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Hitlers Mann im Vatikan: Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche
Hitlers Mann im Vatikan: Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche
Hitlers Mann im Vatikan: Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche
eBook462 Seiten16 Stunden

Hitlers Mann im Vatikan: Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche

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Über dieses E-Book

Adolf Hitler wurde von Bischof Alois Hudal als „Siegfried deutscher Größe“ verehrt, das Ideal des aus Graz stammenden Theologen war ein „christlicher Nationalsozialismus“, verbunden mit der „Vernichtung der kommunistischen und bolschewistischen Weltgefahr“. Als Rektor des deutschen Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima und Leiter des vatikanischen Pass- und Flüchtlingsbüros avanciert der umtriebige Bischof nach 1945 zum Fluchthelfer für zahlreiche NS-Kriegsverbrecher, unter ihnen Alois Brunner und Franz Stangl. Johannes Sachslehner zeichnet in seiner umfassend recherchierten Biografie ein kritisches Porträt von Leben und Wirken dieses einflussreichen Kirchenmannes, der seinen nationalsozialistischen Prinzipien bis zum Ende treu blieb.
SpracheDeutsch
HerausgeberMolden Verlag
Erscheinungsdatum11. Nov. 2019
ISBN9783990405383
Hitlers Mann im Vatikan: Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche

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    Buchvorschau

    Hitlers Mann im Vatikan - Johannes Sachslehner

    Ela.

    DER SCHATTEN HINTER ALL DEN FLÜCHTIGEN SCHATTEN DES DRITTEN REICHES

    »Ein eigenartiger Zauber«, so meinte ein Zeitgenosse, sei »von dem fast mittelgroßen Prälaten mit dem scharfgeschnittenen Gesicht« ausgegangen, dessen Augen hinter Brillengläsern klar blickten.¹ »Kluge, hellwache Augen blitzten unter buschigen Augenbrauen hervor«, konstatierte Hartmann Lauterbacher, der stellvertretende Reichsjugendführer der Hitler-Jugend, selten habe er »Würde, Strenge und Güte so auffallend, ja demonstrativ in einer Gestalt gepaart« gefunden.²

    Monsignore Hudal, der Rektor der Anima in Rom und seit 1933 Titularbischof von Ela, ist ein katholischer Aktivist und »Netzwerker« mit enormem Eifer, rastlos, unermüdlich, angetrieben von ungeheurem Ehrgeiz, zugleich anerkennungsbedürftig und opportunistisch, wenn es um seinen persönlichen Aufstieg geht – ein »karrieregieriger Außenseiter«³. Er gilt als überaus scharfer Menschenkenner und Kulturkritiker. Seine wissenschaftlichen Arbeiten genießen die Anerkennung der Fachwelt, seine Gelehrsamkeit und weitreichenden Interessen sind unbestritten. Hudal ist jedoch kein bequemer Zeitgenosse. Sein Selbstbewusstsein ist groß und größer noch sind seine Kampf- und Streitlust, getrieben von brennendem Ehrgeiz. Hudal will Anerkennung finden, er will oben stehen und vorangehen, erntet jedoch oft Unverständnis und Kritik.

    Hudal, die »Feuerseele«, wie Jakob Weinbacher, sein Nachfolger im päpstlichen Kollegium Santa Maria dell’Anima, ihm attestiert,⁴ setzt sich immer wieder große Ziele. Er will Kardinal werden und er will große Kirchenpolitik machen, denn er hält sich für den richtigen Mann dafür. Um diese Ziele zu erreichen, scheut er vor bedenklichen »Kompromissen« – nennen wir es einmal so – nicht zurück. Manche Zeitgenossen wie Pius XII. empfinden die Taktik Hudals als »berechnendes Einschmeicheln« und »egozentrische Winkelzüge«⁵ und gehen zu ihm auf Distanz. Hudal wiederum kommt mit der byzantinischen Welt des Vatikans nur schwer zurecht. Auch Ludwig von Pastor, der Hudal den Weg an die Anima geebnet hat, zeigt sich später von diesen Charakterzügen abgestoßen: »Mißtraue diesem Mann, er ist von Ehrgeiz zerfressen und ein verschlagener und unzuverlässiger Mensch«, warnt er 1925 den damals noch an der Universität München tätigen Philosophen Dietrich von Hildebrand.«⁶

