet, doch, weil es Probleme mit dem dortigen Pfarrer gegeben hatte, der eine schwangere Frau nicht im weißen Brautkleid trauen wollte, war die Hochzeit von allen Beteiligten einvernehmlich nach Wessum verlegt worden und die Hochzeitsfeier auf das Gut Erlenkamp.

    „Dass schon im Sommer Schweine geschlachtet werden…", begann jetzt auch der Knecht Josef leise zu stänkern.

    „Was willst du eigentlich?", unterbrach ihn Elisabeth tadelnd, „geschlachtet werden darf in den Monaten mit ,R‘ und du kannst nicht bestreiten, dass der Monat September ein ,Renthält."

    „Ist ja auch egal, auch wenn es eigentlich noch viel zu warm ist zum Schlachten, die Schweine, Gänse und Hühner, die geschlachtet werden, werden ja sowieso bei der Hochzeitsfeier komplett aufgefressen."

    „Nun hab‘ dich mal nicht so, versuchte Elisabeth ein weiteres Lästern oder Stänkern zu verhindern, „für uns wird bestimmt noch genug übrigbleiben.

    „Warum hat denn der Pfarrer, der für die Braut zuständig ist, solche Schwierigkeiten gemacht?", fragte die junge Magd Maria naiv.

    „Warum wohl?"

    „Weiß ich nicht, deshalb frag ich ja!"

    „Der hat die Tatsache, dass die Braut schon vor der Heirat ein Kind erwartet, wohl zu heftig ausnützen wollen zugunsten der Kasse seiner Kirche."

    „Oder für seinen eigenen Messwein-Keller!"

    „Jetzt ist es aber gut, versuchte Elisabeth energisch das Lästern zu verhindern, „wir bekommen sonst alle noch Schwierigkeiten mit dem Bauern, wenn der das hört. Und hört auf, über den Pfarrer des Dorfes zu lästern, in dem die Braut wohnt. Ihr kennt den doch gar nicht!

    „Wer hätte wohl damit gerechnet, fuhr der Knecht Josef fort zu lästern, ohne auf Elisabeths Warnung zu achten, „dass der jüngere Sohn zuerst heiratet und sogar, ohne dass es zuvor eine Verlobung gab?

    „Ja, ja, fiel nun Maria in das Stänkern ein, „und das, wo sich gerade erst vor zwei Monaten der ältere Sohn verlobt hat! Hoffentlich wird das mal nicht die kürzeste Verlobung aller Zeiten!

    „Wie kommst du denn darauf? Was soll das denn heißen?"

    „Na ja, eigentlich ist doch der ältere Sohn der geborene Hoferbe. Bleibt er das, wenn jetzt der jüngere zuerst heiratet? Warten wir’s mal ab! Außerdem denke ich: Wenn die Verlobte des Älteren das einzige Kind auf dem Hof Donnermeier ist, dann wird der ja wohl dort der künftige Bauer sein! Der kann doch nicht zwei Höfe gleichzeitig bewirtschaften und zwei so riesig große schon gar nicht!"

    Damit hatte Maria etwas angedeutet, was schon bald zu einem fast unlösbaren Problem für Joa Antonius Bernadus Schulte-Erlkämper, dem ältesten Sohn des Bauern, werden sollte.

    Abrupt brach plötzlich das Lästern ab, als sich die Tür öffnete und Christina den Raum betrat, Christina, die meistens nur Stina gerufen wurde. Stina war die jüngste Tochter des Bauern und obwohl sie erst dreizehn Jahre alt war, wussten die Knechte und Mägde selbstverständlich, dass auch ein dreizehnjähriges Kind ihr Lästern dem Bauern verraten könnte, wenn es das auch vielleicht nicht absichtlich tun würde. Sie alle mochten Stina, die immer ein so freundliches und hilfsbereites Mädchen war.

    Schon seit Tagen war das Gesinde des Hofes, alle Knechte und Mägde, intensiv damit beschäftigt, Haus und Hof auf Vordermann zu bringen und selbstverständlich galt das auch für den Bauern und für die Bäuerin selbst und natürlich auch für deren Töchter und Söhne. Für sie alle herrschte seit Tagen absoluter Dauerstress. Das Haus wurde geputzt und gewienert wie selten zuvor, die Tenne wurde mit Reisigbesen gefegt, die in den langen Wintertagen angefertigt worden waren, als die Arbeiten auf den Äckern ruhten; die lange Hofzufahrt über die Kuhweide und der gesamte Hof mussten picobello sein und auch der Bauerngarten, in dem neben Blumen auch Gemüse und Kräuter gezogen wurden, musste gründlich hergerichtet werden. Es war nicht auszudenken, welchen Ärger es geben würde, wenn ein Hochzeitsgast den Garten mal inspizieren würde, zum Beispiel nach dem Essen bei einem kleinen Verdauungsspaziergang, und er Unkräuter entdecken könnte! Eine solche Blamage durfte es nicht geben! Und auch dem Vieh in den Ställen und auf den Weiden musste man den Wohlstand des Hofes ansehen! Anlässlich einer Hochzeit musste einfach allen Gästen gezeigt werden, dass man wer war, das war selbstverständlich, da durfte gestrunzt und geprotzt werden, was das Zeug hält, auch wenn man sonst eher sparsam war und stets für schlechte Zeiten vorsorgte, die es in jenen Jahren nämlich immer wieder mal gab.

