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Unterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte
Unterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte
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eBook425 Seiten4 Stunden

Unterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte

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Über dieses E-Book

Dieses Buch lädt ein zu Entdeckungen in einer anderen Welt. Österreichs idyllische Landschaft, so seine Botschaft, zeigt sich verblüffend doppelbödig, ist nicht immer das, was sie zu sein vorgibt. Vielfach wissen heute nur mehr wenige Menschen von der Existenz dieser verborgenen Orte, einst standen sie jedoch im Mittelpunkt des Kriegsalltags. Im Grauen des Bombenkrieges wurden sie zur letzten Zuflucht für viele, andere mussten miterleben und miterleiden, wie hier der Terror des NS-Regimes knapp vor Kriegsende einen letzten wahnwitzigen Höhepunkt erreichte. Im Schutz riesiger Stollenanlagen konzentrierten sich verzweifelte Bemühungen zum Bau der vielfach beschworenen „Wunderwaffen“. KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter aus ganz Europa, hilflos den Schlägen und Tritten der Kapos und SS-Wachen ausgesetzt, bauten Motoren und Gewehre und montierten Hightech-Waffen. Für Tausende wurden die Stollen, die heute von der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) verwaltet werden, zur letzten Station eines langen Leidensweges in den Fängen des SS-Terrornetzes, zu „verfluchten Orten“. Robert Bouchal und Johannes Sachslehner dokumentieren anhand exemplarischer Beispiele in Wort und Bild dieses bewegende Kapitel Zeitgeschichte, das lange Zeit verdrängt und totgeschwiegen wurde. Sie sprechen mit Zeitzeugen und präsentieren überraschende Funde aus den Stollen, die das dramatische Geschehen von einst eindringlich vor Augen führen.
SpracheDeutsch
HerausgeberStyria Verlag
Erscheinungsdatum22. Nov. 2013
ISBN9783990402221
Unterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte

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    Buchvorschau

    Unterirdisches Österreich - Johannes Sachslehner

    Robert Bouchal

    Johannes Sachslehner

    Unterirdisches

    Österreich

    Vergessene Stollen · Geheime Projekte

    Die „Lehnersche Röhre im Zugangsbereich von „Bergkristall.

    Inhalt

    Cover

    Titel

    Titelbild

    Bilder zum Buch

    VORWORT

    I. KAPITEL:

    DAS UNTERIRDISCHE ERBE

    Ein kriminalistisches Lehrstück

    Wir haben etwas, was wir nicht wollen

    Die BIG, ein Mann und 290 Stollen

    Kein Spielraum für Interpretationen

    Das Millionengrab

    Karl Lehner erhält Verstärkung

    Explosive Entdeckungen am Petersberg

    Ein „Pingenfall" in Villach

    Die aktuelle Aufgabe heißt befunden und betreuen

    II. KAPITEL:

    DIE GROSSE FLUCHT VOR DEN BOMBERN

    Der SS-Rüstungsmanager: Hans Kammler

    DAS UNTERIRDISCHE AMPHITHEATER

    Geheimprojekt „Zement" in Ebensee

    Eine Rakete für das Reich

    Die Teufelsfabrik: das Geheimobjekt „Schlier" in Redl-Zipf

    Aus „Kalk wird „Zement

    Bohren, Sprengen, Bohren, Sprengen

    Schnecken statt Muscheln

    Neue Pläne für „Zement"

    Sterben wie die Ratten

    Es gab weder Gnade noch Rettung

    Ein Erinnerungsort: die Stollenlandschaft Ebensee heute

    CODENAME „B8 BERGKRISTALL"

    Das Stollenlabyrinth in St. Georgen an der Gusen

    Es ist, als wenn ein Engel schiebt

    Die Geschäfte der DEST und der Beginn von „Bergkristall"

    Gusen II: The killing went on constantly

    Karl Fiebinger, der Stollenbauer

    Moder, Schweiß und Tod – der Alltag in den Stollen

    In der Haft der SS: die Fiebinger-Baracke

    Die ME 262 im Einsatz

    Die Befreiung

    Nutzen, Bewahren und Erinnern: „Bergkristall" von 1945 bis heute

    Die Sicherungsmaßnahmen

    Souverän gelöst

    Viel Lärm um letzte Sicherungsmaßnahmen

    Atom-Gerücht und „Schatten-Gusen"

    Das „Kunst- und Nutzungsprojekt"

