Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Erinnerungen
Erinnerungen
Erinnerungen
eBook603 Seiten8 Stunden

Erinnerungen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

In seiner Autobiografie erzählt Johann Saß von seinem einfachen, aber bewegten Leben. Es ist die Geschichte eines Jungen, der 1843 in Kuden geboren wird, zu einer Zeit, da Schleswig-Holstein noch zu Dänemark gehört. Als Kind besucht er nur sporadisch die Schule. Denn er muss Kühe hüten, später auch als Knecht arbeiten. Doch glückliche Umstände führen dazu, dass er das Lehrerseminar besuchen und unterrichten darf. An der Schule stärkt er die Kinder im Glauben. Johann Saß ist zutiefst religiös. Sein Glaube gibt ihm den Halt, die vielen Schicksalsschläge zu verkraften. Nicht nur, dass seine erste Ehefrau stirbt, dann auch seine zweite - von 14 Kindern muss er tatsächlich zehn zu Grabe tragen. Er selbst zieht 1870 in den Krieg nach Frankreich, für Kaiser und Vaterland, und entkommt in der Schlacht bei Gravelotte nur knapp dem Tod... In seinem letzten Lebensjahrzehnt bringt Johann Saß seine Autobiographie auf 850 Seiten zu Papier, in Sütterlin. Seiner Urenkelin ist es zu verdanken, dass dieses Stück Familiengeschichte nun in gedruckter Form vorliegt. Ein bemerkenswertes, zeitgeschichtliches Dokument.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum24. Jan. 2024
ISBN9783758351594
Erinnerungen
Autor

Johann Saß

Johann Saß wuchs Mitte des 19. Jahrhunderts als Sohn eines Handwerkers in Schleswig-Holstein auf. Streng christlich erzogen, arbeitete er als Kind auf einem Bauernhof, schaffte es durch Fleiß auf das Lehrerseminar und fand seine Lebensaufgabe darin, jungen Menschen Bildung und den christlichen Glauben zu vermitteln. Johann Saß lebte und wirkte an unterschiedlichsten Orten, darunter Kuden im Kreis Dithmarschen, Segeberg, Hamburg, Flensburg und im Kreis Schleswig-Flensburg. Er kämpfte im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, erlebte die Gründung des Kaiserreichs und verlor als Vater zwei Söhne im ersten Weltkrieg. Seine Lebensgeschichte, die reich an Schicksalsschlägen ist, schrieb er in den Jahren von 1912 bis 1921 auf.

Ähnlich wie Erinnerungen

Ähnliche E-Books

Persönliche Memoiren für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Erinnerungen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Erinnerungen - Johann Saß

    Inhaltsverzeichnis

    Vorwort

    Die erste Kindheit

    Charakteristik der Eltern

    Die Schulzeit

    Die erste Zeit als Lehrer

    Das Seminar in Segeberg

    Hauslehrer in Angeln

    Kirchenschule in Hamburg

    Verlobung

    Im Krieg

    Die Schlacht bei Gravelotte

    Heimkehr

    Hochzeit

    Die Zeit in Kappeln

    Meine Familie

    An der Landwirtschaftsschule

    Familiensorgen

    Knabenschule in Flensburg

    Der Tod meiner Frau Wiebke

    Meine zweite Ehefrau

    Auf Reisen

    Über Erziehung

    Unsere Kinder

    Weitere Todesfälle

    Meine dritte Ehe

    Kriegerverein

    Reise in die Schweiz

    Das Los meiner Kinder

    Über das Lehrerdasein

    Veteranenreise

    Das Leben als Pensionär

    Schicksalsjahre

    Letzte Gedanken

    Epilog

    Lebensdaten

    Endnoten

    Vorwort

    „Erinnerungen" sind die Aufzeichnungen unseres Vorfahren Johann Saß, der vom 16. Februar 1843 bis zum 25. Februar 1922 in Schleswig-Holstein und Hamburg lebte. Er schrieb seine Lebensgeschichte nach der Pensionierung als Lehrer in den Jahren 1912 bis 1921 für seine Kinder auf.¹

    Dem Original, eng beschriebene Kladden in Sütterlin, lagen verschiedene Abschriften und Briefe bei, aus denen hervorgeht, dass offenbar in jeder nachfolgenden Generation einzelne Familienmitglieder versucht hatten, diese Aufzeichnungen in die lateinische Schrift zu übertragen, um die „Erinnerungen" in der Familie weiterzugeben. Die Abschriften kamen nie über die ersten 35 Seiten des Originals hinaus. Zu mühsam war offenbar das Unterfangen, obgleich beigefügte Briefe und Kommentare das große Interesse und die Wertschätzung von den nachfolgenden Familienmitgliedern dokumentieren.

    Das Leben, das Johann Saß im 19. Jahrhundert führte, ist für die damalige Zeit vielleicht ein typisches Leben. Aus heutiger Sicht ist es berührend zu lesen, mit welchen persönlichen Schicksalsschlägen er umgehen musste, und beeindruckend zugleich, wie er diese annahm. Tief verwurzelt im christlichen Glauben, blieb das die Richtschnur seines Lebens – privat, beruflich und in seiner Einstellung zu den politischen Veränderungen seiner Zeit. Er erlebte den Übergang Schleswig-Holsteins von Dänemark zu Preußen, den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 als teilnehmender Soldat, die Reichsgründung des Kaiserreichs und den ersten Weltkrieg als Vater, der zwei Söhne verlor.

    Auch wenn Johann Saß wohl niemals die Veröffentlichung seiner Erinnerungen erwogen hatte, hoffen wir als Nachfahren in dritter und vierter Generation, in seinem Sinne zu handeln, wenn wir 101 Jahre nach seinem Tod seine Autobiographie herausgeben. Natürlich für alle seine Nachfahren – auch jene, die uns unbekannt sind. Aber auch für alle Leser mit historischem Interesse.

    Johann Saß, ein sparsamer Mann, hätte für den Aufwand, den wir betreiben vermutlich wenig Verständnis gehabt. Aber seine Erinnerungen sind ohne Zweifel ein bemerkenswertes zeitgeschichtliches Dokument, das wir der Öffentlichkeit zugänglich machen möchten.

    Familie Mesinovic, Ansbach 2023

    Die erste Kindheit

    Trifft man mit einem Menschen zum ersten Mal zusammen, hier oder dort, auf dem Schiffe oder im Eisenbahnwagen, und beginnt mit ihm eine Unterhaltung, so erlaubt man sich bald die Frage: Woher sind Sie? Es liegt dieser Frage der Gedanke zugrunde, dass der Ort, von dem die Person herkommt, dass die Umgebung, in der sie lange ihren Aufenthalt hatte, der Person ihren Stempel aufgedrückt hat.

    Das Land, da ich gelebt, das mich mit seinen Erzeugnissen genährt hat; die Gegend durch den ihr eigenen Charakter; die Menschen durch ihre Sitten und Weisen: Alles hat Einfluss auf die Eigenart des Menschen, so dass man bald sagen dürfte, die ganze Umgebung eines Menschen, die Erde unter seinen Füßen, der Himmel über seinem Haupte, die Menschen, die um ihn sich bewegen, die ganze Bodengestaltung, sie haben den Charakter des Menschen geformt. Ich schließe vom Baum auf den Boden und umgekehrt. Die Charakterprägung hat tiefe und weitgehende Wurzeln.