    Alois Hudal mag im Alter wohl »vielen Eitelkeiten den Abschied« gegeben und die Welt, wie er meint, »überwunden« haben, seine politische Überzeugung änderte er bis zum Tode nicht. So verstand er seine Erinnerungen als »Trostbuch« für eine »gebildete deutsche christliche Jugend«, die daran glaube, »daß ein Volk in Europa dazu berufen ist, das geschichtliche, wirtschaftliche, politische und kulturelle Glück dieses Kontinents neu zu gestalten«: »Es ist das deutsche Volk, wie immer seine Grenzen sein mögen. Es ist der nationalbewußte, christlich und sozial modern denkende deutsche Mensch mit seinem Fleiß, seiner Ordnungsliebe, Zähigkeit, Organisationsfähigkeit und Treue, aber auch mit seiner Sehnsucht nach den unvergänglichen Werten des religiösen Gedankens.«⁷ Österreich, das »alte Vaterland«, einst eine »Insel des Fortschritts für europäisch denkende Menschen«⁸, war für Hudal kein Thema mehr.

    Hudal konnte es nicht akzeptieren, dass er als katholischer Bischof ausgeschlossen sein sollte von der »nationalen Auferstehung« des »deutschen Volkes«, der er doch mit jeder Faser seiner Person bereit war zu dienen. Er, der »halbe« Slowene, wollte Teil des Ganzen sein und an der Spitze eines neuen, glanzvollen Reiches mitagieren – dafür riskierte er viel. Als Hudal dem deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, einem »Deutschen bester Prägung«, der 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, sein Buch Die Grundlagen des Nationalsozialismus überreichte, prophezeite ihm dieser: »Sie werden zwischen zwei Mühlsteinen, Partei und Vatikan, zerrieben werden.«

    »Keine Chronik über die Nachklänge des Großdeutschen Reiches kann an diesem Mann vorübergehen«, urteilte der US-Journalist Ladislas Farago schon 1975, denn dieser »geheimnisvolle, asketische und brillante Bischof« wäre der »Schatten hinter all den flüchtigen Schatten des Dritten Reiches« gewesen¹⁰ – eine Einschätzung, die wir knapp ein halbes Jahrhundert später noch immer teilen können. Faragos Wissen über Hudal war noch ausgesprochen lücken- und fehlerhaft gewesen, im Kern traf sein Urteil jedoch das Wesentliche: In Alois Hudal begegnet uns der wahrscheinlich »umstrittenste Würdenträger der modernen Kirchengeschichte«.¹¹

    Über Daniel Jonah Goldhagens Urteil, der Hudal als »Rädelsführer« einer »handfesten kriminellen Verschwörung« sieht, mag man geteilter Meinung sein, seinem Resümee wird man aber zustimmen müssen: »Verbrechern zu helfen, sich der Justiz zu entziehen, ist seinerseits ein verbrecherisches Vergehen, durch das die Beteiligten und diejenigen, die es billigten, Schuld und Tadel auf sich geladen haben.«¹² Als »Rädelsführer« war Hudal Teil eines komplexen kirchlichen Netzwerkes, seine Rolle kann unmöglich isoliert gesehen werden. Man kann daher Goldhagen auch nicht widersprechen, wenn er meint, dass andere hochgestellte kirchliche Würdenträger nicht »ganz schuldlos« waren – das betrifft vor allem Papst Pius XII. und seinen Staatssekretär Giovanni Battista Montini, den späteren Papst Paul VI., die dem Treiben Hudals jahrelang zusahen, ja, es billigten und zum Teil sogar unterstützten. Hudal nützte alle Möglichkeiten, die die Welt des Vatikan ihm bot. Nun war Pius XII. sicher kein »Freund und Vertrauter« Hudals, wie Goldhagen meint, seine Mitverantwortung für die Fluchthilfe-Aktivitäten des österreichischen Bischofs und seiner kirchlichen Helfer ist jedoch evident. Das gilt auch für Montini, der 2014 von Papst Franziskus heiliggesprochen worden ist, obwohl die Akten für den kritischen Zeitraum ab 1939 im Geheimarchiv des Vatikans noch nicht eingesehen werden konnten. Die Verwicklungen Montinis in die Aktionen zur Rettung der Kriegsverbrecher sind keinesfalls ausreichend erforscht.

