Die althochdeutschen Zaubersprüche: Zwischen Christentum und Heidentum
Von Mirja Dahlmann
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Über dieses E-Book
Magie und im speziellen Zaubersprüche wurden über Jahrhunderte hinweg als adäquates Mittel angesehen, um Liebe zu gewinnen, Krankheiten zu heilen oder Haus und Hof vor Unheil zu bewahren.
In der vorliegenden Arbeit erklärt die Autorin die magischen Grundprinzipien sowie die unterschiedlichen Zauberspruchformen. Im Mittelpunkt stehen die althochdeutschen Varianten, an denen der Übergang vom germanischen Heidentum zu einer christlich geprägten Gesellschaft anschaulich sichtbar wird.
Besondere Aufmerksamkeit erfährt der zweite Merseburger Zauberspruch, ein Heilspruch, in dem der Gott Wodan eine tragende Rolle spielt.
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Buchvorschau
Die althochdeutschen Zaubersprüche - Mirja Dahlmann
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
– Joseph von Eichendorff –
Mirja Dahlmann
Die althochdeutschen Zaubersprüche
zwischen Heidentum und Christentum
Edition Roter Drache
1. Auflage März 2017
Copyright © 2017 by Edition Roter Drache
Edition Roter Drache – Holger Kliemannel, Haufeld 1,
07407 Remda-Teichel
edition@roterdrache.org; www.roterdrache.org
Umschlag- und Buchgestaltung: Edition Roter Drache
Lektorat: Carsten A. Dahlmann
Copyright © der Bilder: S. 26 © by George Hodan; S. 38 & S. 52 © by Holger Kliemannel; S. 50, S. 85, S. 92, S. 96, S. 147 Public Domain
Autorenfoto S. 178: Sylvia Biskupek
Gesamtherstellung: MCP Druck
Alle Rechte der Verbreitung in deutscher Sprache und der Übersetzung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Ton- und Datenträger jeder Art und auszugsweisen Nachdrucks sind vorbehalten.
ISBN: 978-3-964260-02-4
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
1 Einleitung
2 Zur Quellenlage
3 Was ist Magie?
3.1 Anwendungsgebiete der Magie
3.2 Die magische und die religiöse Weltsicht
3.3 Die magischen Denkmuster
3.3.1 Similia similibus
3.3.2 Contraria contrariis
3.3.3 Gesetz der Berührung
3.3.4 Pars pro toto
3.3.5 Animismus und Präanimismus
3.3.6 Mana
4 Der Zauberspruch
4.1 Eigenschaften des Zauberspruchs
4.2 Die Macht des Wortes
5 Form und Inhalt der Zaubersprüche
5.1 Der Befehl
5.2 historiola
5.2.1 Der Begegnungstypus
5.2.2 Der Wanderschaftstypus
6 Althochdeutsche Zaubersprüche und Segen
6.1 Die althochdeutsche Sprache
6.2 Sprachliche Übertragung christlicher Inhalte
6.3 Die althochdeutschen Zaubersprüche
6.4 Auseinandersetzung mit der Umweltdes Frühmittelalters
7 Die Merseburger Zaubersprüche
8 Der zweite Merseburger Zauberspruch
8.1 Die historiola des zweiten Merseburger Zauberspruchs
8.2 Die Götter der historiola des zweiten Merseburger Zauberspruchs
8.2.1 Wodan/Odin
8.2.2 Frîja
8.2.3 Phol
8.2.4 Balder
8.2.5 Die restlichen Göttinnen
9 Die Deutungen des zweiten Merseburger Zauberspruchs
9.1 Grimm
9.2 Beck
9.3 Wegfall des Pferdes
9.4 Wegfall der Götter Phol und Balder
9.5 Fazit der Deutungen
9.5.1 Deutung als Baldermythe
9.5.2 Die Bedeutung der historiola
9.5.3 Variablität der Zaubersprüche
10 Die Kirche und Aberglauben
11 Heidnisch oder christlich? – zwei Sprüche im Vergleich
12 Fazit
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Index
Die Autorin
Vorwort
Magie und Zaubersprüche beschäftigen die Menschen schon seit Jahrtausenden. Die Anwender der magischen Formeln – seien es die alten Römer oder die Bauern des 19. Jahrhunderts – versuchten, das mitunter unberechenbare Schicksal zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Auch heute beweist die Flut der esoterischen Literatur, dass die Magie aus dem Leben der Menschen nicht verschwunden ist.