    Das veranlasst mich, zuerst den Ort zu beschreiben, von dem ich gekommen bin. Kuden heißt der Ort. Wenn es noch jetzt heißen muss, dass dieser Ort sich ein stilles Plätzchen aufgesucht hat auf Gottes Erdboden, damals 1843, als ich geboren wurde, konnte es wirklich heißen: Hier wohnt man „vom Geräusch der Welt geschieden".

    Dithmarschen, in dem er liegt, das Stück Land Schleswig-Holsteins, das im Süden von der Elbe, im Westen von der Nordsee bespült wird, hat zwei von der Natur stark geprägte Teile: die Geest im Osten, die Marsch im Süden und Westen. Die Geest ist sandig und leicht, zum Teil noch mit Heidekraut bewachsen – Wälder schmücken ihre Hügel –, die Marsch vollständig eben, grün, wenig höher als der Meeresspiegel, ohne Wälder, nur Obstgärten, die die größeren Höfe umgeben, zeigen sich unseren Blicken.

    Geest und Marsch scheiden sich ganz scharf. Die Geest, wo sie aufhört, fällt steil hinab gegen die Marsch; weswegen sich ein (an einigen Stellen nicht unerheblicher) Hügelstreifen durch Dithmarschen zieht. So ungefähr dort, wo dieser Streifen nach Norden sich wenden will, dort hat die Geest eine Einsenkung, so tief, dass die Sohle der Einsenkung nahezu gleiche Höhe mit der Marsch hat. In dieser Einsenkung, die sich nach Süden hin öffnet, ruht das ursprüngliche Dorf. Es hat sich zwar allmählich auch auf die beiden nach Ost und nach West hin liegenden Höhen begeben, aber das eigentliche Dorf Kuden liegt im Grunde. Es hat sich, wie ich noch kürzlich hörte, in seiner Einwohnerzahl, die zwischen 400 bis 500 beträgt, immer auf derselben Höhe erhalten. Ein Zuwachs der Einwohnerzahl ist, solange die Eingliederung dieses kleinen Ortes in den allgemeinen Weltverkehr durch die Eisenbahnen fehlt, nicht zu erwarten.

    Hier, in diesem Ort, durch den an der einen Seite der Dorfstraße ein Bach hinfließt, bin ich in einem kleinen Häuslein am Bach geboren. Das Haus steht freilich nicht mehr. Es war nicht meines Vaters eigenes Haus; er wohnte darin zur Miete. Es enthielt außer einer Stube, die als Wohn- und Schlafstube diente – die Betten waren in die Wand hineingebaut (sogenannte Alkoven) und mit Vorhängen gegen die Stube verschlossen –, eine kleine Küche mit einem offenen Herd, dessen Feuer und Rauch direkt in den großen, luftigen Schornstein schlugen. Den Vorraum vor der Stube und Küche teilten wir mit dem Besitzer des Hauses, der sich auch für seinen Bedarf mit zwei Räumen begnügte.

    Der Vorraum hieß in Dithmarschen Diele. An den Seiten der Diele konnte noch ein Raum abgeteilt sein, etwa für eine Ziege, die in ihren besseren Zeiten die Milch für Kaffee und den Mittagstisch lieferte; oder für ein kleines Ferkel, das, dürftig ernährt, in den ersten Zeiten mit Nesseln und sonstigem Grün, in der Zeit der eigentlichen Mästung eine kleine Zutat von Schrot zum Futter erhielt. Wenn bei diesem Futter bis zur Schlachtung im Spätherbst es ein Gewicht von 120 bis 150 Pfund erreichte, so war die Familie sehr froh. In einigen Häusern solcher kleinen Leute konnte es auch vorkommen, dass noch ein besonderer Raum an der Diele war für eine Hühnerzucht in ganz kleinem Maßstabe.

    Nach meinen Erinnerungen werden meine Eltern dieses Haus bald verlassen haben. Sie zogen in ein Haus, das auf halber Höhe am Ostabhang dieses Tales lag. Es gehörte einem kleinen Zimmermann, der bald darauf in Gemeinschaft mit seinem Bruder, einem Rademacher, nach Amerika zog. Ziel ihrer Reise war Davenport in Iowa. Noch erinnere ich, dass mein Vater, der bibelgläubig und bibelfest war, und der alle seine Handlungen in das Licht des Wort Gottes stellte, den Wanderlustigen das Wort der Psalmisten entgegenhielt: „Bleibe im Lande und nähre Dich redlich."

    Vielleicht hatte dieses Haus eine größere Wohnstube. Der Zuwachs der Familie stellte die Forderung. Doch sehr lange hat uns dies Haus auch nicht gefesselt. Ich sehe mich am deutlichsten in einem Hause, das meinem Vater selbst gehörte. Dasselbe liegt auf der östlichen Höhe des Dorfes.

    Wie mein Vater es möglich gemacht hat, bei seinen bescheidenen Mitteln in den Besitz eines eigenen Hauses zu kommen, das bleibt mir rätselhaft. Freilich, groß war es nicht; die Bedachung, da mein Vater Dachdecker war, war ohne finanzielle Opfer zu erzwingen; die Mauern bei dem damaligen geringen Preis der Ziegelsteine erheischten auch keinen großen Kostenaufwand, und der Grund und Boden muss erheblich billig gewesen sein, da ein großer Garten unmittelbar hinter dem Hause mit erworben wurde. Er hat der großen Familie, die nach und nach sich hier bildete, das nötige Gemüse geliefert für den Mittagstisch.

    Hier in diesem Hause hat sich, das glaube ich, die Grundsteinlegung für meinen Leib und meine Seele, für meine körperliche und geistige Entwicklung vollzogen. Der Körper wurde sehr einfach ernährt. Milch musste die Ziege liefern; Kartoffeln gab der Garten her; das Brot, das Schwarzbrot, das Roggenbrot, wurde gekauft für die knappen Gelder, die mein Vater als Dachdecker sich erwarb.

    Doch weiß ich auch, dass meine Mutter ihm hilfreich zur Seite trat. Sie ging in die in der Tiefe liegenden Moore, um Torf zu riegen, zu höckeln. Dort wurde von den Bauern des heimatlichen Dorfes Torf gestochen und Torf gebacken. Die ganze Marsch bei Marne herum war Abnehmer des Torfes.

    In gewissen Zeiten, in Zeiten kurz vor der eigentlichen Ernte, war das Dorf voll von Wagen der Marsch, um diesen Torf für den Winterbedarf hier für Geld von den Geestbauern zu erwerben.

    Meine Mutter kam also, wie gesagt, dem Vater zu Hilfe. Denn leicht war es damals nicht, eine kinderreiche Familie zu ernähren. Das kleine Schwein, das ich oben erwähnte, war gewöhnlich schon im Winter stark mitgenommen, und die kleinen Reste reichten nicht in den Sommer hinein – daher der Mittag den Kindern meist kein Fleisch bot. Es sind Zeiten vorgekommen, in denen „Schmalhans, wie mein Vater zu sagen pflegte, „Küchenmeister war.