    Der Knecht Joan hatte trotz der spätsommerlichen Hitze zwei Schweine schlachten und verarbeiten müssen, er hatte Schinken und Speck eingepökelt, damit ihnen das Salz die Feuchtigkeit entziehen konnte und sie dadurch haltbar gemacht wurden und gelagert werden konnten. Nach einigen Tagen mussten Schinken und Speck in der hofeigenen Rauchkammer geräuchert werden und die Schinken wurden dann, wie üblich, noch in Leinensäcke eingenäht, damit kein Ungeziefer sich daran vergreifen konnte und keine Fliegen ihre Eier in ihnen ablegen konnten, nachdem sie auf dem Heuboden zum Trocknen aufgehängt wurden. Der Duft des Heus gab durch die Lagerung den Schinken erst den ganz besonderen Geruch und Geschmack. Die Speckseiten wurden im dunklen und kühlen Keller aufbewahrt. Die Teile der geschlachteten Schweine, die bei der Hochzeitsfeier verzehrt werden sollten, wurden so weit wie möglich bereits vorbereitet. Der Rest wurde, soweit er nicht zu Wurst verarbeitet wurde, gesalzen im Keller aufbewahrt. Ähnlich wurde mit den geschlachteten Gänsen verfahren und die Hühner wurden bereits am Tag vor der Hochzeit gekocht. So entstand eine kräftige Hühnersuppe mit anständigen Fettaugen und mit prächtigen Markklößchen. Es mussten schon mindestens drei große Suppenhühner sein, damit die Suppe genügend Fettaugen hatte, denn niemand sollte während des Hochzeitsessens sagen können:

    „Es gucken ja mehr Augen hinein in die Suppe, als heraus!"

    Man durfte sich keinerlei Blöße geben. Brot und diverse Kuchen wurden gebacken und Puddings gekocht und, und, und…

    Langeweile gab es in diesen Tagen wahrhaftig nicht! Es gab jeden Tag von morgens früh bis abends spät enorm viel Arbeit für das Gesinde und für die ganze Familie. Wäsche wurde gewaschen, die weißen Tischdecken für die Bierzelt Garnituren auf dem dafür vorgesehenen Wiesenstück an der spätsommerlichen Sonne gebleicht, der Hof wurde geharkt und gefegt, die Pferde gestriegelt, ihre Mähnen und Schwänze gekämmt und ihre Hufe geschwärzt. Die Chaise, die am Hochzeitstag das Brautpaar von der Kirche abholen sollte, wurde peinlichst genau geputzt und gewienert. Nirgendwo durfte ein Staubkörnchen zu finden sein.

    Die Chaise, das war eine einachsige Kutsche mit nur einer Sitzbank für zwei oder drei Personen, die nur zwei sehr große eisenbeschlagene Räder hatte, sie wurde stets nur von einem Pferd gezogen; weil sie ganz leicht gebaut war, sie hatte keine Türen, dafür offene Seitenteile, ein bewegliches, nach vorne offenes Lederverdeck, welches eine ungehinderte Sicht nach vorn und mit Einschränkungen auch zu beiden Seiten ermöglichte und eine lederne Decke, die hoch über den Füßen und Beinen der Insassen gespannt werden konnte. Sie ermöglichte eine durchaus angenehme Fahrt zur Kirche durch Wälder, Wiesen und Felder und zurück auch dann, falls das Wetter und die Zustände des Waldweges nicht mitspielen würden, wenn zum Beispiel nach heftigen Regengüssen der Weg schlammig und für Pferdegespanne nur schwer befahrbar sein könnte.

    Es war zu der damaligen Zeit durchaus nicht üblich, dass geprasst und geschlemmt wurde; allerdings waren Hochzeiten auf großen Bauernhöfen stets ein willkommener Anlass, aufzufahren was Küche und Keller hergaben. Trotzdem wurde in aller Regel sehr genau darauf geachtet, dass stets Vorräte für schlechte Zeiten vorhanden waren. Es konnte schließlich niemals ausgeschlossen werden, dass die Zukunft schlechte Jahre bringen könnte. Missernten waren immer möglich und auch räuberische Horden gab es immer wieder mal und auch die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg war noch immer stets präsent. Davon wurde vor allem im Winter abends oft erzählt, wenn es dunkel wurde und die Familie und das Gesinde am offenen Herdfeuer saßen, das meistens die einzige Beleuchtung der Bauernstube war.

    Als die Hochzeit des zweitgeborenen Sohnes des Bauern, Joannes Lambertus, im September 1837 stattfand, war der Vater des Bräutigams, der Bauer Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper, fünfundfünfzig Jahre alt. Er und seine Frau Elisabeth, geborene Haller, hatten im Jahr 1810 die Tochter Anna-Maria bekommen und ein Jahr später die Tochter Johanna Elisabeth. 1813 wurde der erste Sohn geboren, der den Namen Joa Antonius Bernardus erhielt, der aber meistens nur Toni gerufen wurde, genauso wie sein Vater, und 1817 der zweite Sohn Joannes Lambertus, der üblicherweise Lambert genannt wurde. In den folgenden Jahren wurden noch die Töchter Anna Adelheid und Christina geboren, die jüngste Tochter, deren Vornamen vollständig Anna-Maria Christina lauteten, gerufen wurde sie gewöhnlich Stina, sonst hätte man sie ja auch zu leicht mit der ersten Tochter, Anna-Maria, verwechseln können.

    Drei Jahre nach der Geburt ihres letzten Kindes starb die Mutter Elisabeth Schulte-Erlkämper, geborene Haller, und nach dem Ende des Trauerjahres heiratete Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper erwartungsgemäß die Witwe Johanna Wuttke, die ihm auch schon während des Trauerjahres eine große Hilfe in Haus und Hof gewesen war. Der Pfarrer für die Gemeinde Wessum, der selbstverständlich für seine Schäfchen eine absolute Respektsperson war, hatte eine zügige Heirat nach dem Trauerjahr angemahnt, er wusste: Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach; aus unzählig vielen Beichtgesprächen kannte er seine Schäfchen ganz genau…

    Mit Johanna, geborene Wuttke, zeugte Antonius noch sieben weitere Kinder.