    Der US-Historiker Michael Phayer nennt Hudal »the most notorious pro-Nazi in Rome during the war«¹³ und sieht sich damit im Einklang mit zahlreichen Fachkollegen, in der österreichischen Kirchengeschichtsschreibung hat sich dagegen in den letzten Jahrzehnten das Bild von der »tragischen Figur« Alois Hudal festgesetzt. So meint etwa der Kirchenhistoriker Rupert Klieber: »Dass er schließlich glauben sollte, auf dieser Basis dem ideologisch inkonsistenten und von moralisch skrupellosen Protagonisten getragenen Gewaltsystem des Nationalsozialismus Paroli bieten zu können, sollte der tragische Irrtum seines Lebens werden.«¹⁴ Der scharfe Blick zeigt jedoch etwas anderes: Hudal verborgene, manchmal auch offen zur Schau getragene Sehnsucht ist es, zur Bewegung des »Führers« zu gehören. Er will ihr gar nicht Paroli bieten. Er will einen Weg finden, um auch als kirchlicher Würdenträger teilhaben zu können an den Triumphen des »Führers«. Er betet deshalb auch darum, dass diese Triumphe und Siege kein Ende nehmen möchten. Sein persönliches Dilemma ist, dass er schon Priester ist, als er diesen Wunsch für sich auch deutlich erkennt. Mit seinem brillanten Intellekt gelingt es ihm, mit dieser Situation auch einigermaßen umzugehen, und schlauer Opportunismus leitet ihn das zu tun, was er eigentlich gar nicht tun will – jene jedoch, die ihn durchschauen wie Papst Pius XII., meiden ihn konsequent. Ja, das Wort vom »Kryptonazi«¹⁵ ist daher nicht falsch, und zwar in dem Sinne, dass Hudal in den Verheißungen des Nationalsozialismus seine eigene »Wunschproduktion« in einem weiten Maße abgedeckt sieht. Er versteht es gut, diese Wunschproduktion zu verdrängen und zu betäuben, manchmal blitzt sie jedoch durch. Erst als alle Hoffnungen und alle Optionen auf eine Erhöhung zur Macht sich zerschlagen haben und der Vatikan endgültig den Stab über ihn gebrochen hat, lässt er sich verbittert und schmollend gehen – seine Erinnerungen geraten zur »Selbstbezichtigungs-Autobiographie«.¹⁶

    Für die katholische Deutsche Tagespost bestand noch 1961 kein Zweifel: »Bischof Hudal handelte als Christ.«

    »Für Wissende indessen«, wie der Revisionist und ehemalige Bundeskassier der NDP Fred Duswald meint, war Alois Hudal zu keiner Zeit ein braunes Schaf, sondern stets ein guter Hirte mit weißer Weste, ein barmherziger Samariter, der ohne Ansehen von Person und Nationalität keinem die Tür wies, der in Not und Bedrängnis an diese klopfte«¹⁷ – ein »Persilschein«, der die komplexe Wirklichkeit dieser schillernden Persönlichkeit bewusst verschweigt und verzerrt. Alois Hudal war tatsächlich ein Zerrissener, erfüllt von der Sehnsucht nach dem »Reich« und dem großen »Führer«, überfordert von der Moderne. Es gelang ihm nicht, diesen Riss, der durch sein Herz ging, zu schließen. Seine Geschichte erzählt von der Hybris der Kirche, die die »entsetzliche Verlassenheit« der Opfer (Karl Jaspers) nicht wirklich zur Kenntnis nehmen wollte.