    Vater, der Dachdecker war und mit diesem Gewerbe, das im Frühjahr, im Sommer und im Herbst (meistens doch) ihn beschäftigte – es konnte jedoch vorkommen, dass er sich zu den Erntearbeitern gesellte, die zur Zeit der Ernte für längere Zeit gedungen wurden und in der Ackermarsch um Marne herum dann beschäftigt waren –, hatte naturgemäß für den Winter keine Arbeit, die mit seinem Beruf direkt zusammenhing. Es konnte dann vorkommen, dass er arbeitslos war. Das waren für Vater und Mutter dürre Zeiten.

    „Kinder, pflegte Vater in seiner niederdeutschen Mundart zu sagen: „Wie dörft uns nicht in de Schuld teren (das heißt im Hochdeutschen, wir dürfen keine Schulden machen, Schulden, die ich nachher, selbst bei der besten Arbeit, nicht wieder zurückzahlen kann). „Darum essen wir, was wir haben: Kartoffeln und Salz mittags, Brot und Salz zu dem dünnen Kaffee abends und morgens."

    Das Brot, es war Schwarzbrot, aus Roggenmehl hergestellt, musste freilich zunächst auf Borgen erworben werden; denn woher sollte mein Vater den Roggen nehmen. Kornbau konnte er nicht treiben, er hatte das Land nicht dazu; das Gartenland genügte zur Not zur Erwerbung so vieler Kartoffeln, als die Familie bedurfte.

    Ich erinnere mich an diese dürren Zeiten noch sehr gut als das älteste Kind der Familie. Ich kann mich nicht erinnern, dass diese Zeiten der natürlichen jugendlichen Fröhlichkeit einen Abbruch getan haben. Wie konnte das auch sein: Magenbeschwerden bei solcher Kost gab es nicht; Verstimmungen, die bei vielem Essen und schwerer Kost sich einstellen, waren ausgeschlossen. Wenn der Tisch nicht mehr bietet, als die oben genannten Nahrungsmittel, wenn das Menü so schlicht ist und so einfach, dass jeder Wechsel von Speisen fehlt, so ist an Überfüllung des Magens nicht zu denken, zumal Vater auch einen besonderen Schlüssel hatte zum Torschluss des alten Dudelsacks, der sonst mächtig auf seine Rechte pocht, wenn sie ihm nicht gewährt werden. Er sagte immer, wenn wir so um den Tisch standen wie die Orgelpfeifen nach der Größe geordnet (gesessen wurde nicht, weil dazu die Stühle fehlten, auch der Raum um den Tisch herum. Denn in der volksreichsten Zeit der Familie waren wir acht Knaben und ein Mädchen) und vielleicht recht lebhaft uns beteiligten an der Schlacht infolge des Hungers, der Kindern meistens nicht fehlt: „Man muss aufhören, wenn’s am besten schmeckt, dann bleibt man immer am gesündesten. Das alte Wort, ich habe es oft gehört, es klang zwar nicht wie ein Nachtigallenschlag und Glockenton einer Orgel, namentlich dann, wenn man recht hungrig war, und man Mühe hatte, dem starken Wink des Alten Folge zu leisten; aber wenn dann noch, etwas kürzer und derber der Nachsatz bald folgte: „Kindermat und Kalwermat möt ol Lüt wätten (Kindermaß und Kälbermaß müssen alte Leute wissen). Dann war die heiße Schlacht doch bald zu Ende.

    Hören mochte das Wort keins von den Kindern gern, aber Recht hatte Vater doch. Es wurden durch diese solide Art der Ernährung sicher manche Krankheiten verhütet; auch brauchte man nicht in die heutigen Tags so beliebten Badeörter zu reisen, um das reichliche Fleisch, das durch zu gute Ernährung auf den Körper hinaufgebracht ist, von den Wogen der Nordsee wieder herunter zu lassen.

    Ich verstehe freilich heute noch nicht, wie das möglich war, dass bei dieser einfachen Ernährung wir Kinder alle gesund und stark, verhältnismäßig recht gesund und stark geworden sind; denn nach meiner Berechnung war die dargebotene Nahrung wenig mehr als Erhaltungsfutter; das Produktionsfutter für die Ausdehnung in Länge und Breite fehlte.

    Ich glaube jetzt, dass wir den einen großen Faktor auch hier nicht ohne Berechnung lassen dürfen, den Schöpfer aller Kreaturen, unseren Vater im Himmel. An seinem Segen, so lehrte mich schon der Mund des Vaters, ist alles gelegen. Solche dürren Zeiten, so wenig sie das junge Volk in ihrem Vergnügen störten, Vater und Mutter wurden doch dadurch gestört in ihrer stillen Freude. Ich erinnere mich sehr gut, dass, als einer der Knaben starb – außer diesem ist noch ein zweiter so früh heimgegangen, dass er nicht in die Entwicklungszeit des Knabenalters kam – und meine Mutter hinterher viel weinte, dass sie in einem Moment des Weinens mir als dem ältesten Kinde die Worte sagte: „Ach, wie ist es bitter und herbe, dass ich meinem Hans nichts Besseres habe geben können in der Zeit, da Vater nichts verdiente." Sie hätte uns gern einen reicheren Tisch gedeckt, wenn sie hätte können; auch Vater würde das sehr gefreut haben, obschon es nicht seine Art war, diese Freude laut werden zu lassen, ebenso wenig wie den Schmerz, der ihn bei seinem starken Gefühl oft zu Tränen drängte.

    Noch eine Tatsache, die die Wahrheit illustriert, dass man ohne Störung des sonstigen Wohlbehagens in einfachen Verhältnissen aufwachsen kann. Die Kinder wurden größer; die Knaben bedurften der längeren Hosen und größerer Schuhe; der Schulbesuch erheischte Schulbücher: Die Ausgaben mehrten sich. Meine Mutter hatte die Empfindung, sie müsse dem Vater in der Erwerbung von Subsistenzmitteln zu Hilfe kommen, damit die größere Einnahme, die durch den schweren Haushalt wachsende Ausgabe decke. Sie ging in das in der Niederung liegende Moor, um dort im Torf zu arbeiten, der bereits fertiggestellt war, ihm durch Umsetzen und sonstige Bewegungen zur baldigen Trockenheit verhelfend. Die Kinder blieben allein zu Hause. Ich, als ältester hatte die Oberaufsicht. Dabei waren uns die Stücke Brot, die wir am Tage genießen durften, zugezählt. Ich muss an einem dieser Tage größeren Hunger gehabt haben. Ich schnitt mir von dem Leibe Brot noch ein Stück ab, das Nahrungsbedürfnis zu decken mit der Bitte an meinen zweiten jüngeren Bruder, Vater und Mutter kein Wort davon zu sagen. Mein treuherziger Bruder, dem es nun wirklich ernst war, das mir gegebene Versprechen zu halten, begrüßte meine Mutter, als sie abends von der Arbeit zurückkehrte, mit dem trockenen Satz: „Johann ist gar nicht bei dem Brot gewesen." Meine Mutter, die diese Beteuerung gleich verstand und wohl wusste, welche Tatsache sie verdecken sollte, lächelte herzlich, und ich war froh, dass ich ohne ein Wort der Strafe davonkam. So dauerte der Kampf um das Dasein weiter.

