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Endstation: Delitzsch: Heimat, Traditionen - Geschichte
Endstation: Delitzsch: Heimat, Traditionen - Geschichte
Endstation: Delitzsch: Heimat, Traditionen - Geschichte
eBook678 Seiten10 Stunden

Endstation: Delitzsch: Heimat, Traditionen - Geschichte

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Über dieses E-Book

Familie, wer ist das? Meine Wurzeln liegen tief verankert in Ostpreußen und im Sudetenland. Ich beginne im 19. Jahrhundert mit der Erzählung über meine Familie und endet im 21. Jahrhundert. Zwei Weltkriege, Hunger, Flucht und Vertreibung, Neuanfang und die Wende erlebte meine Familie. Neue Heimat , was ist das? Wo ist das? Die neue Heimat ist die nördlichst gelegene Stadt in Sachsen, "Deelsch" - wie die Einheimischen die Stadt Delitzsch am Loberstrand nennen. Inhalt in diesem Buch: "Warum hat mich das Glück vergessen", "Niemand schaut in mich rein", "Familiengeschichte" und die Traditionen der Familie aus dem Kochbuch. Im eBook befinden sich zusätzlich ein Teil unserer Familienrezepte aus meinem Kochbuch.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum30. Jan. 2021
ISBN9783753156507
Endstation: Delitzsch: Heimat, Traditionen - Geschichte

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    Buchvorschau

    Endstation - Steffen Kabela

    Endstation: Delitzsch

    Titel Seite

    Tomatensuppe

    Bruken – Kohlrüben - Eintopf

    Spargelsuppe

    Kuddeln – saure Flecke

    Gräupcheneintopf

    Weiße Bohnen

    Kartoffelsuppe ( mit Pilzen)

    Hühnersuppe

    Gemüseeintopf

    Kalte Gurkensuppe

    Kalte Gemüsesuppe

    Gebratene Schweinelende

    Rollbraten

    Bandnudeln mit Spargel

    Pilznudeln

    Pankooke (Pfannkuchen)

    Herzhafte Eierkooke

    Fischklopse

    Böhmischer Schweinebraten

    Marinierter Hering

    Königsberger Klopse

    Kapernateln

    Kartoffelbrei

    Eierklein

    Gulasch

    Pilzgulasch

    Krautnudeln

    Hering im Pelzmantel

    Schmorgurken

    Béchamelkartoffeln

    Bratkartoffeln

    Kochfisch

    Senfeier

    Verlorenen Eier

    Betenborschtsch (Betebortsch)

    Klunkersuppe

    Kohlsuppe

    Gurkensalat

    Grützwurst

    Stintflinsen

    Fischfilet in Schmunzelsoße

    Kartoffelsalat

    Böhmischer Rostbraten

    Kaninchen – Braten

    Rotkraut

    Entenbraten

    Kaninchen – Suppen

    Karpfen – Suppe

    Pilzsoße mit Semmelknödel

    Falscher Hase – Hackbraten

    Kartoffeltaschen

    Buchta – Böhmische Buchteln

    Mohnstriezel

    Krümeltorte

    Glumstorte

    Rhabarberkuchen

    Osterbrot

    Reformationsbrötchen

    Mandarinen – Quark – Torte

    Kleckselkuchen

    Streuselkuchen

    Zuckerkuchen

    Pflaumenkuchen

    Rührkuchen

    Kreppelchen

    Marmorkuchen

    Schnellbuchtel

    Stollen

    Butterplätzchen – Ausstecher

    Spritzgebäck

    Mandelecken

    Kaffee – Orangen Herzen

    Vanille – Mandel – Kipferl

    Butterplätzchen

    Luisenkeks

    Schokoknöpfchen

    Gebackenen Christrosen

    Kirsch – Schnitten

    Kekse

    Haferflockenmakronen

    Ostern

    Pfingsten

    Weihnachten

    Steffen Kabela

    Endstation: Delitzsch

    Endstation: Delitzsch

    Heimat, Traditionen – Geschichte

    Steffen Kabela

    Dieses Buch widme ich von ganzem Herzen meinen lieben Eltern und Omi; Mami, Papi, Omi – ihr seit in meinem Herzen. Ich liebe Euch, ihr seid unvergessen.

    Wie Delitzsch neue Heimat wurde

    Heimat

    Was ist eigentlich Heimat und was ist Familie. Das beschäftigt mich schon sehr lange. Immer wieder hörte ich den Geschichten meiner Omi und meiner Eltern zu. Ich mochte die Erzählungen von „Zuhause", fern der Heimat. So wurde ich schon als Kind mit dem Leben meiner Familie vertraut, lernte die verlorene Heimat durch die Berichte und Erzählungen kennen und zwar so kennen, dass ich mich selbst wie zu Hause fühlte. Ich konnte das Erzählte miterleben, fühlen und vor dem geistigen Auge sehen. Ich konnte es schmecken durch die alten Rezepte und ich konnte es hören durch die Sprache, die ich auch spreche. Alles das ist Heimat, alles das ist Familie. Gelebte Traditionen, das leckere Essen und dazu das gesprochenen ostpreußische Platt und der böhmische Dialekt, der so besinnlich und weich klingt.

    Und genau dieses Leben wurde durch den Krieg genommen. Heimatlos, Flüchtling und Vertriebener in einer neuen Heimat … ein Ankommen wurde sehr schwer gemacht. Auch das ist Geschichte und die möchte ich erzählen. Erzählte Geschichte von Mund zu Mund.

    Heimat Ostpreußen

    Heimat ist dort, wo man sich zu Hause fühlt. Heimat ist aber auch Erinnerung. Ostpreußen war über Jahrhunderte ein Teil Deutschlands, der östlichste Teil Deutschland und Kornkammer des Landes. Die Vertreibung und Enteignung von Millionen Ostpreußen im 2. Weltkrieg entvölkerte das Land und löschte die deutsche Lebensart dort fast völlig aus. Der nördliche Teil wurde sowjetisch, der südliche polnisch.

    Meine Omi und meine Mama sind geboren in Langendorf Kreis Wehlau. Es ist ihre geliebte und unvergessene Heimat.

    Langendorf, ist ein Ort unweit von Königsberg, heute Sokolniki im russischen Oblast Kaliningrad. Langendorf liegt direkt am Nordufer des Pregel und unweit der alten Reichsstraße 1. Es war ein schöner Wohnort mit vielen kleinen Häusern, einer Molkerei und einem großen Rittergut. Aber auch eine Kirche , eine Schule, ein Gasthaus und der Krämer Plonus gehörten zum Ort. Mit Langendorf ist die Familie von Perbandt auf das Engste verbunden, sie hatte hier seit der Ordenszeit bis zum Einmarsch der Russen ihren Sitz. Es war ein schönes Schloss, ein Märchenschloss mit schönen Türmen und einem großen Park. Die Tochter des Hauses Jutta von Perbandt war meine Patentante. Bis zu ihrem Tod am 7. September 1977 lebte sie in Bonn, wo auch ihre Grabstätte sich befindet, die Familiengrabstätte der Gutsherrenfamilie. Ich verehre und liebe meine Patentante Jutta heute noch und erinnere mich gerne an sie zurück.