    Begegnung mit „Bergkristall"

    UNTER WASSER

    Das Stollensystem Langenstein

    Eine „Wasserbefahrung"

    DECKNAME „KIESEL"

    Der Grillstollen in Hallein

    ÖSTERREICHISCHE STÄDTE IM LUFTKRIEG

    „Luftnot" in Linz

    Von einem Pferd , das fast versunken wäre

    Beten in Bunker

    III. KAPITEL:

    HOTSPOTS VERSUS LOST PLACES: DIE STOLLEN HEUTE

    IM STEIRISCHEN BERG DER DATEN

    Vom Rüstungsprojekt „Syenit zu „ earthDATAsafe

    WELCOME TO HELL

    In der Klagenfurter Stollenwelt

    DAS FLEDERMAUSKABARETT

    Ein Lokalaugenschein in Wimpassing

    Die Fledermäuse sind noch nicht ausgestorben

    ENDZEITSTIMMUNG IN DER KREMSER UNTERWELT

    ALS WÄRE DER KRIEG HIER GERADE ERST ZU ENDE GEGANGEN

    EPILOG

    QUELLEN UND LITERATUR

    BILDNACHWEIS

    NACHWORT DER AUTOREN

    DANKSAGUNG

    Weitere Bücher

    Impressum

    Durch Sprengung zerstörter Stollenabschnitt in St. Georgen an der Gusen.

    Stollenanlage A in Ebensee: faszinierende Sinterröhrchen.

    Im Grillstollen in Hallein.

    Im Sommerauerstollen, Hallein.

    VORWORT

    Dieses Buch lädt ein zu Entdeckungen in einer anderen Welt. Österreichs idyllische Landschaft, so seine Botschaft, zeigt sich verblüffend doppelbödig, ist nicht immer nur das, was sie zu sein vorgibt. Unter pittoresken Wohnsiedlungen, Äckern, Wäldern und Wiesen existieren verborgene, unterirdische Orte, die einst im Mittelpunkt des Kriegsalltags standen. Im Grauen des Bombenkrieges wurden sie zur letzten Zuflucht für viele; andere mussten miterleben und miterleiden, wie hier der Terror des

    NS-Regimes

    knapp vor Kriegsende einen letzten wahnwitzigen Höhepunkt erreichte. Im Schutze riesiger Gangsysteme konzentrierten sich verzweifelte Bemühungen zum Bau der vielfach beschworenen „Wunderwaffen, mit deren Hilfe Adolf Hitler einen längst verlorenen Krieg doch noch gewinnen zu können glaubte. In taghell erleuchteten unterirdischen Hallen schufteten die „Sklaven des Dritten Reiches:

    KZ-Häftlinge

    und Zwangsarbeiter aus ganz Europa bauten Motoren, Gewehre und montierten Hightech-Waffen wie den ersten Düsenjäger der Luftfahrtgeschichte, den legendären „Strahljäger" Me 262.

    Lange Zeit blieb die Existenz dieser Stollenanlagen nahezu unbemerkt. Die Republik Österreich fühlte sich nicht zuständig. Erst ein Gerichtsurteil stellte das Eigentum der öffentlichen Hand an diesen unterirdischen Bauwerken fest. Nach Gründung der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) in ihrer heutigen Form zur Jahrtausendwende wurden sie dem noch jungen Unternehmen übereignet, das mit diesem Erbe eine große Herausforderung übernahm. Alleine die Sicherung der teilweise gesprengten und verfallenen Stollen hat bis heute mehr als 35 Millionen Euro verschlungen. Es wurden keine Mühen gescheut, um dieses Vermächtnis einer dunklen Zeit aufzuarbeiten. Nach über zehn Jahren sind nunmehr alle akut drohenden Gefahren für Menschen beseitigt. Sich auf den Erfolgen der vergangenen Jahre auszuruhen wäre aber trügerisch, denn absolute Sicherheit kann es aufgrund der Bewegungen im Gebirge niemals geben. Nach wie vor befinden sich mehr als 150 Stollen im Eigentum der BIG; alleine die laufende Instandhaltung dieser Bauwerke ist sehr aufwendig. Jährliche „Befahrungen" geben Aufschluss über ihren Zustand, den Befunden entsprechend werden weitere Arbeiten durchgeführt. Letztendlich ist die kontinuierliche Sicherung der Stollen eine Aufgabe im Dienste aller.