    Ich erinnere mich auch, dass mein Vater einmal, um die Not zu stillen, zu einem besonderen Mittel greifen musste. Wir hatten, wie schon oben erwähnt, eine kleine Ziege, die uns die Milch lieferte, die teils als Zusatzmittel zum Kaffee gebraucht wurde, teils bei dem Mittagsmahle Verwendung fand. Ach, die arme Ziege musste geschlachtet werden, um durch ihr Fleisch den augenblicklichen Mangel zu decken. Das erregte bei allen Kindern ein tiefempfundenes Mitleid, da wir das liebe Tier so gern hatten, ein Mitleid so tief, dass die Erinnerung daran in meinem Herzen noch lebt.

    Die aufrichtige Darstellung der einfachen Verhältnisse, in denen ich groß geworden bin, könnte vielleicht in dem Leser dieser Zeilen den Gedanken aufkommen lassen, als hätte unsere Familie ein trauriges, dumpfes, freudeleeres Leben geführt. Dem muss ich entschieden widersprechen. Ich habe dies auch schon getan bei gelegentlicher mündlicher Darstellung dieser Sache, wenn in den Zuhörern diese Meinung aufkommen sollte.

    Ich hatte mit meinen Geschwistern eine schöne Jugend, eine Jugend, an die ich mich mit Freude erinnere; und es geht mir, wie es Chamisso ging, wenn er in seinem Liede „das Schloss Boncourt singt: „Ich träum’ als Kind mich zurück und schüttele mein graues Haupt. Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder, die längst ich vergessen geglaubt.

    Das ganze Gedicht ist aus einem starken Heimweh geboren und das Heimweh ist stets ein beredtes Zeugnis von der starken Liebe zur Heimat; diese hat aber in erster Linie eine Hauptquelle: die Liebe der teuren Eltern. Aber diese Liebe – das wissen wir alle, die wir Vater und Mutter im Laufe der Zeiten geworden sind – bleibt auch unvollkommen, es müssen ihr Werte beigefügt werden, die von ewiger Dauer sind, Werte, die vom Jenseits herkommen. „Liebst Du das Herz, das sterbend für Dich brach, so lieben Dir viel andere Herzen nach!"

    Die Wahrheit gilt für die Liebe in allen Verhältnissen, auch für die Liebe zwischen Eltern und Kindern. Und das führt auch auf eine Seite in der Erziehung, die von hoher Bedeutung ist. Diese Seite zu schildern, soll in den nächsten Zeilen meine Aufgabe sein.

    Charakteristik der Eltern

    Mein Vater hieß mit seinem Taufnamen Johann Matthias Saß, meine Mutter Antje Riekhoff. Meinen Großvater väterlicher Seite Johann Saß, nach dem ich benannt bin, habe ich sehr gut gekannt, auch meine Großmutter Anna Margeretha geborene Thomsen. Sie lebten in Kuden.

    Mein Großvater war seines Handwerks eigentlich Schuster, trieb aber nebenher die Arbeit eines Tierarztes im Dorf und in der nächsten Umgebung. Wie er dazu kam, weiß ich nicht; jedenfalls hatte er die Kunst auf der Universität nicht studiert; seine Kenntnisse flossen in erster Linie aus der Erfahrung zu und aus einigen Studien erworbener Bücher. Ich kann mich noch erinnern, dass er selbst lebhaft erzählen konnte und dass er mir ganze Reihen aus poetischen Werken, weltlicher und geistlicher Art, vor deklamierte. Er hatte, das schien so, ein treues Gedächtnis. Sein Vater, Hinrich Saß, war Arbeiter beim Bauern gewesen und bis an seinen Lebensabend geblieben.

    Er stammte aus Vierlanden, einem von der Elbe gebildeten Werder, den er verlassen hatte, weil die von ihm aus Herzensneigung erwählte Braut von irgendeiner Seite ihm verweigert wurde, von welcher, das kann ich nicht mehr erinnern. Was ihn besonders auszeichnete, so ist mir von Vater erzählt worden, das war seine körperliche Kraft. Er hat diese einmal, so erinnere ich mich aus Erzählungen meines Vaters, in der Art zur Geltung gebracht, die eben nicht schön war. Er hatte einen Nachbarn, mit dem er zusammen in der Elbmarsch im Sommer mit der Sichel das Korn schnitt. Der Nachbar war geläufig in der Arbeit und saß ihm immer auf den Fersen, was dem alten Urgroßvater schließlich unangenehm wurde. Mit den Worten: „Nachbar, hest du Löw, ich heff Kröff." (Hast Du Geläufigkeit, ich habe Kräfte.) begann er eine solche rasche Tätigkeit den ganzen Tag, dass der Nachbar, der sich dabei überarbeitet hatte, sich davon den Tod holte.

    Im Übrigen weiß ich von diesen Alten nichts, nur das, dass sie in Josenburg in der Nähe von Brunsbüttel in Dithmarschen gelebt haben und auch dort gestorben sind.

    Die Großmutter mütterlicher Seite, die in Burg, dem Kirchorte von Kuden, meinem Heimatorte, lebte, habe ich ebenfalls sehr gut gekannt, geliebt und verehrt. Ach, was war sie für ein herziges Mütterlein. Ich höre noch ihre lieblichen Töne, wenn wir Enkelkinder zu ihr kamen, sie zu besuchen. Diese Töne schlugen doch so ans Herz, dass man sich sofort dort heimisch fühlte. Aber diese Liebe setzte sich sofort auch in die Tat um. Kamen wir zu ihr zur Zeit der reifen Heidelbeeren, dann eilte sie mit uns und trotz ihres Alters hinaus an den Wall der Bökelnburg, innerhalb dessen die Toten aus dem Kirchspiel von Burg ruhen, um diese reifen Beeren zu pflücken für einen Bickbeerpfannkuchen, mit dem sie uns beglücken wollte. O, wie mundete er, war doch ihre zärtliche Großmutterliebe mit hineingebacken, die man bei jedem Teil des Pfannkuchens, der den Mund füllte, schmeckte. Wenn wir uns am Abend verabschiedeten, ließ sie es sich nicht nehmen, uns bis vor Burg hinaus zu begleiten, um uns zum Schluss dann noch einige wohlgemeinte Ermahnungen und Vorsichtsmaßregeln mit auf den Weg zu geben, die sämtlich ein Ausfluss ihres liebenden Großmutterherzens waren, das wir fühlten.

    Von ihrer christlichen Gesinnung und ihrer ungefärbten Liebe zu ihrem Heilande nur ein paar Proben. Wenn wir in die Nähe der Burger Kirche kamen, so hielt sie ihre Enkelkinder an, jedes Mal in der Stille des Herzens ein Vaterunser zu beten.

    Zu meinem Vater, als er sie in der letzten Zeit ihrer Krankheit, die ihr Ende herbeiführte, besuchte, hatte sie auf eine Äußerung hin, die er erst tat und die darin gipfelte, dass sie auch sehr leiden müsse, die schlichten Worte gesagt: „Mein Heiland hat viel mehr für mich leiden müssen."

    Ein Besuch bei ihr war immer ein Genuss – leiblich und geistlich. Der Eindruck ihrer ganzen Persönlichkeit ist bei mir unauslöschlich geblieben. Ich habe noch heute den Eindruck, dass sie eine Verkörperung des Gedankens war, den Jesus in der zweiten Seligpreisung ausspricht: „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen."