    Meine Omi, Mathilde Henriette Radmacher, wurde am 05. April 1903 in Langendorf geboren. Meine Ur-Großeltern, Auguste und Gottfried Radmacher waren auch in Langendorf geboren, ebenso die Geschwister, Luise, Karl und Otto. Alle waren Bedienstete auf dem Gut Langendorf. Omi wurde geboren in der Kaiserzeit, besuchte in Kremitten die Dorfschule und arbeitete seit ihrem 13. Lebensjahr mit auf dem Gut, auf dem Feld und in der Wäscherei. Sie erlebte den 1. Weltkrieg mit und musste schon einmal während dieser Zeit als Kind aus ihrer Heimat flüchten. Nach wenigen Monaten war die Flucht vorbei und sie konnten wieder in ihre geliebte Heimat zurück. Zu Beginn der 20-er Jahre lernte Omi Franz Kaiser , geboren im November 1899, aus Königsberg kennen und sie verliebten sich. Ihre Schwester Luise Henriette Radmacher , geboren am 21. März 1897, heiratete 1917, während der Kaiserherrschaft , den Vorarbeiter Hermann Hopp aus Linkehnen bei Gauleden. Er war Vorarbeiter auf dem Gut Linkehnen bei der Familie Anders. Kurze Zeit später wurde Sohn Horst und am 20. Mai 1919 Tochter Elli geboren. Auch die Brüder Karl und Otto gründeten Familien und blieben in Langendorf wohnen. Es war eine schöne Zeit. Tille, meine Omi, arbeitete viel auf dem Gut, auf dem Feld oder in der Wäscherei, kümmerte sich um den eigenen Garten, das Vieh, den Haushalt, die Bevorratung, ihre Eltern, kochte, backte und hatte Freude. Sie wohnten in einem kleinen Haus, es wurde vom Gut gestellt. Auf der einen Seite wohnte die Familie Radmacher, auf der anderen Seite die Familie Wegner. In der Mitte war der Hausflur und die schwarze Küche. Das Haus stand oberhalb vom Pregel, nur durch eine kleine Straße getrennt und rundherum waren grüne Wiesen. Zum Haus gehörte ein Stall für das Vieh mit einem innen liegenden Plumpsklo und einem entfernt liegenden Erdkeller. Im späten Frühjahr 1925 heiratete Omi ihren Franz Kaiser in der Kirche Kremitten und am 14. September erblickte ihr Sohn Fritz das Licht der Welt. Mein Opa Franz arbeitete auch im Gut als Kutscher. Er kümmerte sich um die Pferde und die vielen Kutschen. ( Anmerkung: www.langendorf.su – Website über das Gut Langendorf, heute ein Hotel) Die berühmten ostpreußischen Trakehner – Pferde standen im Stall, offene Kutschen, wie der Landauer für den Sommer und geschlossenen Kutschen und auch Schlitten für den Winter. Die Herrschaften konnte zu jeder Zeit Ausreiten oder sich kutschieren lassen, mein Opa war immer für sie zur Stelle. Er liebte die Arbeit. Im Haus gab es für meine Familie 3 Zimmer, eine Speisekammer und die schwarze Küche teilten sie sich mit Familie Wegner. Im Schlot wurde das frisch geschlachtete Fleisch geräuchert. Ein kleines Zimmer befand sich oben unter dem Dach. Dort lebten meine Ur-Großeltern Auguste und Gottfried. Oma Auguste arbeitete auch mit auf dem Feld und in der Wäscherei. Opa war Aufseher auf dem Feld. Opa war immer sehr glücklich, wenn er ein paar Ditkes (Groschen) für Schnaps bekam, die er gleich beim Plonus umsetzte. Danach musste er immer ins Bett und Oma Auguste schimpfe auf ihn. Omis Schwester Liese war nicht für die Arbeit geschaffen, sie war immer eine sehr feine Frau. Am liebsten trug sie ihren Hut spazieren, unsere Omi erzählte das immer sehr gerne. Wenn alle auf dem Feld waren im Sommer, dann musste Liese kochen und das Essen auf das Feld bringen. Das gefiel ihr überhaupt nicht, kochte aber trotzdem. Auf dem Feld angekommen, mit Fleisch und Kartoffeln, nahm sie sich immer das größte Stück Fleisch. Alle kannten das und beobachteten die Aktion schon. Es gab viel Spaß. Unten im Haus war die große Küche mit Herd und Küchenschrank, der Tisch und die Bänke standen unter dem Fenster. Die Küche war der größte Raum. Hier spielte sich das eigentliche Leben ab. Im letzten Zimmer standen die Ehebetten, ein Kleiderschrank, das Kinderbett und der Wohnzimmerschrank. Im Jahr 1931 kam Fritzer in die Schule in Kremitten. Das einfache, aber zufriedene, Landleben ging weiter. Am 19. Mai 1933 kam meine Mami, Hanna Mathilde Kaiser, in Langendorf zur Welt. Aber auch in diesem Jahr kam Hitler an die Macht und der brachte viel Unheil über die Menschheit. Von nun an schlief Fritzer mit bei Oma und Opa unter dem Dach und Mami mit bei Omi und Opa im Schlafzimmer. Mami wuchs liebevoll und zufrieden auf. Mami freute sich auf jeden Tag neu. Sie hatte Privilegien, weil Opi herrschaftlicher Kutscher war. Mami durfte durfte durch den Gutspark gehen, andere Kinder nicht. Es war eine Abkürzung, um nach Kremitten zu kommen. Und genau dort war der „Plonus , der Krämer mit den leckeren Nutschern und Bonbon. Unsere Familie versorgte sich zum größten Teil selbst, es wurde gemolken, geschlachtet und angebaut. Fisch wurde getauscht, wenn die Fischer über den Pregel kamen und ihren frischen Fang anboten. Einmal im Monat lief Oma mit den anderen Frauen, ihrer Schneiderin Frau Zelleck, ihrer Freundin Johanna Fuchs, der Nachbarin Frau Wegner nach Tapiau oder Wehlau. Auch dort tauschten sie Ware gegen Ware und kauften ein, was nicht selbst hergestellt wurde. Tilsiter Käse wurde gleich immer im Block gekauft. Quarkeln und andere Molkereiartikel stellte Omi selbst her. Mami wurde immer größer und bekam auch ihre Aufgaben. Sie spielte so gerne mit ihren Freundinnen und ihrer Alltagspuppe. Oma Auguste hatte sie ihr gestrickt. Aber auch eine „gute Puppe hatte Mami, die hatte einen echten Porzellankopf. Immer an Weihnachten bekam Mami die Puppe vom Weihnachtsmann geschenkt und sie hatte immer neue Kleider an, meine Omi strickte die Kleider. Gleich zu Beginn des neuen Jahres verschwand die Puppe wieder für das nächste Weihnachtsfest. Im Sommer wurde die weiße Wäsche zum Bleichen auf die Wiese ausgelegt, musste mit einer Gießkanne befeuchtet und gewendet werden. Mami musste die Wäsche vor den Gänsen hüten. Eines Tages an einem heißen Sommertag kam wieder ein Ausflugsdampfer aus Königsberg auf dem Pregel angefahren mit schöner Musik. Mami schaute mit ihrer Puppe im Arm dem Dampfer winkend hinterher. In der Zwischenzeit marschierten hinter ihrem Rücken die Gänse über die Wäsche, mit viel Erfolg, Omi freute sich auch. Alle Frauen fuhren mit ihren Fahrrädern auf das Feld, nur unsere Omi nicht. Sie lief immer hinterher. Jetzt kaufte Opa ihr auch ein Fahrrad beim Plonus. Omi musste Radfahren lernen. So wie sie aufstieg, fiel sie um. Das dauerte Opa viel zu lange und er schob sie einfach an und rief „Tremple. Das tat Omi auch, sie trat in die Pedalen. Oh Schreck, es rollte Richtung Pregel und fuhr schon abwärts … mitten in den Pregel und Omi fiel um, direkt in den Fluss. Pitschnass war sie, aber von jetzt an konnte sie Radfahren. Opa Franz fuhr einmal im Monat, am Sonntag, zu seiner Mutter, seiner Schwester Maria und seinem Bruder Otto nach Königsberg auf Besuch. Er nahm dann immer leckere Lebensmittel vom Land mit. Mami freute sich schon auf die Radfahrt über die R1, die Reichsstraße 1, bis nach Königsberg in die große Stadt und auf ihre Oma und Tante Marie. Mami liebte ihre Tante Marie. Auch gerne kam Tante Marie nach Langendorf ihr Hannchen zu besuchen. Gerne ging Mami auch zum Schloss und war mit dabei, wenn die Windhunde ausgeführt wurden. Die vielen Windhunde hatten im Turm ihr eigenes Zimmer mit edlen Teppichen und Sofas. Auch schaute sie Jutta und Sklode von Perbandt beim Ausritt zu. Die alte Frau von Perbandt, Johanna von Perbandt, die Mutter von meiner Tante Jutta und Sklode, eine Urenkelin von Albrecht Thaer, saß im Rollstuhl. Unter den Schlossarkaden stand die gnädige Frau im Rollstuhl und hatte einen schönen Ausblick in den Park. Mami grüßte immer mit einem Knicks. Wenn der Weihnachtsmann sich auf den Weg nach Langendorf machte, dann bekam meine Mami auch immer ein kleines Geschenk aus dem Schloss. Mit ihrem Papa ging sie dann immer in das schöne Schloss, wurde von der Gnädigen Frau empfangen und bedankte sich für das Geschenk