Drei weiße Birken: Erinnerungen an Ostpreußen bis heute
Von Elfriede Ruge, René Wenzel, Sarah Rubal Biografin und
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Über dieses E-Book
Drei weiße Birken - Erinnerungen von Ostpreußen bis heute - ist eine erzählte Biographie von Elfriede Ruge, geboren Muschlien, in der sie ihre geborgene Kindheit in Ostpreußen beschreibt und wie diese, durch die Ausbreitung des Zweiten Weltkrieges, eine dramatische Wende erlebt. Sie berichtet aus ihrer Flucht aus der Heimat über Dänemark nach Schleswig-Holstein und den einschneidenden Erlebnissen auf dem Weg. Auch nach Ankunft hält das Leben weitere Herausforderungen für Elfriede und ihre Familie bereit.
Die Biographie ist eine mitreißend, ehrliche, liebevolle und warmherzige Dokumentation der letzten neunzig Jahre aus einem bewegten Leben geprägt von Liebe, Zuversicht, ständiger Veränderung und Herausforderungen und einer endlosen Liebe für das Leben.
"Nach nun 90 Jahren, geprägt von einer wunderschönen Kindheit, von Flucht und Entbehrung, Abschieden von geliebten Menschen, blicke ich zurück und sage: Es war gut so und ist es noch. Vielleicht kann dieses Buch Mut machen in einer Zeit voller Umbrüche, niemals das Schöne aus den Augen zu verlieren. Die Welt ist schön. Das Leben ist schön." - Elfriede Ruge.
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Buchvorschau
Drei weiße Birken - Elfriede Ruge
Kapitel 1: Kein Frieden bleibt für immer
»Du liegst nun schon viele viele Jahre unbeschrieben in meinem Regal und wartest geduldig darauf, dass du beschriftet wirst. Einst bekam ich es von einem guten Freund. Er sagte: Damit du alles, was dich bewegt, festhalten kannst. Jahr aus – Jahr ein – vergebens. Nun ist es an der Zeit – wir schreiben das Jahr 2007. Denken und Schreiben – es scheint, als laufen alle erlebten, gelebten Erkenntnisse durcheinander. Das erlebte Leben war sehr facettenreich, wo soll ich anfangen?«
So schrieb ich es, Elfriede Ruge, geborene Muschlien, im Jahr 2007 in mein Notizbuch. Dieses Buch bekam ich Jahre zuvor von meinem guten Freund Lothar geschenkt, ich weiß das Datum noch genau. Es war der 20.06.1992.
Lothar war mit einer Rauschnerin verheiratet und er wollte mich mit dem Büchlein motivieren, meine Lebensgeschichte niederzuschreiben.
Ich machte immer wieder Notizen zwischendurch, aber es fiel schwer, all die intensiven Erlebnisse und Begegnungen über die langen Jahre hinweg zu sortieren und zu Papier zu bringen.
Erst jetzt, im Jahr 2021, entschloss ich mich dazu, nun wirklich alles niederzuschreiben und mein Leben festzuhalten - für mich selbst, für meine Kinder, Enkelkinder und Urenkel.
Denn ich erlebte viel Gutes und viel Schlechtes in fast 90 Jahren gelebtem Leben. Lothar meinte damals, 1992, ich solle nun endlich ein Buch über die Vergangenheit schreiben, aber manche Dinge brauchen ihre Zeit, um zu reifen, und erst jetzt ist die Zeit dafür gekommen.
Ein Buch über das Leben, über die Vergangenheit und die Gegenwart, über mich, über die Wirren und das Leid des Krieges und die Flucht, meine Hoffnungen und Träume, und über meine Familie und all die Menschen, die mich auf diesem langen Weg begleiteten.
Es ging wahrlich nicht immer nur geradeaus oder bergauf - nein, mein Leben war, wie das Leben der meisten Menschen auf dieser schönen Erde - eine Berg- und Talfahrt und erinnert mich an unsere Rodelbahn in Rauschen. Wir kletterten den Berg hoch und rodelten wieder hinunter, wie im richtigen Leben.
Und mit all den Höhen und tiefsten Tiefen war es ein schönes Leben und ist es noch heute und ich bin dankbar, dass ich es erleben durfte und jetzt in meinem hohen Alter noch darüber sprechen kann.
Ich wurde am 15. September 1931 im Ostseebad Rauschen geboren, unweit von Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Königsberg war damals die größte Stadt Ostpreußens und beheimatete zirka 370.000 Menschen. Das heutige Kaliningrad zählt fast 500.000 Einwohner, und diese vielen Menschen machen die Stadt zum urbanen Zentrum der Verwaltungseinheit der Kaliningrader Oblast, einer an die EU-Länder Polen und Litauen grenzenden russischen Exklave.
Rauschen heißt heute Svetlogorsk, wird aber in zwei Teile aufgeteilt: Svetlogorsk 1, in dem die Einwohner leben (dem früheren Rauschen-Ort), und Svetlogorsk 2 (ehemals Rauschen-Düne). Dort spielte sich damals wie heute das Strand- und Kurleben ab. Zur Überwindung der 43 Meter Höhenunterschied zwischen Rauschen-Ort und Rauschen-Düne, also der Strandpromenade, wurde im Jahre 1912 eine Drahtseilbahn gebaut, mit der man bequem zum Strand fahren konnte.
Heute dienen zu diesem Zwecke eine schöne breite Treppe, ein Fahrstuhl und eine kleinere Seilbahn im westlichen Bereich.
