Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Stella Nova: Heilige Wahrheit - von der Freundschaft Johannes Keplers und Martin Staubers
Stella Nova: Heilige Wahrheit - von der Freundschaft Johannes Keplers und Martin Staubers
Stella Nova: Heilige Wahrheit - von der Freundschaft Johannes Keplers und Martin Staubers
eBook1.316 Seiten19 Stunden

Stella Nova: Heilige Wahrheit - von der Freundschaft Johannes Keplers und Martin Staubers

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Martin Stauber, ein nicht minder begabter Freund des Astronomen und Mathematikers Johannes Kepler, ist von frühester Jugend von allem Lebendigen fasziniert. Mit Feuereifer und unendlicher Geduld erforscht er Tier- und Pflanzenwelt. Seine vergleichenden Untersuchungen lassen ihn dabei mehr und mehr an eine langsame Entwicklung allen Lebens glauben. Doch seine Arbeit bereitet ihm mehr als einmal große Schwierigkeiten und bringt ihn bei Lehrern und Professoren in Verruf. In einer Zeit, da ein Großteil der Macht bei der Kirche liegt, und in der immer wieder Kritiker und Andersdenkende auf dem Scheiterhaufen enden, kann er auf kein Verständnis für seine Erkundungen hoffen. So ist ihm auch der Feuertod seines Vorbildes Giordano Bruno eine Warnung und bald wagt er es nur noch mit wenigen Menschen über seine Erkenntnisse zu reden. Doch anders als Kepler, der zeit seines Lebens zwischen allen Stühlen sitzt und trotz aller Anerkennung, die ihm zweifelsohne zuteilwird, ein Leben in finanzieller Not führt, arrangiert sich Stauber mit der alles beherrschenden Kirche und tritt als kleiner Gemeindepfarrer in deren Dienst. Die Widersprüche, die sich zwischen seinen Forschungen und seinem Beruf auftun, verursachen in ihm allerdings einen immer tiefer werdenden Spalt. Viele Jahre unermüdlicher Forschung gehen ins Land, ehe er Frieden mit seinen Erkenntnissen und seinem Beruf machen kann. Doch dann verändert der Beginn des Dreißigjährigen Krieges alles, und nichts ist mehr wie es einst gewesen war…
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum17. Mai 2019
ISBN9783746988177
Stella Nova: Heilige Wahrheit - von der Freundschaft Johannes Keplers und Martin Staubers
Autor

Thomas A. Klein

Thomas A. Klein, Jahrgang 1966, verheiratet, eine Tochter, lebt in der Nähe von Stuttgart und ist eng mit seiner schwäbischen Heimat verbunden. 2009 hat er mit dem Schreiben begonnen. Was zunächst nur Zeitvertreib war, wurde schnell zur Passion. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist er auch als bildender Künstler tätig. Sein Schaffen reicht hierbei von der Zeichnung über Airbrush bis hin zur Ölmalerei. In mehreren Ausstellungen in der Region Stuttgart wurden seine Werke gezeigt. In beiden kreativen Tätigkeiten spielen Glaube und Wissenschaft, Fortschritt und Umweltzerstörung, sowie das Gleichgewicht alles Lebendigen eine zentrale Rolle. Mehr Infos unter: www.thomas-a-klein-romane.eu

Ähnlich wie Stella Nova

Titel in dieser Serie (1)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Kriege & Militär für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Stella Nova

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Stella Nova - Thomas A. Klein

    Kapitel 1

    1577

    Es war kalt geworden in den Gassen von Veihingen. Trotzdem waren an diesem Abend viele Menschen unterwegs. Wie jedes Jahr am elften November gab es einen Umzug. Zwar war man mittlerweile protestantisch, aber das Fest des heiligen Martin war schon so lange Tradition, dass man es auch im Herzogtum Württemberg noch weiter feierte. Immerhin war ja auch der Name des Kirchengründers Martin gewesen, und so hatte man einen schönen Grund, den Tag zu feiern, auch wenn man nicht mehr der Heiligenverehrung der katholischen Kirche anhing. Die Kinder hatten große Freude daran. In der Dämmerung machten sich alle auf, um in die Enzauen zu marschieren, um dort dem großen Martinsfeuer beizuwohnen.

    Der Junge, der den Namen des Tages trug, war fünf Jahre alt, und ging an der Hand von Karin, seinem Kindermädchen. Nach dem Tod von Sophie Stauber hatte sich zunächst eine Amme des kleinen Martin angenommen. Doch irgendwann wurden deren Dienste nicht mehr benötigt und Jacob musste sich nach einem Kindermädchen für seinen kleinen Sohn umsehen. Mit Karin, so schien es, hatte er die Richtige gefunden. Zufrieden machte es ihn trotzdem nicht, dass sich eine Fremde um seinen Sohn kümmern musste, viel lieber hätte er selbst mehr Zeit mit ihm verbracht. Aber er hatte keine Wahl, er musste seine Geschäfte führen. Auch diesem Martinstag musste er arbeiten, und so ging sein Sohn allein mit dem Kindermädchen zum Umzug.

    Es war ein klarer Abend, in der sich rasch ausbreitenden Dunkelheit, konnte man schon einzelne Sterne erkennen. Alle waren gut gelaunt, und sangen Lieder. In Körben trug man Kleingebäck mit, das im Schein des Feuers genossen werden sollte. Vor allem die Kinder waren voll Vorfreude. Doch als der Zug die Stadtgrenzen hinter sich gelassen hatte, rief auf einmal einer: „Seht, da am Himmel!"

    Die Blicke der Wanderer folgten dem ausgestreckten Zeigefinger des Rufenden. Nur kurz brauchten die Augen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, und so war die Ursache für den Ausruf auch schnell für jeden ersichtlich. Überall konnte man Schreckenslaute vernehmen, viele erstarrten in Panik, begannen zu beten, oder fielen auf die Knie. In den weit aufgerissenen Augen stand die pure Angst geschrieben, die Angst vor einer Katastrophe, die Angst vor dem nahen Weltengericht.

    Martin war fasziniert von dem Schauspiel, was sich ihm da am Himmel bot. Dort war ein seltsamer Schein zu sehen, ganz so als ob das Feuer einer brennenden Stadt sein Licht in den aufsteigenden Rauch warf. Doch es war kein Brand, der dieses unheimliche Licht erzeugte. Viel zu hoch stand es am Himmel, als dass es von einem Feuer hätte stammen können. Die Quelle dieser Aura war ein Stern, doch anders als ein normaler Stern war er nicht nur ein kleiner Punkt, sondern er zog sich in einem langen Schweif über einen guten Teil des Himmels. So schön ein sternenklarer Himmel auch war, so etwas Schönes hatte Martin des Nachts noch nie gesehen. Viel zu groß war seine Faszination, als dass er von der Panik, die sich breitmachte, etwas verspürt hätte. Ringsum kehrten die Menschen Heim und verschlossen ihre Türen. Dies musste ein Zeichen Gottes sein, und niemand hatte einen Zweifel daran, dass es kein Gutes war. Das Jüngste Gericht, so waren sich viele augenblicklich sicher, würde in einer Feuersbrunst beginnen. Kometen hatten schon immer Unheil und Zerstörung gebracht. Und auch die weniger Erschrockenen kehrten um und vergaßen den Martinsumzug und das Feuer.

    Martin war enttäuscht.

    „Wieso gehen wir heim?", wollte er immer wieder wissen.

    Karin wollte den fünfjährigen Knaben nicht ihre eigene Angst spüren lassen und antwortete daher nur ausweichend: „Alle gehen heim."

    „Aber wieso können wir diesen Stern nicht noch eine Weile beobachten?"

    „Es wird zu dunkel."

    Und obwohl er überhaupt nicht mehr daran interessiert war, fragte er: „Wir wollten doch zum Feuer gehen?"

    „Wir gehen jetzt heim!"

    Karin zog ihren vor Enttäuschung weinenden Schützling hinter sich her und legte ihn ohne weitere Diskussionen zu Hause in sein Bett. Martin wollte am liebsten die ganze Nacht hindurch schreien, doch versuchte er lieber durch sein Fenster einen Blick auf den Kometen zu erhaschen, doch so sehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht.

    Ebenso wie in Veihingen blickten auch im nicht weit entfernten Leonberg die Menschen zum Himmel, und wie dort löste, was sie sahen, Angst und Schrecken aus. Auch hier war ein kleiner Junge, nicht viel älter als Martin, fasziniert von dem Naturschauspiel. Seine Augen waren verklebt und tränten. Seit einer Pockenerkrankung, zwei Jahre zuvor, hatte er Probleme mit ihnen. Aber trotz seines eingeschränkten Sehvermögens konnte er den Kometen gut sehen. Seine Mutter, befallen von der gleichen Furcht wie alle anderen Erwachsenen, packte ihren kleinen Sohn an der Hand und machte sich von den Feldern auf den Weg in ihr Heim nach Leonberg. Der Großvater mütterlicherseits erwartete die beiden bereits ungeduldig. Mehr als ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er sie wohlbehalten zurückkehren sah. Seit gut einem Jahr wohnte die Tochter zusammen mit den beiden Enkeln wieder in seiner Nähe. Zu Beginn lebte auch noch der Schwiegersohn bei seiner Familie. Hätte er damals gewusst, als was für ein Tunichtgut sich dieser herausstellen sollte, er hätte nie seine Tochter mit dem Bürgermeistersohn der freien Reichstadt Weil verheiratet. Kurz nach der Geburt des zweiten Kindes war der Vater verschwunden. Den Offerten eines Werbers war er gefolgt und als Söldner in die Ferne und den Krieg gezogen. Weib und Kinder alleine in Weil zurücklassend.