und wünsche ein Frohes Fest. Mami hatte immer Angst vor der Gnädigen Frau. Der Obstgarten des Gutes war verlockend und zog die Kinder zum Obsträubern an. Mami war auch mit dabei. Wenn ihr Papa nach Hause kam, dann erzählte er, dass er wieder ins Büro musste: „Tru dem Uhl is oock e Vochel … Kaiser`s Hannchen wurde auch gesehen. Nun musste Mami wieder ins Schloss zur Gnädigen Frau um Abbitte zu leisten. Die Zeit änderte sich, 1939 ging Mami zur Schule nach Kremitten. Mami durfte zwar über das Schloss in die Schule gehen, aber auch ein Stück durch den Wald. Jetzt kam Fritzer ins Spiel, er musste sich um sein Schwesterlein Hannchen kümmern. Aber er ging lieber mit den anderen Jungs, vor allem mit seinem Freund, einem Sohn von Tante Fuchs, spielen, dem Herbert. Er liebte seine kleine Schwester über Alles, nur nicht auf dem Weg zur Schule. Mami brauchte wenig zum Essen, sie liebte viele schöne ostpreußische Gerichte. Omi machte allerdings auch die schönen Quarkeln mit Salz und Kümmel. Danach kamen sie im Sommer vor die Haustür auf einem großen Kuchenbrett zum trocknen unter der Sonne. Wenn Oma Auguste zeit hatte, dann setzte sie sich daneben und bewachte die Quarkeln, dass sie schön trockneten und keine Brummer sich darauf setzten. Hatte sie keine Zeit, dann musste es der Opa machen, einfach daneben sitzen und mit einer großen Feder wedeln, damit keine Fliegen sich darauf setzen. Allerdings durfte der Opa nicht vorher beim Plonus auf einen Schnaps gewesen sein, denn dann schlief er ein und die Fliegen setzten sich auf die Quarkeln. Wenn es Oma Auguste sah, dann bekam der Opa Krach. „Uler Suffer, scher di auf dei Slaapsteed – so die Oma. Fritzer war jetzt bei der HJ, der Hitlerjugend und trug seine HJ - Uniform. Omi wollte sie ihm nicht kaufen, aber es führte kein Weg daran vorbei. Das Hitler – Bild hing in der Küche an der Wand. Omi wollte den nicht im Schlafzimmer haben, noch nicht einmal an der Wand hängend. Und jetzt geschah etwas ganz Schönes – Langendorf wurde an das Stromnetz angeschlossen und in den Häusern gab es von nun Licht und Strom. Jetzt brauchten sie nur noch die Petroleumlampen für den Weg zum Plumpsklo. Opa kaufte gleich einen Volksempfänger und die Göppels -Schnauze bekam ihren Platz in der Küche. Oma und Opa wurden immer älter und kranker. Nun zogen sie nach Linkehnen zur Tante Liese mit ins Haus. Elli arbeitete als erste Köchin am Gut, Horst wurde zur Wehrmacht eingezogen. Tante Liese brauchte nicht zu arbeiten, sie war Hausfrau, da Onkel Hermann gute Arbeit als Vorarbeiter bei der Gutsfamilie Anders hatte. Sie kümmerte sich um ihre Eltern und meine Omi ging sie zu Fuß alle zwei Wochen nach Linkehnen besuchen. Ostpreußens Winter waren eisig kalt , teilweise weit 25 Grad unter Null. Mami trug immer dicke selbst gestrickte Strümpfe, die an den Beinen kratzten. Sommer wie Winter trug sie Holzschlurren ( Holzlatschen mit Lederdeckel, hinten offen) die im Winter mit Stroh ausgelegt wurden. Mit den Schlurren konnte man gut auf dem Eis rutschen, dass machte Mami viel Spaß. Das Osterfest liebten alle Kinder in Ostpreußen. Auch meine liebe Mami, jetzt ging auch das kleine Hannchen mit ihren Freundinnen zu den anderen Häusern und sagten ihren Spruch auf: „Oster Schmackoster, fiev Eier Stick Speck, von de Kooke de Eck, e Ditke to Beer, dann koom ick nich mehr. … und jetzt bekamen sie Eierchen, Dropschen oder auch Kooke. Im Sommer 1942 wurde Opa Franz sehr krank. Ein Arzt in Königsberg wurde zu Rate gezogen, Opa hatte starke Magenschmerzen. Trotzdem erledigte er seine Arbeit auf dem Gut. In Linkehnen stand eine Hochzeit an. Elli heiratete in diesem Sommer ihren Franz Riemann aus Linkehnen in der Kirche zu Starkenberg. Es war ein großes Fest. Onkel Franz wurde nach der Hochzeit zur Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt. Aber auch sein Bruder Fritz musste an die Front zur selben Zeit. Der Sommer war heiß und trocken, ein schöner Sommer mit dem herrlichen ostpreußischen Himmel, unbeschreiblich. Die vielen Störche, sie gehören zu Ostpreußen wie die Luft zum atmen, machten sich zum Erntedankfest auf den Weg nach Süden. Der Herbst war kurz, der Winter lang, dunkel eisig und schneereich. Jetzt ruhte das Land und Trauer zog in die Stube unserer Familie. Im Alter von 43 Jahren verstarb am 17. November mein Opa im Krankenhaus in Königsberg. Er verstarb offiziell an Magenkrebs. Es ging ein sorgender und liebender Ehemann, ein sehr guter Papa und der Ernährer der Familie. Ein paar Tage später fand schon die Trauerfeier statt, Opa wurde in Königsberg auf dem Zentralfriedhof bestattet. Wie sollte es jetzt weitergehen, Omi musste jetzt das wenige Geld noch zusätzlich verdienen und für beide Kinder sorgen. Meine Mami litt sehr unter den Tod ihres geliebten Papas, Fritzer auch. Das Weihnachtsfest 1942 verbrachten sie in stiller Trauer zu Hause. Das Jahr 1943 nahm seinen Lauf. Der Krieg war spürbar, die Göppels – Schnauze brachte täglich ihre Erfolgsmeldungen. Nachts wurde auch der Feindsender im Volksempfänger, wie Radio London, leise abgehört. Omi hatte es sehr schwer, Fritzer unterstützte sie. Meine Mami war erst 10 Jahre alt. Omi konnte alleine die Familie nicht ernähren und Elli, ihre Nichte, vermittelte ihr den Bruder ihres Mannes, Fritz Riemann. Sie fanden Gefallen aneinander und heiraten im Sommer 1943, Omi heiratete in Schwarz. Das spaltete die Familie und Oma Kaiser und Tante Marie, sie liebte das kleine Hannchen sehr, brachen den Kontakt zu meiner Omi ab, aber nicht zu meiner Mami. Schweren Herzens zog Omi mit Onkel Fritzer und Mami aus Langendorf in das wenige Kilometer entfernte Linkehnen weg. Die Gutsfamilie von Perbandt – Langendorf versuchte den Wegzug noch abzuwenden, konnte aber Omi verstehen. Sie blieben in Kontakt. Das Schicksal meinte es von nun an nicht mehr gut. Opa Fritz musste wieder an die Front, sein Bruder ebenfalls. Unser Fritzer bekam seine Einberufung zur Wehrmacht und verließ Omi und sein geliebtes Schwesterlein Hannchen. Nach einiger Zeit kam der erste Feldpostbrief und Omi erfuhr, dass Fritzer an der Front kämpfen musste. Von nun an war das alles Alltag. Gauleiter Koch hatte Ostpreußen im Frühjahr 1944 fest im „braunen Griff. Ostpreußen galt als sicher. Freud und Leid wechselten sich ständig ab. Fritzer bekam Heimaturlaub von der Front und war ein paar Tage zu Hause. Meine Omi päppelte ihn wieder auf und Mami freute sich sehr auf ihren großen Bruder. Der Abschied und Weggang viel allen sehr schwer. Von nun an war die einzigste Verbindung die Feldpost, der größte Teil dieser Briefe ist heute noch in meinem Besitz. Tante Elli bekam auch einen Brief von einem SS-Obersturmbannführer. Drin wurde ihr mitgeteilt im Namen von „Volk und Führer das ihr Mann, Franz Riemann, seit einem Kampf bei Stalingrad als vermisst gilt. Sie bekam schon einige Zeit keine Feldpostbriefe mehr von ihm. Es war ein harter Schlag. Alle wussten, das er tot sein muss. Kameraden von Onkel Franz suchten Tante Elli beim Heimaturlaub auf und berichteten von dem Vorfall. Er wurde von einer Granate im Kugelhagel getroffen, Stalingrad war die Hölle. Opa Fritz kam verletzt von der Front nach Hause und hatte sich beim Volkssturm zu melden und bereit zu halten. Der Krieg wendete sich und die Russen zogen Richtung Westen. Die Front bewegte sich auf Ostpreußen zu. Gauleiter Koch erklärte Königsberg zur Festung und Ostpreußen muss. verteidigt und gehalten werden. Kein Russe wird jemals ostpreußischen Boden betreten, meinte er und wusste schon genau, wann er verschwinden und sich in Sicherheit bringen muss. Kettenhunde der SS tauchten in Linkehnen auf und trieben alle Männer aus dem kleinen Ort zusammen und sperrten sie in eine Scheune. Sie galten fortan als Deserteure, was nicht stimmte. Sie zündeten die Scheune an und auch Opa Fritz war unter ihnen. Er versuchte aus der Scheune zu flüchten, die Kettenhunde erschossen ihn.