    Es gab anlässlich dieser Hochzeit im Jahre 1837 keinen Junggesellenabschied und es gab auch keinen Polterabend. Die Vorbereitungen für die Hochzeitsfeier waren am Vorabend der Hochzeit erst bei Eintritt der Dunkelheit abgeschlossen und nachdem die sechzehn Kühe des Gutes ein letztes Mal für diesen Tag gemolken worden waren, nahm die Familie Schulte-Erlkämper gemeinsam mit den Knechten und Mägden das Abendessen ein und ging, nachdem die Sonne untergegangen war, schlafen, wie sie es am Ende eines jeden Tages machte. Die Herrschaft und das Gesinde wünschten sich gegenseitig eine Gute Nacht und alle gingen zu Bett.

    Fast alle gingen zu Bett, denn der Bauer Antonius Schulte-Erlkämper sagte überraschend zu seinen beiden Söhnen aus seiner ersten Ehe:

    „Jungs, bleibt beide noch einen Augenblick hier. Lasst uns noch einen kleinen Schlaftrunk nehmen!"

    Beide Söhne sahen sich erstaunt an. Sie wussten sofort, ihr Vater hatte sie nicht aufgefordert, noch bei ihm zu bleiben, weil er noch etwas trinken wollte, das hätte er auch alleine machen können. Er wollte ihnen etwas sagen und dabei wollte er offenbar mit ihnen alleine sein und weder seine Frau noch seine Töchter aus seiner ersten Ehe dabeihaben – und noch viel weniger wollte er die Kinder dabeihaben, die er mit seiner zweiten Frau gezeugt hatte. Und sie alle verstanden das auch sofort und alle, außer dem Bauern und seinen beiden ältesten Söhnen Toni und Lambert, gingen schlafen.

    Nun ging der Bauer an den Schrank, nachdem seine Frau, seine weiteren Kinder und die Knechte und Mägde die Bauernstube verlassen hatten, holte ein kleines Öllämpchen heraus, stellte es auf den riesengroßen schweren Tisch in der Bauernstube, stutzte kurz den Docht des Lämpchens und entzündete ihn dann mit einem Fidibus, welchen er am offenen Herdfeuer entzündet hatte, denn dieses offene Herdfeuer erhellte die Stube nur noch unzureichend. Das Feuer hatte man bereits für die Nacht herunterbrennen lassen. Dann löschte er mit einem schnellen Wisch den Fidibus zwischen Daumen und Zeigefinger aus.

    Nun holte er flugs die Flasche Korn und drei Schnapsbecher aus dem Bauernschrank, nahm schließlich seine Pfeife und seinen ledernen Tabaksbeutel. Dann stopfte er sorgfältig seine Pfeife und entzündete sie mit dem Fidibus, nachdem er ihn am Docht des Öllämpchens wieder entzündet hatte, drückte den aufquellenden glühenden Tabak mit dem Daumen seiner linken Hand wieder hinunter und fuhr mit dem brennenden Fidibus noch einmal über seine Pfeife. Während dieser fast rituell durchgeführten Handlung sahen die beiden jungen Männer ihm schweigend zu.

    Der alte Bauer paffte nachdenklich ein paar kurze Züge ohne ein Wort zu sagen, um sich die ersten Sätze zurechtzulegen, die er zu seinen Söhnen sagen wollte, denn er wusste durchaus, dass das jetzt ein entscheidender Augenblick war. Dann goss er Schnaps ein.

    „Eine Hochzeit ist ja immer ein sehr bedeutsames Ereignis, begann er endlich zögernd und leise, bedeutungsvoll, ohne seine Söhne anzusehen, sein Blick war stur auf die Platte des schweren Tisches gerichtet, „in jedem Alter und für alle Beteiligten, und für die Alten stellt sich die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, aufs Altenteil zu gehen.

    Was kommt denn jetzt? Seine Söhne, die ihm voll gespannter Erwartung lauschten, wunderten sich. Wenn der Alte eine Rede derart feierlich beginnt, dann muss etwas in der Luft liegen, das wussten sie aus Erfahrung, dann konnten sie Bedeutungsvolles erwarten. Der Bauer unterbrach seine Rede, nahm seinen Becher und prostete seinen Söhnen zu, die schweigend und ernst auf das warteten, was der Alte ihnen zu sagen hatte.

    „Lambert, sagte er nun zu dem jüngeren seiner beiden Söhne aus seiner erster Ehe, „du bist ja eigentlich noch viel zu jung, um zu heiraten, aber ich will dir jetzt keine Vorwürfe mehr machen. Auch Hedwig ist ja verdammt noch mal noch viel zu jung mit ihren gerade mal siebzehn Jahren. Aber es ist nun mal so wie es ist!

    Er seufzte einmal schwer auf, als ob er sagen wollte, ich kann es ja doch nicht ändern, nahm dann die Pfeife wieder zwischen die Zähne, paffte ein paar Züge und fuhr dann mit zusammengepressten Zähnen nur schwer verständlich fort, um die Pfeife nicht zu verlieren, „also habt ihr meinen Segen!"

    Nun nahm er die Pfeife wieder aus dem Mund und legte sie auf den Tisch; er räusperte sich laut, um den Kloß loszuwerden, der ihm im Hals saß, bevor seine beiden großen Jungs etwas bemerken konnten. Es fiel ihm nicht leicht, das zu sagen, was er sich zu sagen vorgenommen hatte. Deshalb goss er die Schnapsbecher wieder voll, ließ sie aber noch stehen, nahm erneut zwei, drei Züge aus seiner Pfeife, legte sie wieder auf den Tisch und fuhr mit jetzt rauer Stimme fort:

    „Toni, benutzte er den Kosenamen seines ältesten Sohnes Joa Antonius Bernardus, der sein Lieblingssohn war, „wenn früher die Höfe der Bauern an die nächste Generation weitergegeben wurden, dann wurden sie oft zersplittert, da wurden sie oft in möglichst gleiche Teile aufgeteilt und jedes einzelne Teil an jeweils einen Sohn übergeben. Es ist ja klar, dass die Töchter leer ausgehen mussten, abgesehen von einer Mitgift natürlich, die sie schon kriegen sollten. Die Töchter heiraten ja hoffentlich sowieso irgendwann und ihre Männer sind dann für ihren Unterhalt und den der gemeinsamen Kinder verantwortlich. Und wenn man früher die Höfe nicht zersplittern wollte, dann waren die Geschwister des Hoferben auszuzahlen, was praktisch kaum möglich war. Wo sollte der Hoferbe denn auch so viel Geld hernehmen, wenn er viele Geschwister hatte?

