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Erzsébet Scherer: 1921 – 2016 - Lebenserinnerungen
Erzsébet Scherer: 1921 – 2016 - Lebenserinnerungen
Erzsébet Scherer: 1921 – 2016 - Lebenserinnerungen
eBook182 Seiten2 Stunden

Erzsébet Scherer: 1921 – 2016 - Lebenserinnerungen

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Über dieses E-Book

Dies ist die wahre Geschichte meiner Großmutter. Als Deutsche geboren und aufgewachsen in einem deutschen Dorf in Ungarn. Sie hat den zweiten Weltkrieg als junge Frau erlebt und schließlich die Vertreibung aus der Heimat.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Dez. 2022
ISBN9783347762718
Erzsébet Scherer: 1921 – 2016 - Lebenserinnerungen
Autor

Christina Ellgoth

Ich erzähle in diesem Buch die bewegende Geschichte meiner Großmutter. Sie hat den zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecken als junge Frau erlebt. Danach wurde sie aus ihrer Heimat vertrieben und ist auf der Suche nach einer neuen Heimat sogar ausgewandert. Als kleines Kind habe ich oft meiner Oma abends im Bett ihren spannenden Berichten gelauscht. Als ich schließlich selbst erwachsen war, war es mir ein unglaubliches Anliegen ihre Erzählungen festzuhalten für kommende Generationen. Damit diese Geschichten nicht verloren gehen. Ich war bereits selbst Mutter, 28 Jahr alt und gerade schwanger mit meinem dritten Kind als ich mir die Zeit nehmen konnte um Interviews mit ihr zu führen. Zu diesem Zeitpunkt war sie schon 89 Jahr alt. Sie wohnte in Hagen und ich in Köln. So begann eine Zeit mit vielen Besuchen und Telefoninterviews.

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    Buchvorschau

    Erzsébet Scherer - Christina Ellgoth

    Ungarn – Kistormás

    Ich wurde als Erzsébet Scherer am 16. Juni 1921 in Kistormás, Ungarn geboren.

    Wie meine Vorfahren ins Land gekommen sind und wann genau, kann ich leider nicht sagen. Denn wir waren Deutsche in deutschen Dörfern und Siedlungen in Ungarn. Aus der Geschichte geht hervor, dass unser Dorf Kistormás 1724 von evangelischen Familien aus Hessen durch Graf Mercy besiedelt wurde. Damals lagen große Teile Ungarns brach, nachdem die Türken vertrieben waren und die deutsche und österreichische Krone versuchte, durch Neubesiedelung das Land wieder nutzbar zu machen. Deutsche und österreichische Familien, hauptsächlich aus dem südlichen Raum (Hessen, Baden-Württemberg, Bayern), wurden angeworben, dort zu siedeln. So kamen damals wohl auch meine Vorfahren in das Land.

    Unser Dorf Kistormás war ein rein deutsches und evangelisches Dorf. Später jedoch folgten auch viele Mischehen mit den richtigen Ungarn. In der Schule wurde nur Ungarisch gelehrt, einzig der evangelische Pfarrer gab nach dem Unterricht noch Deutsch- und Religionslehre in altdeutscher Schrift.

    Es gab bei uns im Dorf jede Menge kleiner Hügel, und man sagte mir, das wären „Türkenhügel". Sie stammten aus der Zeit, in der die Türken im Land waren, aber wofür diese Hügel einmal angelegt worden waren, wusste keiner. In Budapest hinterließen die Türken ihre großen Dampfbäder, dort stehen sie noch heute.

    Über meinen Großvater Heinrich Neusinger weiß ich, dass er 18 Jahre in Amerika als Maurer gearbeitet hat. Auch schon im 1. Weltkrieg. Insgesamt kam er dreimal nach Hause zurück und brachte immer sehr viel Geld mit. Meine Großmutter Elisabeth Neusinger war eine sehr gutmütige und leichtgläubige Frau und ließ sich schließlich von den Leuten überreden, viel Geld in Kriegsanleihen zu stecken. Nachdem jedoch der 1. Weltkrieg verloren war, war auch ihr ganzes Geld weg.