    Flucht aus Ostpreußen

    Ostpreußen durfte nicht aufgegeben werden, kein Mensch durfte auch nur an Flucht denken. Jeder ostpreußische Bürger der weggehen wollte, wurde sofort erschossen. Die Angst der Menschen wurde immer größer. Die Ernte war eingebracht, der Wind streifte über die Äcker. Ruhe kehrte ein, die Menschen saßen vor ihren Volksempfängern und lauschten den Frontberichten. Weihnachten stand vor der Tür, es war kalt und gab wenig Schnee. Alle ahnten, dass es die letzte „Stile Nacht, heilige Nacht" sein könnte. Die ersten Flüchtlinge aus dem Memelland trafen ein. Es war grauenvoll, wie Omi und Mami erzählten. Seit Herbst baute auch schon Onkel Hermann zwei Leiterwagen für die Flucht unserer Familie mit den Gutsleuten auf dem Gut aus. Der Gutsbesitzer Anders duldete es. Keiner durfte davon etwas erfahren es stand die Todesstrafe darauf. Onkel Hermann baute einen festen Aufbau auf die Leiterwagen auf, ohne Kanonenofen, aber mit Strohbelagboden gegen die grimmige Kälte und dämmte mit Stroh die Seiten des Wagens. Omi packte Geschirr, Hausstand , Wäsche in Holztruhen und vergrub sie nachts am Haus tief in der Erde. Alles hatten sie schon einmal im ersten Weltkrieg erlebt. Sie wussten, dass sie flüchten müssen, aber sie gingen davon aus, wieder nach Hause zurück zu kommen, wie damals. Die Flüchtlinge von der Memel wurden immer mehr, immer größere Flüchtlingstrupps und die Berichte aus dem Memelland wurden immer härter. Die Trecks der Memelländer zogen Richtung Westen – Omi lief zu ihrer Freundin Johanna Fuchs nach Langendorf. Auch von dort brachte sie die Meldung mit, das alles für eine Flucht vorbereitet wurde. Die Gutsherren hatten auch schon Wertvolles in den Westen, nach Bonn, in Sicherheit verbracht. Gauleiter Koch wurde es nun zu heiß, hohlen Parolen verließ er Königsberg und ging in ein Hotel nach Pillau. Die großen Nazibonzen brachten sich alle in Sicherheit, nur die kleinen Leute durften das nicht. Es war Sonntagmorgen im Januar, am 21. Januar 1945 und es war eisig kalt, windig und starker Schneefall setzte ein, dass es sofort zu Schneeverwehungen kam. Omi stand am Herd und kochte das Mittagessen, Bratkartoffeln mit Spirkel sollte es geben. In der Ferne hörte meine Omi und meine Mami das Lied von Leid und Tod was die russischen Katjuscha spielten, die Einschläge der Granaten kamen immer näher. Im Volksempfänger halten die Durchhalteparolen Göppels durch die Küche und auf dem Herd stand die Pfanne mit den Bratkartoffeln und Spirkeln. Auf einmal stand Onkel Hermann in der Küche und sagte nur kurz, dass der Russe schon in Tapiau und auf Wehlau zustößt. Alles einpacken , in eiern Stunde geht es los. Omi hatte schon alles gepackt, auch die Lebensmittel und Brennstoffe. Schmuck und Geld hatte sie in den Mantelsaum ihres Mantels und Mamis Mantels eingenäht. Ein Teil der Familienfotos und der Papiere hatte sie in ihrer Tasche, der andere Teil in den Holztruhen auf dem Leiterwagen. Alles andere blieb zurück. Die Vorratskammer und die Speisekammer waren voll, das Hitler - Bild wurde verbrannt im Herd und der Stall wurde geöffnet, damit die Kuh, das Schwein, die Hühner und Kaninchen, Enten heraus konnten. Die Bratkartoffeln mit Spirkel blieben zurück. Onkel Hermann hatte schon angespannt und ein junger Russe, ein Kriegsgefangener , kutschierte unseren Leiterwagen. Omi gab diesem jungen Russen oft Essen und auch etwas Kleidung. Mami mochte ihn sehr und er mochte auch meine Mami. Kurz vor 12 Uhr an diesem Sonntag bei knapp 28 Grad unter Null setzte sich der Treck in Fahrt und sie verließen Linkehnen für immer, das gesamte Gut. Sie hörten die Geschosse, sie waren schon sehr nah. Durch den Schneesturm kamen sie nur langsam voran und waren am Ende von Gauleden. Da fiel Omi auf, dass sie die getrockneten Erbsen vergessen hat und lief schnell noch einmal zurück. Als sie am Haus ankam, war das Vieh schon auf der Straße und der Hahn krähte. Omi schnappte sich den Sack mit den getrockneten Erbsen und wollte aus dem Haus hinaus, aber das ging nicht mehr. Am Waldrand bog schon der erste Spähpanzer der Russen um die Ecke. Omi stieg aus dem Hinterfenster und rannte um ihr Leben dem Treck hinterher. Meine Omi erreichte den Treck wieder, Mami war überglücklich. Onkel Hermann berichtete sie von dem Spähpanzer. Der Treck aus Linkehnen konnte nicht mehr auf Königsberg oder Pillau ziehen, dort kämpfte schon bald der Russe. Andere Flüchtlingstrecks berichteten davon. Jetzt zogen sie Richtung Haff. Immer wieder gerieten sie unter Beschuss, entweder vom Boden aus oder aus der Luft. Auf dem ersten Wagen saßen Oma Auguste und Opa Gottfried, Tante Liese , Onkel Hermann und Tante Elli. Ein russischer Kriegsgefangener fuhr den Wagen. Unseren Wagen fuhr der andere Russe und Omi mit Mami waren auf den Wagen. Mamis Bruder Fritzer und Cousin Horst waren noch im Krieg. Der Marsch zum Haff war unendlich. Soldaten suchten nun im Treck Schutz und Hilfe. Und immer wieder die Angriffe aus der Luft. Viele Wagen stürzten um oder die Pferde gingen durch. Viele tote Menschen säumten die Wege. Auch Opa Gottfried starb auf dem Wagen und sie setzten ihn einfach an einen Baum, einer Birke, am Straßenrand. An eine Beerdigung war nicht zu denken. Ein letztes gemeinsames Gebet, ein Vaterunser, war der Abschied. Der Russe kam immer näher, der Treck erreichte das zugefrorene Haff. Nun ging es über das Eis, die russischen Kutscher versuchten alles, um zu helfen. Sie wurden sehr gut behandelt und das wussten sie auch. Viele Wagen brachen im Eis ein, vom Ufer her wurde der Treck beschossen und auch von den Jagdfliegern am Himmel. Bei so einem Angriff kamen auch die Eltern von Fritz und Franz Riemann ums Leben. Hanne Riemann wurde von Russen erschossen. Die ersten Wagen gehörten der Familie Anders mit ihren Kindern. Sie führten den Linkehner Treck an. Käthe, das Kindermädchen kümmerte sich um die Kinder . Dann kam der schreckliche Angriff und Beschuss der Stuckas von oben. Als der Angriff vorbei war, setzten sich die Wagen wieder in Bewegung. Auch Kindermädchen Käthe lief mit den Kindern über das Eis. Nach einigen Metern brach sie zusammen und stürzte nieder. Erst jetzt konnte man sehen, das ihr der halbe Hinterkopf weg geschossen wurde. Auch sie blieb auf dem Eis …