    Trotz slowenischer Ahnen väterlicherseits: Die Schlüsselfrage am Formblatt zum »Ariernachweis« kann Hudal ruhigen Gewissens mit »rein arisch« beantworten.

    REIN ARISCH

    Vom Slowenenkind zum deutschen Kaplan

    Am Ende wollte er noch immer nicht der sein, der er war. Etwas an der ihm zugeschriebenen Identität störte ihn. So beantragte Alois Hudal 1962, knapp vor seinem Tod, die Ausstellung einer neuen Geburtsurkunde und eines neuen Staatsbürgerschaftsnachweises. Die österreichische Botschaft in Rom kam dem Wunsch des prominenten Kirchenmannes gerne nach und kümmerte sich um die Dokumente. Die Geburtsurkunde stellte das Pfarramt Am Münzgraben in Graz neu aus, doch Hudal war noch immer nicht zufrieden – und begann das Dokument eigenhändig zu verbessern: Da war vor allem der Beruf des Vaters, der ihn störte. Und so strich er das Wort »Schuhmachermeister« einfach durch, offenbar wollte er auch diese letzte Spur, die seine Herkunft verriet, verwischen. Gleichzeitig veränderte er den Mädchennamen seiner Mutter Maria Anna Wiser, indem er ein »e« einfügte. »Wieser« schien ihm wohl für einen »deutschen« Bischof passender zu sein.¹⁸ Dass auch Maria Anna Wiser aus einer Schuhmacherfamilie kam, musste ja niemand wissen.

    Als es im glorreichen »Anschlussjahr« 1938 an das Ausfüllen des Formblatts für den Ariernachweis ging, konnte Alois Hudal zwar die Schlüsselfrage – »Stammen Sie von nichtarischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern ab?« – ruhigen Gewissens mit »rein arisch« beantworten, dennoch musste er etwas dokumentieren, was er lieber in das Reich des Vergessens gedrängt hätte: Seine Vorfahren väterlicherseits waren slowenische Bauern in der Unterkrain gewesen. Großvater Anton Hudal, Jahrgang 1806, bewirtschaftete einen Hof in der Gemeinde St. Peter (Sentpeter) bei Rudolfswerth (heute: Novo mesto), Großmutter Franziska, geborene Tomek, stammte, wie Hudal hervorhob, von »einer Sprachinsel Krains« – er meinte wohl »deutschen Sprachinsel«. Misstrauisch macht da nur der Mädchenname der Großmutter, der auch als »Tomic« aufscheint.¹⁹

    Irgendwann hatte sein Vater Josef Hudal, geboren am 2. März 1849 in St. Peter, den heimatlichen Hof verlassen und sich aufgemacht in die steirische Hauptstadt, um hier sein Glück zu versuchen. Er erlernte das Schuhmacherhandwerk und heiratete am 16. Jänner 1882 in der Pfarrkirche St. Leonhard Maria Anna Wiser, geboren am 30. November 1850 in Graz als Tochter des aus Klagenfurt stammenden Schuhmachermeisters Michael Wiser (1817–1887).

    Als sich zu Beginn der 1930er-Jahre die Redaktion des Großen Herder wegen eines Eintrags zu seiner Person in der vierten Auflage des populären Konversationslexikons meldete, verfiel Hudal auf die Idee, einen Doppelnamen anzugeben und so die Tatsache, dass er kein »Volldeutscher« war, weiter zu verschleiern und »das slawische Erbe in sich zu verleugnen«: Der »kathol. alttest. Exeget u. Erforscher der oriental. Kirchenkunde« und »Konsultor des hl. Offiziums« erschien so im Großen Herder, Ausgabe 1933, als »Alois Hudal-Wieser«.²⁰ Der Doppelname – für den es auch keine urkundliche Grundlage gab – setzte sich jedoch nicht durch, Hudal kehrte zum Namen seines Vaters zurück. »Germanicus«, der Autor der Anti-Hudal-Broschüre Der Dolchstoß gegen die deutschen Bischöfe, der offenbar das Umfeld Hudals in den 1920er-Jahren gut kannte, verwies darauf, dass dieser im slowenischen Klerus und im Kreis seiner ehemaligen Studiengenossen als »Renegat« gegolten habe.²¹