    Lange hatte seine Tochter auf die Rückkehr des Mannes gewartet, bis sie eines Tages des Wartens überdrüssig wurde, die Kinder bei Tante und Großvater in Weil zurückließ, und dem Mann bis nach Flandern nachzog. Unter Tränen hatte sie es tatsächlich geschafft, den Hallodri wieder in die Heimat zurückzubringen. Der Bürgermeister von Weil indes war alles andere als begeistert von der Rückkehr des, ob seines Lebenswandels, ungeliebten Sohnes. Obwohl er die Trennung von den geliebten Enkeln fürchten musste, machte er diesem ein Angebot: Er würde ihm das Erbe auszahlen, wenn er seine Sachen packen und ihm nie wieder unter die Augen treten würde.

    Wahrscheinlich hatte er gehofft, der Sohn würde wieder alleine verschwinden, doch dieser nahm das Angebot an, und zog mit Weib und Kindern gen Leonberg, in die Nähe der Schwiegereltern. Doch nicht lange konnte er Weib und Kindern die Treue halten, bis die Lust auf neue Abenteuer wieder die Oberhand gewann, und er eines Nachts erneut verschwand.

    Mit einem Seufzen dachte der Großvater Guldenmann über das Schicksal der Tochter nach. Zum Gespött aller Nachbarn war sie geworden. Immer wieder schien sie vor Schmerz wie von Sinnen. Einzig er, als ihr Vater, hielt noch zu ihr. Das Auftauchen des Kometen aber verstärkte die ohnehin schon großen Sorgen um Tochter und Enkel.

    „Großvater, habt Ihr den herrlichen Stern dort oben am Himmel gesehen?", fragte ihn der aufgeregte Enkel in seinem kindlichen Ton.

    „Ja, ja, lass uns ins Haus gehen!"

    „Nein, ich möchte nicht hinein, ich möchte den Stern sehen."

    „Genug jetzt!, mischte sich die Mutter des Kleinen ein, „Du kommst jetzt mit rein!

    Nur unter Protest und Tränen ließ er sich mit ins Haus ziehen, und auch später, als er ins Bett gehen sollte, wollte er dies nicht. Der Komet hatte eine zu große Faszination auf den jungen Johannes Kepler ausgeübt. Als er endlich doch im Bett war, fasste er einen Entschluss: Er musste unbedingt mehr über das Wesen der Sterne in Erfahrung bringen.

    Zwei Tage später strömten die Menschen in Pfarrer Armleders Kirche. Es war ein düsteres Schauspiel. Kaum ein Mensch sprach etwas, alle waren tief versunken in schweren Gedanken. Jeder suchte seinen ihm angestammten Platz auf und setzte sich ohne ein Wort. An anderen Sonntagen herrschte, bevor der Gottesdienst begann, eine gewaltige Geräuschkulisse. Jeder hatte etwas zu erzählen, wer sich, in wen verliebt hatte, wer heiraten wolle, ein Kind erwarte, oder wer am Abend zuvor betrunken das Wirtshaus verlassen hatte. All dieser Tratsch, der das Leben in allen Orten bestimmte, war an diesem Sonntag vergessen, und die Stille, die sich breitmachte, als alle ihre Plätze eingenommen hatten, legte sich wie ein schweres nasses Tuch auf die Gemeinde. Doch nicht nur in Veihingen war dem so, überall auf der Welt waren die Menschen in Furcht.

    Endlich erhob sich der Pfarrer und ging zu seiner Kanzel. Es war ein schwerer Gang für ihn. Was konnte er seiner Gemeinde nur sagen? Wie konnte er Trost spenden? Im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit hatte er heute eine Predigt vorbereitet, die nicht ermahnte und drohte. Die Angst saß ihm selbst viel zu tief in den Knochen, als dass er in der Lage gewesen wäre diese in seiner Gemeinde noch mehr zu schüren. Und so beschränkte er sich im Wesentlichen darauf, mit seiner Gemeinde zu beten und Gottes Beistand zu erbitten.

    Nach dem Ende der Andacht gingen die Bürger zurück in ihre Häuser, schlossen die Türen fest zu, und gingen an diesem Tag, und auch an den folgenden, wann immer es sich vermeiden ließ, nicht mehr hinaus.

    Der Höhepunkt der Panik war indes noch nicht erreicht. Die Leuchtkraft des Kometen wurde von Tag zu Tag stärker. Dies ging so weit, dass er bald selbst am helllichten Tage beobachtet werden konnte. Das Leben stockte in diesem Winter. Doch trotz aller Angst blieben die ganz großen Katastrophen aus. Der Winter war ein Winter wie viele andere. Er war zwar hart und lang, aber das waren die vorangegangenen Winter ebenso. Es gab keine Epidemien, keine Erdbeben oder sonstige Naturkatastrophen, und es gab auch keine kriegerischen Auseinandersetzungen im Herzogtum Württemberg.

    Von allen weltweiten Beobachtern des Kometen hatte ein junger Adliger auf einer einsamen Ostseeinsel ein ganz besonderes Interesse an ihm. Sein Name war Tycho Brahe. Er hatte sich bereits fünf Jahre zuvor, als er eine sensationelle Himmelserscheinung beobachtete und dokumentierte, einen Namen gemacht. Ebenfalls am elften November des Jahres 1572 leuchtete im Sternbild Kassiopeia mit einem Mal ein Stern hell auf. Hätte das normale Volk diese Veränderung wahrgenommen, wäre vermutlich eine ähnliche Panik entstanden, wie sie nun durch das Erscheinen des Kometen ausgelöst wurde. Doch der Stern sah, für den ungeübten Beobachter, aus wie ein normaler Stern. Nur der Experte wusste, dass am Tag zuvor an dieser Stelle noch kein Gestirn von dieser Helligkeit zu beobachten gewesen war. Und so nahmen nur wenige Menschen von ihm Notiz. Für diese Menschen allerdings brach ein Weltbild zusammen. Galt doch bis zu diesem Tag die Sphäre der Fixsterne als unveränderlich, eben als fix. Im Glauben der Zeitgenossen hatte Gott sie so erschaffen, und sie sollten für alle Zeiten so bestehen bleiben. Nun aber bewies die Beobachtung Tycho Brahes, dass dem nicht so war. Diese Erkenntnis widersprach allen Grundüberzeugungen der Zeit. Die Lehren des Aristoteles gerieten dadurch genauso ins Wanken, wie die Lehren der Kirche.

    Tycho Brahe erntete gleichwohl eine Menge Ruhm für diese Entdeckung, und erhielt in der Folge vom dänischen König Friedrich II Gelder zum Bau eines Observatoriums auf der Ostseeinsel Ven.

    Tycho war hoch erregt. Sein Gesicht war rot vor Zorn. Nur seine „goldene Nase behielt ihre Farbe und trat noch mehr als sonst hervor. Seine eigene Nase hatte er in einem Degenduell, das er wegen eines Streites um eine mathematische Formel mit einem Kommilitonen geführt hatte, verloren. Danach hatte er sich eine Prothese aus Kupferblech anfertigen lassen, die viele nun für Gold hielten, weshalb er danach auch oft als der „Mann mit der goldenen Nase tituliert wurde. Wieso nur konnten die Bauarbeiter nicht schneller machen? Das Gerüst vor der Beobachtungsplattform seines Observatoriums musste schnellstens verschwinden. Bis zum Einbruch der Dunkelheit musste er freie Sicht auf den Himmel haben, um mit seinen astronomischen Instrumenten den Kometen exakt anpeilen zu können. Sein vierzehn Fuß messender Sextant war bereits aufgebaut, mit ihm würde er die Winkelabstände zu verschiedenen Gestirnen genauer bestimmen können, als es mit den wesentlich kleineren Modellen möglich war. Wieso nur konnten sich die Bauarbeiter nicht mehr sputen? Doch Eile war gar nicht geboten, was niemand wissen konnte, der Komet sollte noch viele Wochen sichtbar bleiben, und nicht nur Tycho Brahe, sondern auch seinen Kollegen in aller Welt, genügend Zeit für ihre Beobachtung bieten. Durch den Vergleich, der dadurch gewonnen Daten, konnte er später abschätzen, wie weit entfernt sich der Komet von der Erde befand. Und diese Schätzung war die nächste Sensation, die der junge Adlige der Welt offenbarte. Er konnte selbst bei weit entfernten Beobachtungsstellen keine Parallaxe Abweichung feststellen. Der Komet erschien, zur gleichen Zeit, egal von wo aus man ihn beobachtete immer vor dem gleichen Himmelshintergrund. Dies musste aber wiederum bedeuten, dass er sich viel weiter von der Erde entfernt befand, als man bis dahin angenommen hatte.

    Kapitel 2

    1578

    Martin presste sich fest an den Boden.