    Jetzt nahm er seinen Schnapsbecher wieder auf und trank erneut einen kleinen Schluck.

    „Als man erkannte, dass das ein verrücktes Verfahren war, weil dadurch das urbare Land viel zu sehr zersplittert wurde und eine wirtschaftliche Bebauung so kleiner Felder auf die Dauer kaum noch möglich war, da war man gezwungen, eine andere Lösung des Übergangs von einer Generation auf die nächste zu suchen. Es machte ja auch keinen Sinn, dass der neue Bauer seinen Hof zu stark belasten musste, um seine Brüder auszuzahlen, denn der könnte ja dadurch schlimmstenfalls bankrottgehen. Normalerweise wurde deshalb der Hof an den ältesten Sohn übergeben und die jüngeren Söhne gingen einfach leer aus. So war es eben und so ist es immer noch. Sie müssen einfach sehen, wo sie bleiben und welche Berufe sie ergreifen und so ist es eben auch heute noch. Eine Auszahlung des jeweiligen Erbteils an die Geschwister und wenn auch nur an die Brüder, war und ist ja auch heute gar nicht möglich, denn das würde ja den Hoferben finanziell völlig überfordern und der Hof würde unweigerlich unter den Hammer kommen!"

    Joa Antonius Bernardus, Toni, erinnerte sich bei dem, was sein Vater so ernst und bedeutungsvoll sagte, daran, dass seine Eltern, vor allem sein Vater, aber auch seine Mutter und später auch seine Stiefmutter, immer wieder darauf hingewiesen hatten, dass er als der Erstgeborene der spätere Hoferbe sei. Immer wieder hatten sie ihm klargemacht, er müsse bei der späteren Wahl seiner Frau unbedingt darauf achten, dass sie ihn nicht nur wegen des Hofes heiraten würde. Sie wollten keinesfalls eine Erbschleicherin auf dem Hof haben! So oft hatten sie ihn ermahnt, dass er diese Sprüche längst nicht mehr hören wollte, sie waren ihm schon lange in Fleisch und Blut übergegangen, sie waren schon lange eine Selbstverständlichkeit für ihn geworden.

    Toni war stolz darauf, dass er der Hoferbe war! Er wusste seit seinen frühestens Kindertagen, dass er etwas Besonderes war.

    Toni lehnte sich erwartungsvoll zurück, nahm seinen Becher, trank einen kleinen Schluck und stellte den Becher wieder ab. Er war ein für die die damalige Zeit recht großer Mann, fast 1,80 Meter groß. Toni war schlank, hatte aber von der Arbeit auf den Äckern und in den Viehställen breite Schultern, kräftige Arme und Hände, die von der schweren bäuerlichen Arbeit zeugten, er hatte blonde Haare, im Nacken kurzgehalten, und blaue Augen. Auf seinen, im Sommer braungebrannten Armen wuchsen blonde Haare und er war ein fröhlicher Typ, immer hatte er einen flotten Spruch auf den Lippen.

    Toni war vierundzwanzig Jahre alt. War das das richtige Alter, den Hof zu übernehmen? Er bejahrte diese nicht ausgesprochene Frage für sich selbst. Er war längst erwachsen und er hatte schon oft daran gedacht, dass er gerne das Sagen und die Verantwortung für den Hof übernehmen würde. Toni wusste, dass er ein guter Bauer war und er wusste auch, dass er Erfahrungen genug hatte, den Hof bestmöglich zu bewirtschaften und auch, dass er mit allen Schwierigkeiten fertig werden könnte, die zweifellos auf ihn warteten. Dabei zweifelte er selbstverständlich nicht daran, dass jeder Mann lebenslang lernen soll. Außerdem würde sein Vater ihm ja auch im Alter noch als ein erfahrener Ratgeber zur Seite stehen. Deshalb und ohne jeden Zweifel: Er war bereit! Jetzt! Sofort!

    Als beide Söhne schwiegen, gespannt darauf, was er ihnen sagen wollte, redete der Vater weiter: „Selbstverständlich ist das kein Naturgesetz! Hin und wieder geht ein Hof auch mal an einen jüngeren Sohn. Ich habe mir nun viele Gedanken gemacht, was für uns richtig ist, denn das ist ja wirklich ein entscheidender Moment für den Hof und für uns alle, für die ganze Familie."

    Nach dieser langen Vorrede kam er nun endlich zur Sache:

    „Klar ist ja wohl, dass eure Halbbrüder sowieso nicht als Hoferben in Frage kommen! Toni, jetzt sah er seinen Ältesten direkt an, „wir haben immer gesagt, schon als du noch klein warst, dass du viel von deiner Mutter hast, dass du auf sie herauskommst. Du kommst eher auf Haller raus, als auf Erlkämper, du bist schlank, feingliederig, du bist intelligent, deine Stärken liegen eher im Geistigen als im Körperlichen, obwohl du allemal kräftig genug bist, einen großen Bauernhof erfolgreich zu bewirtschaften.