    Exklusiv für dieses Buch, vor allem um diese unterirdische Welt auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, hat uns die BIG dankenswerterweise die Tore zu diesen Stollenanlagen geöffnet; es wurde uns so möglich, an Hand exemplarischer Beispiele in Wort und Bild dieses bewegende Kapitel Zeitgeschichte, das lange Zeit verdrängt und totgeschwiegen wurde, zu dokumentieren. Wir besuchen die Schauplätze und schildern dunkle Anderswelten, in denen einst Angst und Verzweiflung regierten, aber auch die Hoffnung auf ein Überleben. Wir sprechen mit Zeitzeugen und präsentieren überraschende Funde aus den Stollen, die in ihrer Unmittelbarkeit das dramatische Geschehen von einst eindringlich vor Augen führen. Und wir stellen uns schließlich auch der Frage der Nachnutzung der Stollen und ihrer Bedeutung heute: von neu geschaffenen Lebensräumen für Fledermäuse bis zur Gestaltung als Museums-, Gedächtnis- und Erinnerungsort.

    Robert Bouchal · Johannes Sachslehner

    Herbst 2013

    Chaos im unterirdischen Labyrinth von St. Georgen an der Gusen.

    I. Kapitel:

    Das unterirdische Erbe

    Die Stollenanlagen der

    NS-Zeit

    sind außergewöhnliche Objekte. „Nutzlose Immobilien, die keine Rendite bringen, ja, Geld verschlingen, „kostenintensive Löcher. Unsichtbare Räume unter den Straßen der Städte, dunkle Röhren, einst kompromisslos vorgetrieben in den Fels der Berge und die Sande der Hügel. Nicht sichtbar, aber doch gegenwärtig, lost places der Nazi-Diktatur, eng verwoben mit der Landschaft, vielfach nur wenigen Eingeweihten bekannt. Architektur der Angst bar jeder Annehmlichkeit und des Gefühls von Geborgenheit, reduziert auf ihre Schutz- und Versteckfunktion, unterirdische Landschaften, die uns von der Zeit des „totalen Krieges" erzählen, von einer Welt, die kaum mehr bewohnbar war, in der es notwendig wurde, sich zu verkriechen, um zu leben, in der das Abnormale zur Normalität wurde.

    Was der französische Philosoph Paul Virilio in seiner Bunkerarchäologie für die gigantischen Bunkerbauten des „Westwalls konstatierte, gilt auch für die Stollen: Sie künden von „der großen Verschmelzung des Militärischen und des Zivilen, die für die Endphase des Zweiten Weltkrieges so typisch wurde; sie sind „Spiegelbild der Kriegsindustrie und unsrer eigenen „Todesmacht und Destruktivität. Die „Kriegsmaschine, sagt Paul Virilio mit Bezug auf die Bunkerbauten, ist der „Archetyp der industriellen Maschinen, nirgendwo sonst manifestiere sich der „prometheische Wille so machtvoll wie hier – eine Feststellung, die auch für die

    NS-Stollenanlagen

    gilt: Sie sind geblieben als stumme Zeugnisse ungeheurer Versuche, unter den Bedingungen des Krieges Gegenwelten zu schaffen, in denen die natürlichen Bedingungen des Lebens in gewisser Weise überschritten werden: Hier gibt es weder Tag noch Nacht und hier hat das „unheilvolle Zauberspiel" der Bombardements seine Macht verloren. Neben der Hoffnung existieren hier aber auch nackte Brutalität, Terror und Tod. Die

    SS-Leute

    wissen es und nützen dies mit kaltem Zynismus: Allein das Wort „Stollen" löst bei vielen

    KZ-Häftlingen

    Angst und Schrecken aus; der Stollen wird zum Synonym für die Hölle schlechthin.

    Ja, wer durch diese dunklen unterirdischen Gänge streift, gedacht einst als „Überlebensmaschinen (Paul Virilio) und letzte Rückzugsorte für wahnwitzige Rüstungsanstrengungen, wer innehält in der modrigfeuchten Stille, erhält tatsächlich so manche Antwort, mag etwas erspüren von der Verlorenheit und der Verzweiflung, die jene Menschen erfüllte, die hier Zuflucht vor den Bomben suchten, die hier unter den Peitschen und Tritten der Kapos für die „Wunderwaffen der Nazis schufteten.