    Der Treck erreichte das Festland und die Flucht wurde fortgesetzt. Als sie im nächsten Dorf ankamen, wurden sie in der Dorfschule untergebracht, die Nacht brach herein. Hier vermuteten sie alle erst einmal Sicherheit und etwas Wärme. Die russischen Kutscher kümmerten sich um die Kutschen und die Pferde. Die Linkehner gaben den Russen noch zum Essen und dann wurde es langsam ruhig. Eine Frau betrat den Klassenraum und rief nur noch „De Russen sinn wech, alle wech". Niemand wusste warum. Es war so. In der Nacht wurde es sehr laut. Die Russen fielen in das Dorf ein und sie fielen auch über die Dorfschule her. Uri Uri schrien sie immer, sie nahmen den Flüchtlingen alles ab, Uhren, Schmuck, einfach alles. Sie plünderten alles, sie plünderten die Leiterwagen aus und nahmen die Pferde weg. Omi hatte eine schön bestickte Kissenhülle in ihrer Tasche und dazu die passende bestickte Tischdecke, Handarbeit von Tante Marie und Aussteuer für Mami. Eine Russin nahm die Kissenhülle aus Tasche und eine andere Russin die Tischdecke als Kopftuch. Auch Omi musste ihre Uhr abgeben, ihre Kette und die Ohrringe. Mami nahmen sie auch die Kette und die Ohrringe weg. Dann begannen die Vergewaltigungen. Die ganze Nacht durch vergewaltigten die Russen die Frauen und Kinder wie die Viecher. Am Morgen ließen sie von den Menschen ab und zogen weiter. Auch der Linkehner Treck hatte Opfer der Vergewaltigung zu beklagen. Die Toten wurden beigesetzt und es wurde für sie gebetet. Spätestens jetzt war klar, warum die jungen russischen Kriegsgefangenen geflohen sind. Ihre eigenen Leute hätten sie erschossen, einfach umgebracht. Der Treck zog zu Fuß weiter. Immer wieder wurden sie von den Russen überrollt und auch weiterhin kam es zu Vergewaltigungen. Nach einem langen Marsch erreichten erreichten sie das Dorf Labehn bei Stolp, unweit von Danzig, in Pommern. Hier wurden sie von den Russen festgesetzt. Es war jetzt Frühjahr 1945. Pommern wurde von der Naziherrschaft befreit, die Russen übernahmen die Herrschaft. Die Deutschen aus Pommern waren auch Richtung Westen geflüchtet. Immer mehr schoben sich die Polen an das Sagen. Sie wollten bestimmen, wie es weitergehen wird. Die Deutschen waren ein Dorn im Auge und mussten weg. Zwischen Polen und Russen gab es aber auch diesen riesigen Konflikt. Oma Auguste, Tante Liese, Onkel Hermann, Tante Elli, Omi und Mami waren zusammen in einer Flüchtlingsunterkunft. Von Onkel Horst und Onkel Fritzer war nichts bekannt. Alle hofften darauf, dass sie noch am Leben sind und es ihnen gut geht. Die Rote Armee stand nun vor den Toren Berlins und Hitler hatte verloren. Oma Auguste passte auf Mami auf und die anderen mussten in der auf dem Feld und im Stall arbeiten. Schule gab es nicht. Es waren Deutsche. Die Polen behandelten die Flüchtlinge sehr schlecht, die Hoffnung, wieder in die Heimat zurück zu k ehren bestand zu jedem Zeitpunkt. Nur diese Hoffnung und der Glauben machten stark. Ein hoher russischer Offizier zeigte Interesse an Tante Elli. Tante Elli nutzte das Interesse fortan und meiner Familie ging es dadurch gut. Sie hatten besonderen Schutz. Sie brauchten sich nicht mehr zu sorgen vor Schikanen der Russen und Polen. Sie hatten mehr zu Essen und zu Trinken, der Offizier der Sowjetarmee organisierte viele Sachen.

    In der Zwischenzeit war der 2. Weltkrieg beendet , Hitlerdeutschland war besiegt. Die Siegermächte teilten Deutschland neu auf. Und wer waren die Verlierer? Natürlich die Flüchtlinge. Sie wurden heimatlos, so auch meine Familie. Im Herbst hatte ein junger Pole mit dem schön klingenden Nachnamen Pollex ein Auge auf Tante Elli geworfen. Das fand kein Gefallen bei dem russischen Offizier, half aber nichts, die Russen wurden aus diesem Gebiet abgezogen. Und genau das ging so schnell, dass sich der Russe noch nicht einmal von Tante Elli verabschieden konnte. Am nächsten Morgen war er weg. Die fleißige Arbeit meiner Familie hatte zur Folge, dass sie sich auch einige neue Sachen anschaffen konnten, auch dank des Russen. Der junge Pole Pollex kümmerte sich nun um Tante Elli und sie wurde schwanger. Im Spätherbst wurde ein Beschluss der Siegermächte umgesetzt. Jetzt kam es zur Vertreibung der Flüchtlinge aus Ostpreußen. Sie erfuhren davon, dass der Russe ihre Heimat Ostpreußen schon neu besiedelte und sie nicht wieder nach Hause zurückkommen werden. Trauer zog über meine Familie, Oma Auguste verstarb und wurde auf dem Friedhof in Labehn beigesetzt. Im Spätherbst wurde auch meine Familie aus Labehn vertrieben. Tante Liese, Onkel Hermann, Omi und Mami mussten ihr Hab und Gut packen und auf den Bahnhof marschieren unter polnischer Aufsicht und Beschimpfungen. Dort wurde ihnen ein weiterer Teil ihres Hab und Gutes einfach weggenommen und sie wurden in einen Viehwagon gesperrt. Tante Elli musste in Labehn bleiben, denn sie bekam ja ein Kind von einem Polen. Ob es wirklich so war?!?

    In dem Viehwagon waren viele Menschen untergebracht, vor allem aus dem Königsberger Gebiet. Kalt und zügig war es im Wagon, er war nur mit Stroh ausgelegt. Der Zug setzte sich Richtung Westen in Bewegung. Der Zug war weit über eine Woche unterwegs, fuhr teilweise nur in der Nacht und stand irgendwo in der Weite des Landes auf Warteposition. Endlich hatte die Fahrt ein Ende und der Zug hielt zum Aussteigen. Jetzt waren alle angekommen … in einem Lager bei Annaberg in Thüringen. Die Aufteilung erfolgte in Baracken, alle bekamen vom Roten Kreuz Essen, Kleidung und ein Bett. Untergebracht wurden sie in Baracken, Wehrmachtbaracken. Jetzt begann die Registrierung und der DRK – Suchdienst nahm seine Arbeit auf. Omi ließ Onkel Fritzer suchen und die Familie von Perbandt – Langendorf, sowie ihre Freundin Johanna Fuchs. Was war aus Omis Brüdern geworden? Es gab keine Informationen. Vielleicht kann der Suchdienst auch hier helfen. Die schlimmste und menschenunwürdigste Prozedur war die Entlausung mit Läusepulver. Aber auch das wurde zufrieden hingenommen. Auch meine Familie war traumatisiert von den vielen Erlebnissen. Der Lageraufenthalt begann. Was wird nun werden? Schon bald wurden sie verteilt auf ein weiteres Verteillager bei Leipzig.

    Nach Flucht und Vertreibung

    Anfang Dezember 1945 konnte meine Familie das Lager verlassen und wurde auf verschiedene Gebiete aufgeteilt. Meine Familie kam in ein kleines Dorf mit dem Namen Wiedemar. Dort wurden sie auf- und zugeteilt. Willkommen waren sie nicht. Sie wurden als Pollacken beschimpft, als Diebe und Schweine verspottet. Ein kleines feuchtes Zimmer mit einem Kanonenofen bei einem Großbauern war die Unterkunft von Omi und Mami. Meine Mami war noch ein Kind, 12 Jahr alt. Der Papa verstorben, der Stiefvater erschossen, der Bruder verschollen und die Mutter vom Krieg traumatisiert und schwer gezeichnet. Flucht und Vertreibung, Vergewaltigungen und Hunger, alles haben sie erlebt. Mami hat vor Hunger sich im Schnee gewälzt und Schnee gegessen. Von der Bäuerin bekamen sie 3 Schippen Knorpel, 3 Scheide Holz und 8 Kartoffeln. Aber auch die warmen Worte dazu, dass es alles zurückzugeben ist. Omi war sehr schwach, trotzdem arbeitete sie beim Bauern. Onkel Hermann und Tante Liese kamen bei einem anderen Bauern unter. Im Jahr 1946 besuchte Mami dann auch wieder die Schule. Über ein Jahr ging sie nicht mehr zur Schule, die Freude war bei ihr natürlich sehr groß. Weniger Freude bereitete ihr der Lehrer. Lehrer Winter mochte nur seinen Rohrstock und überhaupt keine Flüchtlingskinder. So lernte M;Mami auch schon bald grundlos den Rohrstock kennen, sie musste die Hände vor den Körper strecken und er schlug dann einfach mit dem Stock auf die Hände. Im Sommer ´46 stand auf einmal Tante Elli in Wiedemar, allerdings in Begleitung. Der Pole Pollex war nicht gut zu ihr und so kam sie zu ihrer Familie mit einem kleinen Mädchen im Arm, sie hieß Brigitte, Gitti genannt und war am 2. Mai geboren. Nun fehlten noch Onkel Horst, Onkel Fritzer und die Brüder Karl und Otto mit ihren Familien. Und wo waren die Langendorfer und die anderen Linkehner abgeblieben?