    Jetzt räusperte er sich erneut kräftig, denn das, was er zu sagen hatte, fiel ihm wahrlich nicht leicht. Er wandte sich Joannes Lambertus zu und sagte:

    „Lambert, du bist nicht der Schlaueste auf der Welt, hast aber riesige körperliche Kräfte und du kommst eher auf mich raus, du bist ein echter Erlkämper. Für mich galt es nun nicht zu entscheiden, wer von euch beiden den Hof verdienen würde, dass ist letztlich sogar vollkommen egal, sondern zu entscheiden, welcher neue Bauer nach mir am besten für den Hof ist. Der Schlaue oder der Starke?"

    Tatsächlich war Lambert eine halbe Kopflänge kleiner als sein älterer Bruder, aber mindestens ebenso breit und kräftig, deshalb wirkte er geradezu stämmig, muskulös. Er hatte dunkelblonde, fast braune Haare und ebenfalls blaue Augen.

    Noch einmal füllte der alte Bauer seinen Trinkbecher und die Becher seiner Söhne nach und noch ein paarmal sog er ruhig an seiner Pfeife, bevor er schließlich mit seiner Entscheidung herauskam:

    „Ich habe mich entschieden," sprach er jetzt mit tiefdunkler Stimme weiter und sah dabei wieder stur geradeaus auf den schweren Tisch, sah seine Söhne dabei wieder nicht an:

    „Du sollst den Hof bekommen, Joannes Lambertus!"

    Jetzt war es heraus! Endlich!

    „Auf einem Bauernhof braucht man Kraft, viel Kraft, fuhr der Alte nun fort, „die Arbeit ist niemals leicht, wie ihr beide ja selbst wisst. Und intelligent genug, einen großen Bauernhof zu bewirtschaften, bist du auch. Ich glaube deshalb, dass du der bessere Bauer sein wirst!

    Für Toni war es, als habe er einen heftigen Schlag in den Bauch bekommen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet, damit hatte er trotz der langen Vorrede seines Vaters nicht rechnen können! Es zog ihm geradezu den Boden unter den Füßen weg. Seine bisherige Vorstellung von seinem künftigen Leben zerstob in diesem Moment unaufhaltsam ins Nirwana! Seine Eltern hatten ihn doch sein ganzes Leben lang darauf vorbereitet, dass er eines Tages den Hof übernehmen wird! Das war doch jetzt komplett für die Katz! Wieso war er denn dann vierundzwanzig Jahre lang der Hoferbe – und jetzt vollkommen überraschend plötzlich nicht mehr?! Minutenlang sah er seinen Vater sprachlos an, er war wie vor den Kopf geschlagen. Dann sah er seinen jüngeren Bruder an, dessen Gesicht freudige Überraschung ausstrahlte.

    „Toni, du mit deiner Intelligenz könntest Theologie studieren, fuhr der Alte fort, „und Pfarrer werden oder als Mönch Karriere machen, aber dazu ist es wohl zu spät, du bist ja schließlich verlobt und du wirst wahrscheinlich Trude nicht aufgeben wollen. Du könntest dir aber auch hier auf dem Hof eine Werkstatt einrichten und Holzschuhmacher werden. Aber dazu bist du wohl zu schlau. Du könntest auch in die Politik gehen oder beim Militär Karriere machen.

    Nun sah er Toni an, der blass geworden war, der jetzt ganz weiß im Gesicht war, von der Sonnenbräune seines Gesichtes, die er im Sommer und im Herbst bei seiner Arbeit auf den Feldern und Wiesen des Hofes bekommen hatte, war nichts mehr zu sehen.

    „Ich glaube aber eher, dass deine Zukunft auf dem Hof Donnermeier liegen wird, sagte nun der Alte, der schlaue Fuchs, „sollte ich damit recht behalten, wirst du somit auch ein Bauer sein und sogar den größeren Hof bewirtschaften!

    Dass dann seine Söhne aus erster Ehe die Besitzer eigener großer Höfe sein werden, dass dann beide Großbauern sein werden, erfüllte ihn mit besonderer Genugtuung. Was er sogar vor sich selbst nicht zugeben würde, war, dass dieser Gedanke schließlich sogar für seine Entscheidung ausschlaggebend gewesen war.

    *

    Am nächsten Tag fand die Hochzeit in der Dorfkirche zu Wessum statt. Die Pferdekutschen der Kirchgänger und auch die Chaise, die nach der Messe das Brautpaar zum Gut Erlenkamp bringen sollte, waren im Dorf, auf dem Platz vor der Kirche, angebunden, den Pferden hatte man Säcke mit Hafer vor ihre Mäuler gehängt und so warteten sie geduldig und zufrieden das Ende der Messe ab.

    Die Kirche war vollbesetzt, als der Brautvater Franz Bäcker die Braut, seine Tochter Hedwig, ruhigen Schrittes gemächlich und stolz am Arm durch den Mittelgang der Kirche zum Altar führte. Lächelnd blickte er dabei abwechselnd nach rechts und nach links in die mit Kirchenbesuchern vollbesetzten Bankreihen. Hedwigs Gesicht strahlte vor Glück und Stolz, weil sie heute den Erben des reichen Gutes Erlenkamp heiratete, und sie beide, Vater und Tochter, lächelten überaus selbstbewusst. Es war eine andächtige Stille in der Kirche, das leise Geraune in den Bankreihen hatte aufgehört, als die Braut und ihr Vater die Kirche betraten. Alle Kirchenbesucher drehten neugierig ihre Köpfe zum Mittelgang und sahen ihnen zu. Vater und Tochter fühlten alle Augen auf sich gerichtet und als sie sich der kleinen Bank mit den dunkelrot gepolsterten Sitzplätzen am Ende des Mittelganges der Kirche zwischen den beiden Kommunionbänken näherten, an der Joannes Lambertus Schulte-Erlkämper, Lambert, wartete, setzte verhalten passende Orgelmusik ein.