    Es ist wohl kein Zufall, dass die österreichische Gesellschaft lange Zeit die Begegnung mit diesen Orten scheute und selbst die Republik absolut nichts mit ihnen zu tun haben wollte – man ging dem Blick in den Spiegel, von dem Paul Virilio spricht, aus dem Weg, weil er schmerzhaft gewesen wäre. Er hätte sich nicht vertragen mit der Lüge, auf der man den neuen Staat erbaute: Der Blick auf die Stollen erinnert daran, dass Österreich keinesfalls hilfloses „Opfer" des

    NS-Regimes

    war, sondern dessen Anhänger die Herrschaft des „Führers herbeisehnten und herbeibombten, die Aufnahme ins „Tausendjährige Reich begeistert feierten und im Gefolge der neuen Herren zu skrupellosen Mördern und Henkern wurden. Die

    NS-Stollenanlagen

    sind zu Mahnmalen dieser unbequemen Wahrheit geworden. Als Relikte des Dritten Reiches zeugen sie in Stein und Beton vom tödlichen Zynismus, mit dem die

    NS-Führung

    ihre pervertierte Ideologie bis in den Untergang verfolgte. Es waren Schicksalsorte für Zehntausende von Menschen, getränkt von Schweiß, Blut und Tränen, und sind heute zweifellos Orte der Erinnerung geworden, Plätze, die dazu beitragen können, dass sich aus dem beinahe instinktiven Impuls vieler Österreicherinnen und Österreicher zum „Nicht-Wissen (Wolfgang Sofsky) über die Nazi-Vergangenheit doch die Bereitschaft zum „Wissen herauskristallisiert. Denn das Wissen um jene ungeheuren Verbrechen ist eine Voraussetzung dafür, dass wir sie in Zukunft vermeiden können. So mag so manch Unsichtbares zu Sichtbarem werden, so manch Dunkles in das helle Licht des Nachforschens und Nacherzählens treten.

    Stein und Beton zeugen vom tödlichen Zynismus des

    NS-Regimes

    : der Grillstollen in Hallein.

    Ein kriminalistisches Lehrstück

    Beginnen wir unsere Reise im Jahre 1945, der angeblichen „Stunde null": Mit der Befreiung des Landes durch alliierte Truppen endet die Arbeit an den Stollen, Zwangsarbeiter und

    KZ-Häftlinge

    ziehen ab, unterirdische Montagestrecken werden von Amerikanern und Russen demontiert, Luftschutzräume nicht mehr genutzt. Unmittelbar nach Kriegsende zeigt die wiedererstandene Republik noch ein gewisses Interesse an den zahlreichen

    NS-Stollenanlagen

    . Noch ist die Erinnerung an das Grauen der Bombennächte frisch und an den ungeheuren Einsatz, mit dem die Nazis bis zum Untergang an diesen Flucht- und Gegenwelten arbeiten ließen. Und es geht immerhin um „Vermögenssicherung und um die Frage des „Deutschen Eigentums. So sieht sich der Bund als Verwalter der Stollen, der im Rahmen von Mietverträgen Rechtstitel für Nutzungen durch Private vergibt, etwa für die Lagerung bestimmter Güter oder das Züchten von Champignons. Dringend notwendige erste Sicherungsmaßnahmen werden daher aus Bundesmitteln finanziert; die Aufwendungen sind zum Teil beträchtlich, so dokumentiert ein Schreiben des Tiroler Landesbauamtes an die Bundesgebäudeverwaltung vom 7. Juli 1948, dass allein die Kosten für „Baumaßnahmen an Luftschutzstollen und Stolleneinbrüchen" im Raum Innsbruck für den Zeitraum Mai 1945 bis Ende Juni 1948 584.000 Schilling betragen haben.

    Stand noch lange nach Kriegsende offen: der Bahnstolleneingang Nr. 5 zu „Bergkristall".

    Aufnahme um 1970, Archiv Heimatverein St. Georgen an der Gusen.

    Das ändert sich 1948 grundsätzlich, ja, es erfolgt geradezu ein Paradigmenwechsel in der Behandlung der Stollenfrage: Nun stellt sich die Bundesverwaltung auf den Standpunkt, dass sie für den Zustand der Stollen keinerlei Verantwortung trage, da auch keine Rechtsnachfolge vorliege. Die spitzfindige Begründung: Bei den Stollenbauten habe es sich um „hoheitliche Eingriffe" des Dritten Reiches gehandelt, mit dem Untergang dieses Staates seien auch die entsprechenden Rechtstitel erloschen. Und für jene Luftschutzbauten, die von Gemeinden oder Betrieben errichtet worden seien, käme eine Rechtsnachfolge sowieso nicht in Frage.