    Er durfte auf keinen Fall gesehen werden. Hätte jemand gewusst, dass er, ein gerade mal sechsjähriger Junge, sich alleine im Wald herumtrieb, er hätte ein großes Problem gehabt. Zumal viele Erwachsene Angst hatten, in den Wald zu gehen. Zu viele Schauergeschichten über Geister, Kobolde, wilde Tiere und übernatürliche Mächte gingen um. Doch Martin hatte keine Angst. Er liebte den Wald. Er liebte die Ruhe, in die er eintauchen konnte, wie in einen kühlen Weiher an einem heißen Sommertag. Obwohl es nicht einmal still war. Das Singen der Vögel durchbrach die Stille genauso, wie das Quaken der Frösche und Kröten, die in den fast stehenden Gewässern der Enzseitenarme um die Gunst der Weibchen wetteiferten. Wenn er besonders viel Glück hatte, konnte er auch manchmal einen röhrenden Hirsch vernehmen. Niemand war da, der ihm das vermiesen konnte, ihn einen Faulpelz nannte, oder ihn, auch nur weil er im Weg war, verscheuchte. Hier war er in seiner eigenen Welt. Das Getöse der kleinen Stadt war unendlich weit. Kein Rattern von Wagenrädern, kein Marktgeschrei, kein Kindergeheul, kein von Menschen gemachtes Geräusch gab es, das ihn gestört hätte.

    Doch heute war es anders. Martin konnte hinter der kleinen Anhöhe, inmitten des Waldes, Stimmen vernehmen. Noch konnte er sie nicht verstehen, aber es waren ganz eindeutig menschliche Stimmen. Irgendwer war an der Enz, die sich, außer Martins Sichtweite, ihren Weg durch den Wald bahnte. Er kroch ganz langsam voran, um nur ja nicht auf sich aufmerksam zu machen. Der Waldboden war feucht, und da es noch früh im Jahr war, voll von vermoderten Blättern die, nach dem Winter, noch nicht zu neuer Erde geworden waren. Er wusste, dass er sehr schmutzig werden würde. Aber daran verschwendete er nun keinen Gedanken. Er musste erfahren, wer sich in seinem Wald herum trieb. Sein Vater würde wieder mit ihm schimpfen und erfahren wollen, wo er gewesen war. Er würde ihm aber nicht sagen, dass er, wie so oft, den Tag im Wald verbracht hatte. Zwar hatte sein Vater keine so große Furcht vor dem Wald, wie viele der anderen. Dazu war er viel zu naturverbunden. Aber seinen sechsjährigen Sohn wollte er dort auch nicht wissen. Gefahren barg der Wald allemal, auch wenn sie eher von Menschen her rührten. Jacobs schlechtes Gewissen, weil er viel zu wenig Zeit für seinen Sohn hatte, ließ ihn oft ungerecht zu ihm sein. Das Versprechen, das er seiner Frau gegeben hatte, als sie im Kindbett starb, war eine Bürde für ihn. Aber was sollte er tun? Er musste sich ja um seine Geschäfte kümmern. Der Wohlstand, den sie hatten, kam nicht von ungefähr. Und würden seine Einnahmen einmal nicht mehr fließen, würde er Karin, die sich um Martin und den Haushalt kümmerte, nicht mehr bezahlen können. So ging er weiter seinen Geschäften nach und verbrachte manche Nacht schlaflos, weil er beiden nicht gerecht wurde, weder seiner verstorbenen Frau, noch seinem kleinen Sohn.

    Martin kroch weiter. Noch wenige Fuß und er würde in das kleine Tal einsehen können. Die Stimmen wurden immer klarer. Sie erinnerten ihn an die Kirchgänge, die er jeden Sonntag mit seinem Vater unternahm. Gab es hier, unter freiem Himmel einen Pfarrer? Und wem konnte er predigen? Der Gedanke war für ein Kind von sechs Jahren so absurd, dass er ihn gleich wieder von sich schob. Aber auch wenn er noch immer nicht verstehen konnte, was gesagt wurde, erinnerte ihn der Tonfall, das Heben und Senken der Stimme, an einen Prediger. Noch bevor Martin einen Blick auf die Versammelten erhaschen konnte, erfüllte auf einmal ein vielstimmiger Gesang den Wald. Nicht allzu laut gesungen, erfüllten die Stimmen trotzdem das ganze Tal mit einer beeindruckenden Atmosphäre. Und auch wenn Martin das Lied noch nie gehört hatte, erinnerte es ihn ebenfalls an den Gesang einer Kirchengemeinde. Er kroch nun etwas schneller voran. Er wusste genau, dass ihn, solange gesungen wurde, niemand hören würde. Auch wenn er etwas mehr im Laub raschelte.

    Endlich hatte er den Scheitelpunkt erreicht und beobachtete, tief an den Boden geschmiegt, das Geschehen. Eine Gruppe Männer und Frauen standen da und sang. Sie hatten einen Halbkreis um drei Männer gebildet, von denen der eine ein großes Kreuz hielt, das er auf dem Boden abgestellt hatte. Die drei trugen Kutten ähnlich den Kutten von Mönchen. Die Haare des mittleren erinnerten ebenfalls an einen Mönch. Der Haarkranz, der die kahle Schädeldecke begrenzte, sah wie die Tonsur eines Mönches aus. In Wirklichkeit aber waren dem Mann wohl nur aufgrund seines fortgeschrittenen Alters die Haare ausgegangen.

    Sie sangen so voller Inbrunst, dass Martin ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er versuchte, jemanden zu erkennen, doch zunächst kam ihm niemand bekannt vor. Nur eine Person war ihm irgendwie vertraut. Die Gestalt eines jungen Mannes, der mit dem Rücken zu ihm stand und dessen Gesicht er deshalb nicht sehen konnte, erinnerte ihn an jemanden. Seine schwarzen Haare, die unter der Kopfbedeckung hervortraten, und die feingliedrige Gestalt verrieten ihn letztlich doch. Aber noch mehr war es die Kleidung des jungen Mannes, die ihn seine Identität erkennen ließ. Er hatte eine dunkle samtene Jacke an, die sich nicht viele leisten konnten. Auch die über die Knie reichende schwarze Pluderhose, die weißen Strümpfe, und die Schuhe waren von einer Qualität, die man nicht häufig sah. Das fiel selbst einem Sechsjährigen auf. Und obwohl sich Martin nicht ganz sicher war, hätte er schwören können, dass es sich bei dem jungen Mann um Rolf Spar, den Goldschmied Veihingens, handelte. Er kannte Rolf gut, verbrachte er doch immer wieder Zeit in seiner Werkstatt. Vor allem im Winter war es ein äußerst angenehmer Ort für einen Aufenthalt. Brannte in der Schmiede doch immer ein kleines Feuer, auf dem Rolf bei Bedarf Gold einschmolz. Und so war die Werkstatt, neben der Backstube des Bäckers, der wohl am besten beheizte Raum in der ganzen Gegend. Martin trat Rolf des Öfteren den Blasebalg des Feuers, um ihm die nötige Hitze zu verleihen. Rolf mochte den kleinen Martin und war ihm nicht nur für die Hilfe am Blasebalg dankbar, sondern genoss seine Gegenwart als willkommene Abwechslung in seinem Alltag. Obwohl er als Goldschmied vielerlei Kontakte pflegte, und auch sonst in Veihingen angesehen war, war er auf seine Art ein einsamer Mensch. Er hatte keine Frau und wünschte sich auch keine. Auch die Tatsache, dass er sich sehr gut mit Frauen verstand, änderte daran nichts. Er wollte sein Leben viel lieber mit einem Mann teilen. Allein es blieb bei diesem Wunsch. Er traf sich zwar ab und zu mit Männern, die die gleichen Neigungen hatten wie er selbst. Bekannt werden durfte das aber nicht. Wäre es dazu gekommen, hätte er nicht mehr lange zu leben gehabt. Denn derartige Neigungen wurden mit dem Tode bestraft. Und so lebte er allein. Er hatte zwar eine Magd, die ihm im Haus half. Aber da sie nicht bei ihm wohnte, verbrachte er den größten Teil der Zeit alleine in seinem Haus. Besonders einsam war er dann, wenn er sich einmal mehr in eine seiner Männerbekanntschaften verliebt hatte. Doch ließ er seiner Verzweiflung keinen Raum, sondern stürzte sich in seine Arbeit, um darüber seinen Kummer zu vergessen. Vermutungen und Gerüchte über Rolf gab es hingegen zu genüge. Nur seiner gesellschaftlichen Stellung, und seiner Beliebtheit in Teilen der Bevölkerung, hatte er es zu verdanken, dass man in dieser Hinsicht beide Augen zudrückte und nicht weiter seinen Lebensstil hinterfragte.

    Von all dem hatte der kleine Martin natürlich keine Ahnung. Für ihn war Rolf nur jemand, zu dem er immer gehen konnte und der ihn immer freundlich empfing. Wann immer er eine Frage an ihn richtete, gab Rolf ihm bereitwillig Antwort. Ganz anders als die meisten anderen Erwachsenen es taten, wenn er ihnen Fragen stellte, die ihm gerade in den Sinn gekommen waren. Von denen bekam er häufig nur ein: „Dafür bist du noch zu klein. Das verstehst du noch nicht. Und nun sah er Rolf da unten am Ufer der Enz. Im Kreise dieser ihm unbekannten Männer und Frauen. Was machten die Menschen da unten? Wieso gingen sie nicht in die Kirche, wenn sie einem Gottesdienst beiwohnen wollten? Martin war unbehaglich zu Mute. Irgendetwas sagte ihm, dass nicht alles seinen rechten Gang nahm. Da verstummte auf einmal der Gesang und einer der drei im Zentrum des Halbkreises Stehenden ergriff das Wort. Martin konnte noch immer nur wenig verstehen, doch einzelne Worte verstand er sehr wohl. Es war immer wieder vom Herrn, von Jesus und vielen anderen, die Martin aus dem Kirchgottesdienst kannte, die Rede. Aber der Mann, der sprach, war kein Pfarrer. Zumindest war er nicht wie einer gekleidet. Was trieb diese Leute dazu, sich mitten im Wald zu treffen und offensichtlich heimlich einen Gottesdienst abzuhalten? Die Rede des „Geistlichen nahm auf einmal eine Wendung. Seine Stimme wurde lauter, ernster und feierlicher. In den Mienen seiner Anhänger erkannte man pures Entsetzen. Er sprach vom Ende der Zeit und dem bevorstehenden Weltuntergang. Der Tag des Weltgerichtes wäre nicht mehr fern und all die Ungläubigen hätten nichts Gutes zu erwarten. Immer wieder erwähnte er den seltsamen Stern, den einige auch Komet nannten, der im letzten Herbst am Himmel zu beobachten gewesen war. Martin hatte ihn zwischenzeitlich vergessen gehabt, doch mit der Erwähnung der Himmelserscheinung, brach bei dem Jungen erneut die Faszination dafür aus. Die Angst, die die Erwachsenen verbreitet hatten, hatte ihn nicht getroffen. Doch nun, als er den Prediger, davon erzählen hörte, war sie mit einem Mal präsenter als je zuvor.