    Nach gut einer Stunde waren die Messe und die Trauung beendet. Der Pfarrer und die vier Messdiener verließen den Chorbereich der Kirche und gingen langsam und andächtig in die Sakristei. Das frisch verheiratete Paar, Hedwig und Lambert, wartete, beide stolz und glücklich lächelnd, noch einen Augenblick lang unter den Klängen der Orgel ab und gingen schließlich Arm in Arm langsam durch den Mittelgang der vollbesetzten Kirche hinaus. An der nun weit geöffneten Kirchentür standen jetzt zwei der vier Messdiener in ihren rotweißen Gewändern; sie versperrten den Ausgang der Kirche mit einem locker gespannten Strick, wie es auf dem Land üblich war. Lambert griff in die Rocktasche seines Hochzeitsanzuges und gab beiden Messdienern je eine Handvoll Münzen, worauf diese das Seil fallenließen und damit den Ausgang frei gaben.

    Auf dem Kirchplatz hatte sich inzwischen mehr als das halbe Dorf versammelt. Das Wetter hatte sich nach dem vielen Regen der letzten Tage endlich gebessert und die Sonne schien mit noch beachtlicher Kraft für diese Jahreszeit aus einem strahlend blauen Himmel herab. Hochzeitswetter. Der Himmel meinte es gut mit dem Brautpaar. Es wurde gejubelt und dem Brautpaar wurde ausgiebig und von allen Seiten gratuliert, denn es war die Hochzeit des Sohnes eines Großbauern.

    Die Leute, die den etwa zehn oder elf Kilometer langen Weg von der Kirche zum Gut Erlenkamp zu Fuß gehen mussten, machten sich bereits auf den Weg. Sie mussten, im Gänsemarsch hintereinander laufend, den schmalen Pfad, das Pättken (Pfädchen), benutzen, da der nicht befestigte Hauptweg wegen des vielen Regens der letzten Zeit tiefgründig schlammig war. Den Pferden auf dem Kirchplatz wurden die Hafersäcke abgenommen und der Knecht Josef holte noch schnell von der Pumpe vor der Dorfkneipe, dem Lokal „Zur alten Post", einen Eimer Wasser und stellte ihn vor Emma, der Stute, die die Chaise zu ziehen hatte. Emma tauchte ihr Maul tief in das Wasser und trank den Eimer in großen Zügen aus. Der Hafer hatte sie durstig gemacht. Das Brautpaar stieg in die Kutsche, was Hedwig mit ihrem langen weißen Brautkleid nicht leichtfiel – und Emma spreizte ihre Hinterbeine und strullte einen kräftigen Strahl unter die Chaise.

    Lambert nahm die Zügel auf und rief laut „Hüh Ja und hott" und Emma setzte sich langsam in Bewegung. Die Pferdeäpfel, die Emma hinterließ, wurden von Josef, dem Knecht, schnell mit einer Kehrschaufel und einem kleinen Reisigbesen beseitigt. Dann holte Josef noch einen Eimer Wasser von der Pumpe und spülte damit die Pferdepisse in die Gosse, um eine üble Geruchsbildung in der Nähe der Kirche zu vermeiden. Anschließend beseitigte Josef noch die Hinterlassenschaften der beiden Pferde, die vor dem Leiterwagen eingeschirrt waren, in der gleichen Weise. Auf diesem Leiterwagen hatte man an beiden Längsseiten Bohlen als behelfsmäßige Sitze angebracht, die jetzt mit Hochzeitsgästen besetzt waren. Dann stieg Josef auf den Bock des Leiterwagens und fuhr los, um der Chaise mit dem Brautpaar und den weiteren Kutschen mit Hochzeitsgästen zu folgen. Die Bauerhöfe lagen weit außerhalb des Dorfes.

    Die Fahrt einer beachtlichen Prozession von Kutschen und Wagen ging durch Buchenwald und durch dunklen Tannenwald, durch Felder und Wiesen und war recht angenehm, obwohl der Regen der letzten Tage den Weg ziemlich aufgeweicht hatte, sodass die eisenbereiften Räder tief einsanken und die Pferde an den Fuhrwerken schwer zu ziehen hatten. Die Luft roch wegen der noch immer nassen Wiesen und der noch immer feuchten Baumwipfel leicht modrig. Noch hatte die Sonne den Weg nicht trocknen können, obwohl sie sich schon seit dem frühen Morgen durch frühherbstlichen Dunst gekämpft und noch eine beachtliche Kraft entwickelt hatte. Es musste ein wundervoller Tag werden. Ein Tag wie gemacht zum Heiraten.

    Auf dem Gut Erlenkamp angekommen, wurden alle Gäste zügig mit einem Begrüßungsgetränk versorgt. Alle Knechte und Mägde und auch die Familie Schulte-Erlkämper waren schon lange vor dem Sonnenaufgang auf den Beinen. Auf der mit Blumen und Zweigen geschmückten Tenne und auf dem Weg und dem Hof davor waren Tische und Bänke aufgebaut, die den Hochzeitsgästen Platz boten, dort standen Tische mit Getränken und mit kleinen Happen, um die Zeit bis zum Mittagessen zu überbrücken, und auch der blitzsauber geputzte Kuhstall neben der Tenne war als Teil der Festräumlichkeiten hergerichtet worden. Die Kühe waren alle noch auf der Weide, noch war es Sommer. Hier war eine Musikkapelle untergebracht, die bereits jetzt landestypische Musik des neunzehnten Jahrhunderts spielte. Die Hochzeitsgäste unterhielten sich laut und fröhlich und es gab viel Gelächter und durcheinander Gerede und viel Spaß. Hedwig Schulte-Erlkämper, geborene Bäcker, genoss es stolz und glücklich, der Star des Tages zu sein und auch Joannes Lambertus, Lambert, genoss es, mit seiner Frau im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Stolz war er sich der Tatsache bewusst, dass er jetzt der Hoferbe war – und das vergaß er keinen Augenblick lang.