    Die neue Formel lautet: Der Bund ist nicht Eigentümer der Stollen, er trägt daher keine Verantwortung für sie und kann daher auch keine Kosten für Sanierung und Sicherung übernehmen. Eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung vom 5. Jänner 1949, erhalten im Tiroler Landesarchiv (ATLR IX d 3591 – 13), lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Die Kosten der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Stollen treffen den Eigentümer. Weder das ho. Bundesministerium noch irgendeine andere österreichische Stelle ist verpflichtet, für Luftschutzstollen Aufwendungen zu machen. Mittel sind nicht vorgesehen." Mit dieser Antwort wird die Bitte eines Oberliegers um Sicherung eines unter seinem Grund befindlichen Stollens einfach vom Tisch gefegt.

    Bleibt die Frage: Wer ist tatsächlich Eigentümer und wer muss daher zahlen?

    Die Gemeinden? Die Kommunen weisen die Argumentation des Bundes mit leichter Hand zurück: Sie hätten nur die Bauführung im Auftrag des Dritten Reiches geleitet, Bauherr sei daher der

    NS-Staat

    gewesen, von einer Rechtsnachfolge könne keine Rede sein. Private Liegenschaftseigentümer? Auch sie gehen meist davon aus, dass sie für den Zustand des Stollens auf ihrem Grundstück keine Verantwortung zu tragen hätten. Bei etwaigen Problemen, wie z. B. Stolleneinbrüchen, versuchen sie diese an den Bund oder die Gemeinde zu delegieren. Das Argument: Das Grundstück sei zwar ihr Eigentum, nicht aber der Stollen darunter.

    Betrachten wir dazu den Punkt „Rechtsnachfolge genauer: Unumstritten ist, dass das Dritte Reich der Bauherr der öffentlichen Luftschutzanlagen, aber auch der für Rüstungsbetriebe vorgesehenen Stollenanlagen war. Die Entscheidung über den Bau eines Luftschutzstollens wurde vom jeweils zuständigen „Luftgaukommando gefällt; das Dritte Reich finanzierte die Errichtung des Stollens und wurde zu seinem Eigentümer. Die Gemeinden sorgten vielfach für die Abwicklung: Das zuständige Bauamt projektierte die Anlage, schloss Verträge mit den Baufirmen ab und überwachte die Durchführung der Arbeiten – bezahlt wurden die Rechnungen der Firmen jedoch vom Reich, und zwar über die „Polizeikasse, das heißt, der zuständige Polizeipräsident – er war zugleich der „Luftschutzleiter eines „Luftschutzortes – prüfte die eingehenden Forderungen und sorgte aus dem Etat der „Kriegsausgabemittel für die Überweisungen. Kommunale Dienststellen waren tatsächlich nur ausführende Organe. Kurios ist ein Fall aus Innsbruck: Beim Bau des Stipplerstollens (Höttinger Au – Schererschlössl, T002), einer Anlage, die immerhin 1.250 Menschen Schutz bieten sollte, speiste man die ausführende Baufirma mit einem bloßen Versprechen ab: „Bezahlung erfolgt nach dem Endsieg!"

    Eine wichtige gesetzliche Grundlage für die Errichtung von Luftschutzanlagen bildete das sogenannte „Reichsleistungsgesetz aus dem Jahre 1939, das es im § 10 erlaubte, dass „Grundstücke und Gebäude betreten oder sonst benutzt werden, falls es die Bekämpfung eines „Notstandes verlangte. Der Grundeigentümer musste also dulden, dass auf seinem Grundstück gearbeitet wurde, dass Geräte, Vorrichtungen und Anlagen angebracht oder Aushub- und Baumaterial gelagert wurden. All dies bedeutete jedoch nicht Enteignung, die nach einer Sonderregelung des Luftschutzgesetzes nur in besonderen Fällen notwendig wurde. Leistungen dieser Art – die Inanspruchnahme eines oder mehrerer fremder Grundstücke – konnten von allen staatlichen Stellen, aber auch von der Wehrmacht und der SS verlangt werden. Das Reichsleistungsgesetz definierte also eine Art von staatlichem „Nutzungsrecht für private Liegenschaften.