    Doch Martin hatte keine Zeit, sich von dieser Angst bemächtigen zu lassen. Er hatte nicht aufgepasst, und sich zu sehr auf einem trockenen Ast abgestützt, sodass dieser nachgab und unter einem lauten Knacken brach. Der Prediger verstummte augenblicklich, und alle im Tal sahen sich an.

    „Da ist jemand!"

    Sie wandten ihre Köpfe suchend in die Richtung, in der Martin am Boden kauerte. Er versuchte sich, noch näher an den Grund zu schmiegen, als er es eh schon tat. Sein Herz pochte so stark, dass er es schlagen hörte. Er konnte in den Gesichtern sehen, dass niemand genau wusste, woher das Geräusch gekommen war. Doch die grobe Richtung war ihnen allemal bekannt. Zu Martins Unglück stand die Gemeinde auf derselben Seite der Enz, auf der er sich selbst befand. Hätten sie zuerst die Enz queren müssen, wäre es für Martin ein Leichtes gewesen zu entkommen. So aber wären sie in Windeseile bei ihm, wenn sie erst einmal genau wussten, wo er war. Die Mienen, in die Martin immer noch schaute, verrieten ihm, dass es den Ausgespähten ernst war. Sie würden niemanden, der sie beobachtet hatte, entkommen lassen. Vor allem in den Gesichtern der Frauen war deutlich Angst zu erkennen. Sie fühlten sich, genauso wie Martin es tat, als Gejagte. Martin konnte nicht länger liegen bleiben. Wenn sie genügend Zeit hätten, würden sie ihn irgendwann finden. So begann er langsam, und immer noch tief an den Boden geschmiegt, zurück zu robben. Dass er dabei die Sicht auf seine Verfolger verlor, war ihm überhaupt nicht recht. Aber er hatte keine andere Wahl. Martin hatte das leise Schleichen schon oft geübt. Beim Versteckspiel mit den anderen Kindern von Veihingen hatte er immer sehr viel Spaß. Nur dies war kein Versteckspiel. Er wusste zwar nicht, was mit ihm geschehen würde, wenn er gefasst wurde, aber selbst wenn sie ihn nur zurück nach Hause brachten, und seinem Vater erzählten, dass sie ihn im Wald aufgesammelt hatten, würde er in großen Schwierigkeiten geraten.

    Martin überlegte sich, ob er schon weit genug den Abhang hinter gekommen war, um sich gefahrlos aufrichten zu können. Da wurde ihm ein Stein, den er in seiner Unachtsamkeit losgetreten hatte, und der den Abhang hinunter kullerte, um unten gegen einen Baum zu schlagen, zum Verhängnis. Der dumpfe Aufschlag war offensichtlich auch auf der anderen Seite des Hügels zu hören. Ein aufgeregtes Rufen entstand, und alle Männer rannten zu der kleinen Anhöhe, hinter der sie das Geräusch vernommen hatten. Das dumpfe Trampeln der Füße auf dem feuchten Waldboden versetzte Martin in Todesangst. Er sprang auf und rannte, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen, davon.

    Als sie die Anhöhe erreicht hatten, sahen die Männer nur kurz eine Gestalt, die sofort hinter den jungen Trieben der Bäume und Sträucher verschwand. Das Geräusch von brechenden und zurückschlagenden Ästen verriet ihnen jedoch schnell, welchen Weg sie nehmen mussten, um den Spion zu erreichen. Sie jagten ihm hinterher, wie die Hundemeute hinter einem Fuchs. Doch was sollten sie tun, wenn sie ihn gefangen hätten. Ihr Glaube untersagte ihnen jegliche Art von Gewalt. Auf der anderen Seite waren sie selbst in Lebensgefahr. Wer auch immer sie beobachtet hatte, barg nun ein tödliches Geheimnis. Würde ihre Identität bekannt werden, müssten sie alle die Todesstrafe fürchten. So war es der pure Selbsterhaltungstrieb, der sie handeln ließ. Nachdem sie den Abhang hinunter gestürmt waren, wurde die Verfolgung schwerer. Der Flüchtige war nirgends zu sehen. Es gab nur eine Möglichkeit, wo er geblieben sein konnte. In einiger Entfernung tat sich eine Wand aus dicht stehenden, jungen Tannenbäumen auf. Die Jäger rannten auf das Tannenwäldchen zu und tauchten in das Gewirr der jungen Tannentriebe ein. Sie versuchten sich mit ihren Armen, vor den zurückpeitschenden Ästen zu schützen, doch sie kamen nur sehr mühsam voran. Wie konnte sich der Gejagte nur freiwillig in dieses Gebiet geflüchtet haben? Ihm müsste es doch genauso ergehen. Da sie nun gar nichts mehr sehen konnten, mussten sie immer wieder innehalten, um zu hören, wohin der Spion zu entkommen drohte. Doch wurden die Geräusche, die sie wahrnahmen, von dem Gejagten, oder von einem anderen Jäger verursacht? Keiner konnte das mit Sicherheit sagen, und so tappten sie weiter im Dunkeln. Das Blatt schien sich gegen sie zu wenden. Denn schneller als gedacht traten sie aus dem Tannenwäldchen heraus und ein lichter Laubwald tat sich auf. Abermals konnten sie einen Blick auf das Ziel ihrer Jagd erhaschen. Doch auch diesmal waren es nur Sekundenbruchteile, bis es nicht mehr zu sehen war. Immerhin hatten sie aber wieder eine genauere Vorstellung, wohin sie rennen mussten.

    Martins Angst wich nach und nach einem Triumphgefühl. Der Umweg durch das Tannenwäldchen hatte sich ausgezahlt. Seinen kleinen Körper konnte er viel leichter durch das Dickicht zwängen, als dies einem Erwachsenen möglich war. Nun musste er zwar noch eine lichte Stelle überwinden, doch bald schon würde er die kleine Höhle, von deren Existenz nur er wusste, erreicht haben. Er war sich sicher, dass ihn darin niemand finden würde. Selbst wenn seine Jäger den Eingang ausfindig gemacht hätten, könnten sie wohl kaum die schmalen Stellen passieren, in die er sich gerade noch zwängen konnte. Ganz war die Angst dennoch nicht verschwunden, war er sich doch nicht sicher, ob man ihn nicht gesehen hatte. Wenn jemand beobachtete, wie er in die Höhle schlüpfte, würde sein sicheres Versteck, zur ausweglosen Falle werden. So peitschten seine Füße durch die spärliche Vegetation, ohne groß den Boden zu berühren. Er konnte den Eingang seines Versteckes schon erkennen. Einem Ortsunkundigen würde die Stelle nicht auffallen. Zu dicht war, selbst zu dieser Jahreszeit, das Gestrüpp, das den Eingang verbarg. Die Stimmen seiner Verfolger, die sich immer wieder zuriefen, um nicht eine falsche Richtung einzuschlagen, mobilisierten seine letzten Kräfte. Noch ein paar Schritte, und er würde in ein Meer aus Ästen und Blättern tauchen. Er betete, dass er dabei unbeobachtet blieb. Aus vollem Lauf warf er sich auf den Boden und rutschte auf dem feuchten Grund unter den ersten Strauch. Flach geduckt robbte er auf allen vieren und war auch schon in seiner Höhle verschwunden. Er kauerte sich in eine Ecke, in der er, selbst wenn der Eingang entdeckt werden sollte, nicht gesehen werden konnte. Er zog Arme und Beine an und verharrte wie ein Fötus im Mutterleib. Sein Atem raste. Eine neue Angst packte ihn. Konnte man sein Keuchen hören? Er versuchte, sich zu beruhigen und langsamer zu atmen. Doch die Flucht hatte ihm alles abverlangt und sein Körper schrie nach Luft.