Dieses Thema, das ich im Jahre 2011 als Magisterarbeit bei der Bergischen Universität Wuppertal eingereicht habe, beschäftigt sich eingehend mit den Eigenarten der althochdeutschen Zaubersprüche – einer Textsorte, die im Übergang zwischen germanischem Heidentum und dem sich etablierenden Christentum anzusiedeln ist. Es war mir eine große Freude, mich eingehend mit dieser speziellen Art der Lyrik, aber auch mit der Christianisierung der Germanen zu befassen.
Ein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Elisabeth Stein, die mir während meines Studiums eine große Inspiration war. Danken möchte ich auch meinem Ehemann und persönlichem Lektor Carsten A. Dahlmann, der orthographischen Fehlern mit äußerster Genauigkeit nachspürte und dem meine chaotische Natur schon ein paar graue Haare beschert hat. Großer Dank gebührt schließlich auch Holger Kliemannel für die Gelegenheit, dieses Buch veröffentlichen zu können. Meinen Lesern wünsche ich viel Freude bei der Lektüre.
Wuppertal, im Februar 2017
Mirja Dahlmann
1 Einleitung
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.¹
Trifft man das Zauberwort, so beginnt die Welt zu singen. Eichendorff bezieht sich in seinem Gedicht zwar nicht explizit auf Zaubersprüche, aber es ist auch für den Zaubernden wichtig, das richtige Wort zu treffen, damit sich ihm die Welt eröffnet.
Magie und Zaubersprüche haben die Menschen durch die Jahrhunderte hindurch fasziniert. Auch Literatur und Film wären ohne die Magie um eine Facette ärmer. Bis in die heutige Zeit versuchen Menschen, mit Hilfe von Zaubersprüchen ihre Umwelt zu beeinflussen. Besonders auf die Aspekte des Lebens wie Liebe und Krankheit, die wenig berechenbar sind, wollte und will man Einfluss nehmen.²
Die ältesten, uns in deutscher Sprache überlieferten Zaubersprüche sind jene aus dem Frühmittelalter. Dieses Buch hat sich das Ziel gesetzt, diese in Althochdeutsch verfassten Zaubersprüche zu untersuchen. Zu diesem Zweck muss zunächst der Begriff der Magie und der magischen Denkmuster genauer erklärt werden. Magie unterliegt ihren eigenen Gesetzen und die magischen Gesetze folgen – auch wenn sie nicht den kausalen Gesetzen entsprechen – bestimmten Regeln.
Die althochdeutschen Zaubersprüche sind in vielerlei Hinsicht ein interessantes Forschungsfeld. Sie sind eine Textsorte des Frühmittelalters, an der man den Übergang von germanischem Heidentum zu einer christlich geprägten Gesellschaft erkennen kann. In dieser Arbeit werden althochdeutsche Zauber- und Segenssprüche im Hinblick auf ihre Form und ihren Inhalt untersucht. Es soll die Frage beantwortet werden, ob althochdeutsche Zaubersprüche heidnisch, christlich oder synkretistische Mischformen sind.
Des Weiteren soll die Haltung der Kirche zu Zauber- und Segenssprüchen ergründet werden. Da es auch Zaubersprüche gibt, die eher zu Segen und Gebeten tendieren, wird es sicherlich erwünschte oder geduldete Formen gegeben haben.
Die Hauptquelle dieser Arbeit ist der zweite Spruch der Merseburger Zaubersprüche. Er hebt sich in Form und Inhalt von den anderen überlieferten althochdeutschen Sprüchen ab. In ihm wirken heidnische Götter, während in anderen Sprüchen christliche Personen handeln. Wichtig sind auch die Deutungen des Spruchs. Bei diesen ist sich die Forschung bis heute uneins.
Eindeutig ist aber, dass der zweite Merseburger Spruch ein wichtiger Textzeuge der heidnischen Magie ist.
2 Zur Quellenlage
Die zitierten althochdeutschen Zaubersprüche finden sich in folgenden Editionen: Althochdeutsches Lesebuch³ und Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler⁴. Zur Beschreibung und Interpretation der allgemeinen Haltung der frühmittelalterlichen Kirche zu Aberglauben und Magie wurden folgende Werke zu Rate gezogen: Die Kirchengeschichte des englischen Volkes⁵ von Beda dem Ehrwürdigen, Der Gottesstaat⁶ von Aurelius Augustinus sowie die Briefe des Bonifatius⁷ aus der Freiherr-von-Stein-Gedächtnisausgabe, in der noch einige andere Quellen wie das Concilium Germanicum sowie der Aberglaubenskatalog Indiculus Superstitionum Et Paganiarum enthalten sind.