    Schon sehr bald hatte es sich herumgesprochen, dass der Bauer Antonius Gerhardus Schulte-Erlkämper sich aufs Altenteil zurückziehen wollte und, was noch viel mehr das allgemeine Interesse der Hochzeitsgäste weckte, dass nicht Toni den Hof erben würde, sondern Joannes Lambertus, der zweitgeborene Sohn, was allgemein verwundertes Erstaunen auslöste, zumal Lambert gerade erst zwanzig Jahr alt war.

    Auch Trude, Gertrud Donnermeier, gratulierte dem Brautpaar sehr herzlich, aber sie begrüßte ihren Verlobten Toni (also: Joa Antonius Bernardus) nur mit einem sehr schnellen und flüchtigen Kuss, einem geradezu distanzierten und kühlen Kuss. Deshalb nahm Toni die erstbeste Gelegenheit war, Trude nach dem Grund zu fragen, obwohl ihn sofort eine nicht nur dunkle und vage Ahnung beschlich. Bereits die ganze letzte Nacht lang hatte er sich Sorgen gemacht, und doch zweifelte er nicht an Trudes Liebe zu ihm. Toni machte sich eher Sorgen wegen Trudes Vater, Alfons Donnermeier. Zu Recht, wie sich schon bald herausstellen sollte.

    „Was ist los? Was ist los mit dir? Bist du sauer? Habe ich dir etwas getan?"

    „Nein, du nicht!" Die Betonung lag auf dem Du.

    „Was ist denn? Worum geht es denn?"

    „Kannst du dir das nicht denken?"

    „Ich ahne, dass etwas Fürchterliches auf mich zukommt, dass es auf uns beide zukommt!"

    „Da liegst du genau richtig, giftete Trude ihren Verlobten geradezu an. „nur, dass es nicht mehr auf uns zukommt, sondern bereits da ist! Mein Vater will nämlich, dass ich dir den Verlobungsring zurückgebe; ich soll die Verlobung mit dir lösen!

    Für Toni fühlte es sich wieder an, als bekäme er einen Hieb in die Magengrube oder noch eher wie einen Tritt in die Weichteile.

    „Wirst du es tun?", fragte er dennoch äußerlich ganz ruhig, obwohl sein Puls sich schon erheblich beschleunigte.

    „Ich kann dich doch gar nicht gegen den Willen meines Vaters heiraten, das weißt du ganz genau, wich Trude aus, „als du bei meinem Vater um meine Hand angehalten hast, da hat mein Vater unserer Verbindung zugestimmt, weil du als der Erbe von Gut Erlenkamp gegolten hattest. Vater wollte, dass sich unsere Höfe ergänzen, der Hof deines Vaters und der meines Vaters. Das wäre ein sehr beachtlicher Besitz geworden, wie du ganz genau weißt! Du weißt auch, dass ich als das einzige Kind meiner Eltern zwangsläufig den Hof meines Vaters erben werde. Dieser Plan ist ja jetzt kaputt, da dein Bruder Joannes Lambertus euren Hof übernehmen wird!

    „Was wirst du tun?"

    Toni versuchte krampfhaft, die Ruhe zu bewahren, obwohl ihm sauelendig zumute war.

    „Ich weiß es nicht!"

    Trude weinte nun beinahe, vor Sorge und vor Wut gleichzeitig, sie hätte nicht sagen können, welches der beiden Gefühle überwog, „ich weiß es einfach nicht! Was kann ich denn schon tun? Ohne Vaters Erlaubnis kann ich dich doch gar nicht heiraten! Was soll denn dann eine Verlobung? Kannst du mir das bitte sagen? Eine Verlobung, obwohl man ganz genau weiß, dass es eine Hochzeit nicht geben wird?"

    Gertrud Donnermeier war zutiefst enttäuscht über die Entscheidung von Tonis Vater, zerstörte sie doch alle ihre bisherigen Zukunftspläne und die ihres Noch-Verlobten. War sie auch auf ihren Vater sauer? Eher nicht. Für ihn hatte sie durchaus Verständnis. Aus dem geplanten riesigen bäuerlichen Besitz würde nun nichts mehr werden…

    Toni schwieg geschockt und schon vertiefte sich seine ohnehin bereits bestehende Verbitterung gewaltig.

    „Ich kann nicht anders, klagte Trude, „mein Vater hat einen beachtlichen Hof, das weißt du, und er hat nur mich, keinen anderen Hoferben! Kein anderes Kind! Soll ich den Hof und meinen Vater aufgeben? Soll ich meinen Vater in seinem Alter aufgeben? Ich kann es nicht! Ich kann es einfach nicht!

    „Kannst du mich aufgeben?"

    Äußerlich war Toni noch immer ganz ruhig. Er wusste in diesem Moment, dass er keinen Einfluss mehr darauf hatte, wie es jetzt mit Trude und ihm weitergehen konnte, aber er ahnte, dass sein Leben jetzt mehr und mehr den Bach hinunterging.

    „Was soll ich nur tun?, klagte Trude, „oh Gott, ich kann mich doch nicht zwischen dir und meinem Vater entscheiden, das geht doch nicht! Oh, Gott, mein Gott, steh mir bei!

    *

    Am Sonntag nach der Hochzeit auf Gut Erlenkamp ging Toni wie jeden Sonntag zu Fuß über das Pättken zur Messe nach Wessum. Die Chaise wurde normalerweise nur vom Bauern oder hin und wieder vielleicht auch noch vom Hoferben benutzt und das auch nicht alltäglich, noch nicht einmal jeden Sonntag, dafür war sie viel zu edel, viel zu kostbar. Und Toni war jetzt kein Hoferbe mehr. In der Dorfkirche sah er auf der linken Seite der Kirche, der Seite, die gewöhnlich den Frauen vorbehalten war, Trude, seine Verlobte. Noch-Verlobte, dachte er mit wachsender Wut und beginnender Verzweiflung, wann wird sie mir den Ring zurückgeben?