    Karin hing die Wäsche im kleinen Hof hinter dem Haus auf. Heute würde sie dort schnell trocknen. Es war ein herrlicher Tag. Endlich ließ sich der Frühling blicken. Sie hasste den Winter. Das kalte feuchte Wetter und die frühe Dunkelheit legten sich ihr noch mehr aufs Gemüt, als den meisten anderen. Doch heute ging es ihr gut. Nur eines sorgte sie. Wo war Martin? Der kleine Junge blieb immer häufiger den ganzen Tag über verschwunden. Aber sie konnte sich ja nicht um alles kümmern. Es war ja nicht ihr Kind. Und doch erwartete man von ihr, sich um den Jungen zu kümmern. Martin machte ihr das nicht immer leicht. Immer öfter blieb er weg, um alles Mögliche zu beobachten. Das Wesen der Natur übte einen ganz besonderen Reiz auf ihn aus. Das Verhalten der Tiere faszinierte ihn. Für Karin war es vollkommen unergründlich, wie sich ein kleiner Junge derart dafür begeistern konnte. Doch hätte sie gewusst, welche Gedanken Martin mit seinen Nachforschungen verband, sie hätte ihm jegliches Herumstreunen auf der Stelle verboten. Der Flug der Vögel, der Kampf zweier Hunde oder Katzen, das Grasen von Schafen, Pferden und Kühen und noch vieles mehr waren für ihn die spannendste Unterhaltung. Die Jagd einer Katze nach einer Maus, und das anschließende Spiel mit dem sterbenden Tier, erschreckten und faszinierten ihn gleichermaßen. Zum einen hatte er Mitleid mit der geschundenen Kreatur. Zum anderen konnte er die Freude spüren, die die Katze ganz offensichtlich dabei empfand. Immer wieder warfen die Katzen ihre Beute in die Höhe. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sich eine gewisse Enttäuschung breitmachte, wenn die Maus sich dann nicht mehr rührte. Das war der Moment, in dem die Katzen häufig das Interesse an ihrer Beute verloren. Sie ließen sie links liegen und kehrten erst später zurück, um sie zu verschlingen. Was hatte das für einen Sinn? Wieso fraßen die Katzen die Mäuse nicht gleich auf?

    Aber nicht nur die großen Tiere, nein, auch die Arbeit der Ameisen oder der Bienen konnten ihn über Stunden gefangen nehmen. Das Frühjahr war für die Beobachtung von Tieren eine ganz besondere Zeit. Viele von ihnen benahmen sich äußerst sonderbar. Die Vögel zwitscherten wie sonst zu keiner Jahreszeit. Manche tanzten und plusterten sich dabei auf. Andere Tiere wälzten sich im Dreck und gaben ganz ungewöhnliche Laute von sich. Ihm schien, die Tiere wären alle betrunken. Er hatte auch schon ein paar Erwachsene gefragt, was denn nur mit ihnen los sei. Die Antworten, die er bekam, waren aber alles andere als befriedigend. „Da bist du noch zu jung dafür., oder einfach nur „Das wirst du später noch erfahren., waren die Häufigsten. Manche wurden darüber ein wenig rot und mahnten ihn, mit gestrecktem Zeigefinger vor gespitzten Lippen, zur Ruhe. Doch seine Beobachtungen ließen ihm keine Ruhe. Irgendetwas wurde vor ihm verheimlicht. Spätestens als er ein paar Bauern beobachtete, die einen Bullen zu einer Kuh führten, wurde ihm das klar. Unter wilden Kommentaren, und lautem Gelächter, beobachteten die Bauern, und mit ihnen, ohne dass es jemand bemerkte, der kleine Martin, das Tun des Bullen. Der Bulle beschnupperte zuerst das Hinterteil der Kuh, um sich dann aufzurichten und von hinten auf seine Artgenossin zu steigen. Die Vorderläufe fest in die Seite des weiblichen Tieres gedrückt, begann der Bulle mit rhythmischen Bewegungen. Sein Atem ging dabei schwer und bildete große Dunstwolken in der kühlen Frühjahrsluft. Die Zunge des Bullen hing aus seinem Hals, als wäre er seinem Ende nahe. Nach wenigen Sekunden war das Spektakel vorbei, und der Bulle stieg wieder herab. Sichtlich erschöpft wurde er wieder weggeführt.

    Ähnliches hatte er aber auch schon bei anderen Arten beobachtet. Der Hund eines Nachbarn verfuhr in ganz ähnlicher Weise mit einer dahergelaufenen Hündin. Zuvor hatte die Hündin sich vor dem Rüden aufgebaut, ihr Hinterteil in die Höhe gestreckt, den Artgenossen immer wieder beschnuppert und sich auch selbst beschnuppern lassen. Verhielten sich alle Tiere in dieser Weise? Martin musste unbedingt mehr darüber herausfinden. Seine Beobachtungstouren wurden dabei immer länger. Er vergaß darüber immer häufiger die Zeit, und dass er wieder nach Hause musste.

    Es war schon spät geworden. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Von Martin fehlte weiterhin jede Spur. Zum Glück war sein Vater noch nicht zurückgekehrt. Wenn er nicht wusste, wo sein Sohn war, konnte der sonst friedliebende Mensch sehr zornig werden. Karin beschloss zu Rolf, dem Goldschmied, zu gehen. Martin war in den letzten Monaten immer wieder bei ihm gewesen und hatte ihn bei seiner Arbeit beobachtet. Sie war selbst häufig dort. Nicht etwa um nach Martin zu schauen, nein, sie mochte es vielmehr selbst in Rolfs Nähe zu sein. Seine ruhige Art gefiel ihr sehr. Und wenn er bei seiner Arbeit war, war nicht nur ein kleiner Junge davon fasziniert. Mit welchem Geschick seine Hände die kleinsten Details aus einem Stückchen Metall formten, hatte etwas Magisches. Schon wenn man seine Werkstatt betrat, hatte man den Eindruck, man trete in das Reich eines Zauberers ein. In der Mitte, dieses Reiches, stand ein Tisch mit verschiedenen Einbuchtungen. Unter diesen Einbuchtungen hing jeweils ein Leder, worüber Rolf Feilarbeiten ausführte. Auf diese Weise konnte er den Gold- und Silberstaub auffangen und später wieder einschmelzen. Sein Schmelzofen, die Esse, nahm einen Platz auf der der Eingangstüre gegenüberliegenden Seite ein. Ein Blasebalg war daneben am Boden angebracht. Martins größte Freude war es, wenn er diesen treten durfte. Rolf bat ihn immer wieder darum, nicht nur, da er den Jungen mochte, sondern weil es eine echte Hilfe für ihn war. Das Magischste aber war ein Kasten mit verschiedenen Flüssigkeiten, mit denen Rolf die Metalle von Verunreinigungen befreite. Goldschmiede waren immer auch Alchemisten. Der Umgang mit den Essenzen erforderte viel Erfahrung, und war zudem nicht ungefährlich. Leicht konnte man sich daran verätzen. Zu guter Letzt gab es noch eine Vielzahl von Maschinen und Werkzeugen, mit deren Hilfe man Drähte und Bleche ziehen, biegen und dengeln konnte.

    Karin hatte zu Rolf ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut. Rolf hatte zwar eine Magd, die ihm seinen Junggesellenhaushalt in Ordnung hielt, doch dieser erlaubte er nicht, in seiner Werkstatt für Ordnung zu sorgen. Zu kostbar waren die Materialien, mit denen er arbeitete und zu wenig vertraute er ihr. Nur Karin durfte ihm in seiner Werkstatt beim Saubermachen zur Hand gehen. Er ließ sie zuweilen sogar für kurze Zeit alleine in der Werkstatt zurück, was der größte Vertrauensbeweis überhaupt war. Karin machte sich Hoffnungen, dass daraus einmal mehr erwachsen würde. Auch wenn Rolf einige Jahre älter war als sie selbst, empfand sie doch sehr viel mehr als nur Sympathie für ihn. Dass er noch nie eine Frau hatte, verwunderte zwar so manchen, doch sie würde schon einen Weg in sein Herz finden. Dessen war sie sich sicher.

    Sie klopfte an seine Haustüre, doch niemand antwortete. Sie wollte schon wieder umkehren, als sie ein wenig stolperte und dabei gegen die Türe drückte. Zu ihrer Verwunderung ließ sie sich öffnen. Karin trat ein. Sie rief nach Rolf, bekam aber abermals keine Antwort. Es kam ihr alles sehr merkwürdig vor. Sie hielt sich links und drückte den Türgriff der Werkstatttür hinunter. Auch die war unverschlossen. Rolf musste also zu Hause sein. Wieso antwortete er ihr dann nicht? Oder waren etwa Diebe hier gewesen? Nein. In seiner Werkstatt war alles ordentlich und an seinem Platz. Da fielen ihr ein paar Dreckklumpen auf, die den Weg von der Haustüre in den Arbeitsraum säumten. Auch auf dem Weg zur Küche waren solche Spuren zu erkennen. Sie folgte ihnen und rief nochmals nach Rolf. Keine Antwort. An der Küchentüre angekommen, hörte sie, dass jemand in der Küche sein musste. Sie klopfte an.

    „Einen Moment.", hörte sie Rolfs Stimme sagen.

    „Rolf?"

    „Ja."

    „Ist alles in Ordnung?"

    „Ja, ja."

    „Kann ich reinkommen?"

    „Nein, ich zieh mich gerade um."

    „Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du Martin gesehen hast?"

    Rolf öffnete die Türe einen kleinen Spalt, gerade genug, damit er seinen Kopf hinausstrecken konnte.

    „Martin? Nein, denn habe ich heute noch nicht gesehen."

    Rolf machte einen verwirrten Eindruck. Beim Küchentisch konnte Karin seine Schuhe erkennen. Sie waren voller Schlamm.

    „Ist wirklich alles in Ordnung?"

    „Ja, ja doch. Ich bin nur im Schlamm ausgerutscht und habe alles dreckig gemacht."

    „Martin ist noch nicht nach Hause gekommen. Ich dachte, vielleicht finde ich ihn bei dir."