    Waren sie jetzt angekommen? Nein, aber wie sollte es weiter gehen? Fragen über Fragen und keine Antworten. Flucht und Vertreibung steckten in den Knochen. Es ging halt irgendwie weiter … Omi wurde immer schwächer, aber egal. Sie hatte die Aufgabe das kleine Hannchen zu versorgen und auf Fritzer zu warten. Keine Arbeit störte sie. Omi ging zu den Großbauern in den Stall die Kühe melken, Schweine ausmisten, half in bäuerlichen Haushalten aus, aber immer die schwerste Arbeit, nähte für andere Leute Sachen oder flickte sie aus, strickte und häkelte. Und das alles für ein wenig Geld. Davon kaufte sie Lebensmittel und alles nötige zum Überleben. Flüchtlinge waren nicht gerne gesehen in Wiedemar, nach wie vor wurden sie beschimpft und für Diebstähle bezichtigt, die sie nicht begangen haben. Einige Einheimische waren sehr schlecht, aber es gab auch gute Menschen. Zum Geburtstag bekam meine Mami, es war ihr 13. Geburtstag, ein neues Kleid geschenkt. Das kleine Hannchen, meine über alles geliebte Mama, sollte immer schön aussehen. Omi nähte ihr aus einem Bettbezug ein neues Kleid. Sie schnitt es in ihrer mageren Freizeit zu und nähte es am Abend mit der Hand. Mami freute sich darüber und strahlte. Im Sommer strickte Omi Strümpfe und Strickjacken für Mami aus Wolle von aufgetrennten Sachen. Für den Winter bekam Mami einen neuen Mantel. Ihr alter Mantel wurde aufgetrennt und Omi wendete ihn. Dann machte sie ihn größer und nähte ihn mit anderem Material mit der Hand zusammen. Die Farben strahlten wieder und der alte Mandel sah vollkommen anders aus. Nicht nur Tante Elli kehrte Heim. Vom Suchdienst erfuhr Tante Liese, dass Horst den Krieg überlebte und seine Eltern und Schwester suchte. Er war in München angekommen nach der Freilassung aus der britischer Kriegsgefangenschaft . Im Spätsommer bekam auch Omi Post vom Suchdienst. Fritzer suchte seine „liebe Mutti und liebe Schwester Hannchen. Unser Fritzer war in Norddeutschland in Apelern und wohnte dort bei einer Familie in der Nr. 49 . Omi und Mami waren fassungslos vor Freude und Omi schrieb sofort einen langen Brief an Fritzer. Die Freude war groß über die baldige Antwort. Oma kratzte ihr gespartes Geld zusammen, es reichte nur für eine Fahrkarte und fuhr zu Fritzer nach Apelern. Meine Mami blieb während dieser Zeit bei Tante Liese. Das Wiedersehen zwischen Fritzer und seiner Mutti war in Apelern riesig. Es gab viel zu erzählen. Viele Ostpreußer wohnten jetzt in Norddeutschland. Tante Fuchs in Norderstedt mit ihren Kindern, auch Herbert, der beste Freund von Fritzer. Tante Marie, die Schwester von Mamas Papa lebte in Allagen/Möhne mit ihrer Familie, in dem Neuen Weg 5 . Auch ihr Bruder Otto Kaiser lebte in Allagen. Unsere Omi erfuhr auch, dass Oma Kaiser die Flucht nicht überlebt hat und noch in Königsberg begraben wurde. Aber auch das Schicksal ihrer Brüder Otto und Karl und ihrer Nichten Edith, Ulla und Grete, sowie ihrem Neffen Erwin wurde Omi berichtet. Fritzer verschwieg allerdings seiner Mutti, dass es ihm gesundheitlich nicht gut geht. Fritzer wollte unbedingt, dass seine Mutti bei ihm bleibt und das kleine Hannchen auch zu ihm gebracht wird. Das wollte meine Omi nicht. Sie sagte „Ja, wir kommen zu Fritzer. „Ik hol dir dat Hannche, wir koome hier". Es sollte nur ein kurzer Abschied sein. Fritzer hatte zu allen Familienangehörigen und vielen Freunden Kontakt. Auch zu meiner Mami sollte es Kontakt geben, nur nicht zu Omi. Ihr wurde nicht verziehen, dass sie so schnell nach dem Tod von Papa Franz sie Stiefpapa Fritz Riemann heiratete. Meine Mama und ich, wir hatten keine Ahnung, was noch vorgefallen sein könnte oder muss. Es wurde nie darüber gesprochen. Weihnachten 1946 erfuhr Omi auch von der Suche nach Langendorfern der Gutsleute Familie von Perbandt. Sie ließen über den Suchdienst ihre Bediensteten und Bewohnern von Langendorf suchen und auch meine Omi und Mami. Von nun an gab es Kontakt zu der Familie von Perbandt in Bonn. Meine Mami freute sich über das Eintreffen ihrer Mutti und die Erzählungen von und über Fritzer. Jetzt musste Omi Geld verdienen, um 2 Fahrkarten zu kaufen. Omi konnte gut haushalten, nur genau in dieser Zeit war der Hunger groß. Oft kochte Omi Kartoffelsuppe aus Kartoffelschalen, nur damit sie etwas zu essen hatten. Für sie war klar, sobald sie das Geld zusammen hat, fahren sie zum Fritzer. Bis dahin wurden Briefe geschrieben. Ende Februar kam in Wiedemar ein Brief der Wirtsleute von Fritzer aus Apelern an. Wieder zog tiefe und schmerzliche Trauer in unsere Familie. Fritzer ist am 16.2. 1947 mit nur 21 Jahren an Magenkrebs verstorben. Das war ein harter Schlag. Fritzer wurde in Apelern bestattet, meine Omi kratzte alles Geld zusammen und fuhr alleine an das frische Grab von ihrem Fritzer. Nun war die letzte Hoffnung weg. Oma kehrte wieder nach Wiedemar zurück. Ein Weggang nach Westen war jetzt nicht mehr möglich. Tante Marie schrieb meiner Mami oft lange Briefe, bis zu ihrem Tod. Es gab noch kurz Kontakt zu den Brüdern von Oma, wurde dann aber eingestellt. Was war geschehen? Diese Frage wird wohl nie beantwortet werden. Meine Mami erzählte mir viel von ihren Cousinen Ulla, Grete und Edith. Sie vermisste sie sehr, genau wie ihren Bruder Fritzer.

    Erst jetzt konnten Omi und Mami ihre erste Flüchtlingsunterkunft verlassen. Jetzt bekamen sie ein anderes Zimmer, ein etwas besseres Zimmer bei einem anderen Bauern in Wiedemar. Flucht und Vertreibung sowie die ganzen Schicksalsschläge setzten Omi sehr zu. Sie bekam zunehmend Probleme mit der Lunge. Im Sommer 1948 beendete Mami die Grundschule in Wiedemar. Mit Schule war es jetzt vorbei, sie musste ihre kleine Familie finanziell mit versorgen. Sie war gerade einmal 15 Jahre alt. In der neuen Unterkunft erholte sich unsere Omi wieder. Dieses neue Zimmer war Trockner und wärmer. Nun lernte Mami auch die Stadt Delitzsch kennen. Sie ging zur Hauswirtschaftsschule in der Berufsschule Delitzsch und lernte dort die Hauswirtschaft, Kochen, Nähen, Putzen und wollte einmal Schneiderin werden. Nebenbei verdiente Mami etwas Geld in der Landwirtschaft. Nach Delitzsch zur Berufsschule fuhr sie mit der Kleinbahn, die von Rackwitz über Radefeld, Glesien und Kölsa nach Delitzsch fuhr. Mami musste immer mit den anderen Mädchen über die Autobahn bis zum Bahnhof Kölsaer Kreuz laufen, bei Wind und Wetter. Immer mehr zog der Alltag ein. Das Heimweh nach Familie, Freunde und vor allem der Heimat war sehr groß. Die nächste Veränderung stand auch schon an. Am 7. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Von nun an sollte der Kontakt in die ebenfalls neu gegründete Bundesrepublik Deutschland nicht mehr so gut möglich sein. Es wurde der Klassenfeind. Und ein großer Teil unserer Familie und Freunde lebte beim Klassenfeind.