    Ihren Mann, den ersten, den eigentlichen Vater meiner Mutter, habe ich nicht gekannt. Er war schon gestorben vor der Zeit, da mein Leben ein bewusstes wurde. Er war Schreiber beim Kirchspielvogt in Burg gewesen.

    Ein Kirchspielvogt war zur Zeit der dänischen Herrschaft die höchste Instanz in einem Kirchspiel in Verwaltungs- und Polizeisachen. Er musste damals ein studierter Mann sein. Seine Arbeiten entsprachen damals so ungefähr den Arbeiten eines heutigen Amtsvorstehers. Die Kirchspielvögte waren dem Landvogt, deren es zur damaligen Zeit nur zwei gab, einen in Süder-, den anderen in Norderdithmarschen, unterstellt. Ich kann mir denken, dass die Tätigkeit seines Schreibers, welchen Posten mein Großvater mütterlicher Seite bekleidet hat, einige Kenntnisse und zugleich die Handhabung und Beherrschung der hochdeutschen Sprache erheischte, die plattdeutsche war damals die in allen Familien gebräuchlichste, außer in den Häusern der Pastoren, des Kirchspielvogts, der Ärzte und der Lehrer.

    Den zweiten Mann meiner Großmutter habe ich gut gekannt. Aus der Ehe mit ihm ging ein Sohn hervor, ein Halbbruder meiner Mutter, der noch bis vor zwei Jahren in Burg seine Wohnung hatte und dort in Frieden im Glauben an seinen Heiland entschlafen ist.

    *

    Mein Vater, ein Mann mittlerer Größe, stark gebaut, im Gesicht mit stark gebauten Zügen, von dem ich keine Photographie habe, weil er sein Gesicht auf einem Bilde nicht sehen wollte, war, wie schon oben erwähnt, seines Handwerks Dachdecker, zugleich aber ein Christ, und dieser letzte Beruf stand ihm viel höher als der erste nach dem Kirchenliede: Einst selig dort zu werden, das ist und bleibt auf Erden mein heiligster Beruf.

    Zwar hatte er die Neigung, mit allen Vorkommnissen sich zu beschäftigen, die in seinen Gesichtskreis kamen: Er sprach gern und viel über alles, was sich ereignete. Aber immer wieder brach die Religion, die sein Herz erfüllte, durch. Auf Gängen zur Kirche, auf Besuchswegen zu den Verwandten, wenn er mich später begleitete nach häuslichen Besuchen in den Ferien zu den Stätten meiner Wirksamkeit: Immer drehte sich das Gespräch um die große Zentralfrage: Wie werde ich selig, wie werden meine Kinder selig, wie gewinne ich die in meinen Gesichtskreis kommenden Menschen für diese Frage? Wes des Herz voll ist, des geht der Mund über. Diese Wahrheit erkannte ich, wenn ich mit meinem Vater ging. Voll von religiösen Gedanken waren seine Gespräche. Und woher hatte er die? Er hatte nur die Schulbildung genossen, die Kuden, wo auch er geboren war, geboten hatte. Die Schule war zu seiner Zeit einklassig, später zu meiner Zeit zweiklassig, und der Lehrer, der ihn unterrichtet hatte, war ohne seminare Bildung gewesen. Dabei war es ja ganz selbstverständlich, dass Vater, der aus dem Hause eines schlichten Handwerkers stammte, nach dem vollendeten neunten Jahre eine Sommerschule nicht besuchte. Er hatte es auch, wie ich aus seinen späteren Briefen an mich ersehen konnte, bis zur vollen Sicherheit in der Orthographie und in der grammatischen Festigkeit in der hochdeutschen Sprache nicht gebracht.

    Ich habe so den Eindruck gehabt, dass einerseits die Schule seinerzeit das Bildungsbedürfnis nicht voll befriedigte, andererseits, dass mit seiner entschlossenen Hinwendung zur Religion, mit seiner Bekehrung, das Bildungsbedürfnis mehr und mehr in den Vordergrund getreten war.

    Zeitungen kannte unser Haus selbstverständlich nicht, aber die Bibel und das alte Schleswig-Holsteinische Gesangbuch, die kannte Vater, darin war er zu Hause und zwar in dem Maße, dass ich bekennen muss, dass er mir für meine religiösen Kenntnisse sehr dienlich gewesen ist. Als ich später auf dem Seminar von der Gerechtigkeit, die vor Gott ist, und den sogenannten dogmatischen Stunden hörte, da war mir der Begriff klar durch meinen Vater ohne eigentliche scharfe Definition.

    Viele Sprüche waren ihm so handlich, so geläufig, dass er sie überall, wo sie angebracht waren, ohne Mühe anbringen konnte. So ging es auch mit den Strophen aus den besseren Kirchenliedern. Ich kann mich nicht erinnern, dass er es später darauf angelegt hat, Kirchenlieder auswendig zu lernen. Das glaube ich nicht; aber das Interesse für den Inhalt der Gesänge war stark, und das erleichterte bei öfterem Lesen das Behalten.

    Außer diesen beiden Büchern hatte er noch ein anderes Buch, das ihn interessierte: die Hauspostille von Ludwig Hofacker. Das Bild von diesem gottbegnadeten, evangelischlutherischen Prediger, das auf der ersten Seite gegeben ist, steht noch so lebendig vor meiner Seele, dass ich es in seinen Einzelheiten deutlich sehe. Auf der Nebenseite hatte mein Vater die Familienchronik eingetragen. Leider ist dieses Buch verbrannt, als das Haus, in welchem meine Mutter nach dem Tode meines Vaters allein wohnte, von einem Blitzstrahl gelegentlich eines starken Gewitters eingeäschert wurde.

    Diese Predigtsammlung hat nicht nur Vater, sie hat der ganzen Familie einen großen Dienst geleistet. Am Sonnabend abends wurde jedes Mal die für den nächsten Sonntag dort gedruckte Predigt vom Vater vorgelesen, und als wir Knaben größer wurden, hielt Vater uns dazu an. Ich erinnere mich noch recht gut, dass es manchmal einen harten Kampf dabei gab; die Predigt war recht lang, und es war schwer für uns Kinder, die Aufmerksamkeit bis an das Ende der Predigt rege zu halten. Mit meinem ersten Bruder, dem zweiten Sohne, Peter Christian, gab es den heftigsten Kampf. Er hatte vom Vater die Eigentümlichkeit geerbt, dass er morgens früh wach wurde und darum abends früh müde war. Ich höre noch die Worte Vaters: Peter, Du schläfst. Worauf mein Bruder mit einem kräftigen Nein antwortete, wenn er auch eben vorher noch leise geschnarcht hatte, so, dass Vater es vernehmen konnte.

    Mein Bruder saß gewöhnlich hinter dem Ofen, einem Beileger, mit den Füßen, die vielleicht den ganzen Tag nicht warm gewesen waren, am Ofen, um sie zu wärmen. Dass dabei die Neigung zum Eindruseln (wie wir es damals nannten), zum Einschlafen entstehen musste, war doch ganz selbstverständlich, zumal er, bei einem Bauern in späteren Jahren in Diensten genötigt war, den ganzen Tag in frischer Luft zuzubringen. Meine Mutter pflegte dann gern ein Wort für ihn einzulegen in der Form, dass sie beruhigend sagte: „Johann Matthias, der Junge ist ja müde."