    „Nein, hier ist er nicht. Ich war den ganzen Tag unterwegs und bin auch erst gerade zurückgekehrt."

    „Na schön, dann will ich ihn mal weiter suchen. Bis bald. Und eine gute Nacht wünsch ich dir."

    „Wünsch ich dir auch."

    Das hatte Rolf gerade noch gefehlt. Er war eben erst zur Türe hereingekommen, und hatte seine Utensilien, die er für den Gottesdienst gebraucht hatte, hinter einem losen Mauerstein in seiner Werkstatt verstaut, als er es an der Haustüre klopfen hörte. Schnell war er aus der Werkstatt in die Küche verschwunden, in der Hoffnung nicht bemerkt zu werden. Wie sollte er seinen Zustand erklären? Sie hatten stundenlang nach dem Spion gefahndet, konnten ihn aber nicht finden. Die Angst hatte sich auf ihrer aller Gemüt gelegt. Die Angst, verraten zu werden. Die Angst, verhaftet und gefoltert zu werden. Die Angst, unter der Folter Dinge preiszugeben, die auch noch andere ins Verderben stürzen konnten. Die Angst, vor dem Ende ihrer kleinen Glaubensgemeinschaft. Und nicht zuletzt die Angst vor dem Tod, der ihnen allen drohte, wenn man erst heraus fand, dass sie einer Täufergemeinde angehörten. Dabei wollten sie doch nichts Böses. Sie wollten nur ihren Glauben leben dürfen, streng nach der Heiligen Schrift. Die katholische Kirche war ihnen verhasst. Aber auch die Reformatoren gingen ihnen nicht weit genug. Vor allem aber zogen die Vertreter der offiziellen Kirche die falschen Schlüsse aus dem heiligen Buch. Wo stand denn geschrieben, dass man kleine Kinder taufen solle? Vollzog Johannes der Täufer die Taufe an Kindern? Nein, er taufte nur Erwachsene, die wussten, was sie taten. Selbst ihrer aller Herr wurde erst als Erwachsener von ihm getauft. Die Taufe solle, ihrer Auffassung nach, nur an dem vollzogen werden der ihren Sinn verstand und sich aus freien Stücken dazu bekannte. Sie wurden deshalb auch oft als Wiedertäufer bezeichnet. Ein Begriff, den sie zutiefst verabscheuten. Ihre eigenen Kinder ließen sie möglichst erst gar nicht von einem Amtpfarrer taufen. Dies ging natürlich nicht immer, wäre doch die Gefahr der Enttarnung viel zu groß gewesen. Doch selbst wenn die Taufe an einem Säugling vollzogen wurde, erkannten sie diese nicht an. Für sie war es nur ein gotteslästerlicher Akt. Und so stellte für sie die Taufe im erwachsenen Alter nicht eine Neue, sondern eine erste Taufe dar. Aber auch andere Dinge standen zwischen ihnen und der Amtskirche. So lehnten sie öffentliche Ämter ab, verweigerten den Dienst an der Waffe und standen größerem Privateigentum sehr skeptisch gegenüber. Der Wohlstand, der erarbeitet wurde, sollte allen zur Verfügung stehen. So wurden sie im Verständnis ihrer Mitmenschen zu Ketzern, und mussten ihre Aktivitäten stets im Verborgenen betreiben. Nicht wenige ihrer Mitbrüder und -schwestern waren in ihrer rund 50-jährigen Vergangenheit aufgeflogen, und meist, in der Regel nach kurzem Prozess, zum Tode verurteilt worden.

    Aus diesem Grund musste er schnell alle Spuren verschwinden lassen. Doch die Angst vor dem Spion blieb. Wer hatte sie nur beobachtet? Es war auf alle Fälle kein Tier. Sie hatten mehrmals sehen können, dass ihnen jemand entwischt war, der Kleidung trug. Doch wie konnte er nur so spurlos verschwunden sein? Sie hatten alles abgesucht, doch es fand sich kein Hinweis, wo er abgeblieben sein konnte. Auf der anderen Seite war Rolf fast froh, dass sie ihn nicht aufgespürt hatten. Was hätten sie auch mit ihm anstellen sollen? Natürlich hätten sie ihn befragt, wer er war und für wen er arbeitete. Vielleicht hätten sie es sogar heraus bekommen. Aber danach? Was hätten sie danach mit ihm anstellen sollen? Sie konnten ihn ja schlecht einfach laufen lassen. Gefangen halten? Wenn ja, wo? Töten? Gegen Gottes Gebot verstoßen, um ihre Gemeinde in dieser Welt zu schützen und ihnen den Eintritt in das Reich Gottes für immer zu verwehren? Nein, es war schon besser, dass sie ihn nicht erwischt hatten. Am Ende wäre auf alle Fälle gestanden, dass sie sich alle versündigt hätten. Aber die Angst aufzufliegen blieb dennoch.

    Und nun trat Karin in sein Haus und brachte sie zusätzlich in Gefahr. Als er in der Werkstatt war, hatte er es nur klopfen gehört. Er hoffte, dass wer immer es war, schnell wieder verschwinden würde. Doch als er Karins Stimme erkannte, wusste er, dass diese nicht so schnell wieder gehen würde. Eigentlich mochte er das hübsche junge Mädchen, aber sie konnte auch ganz schön aufdringlich sein. Es war ihm auch nicht entgangen, dass sie sich für ihn interessierte. Und der Gedanke, sie zur Frau zu nehmen und damit sein zweites großes Geheimnis zu verbergen, war ihm schon oft gekommen. Aber was sollte er dann mit ihr anfangen? Er machte sich nun mal nichts aus Frauen. Junge, gut gebaute Männer erregten ihn. Aber Frauen? Er verstand sich zwar gut mit ihnen, aber sie zu küssen, sie zu streicheln oder sich gar mit ihnen zu vereinigen, kam ihm nie in den Sinn. Schon der Gedanke daran war ihm regelrecht zuwider. Und Karin nur als Alibi zu benutzen und sie damit ins Unglück zu stürzen, brachte er auch nicht über sein Herz. Außerdem konnte er ja nicht sicher sein, ob sie sein Geheimnis für sich behalten würde, wenn sie erst einmal dahinter gekommen wäre. Und als seine Frau würde sie das früher oder später tun. So war er ihr gegenüber immer sehr reserviert, was Karin aber offensichtlich nicht zurückschreckte.

    Er war sehr erleichtert, als er merkte, dass sie auf der Suche nach Martin war. Das bedeutete, dass sie nicht lange bleiben konnte. Wo trieb sich Martin nur wieder herum? Auf ihn acht zu geben, glich der Aufgabe, einen Sack Flöhe zu hüten. Er war immer in Bewegung, immer auf der Suche. Wenn ihn gerade mal keine Frage quälte, auf die er keine Antwort wusste, so fand er schnell etwas, das ihm Rätsel aufgab. Und ganz egal, wie genau man seine Fragen beantwortete, führten die Ausführungen doch immer wieder zu neuen Fragen. Er war schon erstaunlich wissbegierig. Rolf mochte ihn, nicht nur weil er ihm bei seiner Arbeit zuweilen eine echte Hilfe war. Aber seine ewige Fragerei ging ihm immer mehr auf die Nerven. Vor allem dann, wenn Martin es schaffte, ihn mit ein paar Fragen, selbst an die Grenzen seines Wissens zu führen. Oder wenn die Antworten auf seine Fragen noch nicht für seine Ohren bestimmt waren. Mit der Antwort „das ist noch nichts für dich oder „das erkläre ich dir, wenn du älter bist gab er sich einfach nicht zufrieden. Wenn man resolut genug war, gab er das Nachfragen zwar irgendwann auf, aber er hockte sich in irgendeine Ecke, beschäftigte seine Hände mit was auch immer gerade greifbar war, und grübelte. Doch die Frage blieb in ihm und er fand nicht eher Ruhe, bis dass er darauf eine Antwort hatte.

    Martin kauerte noch immer in seinem Versteck. Die Stimmen seiner Verfolger waren zwar schon eine Weile nicht mehr zu hören, er war sich aber nicht sicher, ob er sich schon hinaus wagen konnte. Nur langsam kroch er vorwärts. Er erwartete, dass es heller würde. Doch das tat es nicht. In seiner Aufregung hatte er die Zeit komplett vergessen. Er hatte sich überhaupt keine Gedanken gemacht, wie spät es war. Lange hatte er die Männer noch gehört, die nach ihm suchten. Immer wieder sagten sie „Hier her!, oder „Wo kann er nur sein?, und Ähnliches. Einige Male meinte er auch Rolfs Stimme, erkannt zu haben. Als es dann endlich still war, war er vermutlich eingeschlafen. Und nun war es schon fast dunkel. Nur wenig Licht, der längst untergegangenen Sonne, half ihm, den Weg nach Hause zu finden. Obwohl er so spät dran war, wollten seine Beine nicht schneller gehen. Er würde großen Ärger bekommen. Seine einzige Hoffnung war, dass sein Vater, wie so oft, auch heute erst spät zurückkommen würde. Karin würde zwar genauso mit ihm schimpfen, doch das verletzte ihn nie so sehr wie der Tadel seines Vaters. Außerdem schlug sie nicht so fest zu, wie es sein Vater tat. Und Prügel würde er erhalten, so viel war sicher. So schlich er vor sich hin, und mit jedem Schritt wurde ihm banger ums Herz.