    Stammtafel Auguste und Gottfried Radmacher

    Heimat Sudetenland

    Der Name Sudetendeutsche wurde nach dem Ersten Weltkrieg und der Gründung der Tschechoslowakei 1919 als Begriff für die über drei Millionen Deutschen in den böhmischen Ländern angewendet und ersetzte die bis dahin übliche Bezeichnung Deutschböhmen. Böhmen, ehemals Königreich Böhmen, bildet es mit Mähren und dem tschechischen Teil Schlesiens das heutige Tschechien. Bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie wurde die tschechische Sprache als böhmisch bezeichnet. Die Heimat meines Papas ist Nordböhmen, das kleine Städtchen Klostergrab am Südhang des Erzgebirges, (www.boehmisches-erzgebirge.cz ; www.mestohrob.cz) direkt am Fuße des Stürmer. Zu der Stadt Klostergrab gehörten die Gemeinden Altwernsdorf, Neuwernsdorf, Grundmühlen, Krinsdorf. Klostergrab gehörte zum Landkreis Dux im Regierungsbezirk Aussig. In Neuwernsdorf steht das Haus Nummer 127, das Familienhaus der Familie Kabela. Auch heute ist es noch das Stammhaus der Familie und wird von Familienangehörigen bewohnt. Es ist ein sehr großes und schönes Haus mit einem großen Garten, gelegen an einem Gebirgsbach, der durch den Ort fließt. Im Garten erhebt sich eine christliche Skulptur. Es ist eine geweihte Skulptur und sie wurde genutzt für Wallfahrten, ein Wallfahrtsort. Die Region war bekannt für den Bergbau, die Spinnerei, Hafnerei, Glashütte, Glasveredlung, es war eine sehr reiche , wohlhabende Region. Mein Papa war glücklich in seiner Familie, in dem schönen und großen Haus.

    Leopold Kabela, mein Ur-Großvater lernte Josefa Paulina Scheinpflug , geboren am 22.Oktober1869, kennen. Ihre Eltern bewirtschafteten das nahe dem Ort Obergraupen (heute Horny Krupka) gelegene Mückentürmchen (Komarsi Viska) und lebten in Mariaschein (Bohosudov). Meine Uroma Josefa heiratete 1889 meinen Uropa Leopold . Sechs Kinder erblickten das Licht der Welt, Leopoldine am 20.Juni 1891, genannt Poldi, Maria am 11. September 1892, genannt Marie, meine Oma , Berta geboren 1895, genannt Bertl, Anton am 11. September 1897, Jaroslav am 04. Januar 1900, genannt Jerausch und Josefa, das Nesthäckchen am 19. Juli 1914, genannt Pepi. Das Glück war perfekt und das Haus groß genug. Die Familie war streng katholisch und lebte den Glauben. Uroma Josefa war Glasarbeiterin in der Glashütte. Die Jahre vergingen und die Kinder wurden groß, gingen zur Schule, was zu dieser Zeit nicht so üblich war.

    Leopoldine Kabela, Tante Poldi, lernte den am 06. Oktober 1888 geborenen Gaststubenbesitzer Oskar Landrock kennen und heiratete ihn am 04. Februar 1922 im Schloß in Dux. Zwei Kinder wurden geboren, Silvia am 22. Dezember 1922, genannt Silvi und Josefa am 19. Juli 1925, genannt Pepi. Im Jahr 1926 verstarb Oskar Landrock unerwartet. Der Sohn Eduard wurde am 13. September 1927 geboren, den Vater heiratete Tante Poldi nicht.

    Berta Kabela, Tante Bertl, brachte 1929 ihren Sohn Richard, genannt Richardl, zur Welt.

    Anton Kabela, Onkel Anton, war nie verheiratet und hatte auch keine Kinder. Onkel Anton litt an einer seelischen Krankheit.

    Jarsolav Kabela, Onkel Jerausch, lernte Maria , Tante Marie, geboren am 18. September 1900, kennen und heiratete sie. Am 21. Januar 1929 kam Sohn Wenzel, genannt Wenzi zur Welt.

    Maria Josefa Kabela, Tante Marie und meine Oma, war Fabrikarbeiterin in der Spinnerei Mitscherlich in Klostergab – Grundmühlen. Sie heiratete den am 28. September 1894 geborenen Wenzel Preissler am 24. Juli 1916 in Klostergrab. Ihren ersten Sohn Anton Preissler, mein Onkel Toni, brachte sie am 06. Oktober 1913 zur Welt. 1918 wurde noch ein kleines Mädchen geboren, sie starb bereits an einer Krankheit 1922. Seit 1930 ist Wenzel Preissler vermisst und das Schicksal ist uns unbekannt. Oma lernte dann den Schneider Alois Bartunek, geboren am 16. Februar 1897 in Trebic kennen und lieben. Am 04. Mai 1932 kam mein Papi Alois Kabela, genannt Leusl, zur Welt.

    Josefa Kabela, Tante Pepi, war die Jüngste der Geschwister, das Nesthäckchen. Sie lernte den am 16. April 1913 geborenen Richard Ronner kennen und heiratet ihn. Drei Mädchen wurden geboren, Linda, Wilmarie und Berta. Fortan waren sie das „Drei Mädelhaus". Mein Onkel Toni war ein lebenslustiger Mensch. Er war Arbeiter und sehr aktiv im Fußballverein Kosten-Strahl. Er lernte die am 23. Oktober 1916 in Klostergrab geborene Rosa Brenner kennen und heiratete sie 1933 in Klostergrab. Zwei Kinder wurden geboren, Kristina am 20. November 1937 und Annelies am 21. Dezember 1938. Der Krieg tobte an allen Fronten und auch Toni wurde zur Wehrmacht eingezogen. Ein Brief seines Vorgesetzten, eines SS-Sturmbannführers besagt, dass Toni als vermisst gilt. Er war mit einem Spähtrupp unterwegs und sie sind in einen russischen Rückhalt geraten. Kameraden berichteten von Feuersalven auf den Spähtrupp. Er ist vermisst auf der Krim bei Sewastopol. Letztmalig wurde Toni gesehen am 15. März 1945 bei Sewastopol noch Lebend. Er kehrte niemals nach Hause zurück.

    Der kleine Leusl, mein Papi, hatte viele Spielkameraden und eine schöne Kindheit. 1938 wurde er eingeschult in der Volksschule Klostergrab. Er war ein guter Schüler, er lernte sehr fleißig. Omi und Papi lebten zusammen mit Toni seiner Familie in einer Wohnung im Familienhaus. Das Haus hatte einen großen und tiefen Keller. Onkel Jerausch kümmerte sich sehr um den kleinen Leusl und um seinen Sohn Wenzi. Papis Cousin Wenzi war nicht so handwerklich interessiert wie der Leusl. Onkel Jer ausch brachte meinem Papa schon als Kind viel bei, was er einmal brauchen sollte und konnte. Bald schon wurde der Keller gebraucht, als Luftschutzkeller. Immer häufiger wurden die Angriffe auf die umliegende Industrie geflogen, Komotau (Chomotov) , Teplitz – Schönau (Teplice), Brüx (Most) und andere Orte. Das Haus Kabela galt als sicher. Erhalten die Sirenen musste alle sofort die Luftschutzkeller aufsuchen. Die Volksschule hatte keinen Keller und somit mussten die Kinder nach Hause rennen. Für Papi und andere Kinder aus Neuwernsdorf bedeutete das, sie mussten etwa 1000 Meter den Berg hinunter am Gebirgsbach und den Gärten vorbei bis zum Haus rennen, im Schutz der großen Bäume. Oftmals war es sehr knapp und die Bomber waren schon über den kleinen Ort. Und weil das Haus so sicher war, stellte die Wehrmacht ein FlaK-Geschütz genau vor die Haustür. Bei Alarm wurde es vom Volkssturm besetzt, aber Papi nutze es mit den anderen Kindern auch gerne als Karussell. Nach vorne zur kleinen Gasse gingen die Fenster der Küche. Oma kochte sehr gerne. Viele Menschen hatten nur wenig zum Essen, viele erlitten Hunger, so auch die böhmischen Zigeuner. Sie kamen regelmäßig zum Betteln an die Fenster. Oma hatte frische Buchteln gebacken und zum Abkühlen in das Fenster gestellt. Eine Zigeunerin stand auf einmal im Fenster und erbettelte ein paar Kartoffeln. Oma wollte ihr Kartoffeln geben und holte sie aus dem Schrank. Als sich Oma umdrehte und ihr die Kartoffeln geben wollte, war die Zigeunerin weg und mit ihr die Buchteln, samt Schüssel. Da hat Oma furchtbar geschimpft und Papi gelacht. Das passierte oft und immer wieder.