Auch die Sanatorien, Hotels und Restaurants sowie der Lärchenpark mit dem Teich um das Kurzentrum am alten Rauschener Wasserturm sind wieder instandgesetzt. So ist das Flair des alten Bade- und Luftkurorts des Großbürgertums, in dem schon Prominente wie die Künstlerin Käthe Kollwitz und der Schriftsteller Thomas Mann die Sommerfrische genossen, noch immer zu spüren.
Die Landschaft in meiner Heimat ist von atemberaubender Schönheit, und die Erinnerungen an eine glückliche Kindheit am Meer und an die Heimatbesuche in späteren Jahren sind noch immer in mir lebendig.
Ich bin und bleibe ein Kind der Küste.
Heute lebe ich in Ahrensburg, blieb aber dem Wasser treu. In Svetlogorsk sind bis auf den heutigen Tag die alten herrschaftlichen Villen im Kiefernwald erhalten geblieben. Sie wurden teilweise restauriert, und neue Villen wurden dazu gebaut.
Wir wohnten damals in einem schönen Haus am Mühlenteich, auf einem kleinen Berg. Das Haus hatte Veranden aus Holz. Wir nannten es »Haus Villa Willy«.
Das hört sich ein wenig an wie die »Villa Kunterbunt« aus den Geschichten von Pippi Langstrumpf. Ich wuchs zwar nicht ohne Eltern auf und hatte auch keine Kiste mit Goldstücken, aber genau wie Pippi Langstrumpf hatte ich immer meinen eigenen Kopf und liebte meine Freiheit über alles.
Meine Eltern erzogen mich auch so, und auch wenn ich nicht alles machen durfte, was ich wollte - es gab durchaus Grenzen in ihrer Erziehung - hatte ich doch im Wesentlichen die Möglichkeit, meine Persönlichkeit zu entfalten. Vor allem in meinen ganz jungen Jahren durfte ich einfach nur Kind sein, wofür ich sehr dankbar bin. Das Haus Villa Willy stand oben auf einem Berg, und wenn man diesen Berg hinunterging, war auf der anderen Seite die Ostsee. Es war traumhaft, dort zu wohnen, besonders für uns Kinder.
Im Sommer waren wir jeden Tag an der See und badeten. Weit hatten wir es nicht, und es war herrlich, in den Wellen zu plantschen. Auch der Strand war wunderschön, und ich spüre den feinen weißen Sand noch heute unter meinen nackten Füßen. Es war ein wenig so wie Urlaub zu machen, damals in Rauschen, und es schien ein bisschen, als ob uns das Leben noch Gelegenheit geben wollte, um uns auszuruhen und Kraft zu tanken für all die zukünftigen Strapazen, die noch auf uns zukommen sollten.
Wir waren eine große Familie: Meine Mutter Erna Muschlien, geboren im Jahre 1900, und mein Vater Walter Eduard, geboren 1899 in Kirtigehnen. Opa Franz Muschlien, der Vater meines Vaters, 1872 in Rauschen geboren, und wir Kinder; Heinz, der Jüngste wurde 1930 in Neukuren geboren, Horst Eduard, 1928 in Rauschen und Günther, der Älteste von uns vieren, kam 1927 auf die Welt.
Als einziges Mädchen unter drei Brüdern lernte ich früh, mich durchzusetzen und meinen eigenen starken Willen zu entwickeln. Dieser Wille half mir später, auch manchen Schicksalsschlag zu überwinden und gut durch die wilden Fährnisse des Lebens zu kommen.
Mein Vater war Telegraphenleitungsaufseher beim Postamt in Rauschen. Das war sein großes Glück, denn dadurch, dass er Beamter war, wurde er nicht zu den beiden Weltkriegen eingezogen und musste nicht an die Front.
Das hätte auch überhaupt nicht zu ihm gepasst, denn mein Vater war ein sehr friedliebender Mensch, der keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte.
Ich erinnere mich auch nicht, dass er gegen uns Kinder die Hand erhoben hätte.
Seine Güte und Liebe prägte auch uns Kinder und ich bin mir sicher, dass auch sie mir half, um mich später im Leben zu behaupten.
Darüber, dass er nicht eingezogen wurde, bin ich im Nachhinein sehr froh, denn ich verstehe es bis auf den heutigen Tag nicht, warum sich die Menschen bekriegen und töten, anstatt in Frieden und Harmonie zusammen zu leben.
Das Leben kann doch so schön sein, so voller Freude und schönen Begegnungen, und wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, wird mir ganz warm um mein altes Herz.
Ich sehe es noch ganz klar vor mir: Wir kamen von der Schule nach Hause, es war Sommer, es duftete nach Meeresluft, und eine warme Brise strich über unsere kleinen Körper. Als wir nach Hause kamen, stand das Mittagessen schon auf dem Tisch. Es gab oft Kartoffelsuppe, aber auch graue Erbsen und natürlich häufig Fisch, den mein Vater in der See angelte. Die grauen Erbsen wurden süßsauer gekocht, ich glaube, heute kennt man so ein Gericht in Deutschland gar nicht mehr. Genau wie unsere Sauerampfersuppe mit Ei. Die kochte ich auch später für meine Kinder, aber sie schmeckte ihnen nicht.
Am Sonntag gab es oft Schmorbraten und auch viel Sauerkraut für die Vitamine.
Mutter wartete bereits auf uns. »Schön, dass ihr da seid, meine Lieben, das Essen ist schon fertig.« -