    Es waren nicht die letzten Prügel, die Martin in seinem Leben bekommen hatte. Obwohl er sich so fest vorgenommen hatte, artig zu sein, wollte es nicht immer klappen. Doch in den ersten Wochen nach seiner Beobachtung im Wald mied er diesen eh. Er half seinem Vater oder Karin, spielte mit den anderen Kindern Veihingens und achtete stets darauf, pünktlich wieder zu Hause zu sein. Ansonsten verhielt er sich wie immer; wagte es nicht, jemanden von seinem Erlebnis zu erzählen. Nur zu Rolf ging er nicht mehr. Wusste er doch nicht, ob er ihn erkannt hatte. Noch schlimmer aber war, dass er nicht wusste, mit was für seltsamen Menschen sich Rolf eingelassen hatte. Diese Frage nagte in ihm, aber er konnte sie natürlich niemanden stellen. So versuchte er, so unauffällig wie möglich, mehr über die Gruppe in Erfahrung zu bringen. Bei der Predigt im Wald hatte die Rede vom Ende der Welt den größten Eindruck bei Martin hinterlassen. Deshalb wandte er sich an Pfarrer Armleder, der vom Jucken mehrerer Flohbisse geplagt, auf einer Bank in der Sonne saß. Martin setzte sich zu ihm und brach, nach einer kurzen Begrüßung, mit der Frage heraus: „Wird es unsere Welt immer geben?"

    Pfarrer Armleder wurde blass und Martin meinte, in seinen Zügen dieselbe Furcht erkennen zu können, wie in den Gesichtern der Menschen im Wald. Sich heftig kratzend entgegnete er: „Was stellst du denn nur für Fragen, mein Sohn?"

    „Ich habe jemanden vom nahen Ende der Welt reden hören."

    „Es wird der Tag kommen, an dem Gott sie zu einem Ende bringen wird. Das stimmt."

    „Und dann wird es sie und uns nicht mehr geben?"

    „Das weiß Gott allein. Nur er entscheidet, was er mit uns machen wird. Wir alle werden uns dann vor dem Weltengericht verantworten müssen, und Gott wird uns ein für alle Mal in Gut und Böse scheiden, um den Guten sein Reich zu schenken. Du kennst doch das ´Vater unser´? Darin heißt es doch, Dein Reich komme."

    „Ja, das kenn ich."

    „Siehst du, wir beten alle, dass dieser Tag bald kommen werde."

    „Und wann wird er kommen?"

    „Ich glaube, er ist nicht mehr fern. Es gibt da verschiedene Zeichen …."

    „Was denn für Zeichen?"

    „Erinnerst du dich an den letzten Winter? An diesen riesigen Stern, mit dem langen Schweif?"

    „Ja."

    „Ich bin mir sicher, dass er ein Zeichen Gottes war."

    „Werden wir denn alle sterben?"

    „Wir sind doch gute Christen. Für uns ist der Tod eine Erlösung. Wir können darauf hoffen, dass wir den Weg in den Himmel finden werden."

    Die Stimme des Pfarrers wirkte stark und überzeugt wie eh und je. Doch in seinem Gesicht konnte man erkennen, dass da Zweifel waren.

    „Und wenn wir nicht gut waren?"

    „Für alle Sünder und für alle Ungläubigen stehen das Fegefeuer und die Feuer der Hölle bereit."

    Schweiß bildete sich auf des Pfarrers Stirn. Seine runden, roten Backen konnten die Furcht in seinen Augen nicht verbergen.

    „Was sind Ungläubige?"

    „Alle die keinen rechten Glauben haben. Juden, Muslime, aber auch Christen, die falsche Überzeugungen vertreten."

    Von Juden hatte Martin schon gehört. Aber was waren Muslime? Und wie immer wenn ihn eine Frage bohrte, konnte er nicht lange damit zurückhalten: „Was sind Muslime?"

    Der Pfarrer wirkte wie aus einem Traum gerissen und wiederholte völlig überrascht: „Muslime?"

    Erst nach einer längeren Pause setzte er zu einer Antwort an: „Ja, weißt du, das ist nicht einfach zu erklären. Das sind Menschen die glauben nicht an Gott. Sie glauben an einen, den sie Allah nennen. … Hast du schon mal von den Türken gehört?"

    Der Pfarrer konnte Fragen stellen. Natürlich hatte Martin schon von den Türken gehört, jedes Kind hatte das. Und nicht nur die Kinder, nein, ganz Europa lebte in Furcht vor ihnen. Seit dem Herbst des Jahres 1529 waren die Türken das Schreckgespenst der christlichen Welt. Nur mit vereinten Kräften war es damals gelungen, die Belagerung der Stadt Wien abzuwenden. Wäre Wien damals in die Hände der Türken gefallen, wäre ihr Einfall auch im Rest von Europa nur schwer zu stoppen gewesen. Diese Angst war auch der Grund dafür, dass man sich einig wie selten war, und vor allem die Truppen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen eilten herbei und halfen, die Türken zu besiegen. Die Stadt Wien ließen sie danach zwar in Ruhe, doch immer wieder griffen sie Städte im Reich an. Mannigfaltig waren die Geschichten von den Gräueltaten, die die Türken dabei begingen. Ob in Ungarn, das seit dem Jahr 1526 unter türkischer Herrschaft stand, der Steiermark, oder anderen Gegenden, überall wo die Türken hinkamen, hinterließen sie Tod und Verwüstung. Dass solchen Heiden der Weg in Gottes Reich versperrt bleiben sollte, leuchtete Martin ein. Doch eine Frage nagte weiter an ihm.

    „Aber was sind die richtigen Überzeugungen."

    Überrascht von dem Gedankensprung des Jungen musste der Pfarrer erneut überlegen und antwortete schließlich: „Die Lehren Luthers, mein Junge. Er hat uns den rechten Weg gezeigt."

    „Und alle anderen …?"

    „… sind verloren. Für immer und ewig."

    Martin versuchte, das Gehörte zu verstehen. Wie konnte der Pfarrer nur so sicher sein, dass ihr Glaube der Richtige war? Und vor allem anderen, wieso hatte der Pfarrer ganz offensichtlich trotzdem Angst vor dem Reich Gottes?

    So saßen beide eine ganze Weile beieinander, jeder in Gedanken vertieft, bis endlich der Ältere wieder das Wort ergriff: „Wer hat denn vom Ende der Welt gesprochen?"

    „Ich weiß nicht, wer es war, ich kenne ihn nicht."

    „War es denn jemand aus unserer Gemeinde?"

    „Ich glaube nicht."

    Martin wurde ganz unbehaglich. Worauf wollte der Pfarrer hinaus? Wieso bohrte er so nach?

    „Aber es war hier in Veihingen?"

    Martin schüttelte den Kopf, sprang auf und lief, so schnell ihn seine Beine trugen, davon. Er konnte nicht riskieren, dass er mehr verriet, als ihm lieb war.

    Pfarrer Armleder wurde stutzig. Eigentlich wollte er nur erfahren, wer sich solcherlei Sorgen machte. Aber diese panische Reaktion von Martin gefiel ihm gar nicht. Etwas verheimlichte der Junge. Was konnte es nur sein?

    Rolf war hoch konzentriert. Das Medaillon, das er aus dünnem Kupferblech gefertigt hatte, war nun bereit erhitzt zu werden. Lieber hätte er das Stück aus purem Gold hergestellt, doch pures Gold konnten sich nicht viele leisten. So vergoldete er, wie die meisten seiner Berufskollegen, den Großteil seiner Schmuckstücke. Das Gold musste in einer hauchdünnen Schicht aufgebracht werden. Dazu wandte er eine alte Technik an. Zuerst wurde Gold, mit Vorliebe der Goldstaub, der beim Feilen von Goldstücken abfiel, sehr fein verrieben. Dieses Goldpulver mischte er dann mit Quecksilber. Das Geheimnis hierbei war, dass das Mischungsverhältnis stimmte. Auf einen Teil Goldstaub, mussten genau acht Teile Quecksilber kommen. Nur so hatte das Gemisch die richtige Konsistenz, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Nahm man zu viel Quecksilber, war die Mischung zu dünn, und das zu vergoldende Stück wurde zu schwach benetzt, wodurch Lücken in der Vergoldung entstanden. Nahm man zu viel Gold, war die Paste zu dick und sie bildete sehr schnell Kristalle. Einmal auskristallisiert war die Mischung nicht mehr zu gebrauchen, da sie sich nicht mehr verstreichen ließ. Man musste sie dann einschmelzen, bis das Quecksilber verdunstet war und man den übrig gebliebenen Goldklumpen wieder verarbeiten konnte. Aber auch beim Einhalten der richtigen Verhältnisse bestand die Gefahr, dass sie auskristallisierte. Deshalb musste man zügig arbeiten. Rolf legte das Medaillon in das vorbereitete Holzkohlefeuer. Karin half ihm den kleinen Blasebalg zu betätigen. Bei solchen Arbeiten war er immer froh, wenn ihm jemand zur Hand ging. Denn die nächste Schwierigkeit war, dem Feuer nicht zu viel Luft zuzuführen. Es durfte auf keinen Fall zu heiß werden. Auf Karin konnte er sich verlassen, sie befolgte genau seine Anweisungen. Für Martin wäre es zu schwer gewesen, dem Feuer genau die richtige Menge Luft zuzuführen. Immer wieder bettelte er darum, auch den kleinen Blasebalg treten zu dürfen. Doch ließ er ihn lieber den großen Blasebalg treten, der weit weniger Feingefühl benötigte. Aber da der Junge sich eh nicht mehr bei ihm blicken ließ, musste er ihn diesbezüglich auch nicht vertrösten. Rolf fragte sich immer wieder, was mit Martin los war? Seit geraumer Zeit ging er ihm geradezu aus dem Weg.