    Und so schrieb sie ihrem Mann nach Amerika, dass sie das ganze Geld verloren hatte. Daraufhin antwortete er ihr: „Mach dir keine Sorgen, beim nächsten Mal komme ich mit vielen Gold-Dollars zurück". So kehrte mein Großvater zum letzten und dritten Mal heim. Seine Reise führte ihn mit dem Schiff bis Serbien und von dort mit dem Zug nach Ungarn. Allerdings waren Teile Ungarns noch von den Serben besetzt, sodass er mit serbischen Soldaten im Zug fahren musste.

    Die amerikanischen Dollars hatte er sich in Amerika in Gold umtauschen lassen und dieses dann hinter seinen Ledergürtel gebunden. Da er den Serben nicht traute, versuchte er, nicht einzuschlafen. Jedoch war die Reise so lang, dass er schließlich doch einschlief und von den Soldaten beraubt wurde. So kam er als gebrochener Mann nach Hause zurück, denn über den Verlust des vielen Geldes kam er nicht mehr hinweg und wurde seines Lebens nicht mehr froh. Die letzte Zeit musste er noch auf die Puszta gehen und dort schwer arbeiten. Nicht lange danach starb er, vermutlich auf Grund eines Sturzes auf die Leber. Meine ältere Schwester Katalin (Katharina) wurde von meiner Großmutter aufgezogen, denn sie kam schwach und kränklich zur Welt und nahm keine Muttermilch. Meine Mutter hieß ebenfalls Katalin, und es war Tradition, dass die ersten Kinder die Vornamen der Eltern bekamen. Mutter war eher grob und gefühlslos. So wurde mir erzählt, dass meine Schwester als kleines Baby in der Wiege lag und nicht mehr aufhörte zu schreien. Daraufhin schaukelte meine Mutter die Wiege so wild, dass das arme Kind herausflog und unter das Bett rollte.

    Nach diesem Vorfall wurde meine Schwester durch meine Großmutter aufgezogen und betreut. So manche Nacht musste sie mit dem Kind zum Arzt laufen. Wenn sie sich nicht gekümmert hätte, wäre Katalin wohl gestorben. Außerdem musste die Großmutter das Kind mit der Flasche ernähren, damals gab es noch keine fertige Babynahrung. Dafür wurde Mehl in der Pfanne erhitzt und dann schließlich mit einer Hälfte Wasser und einer Hälfte Milch aufgelassen. Milch und Wasser mussten aber vorher lange abgekocht sein, außerdem kam noch Süßstoff hinzu.

    Man kann also sagen, dass ich den ersten Teil meiner Kindheit getrennt von meiner Schwester verbracht habe, denn unser Haus war zu Beginn oberhalb eines Hügels, und darunter stand das Haus der Großmutter.

    Kistormás im Frühling, als wir das erste Mal die Schweine wieder nach draußen ließen. Haus und Schmiede im Hintergrund.

    Das erste Wohnhaus meiner Eltern war dieses Haus auf dem Hügel. Es war gekauft worden. Später bauten sie ein neues Haus neben das der Großmutter. Erst dann konnte ich mit meiner Schwester zusammen spielen.

    Da es bei uns im Dorf noch keine Ziegelbrennerei gab, bauten wir und die Leute die Häuser aus Lehm. Hierfür wurden die Umrisse des Hauses einen Meter breit ausgehoben, schließlich wurde eine einen Meter dicke Wand aus Lehm hochgezogen. Als Fußboden dienten große Holzdielen, auf die man vereinzelt noch schöne Teppiche legte. Es gab zwei Haustüren. Zwischen der breiten Außenwand gab es eine Holzschwelle, und innen lag die Sommertür, die zur Hälfte aus Holz und zur anderen Hälfte aus Glas war. Dann folgte die breite Holzschwelle, daraufhin die äußere Tür. Diese war aus sehr dickem Holz und gab im Winter Schutz.

