Memi: Kindheitserinnerungen an Korswandt
Von Manfred Blunk
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Über dieses E-Book
Nach unbeschwerten Kindertagen erfährt er, was Krieg bedeutet und erlebt die Besetzung seines Dorfes durch die Rote Armee. Eine entbehrungsreiche Zeit bricht an. Aber die Leute verzagen nicht, jeder versucht, so gut um die Runden zu kommen, wie es eben geht.
Langsam normalisiert sich das Leben wieder. Nach der Entlassung aus der Schule und der Einsegnung in der Zirchower Kirche geht die Kinderzeit zu Ende.
Manfred Blunk
Manfred Blunk wird 1934 in Korswandt auf der Ostseeinsel Usedom geboren und besucht dort die Einklassige Volksschule. Nach dem Schulabschluss erlernt er auf der Insel das Maurerhandwerk. Ein dreijähriges Studium an der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät Greifswald schließt er 1954 mit dem Abitur ab und studiert anschließend Bauwesen an der Technischen Hochschule Dresden. Nach dem Studium ist der Bauingenieur zwanzig Jahre lang in einem Dresdner Projektierungsbüro tätig, verlässt aber 1979 sein geliebtes Elbflorenz und siedelt sich in Spree-Athen an. Dort arbeitet er als Prüfingenieur der Staatlichen Bauaufsicht in einem Konstruktionsbüro. Zehn Jahre später erlebt er in Berlin den Mauerfall und veröffentlicht über die Wendezeit ein Tagebuch. Seitdem ist der Autor damit befasst, Bücher zu schreiben.
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Buchvorschau
Memi - Manfred Blunk
Dem
Vorfahr
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Ehr,
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Nachfahr
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Lehr.
Pommern 1937
Kreis Usedom Wollin
Korswandt – auf Usedom in Pommern – nennt man das Dorf zwischen Gothen- und Wolgastsee seit 1709 (Manfred Niemeyer, Uni Greifswald, Beiträge zur Ortsnamenkunde). Der Ortsname schrieb sich jedoch bis 1937 mit C statt mit K. Auf den Ortsschildern stand aber auch nach dem letzten Krieg noch Corswandt mit C. Die Pommernkarte des Rostocker Professors Eilhard Lubin von 1618 (Uni Greifswald) weist den Ort als Coswantz aus. Doch Korswandt hat schon an die achthundert Jahre auf dem Buckel. Als Szutoswantz wurde die Ortschaft bereits 1243 erwähnt (M. Niemeyer). Der Name deutet wie viele andere Ortsnamen der Inseln Usedom und Wollin auf eine slawische Vergangenheit hin. Vor den Slawen waren aber schon die Germanen da, vielleicht auch in Szutoswantz.
Im Dreißigjährigen Krieg hat Pommern ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Da werden vielleicht auch die Leute in Korswandt gesungen haben:
Maikäfer, flieg!
Dein Vater ist im Krieg,
die Mutter ist im Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer, flieg!
Der Westfälische Frieden 1648 bescherte Vorpommern eine siebzig Jahre währende schwedische Besatzung, die erst nach dem Nordischen Krieg beendet wurde. Beim Frieden von Stockholm 1719/20 erhielt Preußen Stettin sowie die Inseln Usedom und Wollin. Nach dem langen Krieg und den Kriegen danach lagen die Inseln danieder; wüst das Land und leer so manche Kate. Doch den Preußenherrschern lag zu der Zeit das Wohlergehen von Land und Leuten durchaus am Herzen. So ließ Friedrich II. höchst selbst 1774 unweit von Korswandt ins Thurbruch hinein das Kolonistendorf Ulrichshorst anlegen. Eine pfeilgerade Dorfstraße, an einer Seite die Häuser, an der anderen die Gärten, preußisch akkurat eben. Langsam kam das geschundene Land wieder auf die Beine.
Aber die Ulrichshorster konnten ihre Felder grade mal drei Jahrzehnte lang in Frieden bestellen, dann begab sich Monsieur Napoleon auf einen waghalsigen Eroberungstrip durch halb Europa. Eine meiner Vormütter in Ulrichshorst musste anspannen und für die einquartierten französischen Soldaten aus Swinemünde Bier holen.
Nach den Befreiungskriegen ließ sich das neunzehnte Jahrhundert – wenigstens für die Inseln – etwas friedlicher an. Handel und Wandel und das bald aufblühende Bäderwesen bescherten nicht nur den Küstenbewohnern, sondern auch den Menschen in Korswandt einen bescheidenen Wohlstand.