Hier gilt es zu beachten, dass diese Quellen aus christlicher Hand sind und dass die Autoren die Religion der „Heiden" häufig nicht aus erster Hand kannten. Nicht selten interpretierte man die Religion der Andersgläubigen nach dem antiken Heidentum.⁸
Als antike Quellen dienen De bello Gallico⁹ von Gaius Iulius Caesar sowie die Germania¹⁰ von Tacitus.
Für den Nachweis der germanischen Götter wurden unter anderem Die Edda – Die wesentlichen Gesänge der altnordischen Götter- und Heldendichtung¹¹, übersetzt von Felix Genzmer, sowie die Die Götterlieder der Älteren Edda¹² und Die Edda des Snorri Sturluson¹³, in der Übersetzung von Arnulf Krause, genutzt.
Auch diese Quellen sollen unter dem Aspekt betrachtet werden, dass die sogenannte Liederedda erst im 10. oder 11. Jahrhundert verschriftlich wurde,¹⁴ die Prosaedda sogar erst im 13. Jahrhundert.¹⁵
Diese Quellen sind bei der Interpretation des zweiten Merseburger Zauberspruchs behilflich, sollten aber dennoch kritisch betrachtet werden. Unter anderem aus den oben genannten Gründen sollte die „‚regressive Methode‘, d.h. der Versuch, Rückschlüsse aus späterer Folklore auf eine frühere Überlieferungsschichte zu ziehen, […] mit aller gebotenen äußersten Vorsicht"¹⁶ geschehen. Das bedeutet, dass man diese Quellen zwar als hilfreich ansehen kann, aber einbeziehen sollte, dass sie einen zeitlichen und räumlichen Abstand zu der Quelle, die man interpretiert, aufweisen. Im Falle der Edda kann man zum Beispiel nicht mehr von einem authentischen heidnischen Werk sprechen, da sie in einer Zeit aufgezeichnet wurde, in der Island schon Kontakt zu christlichem Gedankengut hatte bzw. schon christianisiert war.
3 Was ist Magie?
Wenn man von Magie spricht, so spricht man von einem Phänomen, das dem modernen und aufgeklärten Menschen zwar wohlbekannt ist – allerdings nur aus dem Erzählen, „sei es in mündlicher, schriftlicher, bildlicher oder szenischer Form."¹⁷ Die Faszination, die Magie auf den Leser oder den Zuschauer ausübt, lässt sich unter anderem mit dem Erfolg von Buchreihen wie Harry Potter belegen. Was Magie aber wirklich für den archaischen Menschen bedeutet hat, ist dem modernen Menschen seit der Aufklärung nicht mehr zugänglich. Horkheimer und Adorno sprechen in der Dialektik der Aufklärung von der „Entzauberung der Welt."¹⁸
Doch was ist Magie genau?
Das Lexikon des Mittelalters definiert Magie folgendermaßen:
Magie beruft sich als Denksystem auf die Vorstellung von den sympathetischen Strukturen des Kosmos. Die Verwobenheit von Makro- und Mikrokosmos schafft ein Netz von Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem Menschen und den Göttern bzw. Dämonen, wobei das magische Ritual eine bild- und zeichenhafte Handlung für diese ausführenden medialen Wesen darstellen.¹⁹
Das symbolische Denken hat allerdings nicht nur in der Magie, sondern auch in der Denkweise des Mittelalters eine hohe Bedeutung. Das gesamte Mittelalter war durch symbolisches Denken geprägt. Jedes Zeichen ist mit einem realen Gegenstand identisch.²⁰ Nach Neiske gaben „das allegorische Denken und die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten […] Sichtbarem und Unsichtbarem eine nahezu gleichartige Wirklichkeit."²¹
Im neoplatonischen Denken war „alles irdische Sein […] ‚Abbild‘ des Himmlischen."²² Jedes Ding hatte sein Abbild im himmlischen Bereich, „aus dem es hervorgegangen war und auf das es allein durch seine Existenz symbolhaft-ontologisch zurückverwies.²³ Auch der Mensch war als „Mikrokosmos ‚Symbol‘ der Schöpfung.
²⁴
Für den mittelalterlichen,