    Man mag heute über die Erziehungsmethode meines Vaters urteilen, wie man will, ich stelle es jedem frei. Ich will nicht behaupten, dass wir an Kenntnissen, an religiösen Kenntnissen, dabei gewonnen haben – das war auch nicht des Vaters Absicht, er wollte uns zu frommen Kindern erziehen –, aber der Eindruck, dass es um das Heil der Seele eines Menschenkindes eine hohe, eine heilige Sache ist, die aus dem Ernst, mit dem der Vater diese Erziehungsarbeit trieb, hervorging, der Eindruck geht nicht wieder verloren und das ist gut.

    Es war ja auch ganz selbstverständlich, dass unser Haus jeden Tag seine Hausandacht kannte. Benjamin Schmolkes Andachten, die ich zuletzt mitbeten konnte, fanden hier Verwendung. Es waren zwei Formen darin, die eine Form für den Morgen und den Abend eines jeden Tages, die andere für dieselben Zeiten der anderen Woche, die eine in prosaischer Form, die andere in poetischer Form.

    Diese Formen wurden abwechselnd gebraucht. Dabei war es selbstverständlich, dass alle daran teilnehmen mussten, auch die jüngsten Kinder, wenn sie über das zweite oder dritte Jahr hinaus waren. Eine Störung wurde nicht geduldet. Ein kräftiges Wort des Vaters, ein sanftes Wort der Mutter bannte die natürliche Unruhe. Ganze Seiten aus diesen Morgen- und Abendsegen sind mir lange in der Erinnerung geblieben; sie erscheinen auch am Tage hin und wieder an der Oberfläche des Geistes, was für die ethische und religiöse Entwicklung nicht von Schaden war.

    Vor und nach Tisch zu den Mahlzeiten betete Vater meistens das Vaterunser, oder ein sonstiges entsprechendes Tischgebet. Beim Kaffee nachmittags fehlte es. Eigenartig, wie fest sich eine Sitte setzt. Noch bis auf den heutigen Tag hat sich in meinem Hause genau diese Sitte erhalten, und es kann mich fast stoßen, wenn diese Gebetssitte über den Nachmittagskaffee auch ausgedehnt wird. Es war doch naturgemäß, dass der Sonntag dem Gottesdienst gehörte. Die Alltagsarbeit war ausgeschlossen. Was der Sonntag erwirbt, der Montag verdirbt, das war meines Vaters Grundsatz, und seine Berechnung hatte er dabei auch: Sechs Arbeitstage bei einem Arbeitslohn von einem Reichstaler am Tag geben zwar nur sechs Reichstaler, sieben Tage würden sieben Taler geben; aber sechs Taler und Gottes Segen sind mehr als sieben Taler ohne denselben; der Segen Gottes würde aber fehlen, sobald ich den Sabbat nicht heiligte; nun soll man nicht glauben, dass mein Vater aus Gewinnsucht den Sonntag heiligte; es war die Feier ihm Bedürfnis, starkes Bedürfnis. Heute wird, so sagte er, die Seele gespeist. Und diese Seelenspeise haben wir nötig zu unserer Pilgerreise. Wer hier keinen Sabbat feiern mag, keinen irdischen, der wird dort keinen ewigen feiern können. Nie ohne Not das Gotteshaus versäumen. Die Welt sagt wohl, dass die Kirche kein Hase ist, der da wegläuft, aber der Segen läuft uns weg, wenn wir dort nicht erscheinen.

    Selbstverständlich mussten wir Kinder, wenn die Beine die nötige Länge hatten, etwa nach dem vollendeten siebten oder achten Lebensjahr, den Vater begleiten, obschon der Weg lang war. Der Kirchgang währte bei den Krümmungen des Weges zwischen Kuden und Burg durch Buchholz – nach der Chaussierung des Weges, wobei die Krümmungen vermieden sind, ist der Weg etwas kürzer – über eine volle Stunde.

    Für die kurzen Beine war der Weg hin und zurück eine anstrengende Tour. Aber das half nicht, die Tour musste gemacht werden. Mein Vater war in seinen Prinzipien unerbittlich. Ich erinnere mich auf den Wegen dorthin, dass Vater Worte wie diese sagte: Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr Zebaoth.² Oder: Herr, ich habe lieb die Stätte Deines Hauses und den Ort, da Deine Ehre wohnt.³ Oder: Eins bitte ich vom Herrn, das hätte ich gern, dass ich im Hause des Herrn bleiben möge mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu besuchen.⁴ Oder: Gedenke des Sabbattages, dass Du ihn heiligst. Sechs Tage sollst Du arbeiten und alle Deine Dinge beschicken.⁵ ....und oft referierte, so dass sie mir zum bleibenden Eigentum wurden.

    Wenn die Leute aus den Kirchspieldörfern sich etwa durch größere Kälte im Winter zurückhalten ließen vom Gottesdienst – die Kirchen kannten dazumal keine Heizungen –, so pflegte Vater zu sagen: „Das ist ein schlechter Christ, der nicht eineinhalb bis zwei Stunden für Gottes Wort frieren kann."

    Ich wurde, als ich größer wurde und in meiner Entwicklung und den geistigen Fähigkeiten fortgeschritten war, von ihm angehalten, die Predigt am Sonntag nachmittags aufzuschreiben. Ich musste ihm die Arbeit, wenn sie fertiggestellt war, vorlesen, auch dann, wenn etwa ein Nachbar besuchsweise dabei war, und er half mir, wo er einen Mangel entdeckte, die Lücke auszufüllen.

    In der Predigt musste ich, namentlich in den jüngeren Jahren neben ihm in der Kirche sitzen, einmal, um, wie er sagte, seine Kinder unter seinen Augen zu haben, andererseits, um den Schlaf zu verscheuchen durch einen kurzen Rippenstoß, denn es konnte doch vorkommen, dass ich im Sommer, als ich später bei einem Landmann meines Ortes in Diensten war, müde wurde. Morgens um vier oder fünf Uhr aufstehen im Sommer; täglich von frischer Luft umgeben, meistens die Zeit mit anstrengender Arbeit ausgefüllt: Da bleibt es nicht aus, dass man müde wird, sobald man in einem geschlossenen Raum zur Ruhe kommt.

    Um durchaus bei der Wahrheit zu bleiben, will ich denn auch nicht verhehlen, dass ich, wenn ich es irgendwie möglich machen konnte, um der Aufsicht meines Vaters überhoben zu sein, meinen Platz in der Kirche allein für mich aufsuchte, nicht in der Nähe meines Vaters, auch nicht in der Nähe der Kanzel sondern möglichst am hinteren Ende unter einer Empore (Hängeboden im Volksmund genannt) oder über derselben, die im südlichen Ausbau angebracht war, gern in der Nähe von meinen Spielgenossen, um dort unter der Predigt im Verein mit den letzteren meinen kindischen Interessen nachzugehen.

    Einmal, daran erinnere ich mich noch, wurde dort so gelacht und geulkt, dass ein anderer andächtiger Kirchgänger, ein Mann in den kraftvollen Jahren, der vor uns saß, mit seinen vom heiligen Zorn erfüllten Augen uns so spitz und scharf anblickte, dass sofort Ruhe eintrat.