    Diese Häuser waren sehr gut isoliert und boten guten Schutz vor Kälte. Im Sommer hielten sie die Räume kühl. Unser Haus hatte eine große Wohnküche mit einem Bett, ein großes Schlafzimmer, ein großes Giebelzimmer mit vier Fenstern, außerdem im Obergeschoss eine große Speisekammer. Auch gab es draußen eine offene Sommerküche. Die Öfen waren aus Backstein mit Eisenringen – davon hatten wir zwei, und einen großen Räucherofen, in den man direkt die zu räuchernden Sachen hängen konnte, so groß war dieser. Wir waren auch gut eingerichtet. Es gab eine Couch und Sessel, die Betten waren gefüllt mit Strohsäcken und wurden jedes Jahr ein- bis zweimal neu gefüllt.

    Meine Eltern betrieben eine kleine Landwirtschaft mit mehreren Feldern und einen Weinberg mit dazugehörigem Weinkeller. Wir hatten viele Obstbäume im Garten und haben so ziemlich alles, was wir für den Eigengebrauch nutzten, selbst angebaut. So hatten wir unter anderem Mais, Getreide, Rüben, Paprika, Petersilie, Kräuter, Knoblauch, Zwiebeln, Meerrettich, Tomaten, Kartoffeln, Hanf, Walnuss- und Quittenbäume sowie viele weitere Obstbäume.

    Das Getreide ließen wir zu Mehl vermahlen und behielten auch die Körner für die Tierfütterung. Einen Teil der Paprikaschoten haben wir getrocknet und zu Paprikapulver vermahlen lassen. Von der Petersilie hat man leider nur essen können, solange sie frisch war, danach wurde die Wurzel gestochen und für den Winter in Sand eingeschlagen. So konnte man immer feine Suppen kochen, denn die Petersilienwurzel war noch aromatischer als das Grün.

    Aus dem Hanf haben wir uns grobe Textilien wie Säcke und Planen weben lassen, Seile und Stricke ließen wir auch daraus drehen. Weiter gehörten zu unserem Hof viele Hühner, zwei Milchkühe, Gänse und Schweine. Ab und zu hielten wir uns auch ein paar Schafe. Allerdings wurde nur zur Weinlese ein Schaf geschlachtet. Bei der Weinlese gingen ein paar Frauen hoch zu unserem Weinkeller, dort wurde schließlich aus dem Schaffleisch Gulasch in einem großen Kessel über einem Feuer vor unserem Weinkeller gekocht.

    Das dauerte viele Stunden, und am Abend kamen alle Helfer der Weinernte zu unserem Weinkeller hoch und wir aßen zusammen das Gulasch und tranken von unserem Wein. Das war immer sehr schön.

    Unsere Hühner bekamen ausschließlich Körner zu fressen, die Schweine unsere Essensreste. Nur die Knochen und Fleischabfälle gaben wir unserem Hofhund „Scheppi".

    Natürlich wurden auch damals schon die Tiere krank. So kam einmal eine schwere Seuche über die Hühner, und alle starben. Diese durfte man dann nicht essen, sie mussten allesamt vergraben werden, danach kaufte man wieder neue. Genauso wurden auch einmal die Schweine krank, und wir mussten alle schlachten und vergraben.

    Außerdem betrieb mein Vater noch eine Schmiede, die uns zusätzlich Geld einbrachte. Da meine Mutter eine sehr kräftige Frau war und etwas korpulent, konnte sie dem Vater viel in der Schmiede helfen, als wir noch klein waren, genauso im Weinkeller.

    Vier verschiedene Sorten Wein stellten wir her: Weißwein, Rotwein, Rosé (Rot und Weiß gemischt) und Eiswein. Das war noch eine sehr gute Qualität ohne Panscherei. Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind meinem Vater geholfen habe, neue Weinreben zu setzen. Und ich denke auch noch daran, wie ich sie einmal alle abgeschnitten habe, weil ich dem Vater beim Holzhacken zugesehen hatte. Wir hatten von allem genug, und das, was wir zu viel hatten, wurde verkauft. Auch unser Hausrat war sehr gut. So hatten wir Geschirr aus echtem Porzellan und richtiges Besteck, feine Tischtücher, Krüge und Schüsseln aus Emaille und auch Tongefäße sowie Töpfe und Pfannen aus Eisen. Wir hatten auch feine Gläser. Alles war vorhanden. Später hörte ich einmal, dass die Landbevölkerung in Deutschland manchmal nur einen Holzlöffel und eine Schüssel hatte, aus denen dann die ganze Familie aß. So etwas gab es bei uns nicht. Wir lebten sehr gut, und wenn Bettler oder Wanderzigeuner kamen, so gaben wir immer etwas, das war so Sitte. Keiner musste Hunger oder Durst leiden.