    Stollen sind nun, wie jedoch erstmals der Oberste Gerichtshof in einer Erkenntnis vom 22. März 1993, der sogenannten „ersten Grillstollenentscheidung, ausspricht, zweifellos „Bauwerke: Sie werden unter dem Einsatz von Arbeit und unter Verwendung von Materialien hergestellt. Das Gesetz, in diesem Fall das ABGB, § 435, definiert sie aber als ganz besondere Bauwerke: Es seien sogenannte „Superädifikate, also „Bauwerke, die auf fremdem Grund in der Absicht aufgeführt sind, dass sie nicht stets darauf bleiben sollen, ob nun ober- oder unterirdisch, tut dabei nichts zur Sache. Die Beschränkung des Grundnutzungsrechtes, so die Meinung der Juristen, sei mit dem Ende der „Luftkriegsgefährdung gegeben, damit liege eindeutig der „mangelnde Belassungswille vor. Das gelte sowohl für Stollenanlagen zum Schutz der Öffentlichkeit als auch für unterirdische Komplexe, die im Hinblick auf Rüstungsprojekte errichtet worden seien.

    Mit 8. Mai 1945 traten nun gemäß Kundmachung der Provisorischen Staatsregierung (StGBl 1945/​52) alle Gesetze und Verordnungen des Dritten Reiches zum Luftschutz außer Kraft. Für die Stollenanlagen bedeutete dies, dass sie nun ihrem Charakter nach nicht mehr Luftschutzstollen waren, sondern Bauwerke, die an diesem 8. Mai 1945 zum Finanzvermögen des Dritten Reiches zählten; die „Nutzungskategorie Luftschutz existierte ja nicht mehr. Noch aber war Österreich völkerrechtlich kein freies Land und besaß daher auch kein Eigentumsrecht an den Stollen: Für die alliierten Siegermächte waren die unterirdischen Anlagen Teil der „Deutschen Vermögenswerte bzw. „Deutsches Eigentum, das grundsätzlich, wie im Zweiten Kontrollabkommen vom 28. Juni 1946 festgelegt, von der jeweiligen Besatzungsmacht für sich beansprucht werden konnte. Erst der Österreichische Staatsvertrag, unterzeichnet am 15. Mai 1955, brachte dann die entscheidende Änderung: Im Artikel 22, Absatz 6 und Absatz 1, verzichteten die Alliierten auf das „Deutsche Eigentum in Österreich und übertrugen die diesbezüglichen Vermögensrechte auf die Republik Österreich, präziser gesagt auf den Bund, da die Republik als völkerrechtliches Subjekt keine Privatrechtssubjektivität besitzt.

    Folge dieses Übergangs war, dass nun die Sorgfaltspflicht beim Bund lag, er haftete gemäß § 1319 ABGB für etwaige Schäden, verursacht z. B. durch den Einsturz eines Stollens (die sogenannte Gebäudehalterhaftung). Der betreffende Passus des Schadenersatzrechtes: „Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werkes zum Ersatze verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe." Die Beweislast liegt also beim Besitzer – er muss beweisen, dass die gebotene Sorgfaltspflicht nicht verletzt worden ist. Im Falle der Stollenanlagen kann dieser Beweis nur in folgende zwei Richtungen gehen: Die Gefahr war nicht abzusehen oder sie wäre auch durch zumutbare Maßnahmen der Gefahrenabwehr nicht zu verhindern gewesen.

    Tatsächlich war es so, dass sich der Bund auch nach 1955 über Jahrzehnte hinweg nicht um die Stollen kümmerte, konnte doch niemand ahnen, dass sie der Oberste Gerichtshof knapp vier Jahrzehnte später als ehemaliges „Deutsches Eigentum qualifizieren würde. Den ersten Anstoß für eine völlig neue Regelung des „Stollenproblems gab eine für den Bund richtungweisende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. November 1997 zur Rechtslage beim sogenannten „Grill-Stollen" in Hallein, der 1944 im Auftrag und auf Rechnung der Organisation Todt von der Eugen Grill Werke GmbH errichtet worden war. Nach Kriegsende wurde das Stollensystem zunächst von den Alliierten genutzt und in weiterer Folge auf Grund sicherheitspolizeilicher Anordnung von der Gemeinde Hallein zugemauert. Ein privater Kläger, unter dessen Grundstück sich das Stollensystem befindet, hatte

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