    Nun musste Rolf das erhitzte Werkstück wieder und wieder mit dem Amalgam bestreichen. Ein einmaliges Auftragen des Amalgam wäre viel zu dünn und würde sich sehr schnell abgreifen. Der Moment, indem die Temperatur hoch genug war, und das Quecksilber aus der Masse verdampfte, war ein erhabener. Schlagartig sprang die Farbe von Silber zu einem Goldton um. Nur kurz verschwand dieser Ton wieder, wenn Rolf erneut eine Schicht Amalgam auftrug. Nachdem er genügend Schichten aufgetragen hatte, und alles Quecksilber verdampft war, nahm er das Medaillon aus der Hitze, und schreckte es in kühlem Wasser ab. Rolf war zufrieden mit seiner Arbeit. Das Medaillon war gleichmäßig mit Gold überzogen. Noch war es Matt. Doch bald würde es, durch viel polieren, unter seinen Händen zu glänzen beginnen, und nur ein Fachmann würde erkennen können, dass es nicht aus massivem Gold hergestellt war.

    „Du kannst zaubern!, bewunderte ihn Karin „Wie machst du das nur?

    „Das kann ein jeder Goldschmied.", erwiderte er bescheiden.

    Rolf drehte das Medaillon in seiner Hand und streckte es ihr entgegen. Langsam griff sie danach. Sie strich sanft über die matte Oberfläche des Medaillons, ohne es Rolf wegzunehmen. Sie drehte ihre Hand und strich dabei über Rolfs Fingerspitzen. Am liebsten wäre sie dabei im Boden versunken, und obwohl ihr ein Impuls etwas anderes hieß, ließ sie ihre Hand in der seinen liegen. Ihre Knie zitterten und sie spürte, dass auch Rolf erregt war. Immer mehr legte sie das Gewicht ihres Armes in seine Hand. Zuerst blieb ihr Blick auf dem Medaillon haften, doch dann hob sie ihren Kopf und sah in Rolfs Gesicht. Rolf saß mit gesenktem Haupt, den Blick noch immer auf das Schmuckstück gerichtet, auf seinem Stuhl und rührte sich nicht. Karins Atmung ging schnell. Ihre kleinen, aber wohlgeformten Brüste begangen zu beben. Als sein Blick nach oben schweifte, meinte Rolf in ihrem Dekolleté, sogar ihren Herzschlag erkennen zu können. Er sah weiter hinauf, folgte ihrem Hals und ihrem Kinn, bis sein Blick über ihren sinnlichen Mund streifte, und endlich ihre Augen traf. Sie tauschten einen tiefen Blick. Erst dann löste Karin ihre Hand aus der Hand Rolfs, und begann, mit einem Lächeln auf den Lippen, unendlich zärtlich über sein Gesicht zu streichen. Es gefiel ihr, wie seine Augen dabei immer wieder von ihrer Hand über ihren Körper bis hin zu ihrem Gesicht wanderten. Sie drehte abermals ihre Hand, erkundete mit ihren Fingerkuppen die kleinen Falten um seine Augen, seine Bartstoppeln und schließlich seinen Mund. Leicht schob sie mit ihrem Daumen seine Unterlippe nach unten. Endlich nahm sie sein Gesicht in beide Hände, beugte sich zu ihm hinunter, und begann ihn leidenschaftlich zu küssen. Sie spreizte ihre Beine, setzte sich vorwärts auf seinen Schoß, zog seinen Kopf fest an sich heran, und presste seine Lippen auf die Ihrigen.

    Rolf wusste nicht, wie ihm geschah. Karins forsches Vorgehen hatte ihn so überrascht, dass er wie gelähmt war. So ließ er es einfach über sich ergehen. Dabei war es ihm, zu seiner eigenen Überraschung, nicht einmal unangenehm. Es erregte ihn durchaus, wie er an dem Druck in seiner Hose, feststellen konnte. Und doch war es nicht das, wovon er träumte. Wirre Gedanken jagten durch seinen Kopf. Könnte er doch ein normales Leben führen? Könnte er sein Verlangen unterdrücken, oder gar gänzlich besiegen? Könnte er sich vollkommen in die Gemeinschaft integrieren? Denn obwohl er durchaus angesehen war, fühlte er sich nie vollkommen dazugehörig. Ein Mann in seinem Alter, der noch nie verheiratet gewesen war, und es ganz offensichtlich vorzog, allein zu leben, machte sich immer verdächtig. Und dann war da noch sein neuer Glaube. Natürlich wusste niemand davon. Hätte es jemand gewusst, so hätte er schnellstens verschwinden müssen. Aber er wusste es, und dieses Wissen grenzte ihn zudem aus. Nun saß da dieses junge Mädchen auf seinem Schoß und küsste ihn, wie es noch nie zuvor in seinem Leben eine Frau getan hatte. Alles schien auf einmal möglich. Aber dieses Alles beinhaltete auch das plötzlich Auffliegen, die Verbannung oder gar den Tod. Was wenn Karin seine Geheimnisse erkannte? Würde sie trotzdem zu ihm stehen? Was wenn er nicht in der Lage wäre, seinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Würde sie es akzeptieren können? Würde der Wunsch nach Kindern nicht stärker sein und ihre Beziehung zerstören? Aber was wäre es denn überhaupt für eine Beziehung? Ehemann und Ehefrau, die vielleicht nicht einmal das Bett miteinander teilten? Oder könnte er doch seinen Mann stehen? Könnte er, wie all die anderen Männer einfach Freude daran haben sich mit einer Frau zu vereinigen? Doch wenn es nicht ging, würde er nicht nur sein, sondern auch das Leben Karins zerstören? Was sollte er nur tun? So vieles gab es zu bedenken. Doch je länger er darüber nachdachte, desto mehr kam er zu dem Schluss, er musste es versuchen. Vielleicht würde er nicht glücklich werden. Doch auch wenn er seiner wahren Neigung nachging, würde ihm Glück wohl verwehrt bleiben. Das Chaos in seinem Innern begann sich zu lichten. Er schlang seine Arme um Karin und küsste sie zurück.

    Jacob beobachtete seinen Sohn, der am Ufer der Enz von Stein zu Stein sprang. Es machte ihn glücklich, endlich ein wenig Zeit mit ihm verbringen zu können. Wenn er auch nicht nur für ihn da sein konnte, so konnte er es heute doch einrichten, während seiner Arbeit ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Er nahm ihn heute mit zu einem Schäfer. Es war Ende Mai, und die Schur stand bald an. Jacob wollte sich einen Überblick über den zu erwartenden Ertrag verschaffen. Ihr Ziel war eine Schafherde, die unweit der Stadt in den Enzauen weidete. Am liebsten hätte er noch viel mehr Zeit mit Martin verbracht, aber er durfte seine Geschäfte nicht schleifen lassen. Schon einmal hatte er diesen Fehler begangen. Nach dem Tod seiner Frau Sophie war ihm vieles so sinnlos erschienen. Damals wollte ihm nicht einmal sein kleiner Sohn eine rechte Freude bereiten. Nur das Versprechen, das er seiner sterbenden Frau gegeben hatte, sorgte dafür, dass er ihm genügend Zuwendung zukommen ließ. Seinem Geschäft aber widmete er kaum noch Aufmerksamkeit. Und das in Zeiten, in denen es nach vielen harten Wintern, und mehreren Missernten, der Bevölkerung sehr schlecht ging und nur wenige Geld für neue Kleidung hatten. Um ein Haar hätte er alles verloren. In Veihingen redete man schon über ihn. Aber zum Glück wusste niemand, wie ernst es wirtschaftlich wirklich um ihn stand. Hätte man es gewusst, hätten sich möglicherweise viele erst recht von ihm abgewandt, und er hätte keine Chance gehabt, wieder auf die Füße zu kommen. So gelang es ihm aber, unterstützt von milderem Wetter, besseren Ernten und dem daraus folgenden bescheidenen Wohlstand, aus seiner Lethargie heraus zu kommen, sein Geschäft, und damit seinen eigenen Wohlstand, noch einmal zu retten.

    Martin blieb unvermittelt stehen. Irgendetwas am Boden hatte seine Aufmerksamkeit geweckt. Wann immer der Junge irgendetwas wahrnahm, blieb er stehen und untersuchte es. Ein graues Etwas ließ ihn diesmal innehalten. Auf den ersten Blick hätte man es für einen Regenwurm halten können, doch das war es nicht. Es bewegte sich nicht und war auch von etwas anderer Farbe. Er schob die Blätter beiseite, unter denen das Etwas verschwand. Auf einmal schwirrte und brummte es um ihn herum. Durch das Entfernen der Blätter aufgescheucht, suchte eine Unmenge von Fliegen das Weite. Martin schrak zuerst zurück, um dann umso faszinierter weitere Blätter beiseitezuschieben. Nach und nach wurde Fell sichtbar. Nasses, von Schlamm dreckiges Fell. Noch bevor er das Tier frei gelegt hatte, wusste er, um was es sich handelte. Er hatte den Kadaver einer Ratte entdeckt. Er inspizierte die Ratte genauestens. Ihr Kopf lag komisch verdreht auf der Seite. Sie hatte die Augen geöffnet, doch in den Augenhöhlen waren keine Augen mehr zu sehen. Nur ein leeres

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1