    Auch über diese Art der Erziehung meines Vaters mag man abfällig urteilen – es ist ja nun einmal so, dass der Gebrauch selbst heiligster Mittel nicht jeden Missbrauch ausschließt –, ich bin ihm für den Ernst, mit dem er diese Sitte mir beibrachte, noch heute dankbar, dankbar bis in meine letzte Stunde. Welchen Trost habe ich aus den vielen Predigten gehabt, die ich gehört habe. Jede gemeinsame Erbauung wirkt kräftigend und neu belebend. Man geht glaubenskräftiger aus der Kirche, als man hineingeht. Schon der gemeinsame Gesang hat etwas Hinreißendes, Begeisterndes. Man hat zu Zeiten im Hause Gottes einen Vorgeschmack von der zukünftigen Feier, von der Feier des ewigen Sabbats.

    Nebenher bekommt durch diese Feier die Arbeit der darauffolgenden Woche ihre Weihe. Neue Entschlüsse werden angeregt. Die alten Liebesbeziehungen, die Beziehungen zu Weib und Kind, zu Freund und Nachbar, zum Beruf und zum Vaterland werden enger geknüpft. Wenn doch das deutsche Volk mehr bedacht sein wollte auf eine würdige Feier seines Sabbats.

    Dass auch mein Vater in diesem Sinne dachte und in der Anschauung lebte, das geht zur Genüge aus der vorangegangenen Darstellung hervor. Er konnte es nicht haben, wenn ich, als ich später beim Bauern diente, entweder durch wirkliche Behinderung oder durch eigene Schuld einmal die Kirche versäumt hatte. Bei der Nachfrage nach der Ursache traf mich immer ein strafender Blick.

    Wie nun mein Vater im Hause in der Familie dachte und sprach, so dachte er auch außer dem Hause in allen Umgebungen, in die ihn sein Beruf oder der Zufall führte. Dass er immer durchdrungen war von dem Leben aus Gott, das hörte man, wenn man mit ihm ging. Verkündigte die Glockenuhr im Turm oder anderswo den Schluss der vergangenen und den Beginn der neuen Stunde, so pflegte er zu sagen: Herr, die Stunde schlägt schon wieder, denk an uns und unsere Brüder, die mit uns im Glauben stehen. Herr, leite uns so lange, wir wollen nur noch Deinen Wohlgefallen, bis wir in den Himmel gehen.

    Zu Zeiten lebte das Sündengefühl sehr stark in ihm, so dass er in der herrlichen Strophe des Paul Gerhard’schen Liedes Trost suchte. „Der Grund, da ich mich gräme, ist Christus und sein Blut. Das machet, dass ich finde das ewige wahre Gut. An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’. Was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert."

    Zu Zeiten war er sehr fröhlich. Ich erinnere mich sehr deutlich, dass er mich und noch ein anderes seiner Kinder auf seinen Knien wiegte, es war meistens nach der Heimkehr von der Tagesarbeit, unter dem aus seinem Munde hell schallenden Liede: „Fröhlich lasst uns Gott lobsingen. Hocherfreut lasst uns heut ihm Verehrung bringen! Jeder, der sonst war verloren, freue sich inniglich! Christus ist geboren!" Was ihn, meinen Vater, aber besonders charakterisierte, das war die Art, die ich schon oben andeutete, dass er überall in jeder Umgebung derselbe war. Er hatte einen seltenen Freimut; es schien mitunter, als wenn ihm Menschenfurcht fremd war. Mich dünkt, er hätte auf seinem Gedenkstein den Spruch verdient gehabt: Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich wieder bekennen vor meinem himmlischen Vater. Oder den anderen: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht können töten. Fürchtet euch aber vielmehr vor dem, der Leib und Seele verderben mag in der Hölle.

    Wir, er und ich, gingen einmal an einem Stillfreitag morgens zur Kirche nach Eddelack, das Kuden näher lag als Burg, wo damals Pastor Fiedler amtierte. Wir trafen einen Dorfbewohner, der auf Arbeit ging. O, wehe, der bekam von meinem Vater eine solche Tracht Schelte über diese christliche Unart, dass derselbe ganz heftig wurde.

    Ich habe entweder aus dem Munde anderer, oder aus seinem eigenen Munde folgende Geschichte gehört: Vater war in Gemeinschaft mit vielen anderen Arbeitern zur Zeit der Ernte bei einem großen Marschbauern zur Erledigung der vielen Erntearbeiten. Da für die Menge von Arbeitern nicht die nötigen Betten zur Stelle waren, so mussten die Arbeiter damit zufrieden sein, im Stroh zu schlafen. Auch mein Vater schlief dort unter den vielen, teils sicher rohen Gesellen. Ehe er sich niederlegte, nahm er sein Andachtsbuch – das Buch von Benjamin Schmolke – aus der Tasche mit den Worten: „Leute, ich bin es gewohnt, den Abendsegen zu lesen und tue es auch hier; ich denke, ihr werdet nachhören!" Man ließ ihn ungestört lesen und das Vaterunser beten.

    Wenn diese Art der freien Meinungsäußerung, durch welche er in dem Orte seines eigentlichen Wohnortes ein gefürchteter Mann war und zugleich eine soziale Macht, jedenfalls in seiner Individualität seine nächste Ursache hatte, so wurde dieselbe ohne Zweifel verstärkt durch die ganz besondere Wirksamkeit des Geistlichen in Burg, der zu den Lebzeiten meines Vaters dort eine emsige und reich gesegnete Tätigkeit entfaltete, von welcher die Spuren noch bis heute erkennbar sind. Es war dieser Geistliche der ehemalige Pastor, spätere Propst Mau, der Propstei Süderdithmarschen, dessen reiche natürliche Gabe zum Predigtamt – der Wohllaut seiner Stimme, seine tief wissenschaftliche Bildung, der Reichtum seiner Gedanken, das innige Gefühl, das bald in Höhen, bald in Tiefen sich bewegte, und die Flüssigkeit seiner Sprache (diese Gabe verklärt durch den Geist Gottes, der infolge seiner aufrichtigen Frömmigkeit in ihm lebte) –, dessen eifrige und seelsorgerische Tätigkeit an Kranken und Sterbenden und dessen liebenswürdige Art im Umgange, die immer die in ihm lebende Johannesseele durchblicken ließ; dieser Mann war derart für seinen Beruf befähigt, dass man im ganzen Lande ihn als einen hochbegabten und fleißigen Geistlichen ehrte. Er hatte stets eine gefüllte Kirche. Man kam von auswärts her, ihn zu hören. Er war Mitbegründer des Landesvereins der Inneren Mission. Das neue Schleswig-Holsteinische Gesangbuch verdankt neben der Arbeit anderer Geistlicher unseres Landes seiner reifen Tätigkeit und seines reichen Wissens auf dem Gebiete des evangelischen Kirchenliedes seine Entstehung. Sein Einfluss reichte weit und ging tief. Er hat auch auf meinen Vater gewirkt. Durch meinen Vater hat er auch auf mich gewirkt.