    Ab 1939 befand sich Papis Heimat im neuen Protektorat Böhmen und Mähren. Stellvertretender Reichsprotektor wurde SS – Obergruppenführer Heydrich, der Henker von Prag. Heydrich wurde Ende May 1942 in Prag bei einem Attentat durch tschechische Widerstandskämpfer schwer verletzt und verstarb einige Tage später. Jetzt verübte das Regime Racheakte, spürbar im gesamten Protektorat. Auch im Hause Kabela gab es unbekannten Widerstand. Mein Opa Alois wurde Ortsvorsteher in Neuwernsdorf, war überzeugter verdeckter Kommunist und Unterstützer der Partisanen. Das Gebiet um Klostergrab, beginnend von der Stropnitz bei Ossegg über Moldau (Moldawa), Niklasberg (Mikulov) bis nach Graupen war Partisanengebiet. Die Wälder und Berghänge waren voll mit Partisanen, die ständig die Besatzer bekämpften. Mein Opa unterstützte die Aktionen und Sabotagen mit notwendigen Informationen. Durch Verrat wurde er enttarnt und floh in die Wälder. Nach wenigen Wochen auf der Flucht kehrte er ins Haus zurück und konnte im Keller und auf dem Dachboden erfolgreich versteckt werden. Am Südhang des Stropnitz wurde ein riesiges Hakenkreuz in den Wald geschlagen und neu aufgeforstet. Es diente als Zeichen der absoluten Unterwerfung der Nationalsozialisten. Es konnte kilometerweit gesehen werden, für Kenner ist es auch heute noch teilweise erkennbar. Und genau so sahen es auch die feindlichen Flieger und Bomber. Somit konnten sie gezielter auf Brüx abwerfen. Die Racheakte nach Heydrichs Tod hielten an und die Front kam immer näher, zurück ins Reich. Immer häufiger flogen die Bomber über das Erzgebirge Richtung Deutschland, immer öfter gab es Alarm und alle mussten in die Keller. Der 13. Februar 1945 war ein kalter, weißer Ferientag. Immer wieder gab es tagsüber Fliegeralarm. So auch in der Nacht. Viele Bomber waren am Himmel zu sehen und zu hören, das laute Dröhnen war bedrohlich. Sie kamen aus Richtung Mittelgebirge und flogen über den Stürmer (Bournak) in Richtung des 60 km entfernten Dresden. Die ganze Nacht flogen die Bomber in Intervallen. Der Himmel über dem Erzgebirge Richtung Dresden war feuerrot und man konnte auch die Bombardierung hören. Wenige Wochen später wurde Nordböhmen von US-amerikanischen Truppen befreit.

    Vertreibung aus Böhmen/Sudetenland

    Auch nach Klostergrab kamen die Amerikaner. Die weißen Bettlaken wurden aus den Fenstern gehangen und die Hitler - Bilder wurden vernichtet. Die Amerikaner zogen weiter Richtung Deutschland, vom Haus der Familie verlief die Grenze gerade mal in wenigen Kilometern. Die Tschechen übernahmen in ihrem Land, der Tschechoslowakei, sofort die Hoheit. Es folgten Racheakte gegen die deutsche Bevölkerung. Innerhalb weniger Stunden gab es kein Protektorat Böhmen und Mähren mehr und auch kein Sudetenland. Tschechoslowakei und ihre Tschechen, sie taten es jetzt den Faschisten gleich und verfolgten jeden Deutsche, egal ob Deutschtscheche oder Deutscher. Von nun am musste mein Papi die Tschechische Mittelschule in Klostergrab besuchen. Jeder Sudetendeutscher wurde mit einem „n für „nemecky , „ Deutscher" gekennzeichnet und musste eine weiße Armbinde tragen. Es durfte auch kein Deutsch mehr gesprochen werden. Deutsch wurde unter Strafe gestellt und es wurden empfindliche Strafen verhängt. Es ging soweit, das Tschechen an Fenster und Türen von Sudetendeutschen lauschten und wenn sie ein Wort Deutsch hörten, wurden sie angeschwärzt. Dann kam die Tschechische Miliz und holte die Deutschen ab, sie wurden schwer misshandelt, verprügelt oder einfach umgebracht. Auch kleine Kinder wurden so zu Tode geprügelt. Die Zeit wurde immer schwerer, deutschen wurden selbst Lebensmittelkarten vorenthalten, es folgte Hunger. Auch die deutschen Fabrikanten wie der Hafenbauer Fastner mit seiner gesamten Familie oder der Spinnereibesitzer Mitscherlich flüchteten vor den Racheakten der Tschechen in den Westen, sogar bis nach Amerika und Kanada. Opa Alois wurde immer noch im Haus versteckt. Bis heute unbekannt, wurde er verraten und am 25. Mai 1945 im Familienhaus aufgespürt. Danach haben die Tschechischen Milizen ihn einfach erschlagen und auf dem Dachboden aufgehangen. Tage später wurde er einfach an der Friedhofsmauer von den Tschechen verscharrt, die Familie durfte ihn nicht be isetzen. Angst und Leid waren die ständigen Begleiter fortan. Nun war es an der Zeit, die Orte Tschechisch werden zu lassen. Jetzt wurde aus Klostergrab, Hrob, aus Neuwernsdorf, Nove Vernerice, aus Krinsdorf, Krizanov, aus Grundmühlen, Mlyny, aus Teplitz, Teplice, Kosten, Kostany, Strahl, Strelna, Ullersdorf, Oldrichov , Dux, Duchcova und vieles mehr. Die deutschen Orte , die deutsche Heimat verschwand und auch die Bevölkerung. Da auch die tschechische Bevölkerung katholisch geprägt war und ist, wurden die deutschen Gräber und Friedhöfe nicht geschändet und sind heute als Denkmäler in einem teilweise schlechten Zustand erhalten. Die Grenzen zur Tschechoslowakei waren bereits geschlossen.

    Vysídlení Němců z Československa, so die offizielle Beschreibung auf tschechisch für die Vertreibung. Die Sudetendeutschen wurden von 1945 und 1946 unter Androhung und Anwendung von Gewalt zum Verlassen der Heimat gezwungen. Im Oktober 1945 wurde das sogenannte Benes-Dekret 108 beschlossen und somit das gesamte Vermögen der deutschen Einwohner beschlagnahmt und einbehalten. Über 3 Millionen Deutsche mussten das Land Tschechoslowakei verlassen. In die Geschichte eingegangen ist der Brünner Todesmarsch und die brutale Vertreibung der Deutschen aus Komotau (Chomotov). Das Massaker von Aussig war ein gegen die deutschen Einwohner gerichteter Pogrom am 31. Juli 1945 in Usti nad Labem. Die deutschen Einwohner wurden erschlagen, erstochen, ertränkt oder von der Elbebrücke gestoßen und im Wasser beschossen. Die Leichen trieben bis ins benachbarte Sachsen und wurden dort von den Bewohnern der Ufergemeinden geborgen und beigesetzt. Im Januar 1946 begann die offizielle Vertreibung der deutschen Menschen. Es gab aber auch Ausnahmen, geregelt durch die Benes-Dekrete. Der Gottwald-Schein, nach Klement Gottwald dem ehemaligen Präsidenten benannt, gestattete einigen deutschen Einwohnern den Verbleib in der Tschechei und war an Bedingungen geknüpft. Er musste unterschrieben und akzeptiert werden, was meine Familie auch tat. Sie wollten

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