    erste Reihe v. r.: Mutter und Vater meines Vaters zweite Reihe v. r.: mein Vater und seine Geschwister

    zweite Reihe ganz rechts: meine Mutter, dritte Reihe (dritte v. r.): ich, vierte Reihe ganz rechts: mein Vater

    zweite Reihe v. l.: meine Schwester und daneben ich

    Meine Mutter, Katalin Scherer geb. Neusinger, wurde 1899 in Kistormás geboren. Sie hatte schwarze Haare und blaue Augen, genau wie ich auch. Sie hatte einen Bruder und eine Schwester. Die Schwester wanderte nach Amerika aus. Meine Mutter war Analphabetin.

    Mein Vater, Janos (Johann) Scherer, wurde 1892 in Kölesd, Ungarn geboren und hatte sechs Geschwister: zwei Schwestern und vier Brüder. Seine Eltern waren arm, aber klug, denn sie bemühten sich, für alle Kinder eine gute Ausbildung zu bekommen. So wurden die beiden Schwestern Schneiderinnen und ein Bruder Schneider, die anderen Brüder Juwelier und Uhrmacher. Nur mein Vater hatte schon zwei abgebrochene Lehren hinter sich, bevor er Schmied wurde. Denn er war sehr fix in seiner Auffassungsgabe und lernte schnell, so dass er sich entweder nach einem Jahr schon langweilte und beschwerte, er könne schon alles, oder – wie er es dem Vater sagte – er würde für die Lehrherren nur als Kindermädchen oder Einkaufshilfe ausgenutzt. So sagte der Vater ihm schließlich: „Hier in unserem Dorf, direkt neben unserem Haus ist eine Lehrstelle zum Huf- und Hammerschmied frei. Dort kannst du in die Lehre gehen, und ich kann dich dabei beobachten!"

    Mein Vater war ein richtiges Talent, er konnte einfach alles herstellen. So trieb er auch viel Illegales. Zum Beispiel stellte er Feuerzeuge her oder baute ein Gewehr in einen Spazierstock. Er schuf einen Tabakschneider, ein Gerät zum Schnapsbrennen und zu guter Letzt eine Geldpresse. Es folgten des Öfteren Anzeigen gegen ihn und er musste viel Strafe zahlen. Denn für bestimmte Dinge brauchte man erst eine Genehmigung oder man musste darauf Steuern zahlen. Meist wurde er von Freunden gebeten, etwas für sie herzustellen. Mein Vater war außerdem ein sehr belesener Mann. Kisten voller Bücher lagen bei uns auf dem Speicher, die er alle gelesen hatte. Zudem kam jeden Tag die Tageszeitung. Meine Mutter ärgerte sich darüber und meinte nur, er habe aus den ganzen Romanen seine kriminellen Ideen. Da mein Vater in einer größeren Stadt aufgewachsen war, sprach er mehr ungarisch als deutsch. Das Deutsche war sehr gebrochen, und so rief er zu uns: „Es gommen meine Ginderchen." Und wir lachten darüber. Außerdem musste er sich ständig über uns ärgern, denn wir sprachen nur deutsch zu Hause. Er wollte aber, dass wir besser ungarisch verstehen. So sprach er mit uns in Ungarisch, und wir antworteten in Deutsch zurück.

    Ich hatte eine ältere Cousine. Sie hieß auch Erzsébet wie ich, und unser Spitzname war Böschi. Diese Cousine betreute mich manchmal als Kind. Sie wohnte im Haus der Großmutter neben uns.

    Eines Tages geschah es, dass mein Vater sie in die nächste Ortschaft schickte, um dort in der Eisenwarenhandlung etwas für die Schmiede einzukaufen.

    Ich muss noch ein kleines Kind gewesen sein, denn ich folgte ihr, obwohl ich es nicht durfte. So rannte ich hinter ihr her bis ungefähr zum zweiten Haus in der Straße. Da erwischte mich mein Vater, und dann weiß ich nix mehr. Später kam ich zu Hause zu mir und

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