Dorfteil von Korswandt mit See, Idyll, Sandberg, Schule, Schlößers Scheune und Landjahrlager in den 1930er Jahren
Ruderboote auf dem Wolgastsee, etwa 1930er Jahre.
Meine frühesten Erinnerungen sind Krüppelwörter. Sie entstanden, als ich sprechen lernte. Fatzelabe ist so ein Wort. Da war öfter vom schwarzen Raben die Rede, der schwarze Rabe, aus dem dann in meiner Babysprache der Fatzelabe geworden ist. Es werden wohl noch mehr Krüppelwörter entstanden sein bei meinen Sprechübungen, an die meisten kann ich mich aber nicht mehr erinnern.
In Berlin haben meine Eltern öfter in der Epa (Einheitspreis Aktiengesellschaft der Karstadt AG) eingekauft das einfache Wort konnte ich aussprechen, es passte zu meinen Krüppelwörten. Mich selbst nannte ich Memelunge. „Meme kann ich nicht erklären, aber „lunge
sollte wohl „junge" heißen.
Als Kleinkind war ich ein Angsthase und musste alle naselang heulen. Darum wurde beim Wrangen (Ringen), wenn ich dabei war, festgelegt, wer zuerst heult, hat verloren. Ich gewann den Ringkampf, musste aber dummerweise heulen und – hatte verloren. Weil ich so ein weinerlicher Hasenfuß war, haben mich die anderen Kinder oft verspottet. Irgendjemand hat dann den Namen Memi erfunden. So bin ich zu meinem ersten Spitznamen gekommen.
Memi
Eine andere Erinnerung hängt mit der Silberhochzeit meiner Großeltern, den Eltern meiner Mutter, zusammen. Damals war ich fast vier Jahre alt. Meine Mutter hatte im hinterpommerschen Belgard eine kleine Wohnung gemietet, um in der Nähe ihres Mannes zu sein, der als Zimmermann mit seiner Baufirma von einer Rüstungsbaustelle zur andern zog. Unter seinen Kollegen war Otto Blunk als Schürzenjäger bekannt und irgendwann hatte auch meine Mutter von dem weit verbreiteten Männerleiden meines Vaters Wind bekommen. Darum folgte sie ihm mit uns Kindern von Baustelle zu Baustelle. Doch 1937 wollten wir mit Oma und Opa in Korswandt Silberhochzeit feiern.
Obwohl Belgard von Ahlbeck nicht viel mehr als hundert Kilometer entfernt ist, wird die Bahnfahrt für meine Mutter mit zwei kleinen Kindern – meine Schwester Marlene war gerade zwei Jahre alt – doch etwas beschwerlich gewesen sein. Ich habe von der ganzen Reise überhaupt nichts mitbekommen. Nur einmal bin ich aufgewacht und habe staunend gesehen, wie die Telegrafenmasten am Abteilfenster vorüberhuschten. Und die vorbeihuschenden Telegrafenmasten sind mir noch lange in Erinnerung geblieben. Ähnlich war es mit der Silberhochzeit: davon weiß ich nichts. Aber es gab dort Zuckergusskuchen, an den ich noch oft gedacht habe, weil er mir so gut geschmeckt hat.
Das Silberpaar Martha, geborene Schünemann aus Ulrichshorst, und Karl Schmidt aus Korswandt hatte bald nach der Hochzeit sein Glück in Berlin-Neukölln versucht. Anfangs war dem Ehepaar das Glück auch hold, im September 1913 brachte der Storch Töchterchen Elfi. Aber schon ein Jahr später glaubte Kaiser Wilhelm II. seine Untertanen in den Krieg führen zu müssen, der angeblich wegen der Ermordung des österreichischen Thronfolgers begonnen worden war. Das Deutsche Reich verlor nicht nur den Krieg, sondern auch zwei Millionen Untertanen und – seinen Kaiser. Der Monarch war nach Holland entfleucht. Außerdem musste Deutschland etwa dreizehn Prozent seines Territoriums an Nachbarstaaten abtreten; davon war auch die schöne deutsche Ostseeküste betroffen.
Karl war mit einer leichten Verwundung aus dem Krieg heimgekehrt. Doch Glück und Glas, wie leicht bricht das. Er verlor seine Arbeit als Fleischer und an Marthas großen Traum – ein eigener Fleischerladen – war überhaupt nicht mehr zu denken. Kurz vor Weihnachten 1919 schaute der Klapperstorch noch mal vorbei und bescherte Elfi ein Brüderchen. Da war er nun endlich, Gerhard, der Stammhalter, den Karl sich