    Seine direkten Einwirkungen auf mich wuchsen mit meinen Jahren und begannen namentlich da, als ich meinen Entschluss, Lehrer zu werden, ihm unterbreitete. Wie tiefgehend und wie nachhaltig sein Einfluss auf mein Leben gewesen ist von der Stunde an, da ich ihn in seiner Kirche, der Burger Kirche hörte, das will ich an dieser Stelle wiedergeben, indem ich den Schluss seiner Liturgie, der er kurz vor dem Segensspruch sprach und der mir zum unverlierbaren Eigentum geworden ist, hier wörtlich anführe: Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr Zebaoth. Wir freuen uns, dass wir abermals in Deinem Hause gewesen sind, und haben schauen dürfen die schönen Gottesdienste, die man dort feiert. Wir freuen uns dessen, dass da ist gesungen und gebetet worden. Wir freuen uns Deines Wortes, das da ist verkündet worden. Lasst das nun alles ein Samenkorn sein in dem guten Lande unserer Herzen, das da aufgehe und Frucht bringe in Geduld. Wolle auch durch die heutige Andacht uns selber erbauen zu einem Tempel. Dir, samt dem Sohne und dem Heiligen Geiste, Lob, Preis und Ehre sei Dir, dem Dreieinigen.

    Dass die Tätigkeit eines so reichbegabten Predigers, den mein Vater sonntäglich hörte, von nachhaltiger Wirkung auch auf meinen Vater war, ist ganz selbstverständlich. Dabei behielt Vater doch seine Eigenart. In seinem Charakter war entschieden recht viel cholerisches Metall.

    Für seine Erziehungspraxis unter seinen Kindern lebte in ihm das Gesetz als Vorstufe des Evangeliums. Er hielt streng auf Gehorsam gegen Vater und auch gegen Mutter. Gehorsam war ihm bis zu einem gewissen Zeitpunkt in der Entwicklung des Kindes Religion. Konnte er seinen Willen nicht anders bei uns durchsetzen, so mussten Rute und Stock bei ihm helfen. „Euren Willen hab’ ich in meiner Tasche. Das Reich Gottes kommt bei euch in Hieben." Das pflegten so die Begleitworte der körperlichen Strafe zu sein. Oder: Wer sein Kind liebhat, der hält es stets unter der Rute, sagt Sirach.

    Ich verließ einst mittags oder nachmittags die Schule unsres Ortes. Draußen vor der Schule setzte ich mit meinem Mitschüler den in der Schule in Worten begonnenen Kampf in Schlägen fort. Mein Vater, der des Weges zufällig kam, wurde das gewahr. Im Hause angekommen, meinte er, dass dieser Kainssinn meines Herzens nur durch Schläge zu entfernen sei, und er machte gleichzeitig die Probe.

    Er hielt streng darauf, dass wir immer tätig waren. Müßiggang sei aller Laster Anfang und des Teufels Ruhebank. Mit Nachdruck betonte er gegenüber seinen Kindern: „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen, das merke dir, Du Fauler, und tu’s nicht vergessen. Früh auf und früh zu Bett, war sein Grundsatz. Und wie hasste er die Lüge. „Die Wahrheit klingt wie eine Glocke. Die Lüge ist ein schändlich Ding. Vor einem Diebe kann ich die Tür schließen, vor einem Lügner nicht.

    Diese Sätze haben in meinem Gedächtnis dauernde Wohnung genommen, weil ich sie früher in der Jugend, in welcher die Seele dem Wachse gleicht, das weich ist und die Eindrücke somit leicht aufnimmt und dauernd festhält, aufgenommen habe, und durch die öftere Wiederholung ist die Treue in der Bewahrung dieser kurzen Sätze gestützt worden.

    Eins der Kinder hat einst einen Topf aus Versehen zerbrochen. Mutter, recht unwirsch darüber, konnte, wie es manchmal Frauenart ist, nicht wieder aufhören zu pochen und nörgeln darüber. Vater war still und sagte schließlich: „Nun höre nur auf, Mutter. Schlimmer wäre es, wenn er, der Knabe, gelogen hätte."

    Er schied nach dem siebenten Gebot ganz scharf zwischen dem Mein und Dein. „Ich will keinen Strohhalm in meinem Hause sehen, der mir nicht gehört. Man darf fremdes Gut ebenso wenig anfassen als glühendes Eisen, um sich nicht zu verbrennen." So höre ich seinen Mund, der längst im Tode verstummt ist, noch sprechen. Auch davon ein Beispiel, wie er auf die strikte Befolgung dieses Gebotes seitens seiner Kinder hielt.

    Die Kinder des Heimatortes hatten alljährlich ein von der Schule angeregtes und auch von ihr beaufsichtigtes Kindervergnügen. Für die Knaben bestand das in seinem ersten Teil in einem Vogelschießen. Ein Tischler des Ortes hatte die spezielle Leitung des Teiles. Er musste auch für die nötigen Bolzen sorgen, die aus Holz bestanden und einen bleiernen Kopf besaßen.

    Diese flogen bei einem Fehlschuss oft weit weg und wurden dann von einigen Knaben gesucht und gefunden. Gelegentlich eines solchen Festes brachten mein nächster Bruder und der dann folgende, Peter Christian und Hinrich, auch einige von dem Feste mit, die Vater bald gewahr worden war. Sofort schickte er sie mit den Bolzen zu dem oben bezeichneten Tischler mit der Weisung hin, dieselben zurückzugeben. Die Brüder machten sich auf den Weg. Vater ließ sie erst allein gehen, folgte aber bald nach, um sich zu überzeugen, ob sein Auftrag auch ausgeführt würde. Er fand die beiden schüchtern vor der Stubentür des Tischlers stehen. Die natürliche Scham, das Bekenntnis des Diebstahls abzulegen, hielt sie zurück. Vater ging mit ihnen hinein, um ihnen den Gang zu erleichtern. Der Tischler, Johann Maack hieß er, lächelte und sagte: „Einmal lege ich kein großes Gewicht auf ein paar solche Bolzen, andererseits weiß ich, dass auch von anderen Knaben viele derselben mitgenommen worden sind." Vater bedeutete ihm, dass es für ihn in solchen das fremde Gut betreffende Fragen keine Kleinigkeiten gäbe.

    Ein anderes Mal war ich zu Markt gewesen in Burg. Es war der erste Markt, der in Burg abgehalten wurde; ein solcher Jahrmarkt war für einen Knaben in meinem Alter ein ganz bedeutsames Ereignis, das bedeutsamste im ganzen Jahr. Als ich damals zum ersten Mal in meinem Leben eine Drehorgel hörte, wie pochte das Herz, wie wurden die leichten Füße erst jetzt ganz leicht. Das größte Erstaunen erregte aber erst das von den Tönen einer großen Drehorgel begleitete sich rund drehende Karussell. Auf denselben Pferden zu reiten, war mein größtes Vergnügen.

    Als ich nach Hause zurückkehrte, war ich natürlich dabei, alles aufzutischen, was ich in den Reisekorb meines Geistes eingepackt hatte. Natürlich erzählte ich auch, dass ich 15 Mal geritten bin. Da hatte ich einen Fehler gemacht, den Vater sofort entdeckte. „Woher hast du das Geld dazu?" fragte Vater stutzig. Ich musste bekennen, dass ich, da natürlich mein von Hause und von anderen Freunden mir gewordenes Marktgeld für so viele Ritte nicht reichte, mich oft hinaufgeschlichen hätte im letzten Moment des Beginnens, in dem Augenblick, wenn der Leiter des Betriebes mir den Rücken zugewandt hatte. Ich war froh, dass ich ohne Schläge mit einem derben Verweis davonkam.

    Wie

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1