    Auf der rechten Kirchenseite fand er Trudes Mutter und Trudes Vater, Anna und Alfons Donnermeier. In einem geziemenden Abstand hinter ihnen, in der letzten Bank, suchte Toni seinen Platz im Gestühl der Kirche. Er verfolgte andächtig die Messe, wäre aber bei der Predigt beinahe eingenickt, denn die letzte Woche war für ihn nicht einfach gewesen. Schlaflose Nächte hatten ihn gequält und er hatte nächtelang gegrübelt: Wie wird es mit Trude und mir weitergehen? Wie wird mein Leben weitergehen? Er hatte auf dem Hof hart gearbeitet, wie jeden Tag, so dass er abends immer rechtschaffend müde war. Trotzdem brachten ihn seine Sorgen um seine Zukunft seit der letzten Woche um so manche Stunde Schlaf, denn, so fragte er sich ständig, wie es mit ihm weitergehen konnte. Was sollte er nur tun? Denn, es ging ja auch um seine berufliche Zukunft und wie er sich beruflich entscheiden würde, das betraf ja auch seine Beziehung zu Trude. Trotz seines vielen Grübelns fand er keine Lösung.

    Er war vierundzwanzig Jahre alt und er war die längste Zeit Hoferbe gewesen und auch die offene Frage, was aus seiner Liebe zu Gertrud, Trude, werden konnte, machte ihm bereits schwer zu schaffen. Könnte Trude sich gegen ihren Vater durchsetzen? War ihre Liebe zu ihm stabil genug, dass sie auch hielt, wenn er nur ein armer Schlucker sein wird? Wie wird sie sich entscheiden? Für ihn oder gegen ihn? Für ihren Vater? Wenn ihr Vater seine Einstellung nicht ändert, was wird Trude tun? Wird sie ihrem Vater nachgeben? Was wird stärker sein? Die Liebe zu ihm, Toni, oder die Liebe zu ihrem Vater? Schließlich gab es ja auch noch ihre Liebe zu ihrem väterlichen Hof, der Liebe zu ihrem Zuhause, dem recht beachtlichen Hof eines Großbauern.

    Der väterliche Hof musste ihrer Zukunft, ihrem künftigen Leben, Sicherheit geben. Wie konnte ihr Leben mit Toni aussehen, ohne den Hof? Toni wusste sehr genau, dass Trude vor einer schier unmöglichen Entscheidung stand. Was wird gewinnen? Das Herz oder der Verstand? War ihre Liebe zu ihm so stark, so haltbar, um mit dieser fürchterlichen Situation fertig zu werden?

    Nach dem Ende der Messe, nachdem der Pfarrer den Segen erteilt und die Kirchenbesucher entlassen hatte mit den Worten: „Gehet hin in Frieden", verließ Toni als einer der ersten Kirchgänger die Kirche, noch bevor das Schlusslied verklungen war. Auf dem Kirchplatz wartete er auf Gertrud Donnermeier und ihre Eltern. Er wollte wissen, woran er war. Er wollte die grässliche Unsicherheit, die ihn eine Woche lang gequält hatte, endlich beenden. Diese eine Woche voller Ungewissheit hatte schwer an seinen Nerven gezerrt.

    Trudes Eltern saßen während der Messe auf der rechten Kirchenseite und Trude, als junges Mädchen, auf der linken, so wie es sich gehörte. Trudes Eltern kamen zuerst aus der Kirche, sie warteten auf dem Kirchplatz auf ihre Tochter und grüßten währenddessen Freunde, Verwandte und Bekannte, es gab kurze Unterhaltungen wie jeden Sonntag nach dem Gottesdienst. Dann kam auch Trude und Toni ging auf sie zu. Trude sah ihn mit einem etwas verweinten Gesicht an und Toni erkannte, dass sie in der letzten Woche ebenso gelitten haben musste wie er. Obwohl Trudes Gesicht Spuren der letzten verweinten Tage zeigte, war sie dennoch eine wirkliche Schönheit. Trude war rank und schlank und recht groß für eine Frau. Sie hatte lange blonde Haare, die heute zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren und sie hatte strahlend blaue Augen, die ihrem Gesicht eine ganz besondere Note gaben. Wenn sie ihren Mund, der nur eine Kleinigkeit zu groß war, mit den vollen dunklen Lippen zu einem Lächeln öffnete - wozu es für sie hier und heute keinen Grund gab – sah man, dass sie ihre sehr gleichmäßigen und sehr weißen Zähne regelmäßig sehr gründlich pflegte. Sie trug heute natürlich ihren Sonntagsstaat, einen langen dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse und darüber eine blaue Jacke.

    Noch ehe Toni Trude erreichte, eilte Alfons Donnermeier, Trudes Vater, zu ihr, gefolgt von Trudes Mutter. Toni reichte Trudes Mutter die Hand und Trudes Mutter erwiderte freundlich und doch reserviert seinen Gruß. Toni spürte sofort die Veränderung gegenüber der Zeit vor der Hochzeit auf Gut Erlenkamp. Dann streckte er auch Trudes Vater seine rechte Hand hin. Vergebens! Trudes Vater übersah sie demonstrativ, was vielen Kirchgängern aufgefallen sein musste.

    „Dir wird ja wohl klar sein", sagte Alfons Donnermeier laut und äußerst bestimmt mit seiner tiefen Stimme, „dass sich unsere Abmachung erledigt hat. Ich kann meine Tochter, mein einziges Kind, nicht einem mittellosen Mann zur Frau geben, einem armen Schlucker, der vielleicht sein Leben als Holzschuhmacher auf dem Hof seines Bruders verbringen wird, deshalb will ich nicht,

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