    Alois Hudal, der sich den Namen der Mutter gewünscht hätte, verschloss sich Zeit seines Lebens der Erinnerung an seinen Vater. Konsequent betrieb er eine damnatio memoriae, einige abfällige Bemerkungen sind alles, wozu er sich hinreißen ließ. Der Vater, der sich noch dazu mit den »Roten«, den Sozialdemokraten, eingelassen hatte und damit zum »Verräter« geworden war, existierte für ihn nicht mehr, auch wenn er im Alter, in »der Einsamkeit der römischen Campagna«, gerne an seine Kinderjahre zurückdachte, wie er im Vorwort zu seinen Römischen Tagebüchern schrieb: »Je dunkler sich die Gegenwart gestalten will, um so weiter wandern die Gedanken in das Sonnenland der Kindheit und Jugend zurück«.²²

    Das Haus Naglergasse 28 war ein bürgerliches Wohnhaus wie viele andere im zweiten Grazer Stadtbezirk St. Leonhard. Im Jahre 1880 wurde es vom Architekten Josef Flohr neu errichtet, unter den Bewohnern, die in den folgenden Jahren hier einzogen, war auch das junge Ehepaar Hudal. Die Welt der Naglergasse und der Bezirk St. Leonhard sollten in den folgenden Jahrzehnten die Heimat der Familie bleiben.

    Das Diözesan-Knaben-Seminar in der Grabenstraße als erste Wohnadresse: Alois Hudals Meldezettel, Stadtarchiv Graz.

    Schließlich kündigte sich erstmals Nachwuchs an und am 31. Mai 1885 um 1/2 8 Uhr abends war es soweit: Sohn Alois Carl wurde in der Naglergasse 28 geboren und am 1. Juni um 1/2 3 Uhr nachmittags in der Münzgrabenkirche getauft, zur Taufpatin hatte man Aloisia Wiser, die Schwester der jungen Mutter bestimmt.²³

    Alois Carl wuchs wohlbehütet auf und besuchte ab Herbst 1892 die »Elisabeth-Volksschule« in der Elisabethstraße 56. Bald zeigte sich, dass der Erstgeborene der Familie ein ungemein begabter Schüler war, und man beschloss, vor allem wohl auf Drängen der Mutter, dieses große Talent weiter zu fördern.

    Bürgerliche Welt im zweiten Grazer Stadtbezirk St. Leonhard: Hudals Geburtshaus in der Naglergasse 28.

    Wahrzeichen und spirituelles Zentrum St. Leonhards: die 1891 geweihte Herz-Jesu-Kirche.

    Josef Hudal, der sein Geschäftslokal zunächst in der Schießstattgasse 23 und später in der Merangasse 49 hatte, engagierte sich inzwischen für seinen Berufsstand. Bei der Generalversammlung der Schuhmachergenossenschaft am 25. Februar 1891 wurde er, wie das Grazer Volksblatt vom 28. Februar 1891 berichtet, in den Ausschuss berufen, im Februar 1895 wurde diese Wahl in den Ausschuss bei der Genossenschaftsversammlung in der Puntigamer Bierhalle bestätigt und noch im April 1908 begegnet er uns bei einer stürmischen Genossenschaftsversammlung im Hotel Florian als einer der kritischen Sprecher, als es darum geht, Mitglieder, die ihre Umlage nicht bezahlt haben, vom Stimm- und Wahlrecht auszuschließen (Grazer Volksblatt, 29. April 1908).

    Im Jänner 1907 konnte der als »tüchtiger Gewerbsmann bekannte Schuhmachermeister Josef Hudal« das 30-jährige Geschäftsjubiläum feiern und verband diesen Anlass mit der Feier der silbernen Hochzeit. Nach der Festmesse in der Pfarrkirche St. Leonhard, wo einst die Trauung stattgefunden hatte, traf man sich mit Verwandten und Freunden im Restaurant »Grüner Anger«. Schuhmachermeister Pungracic, Josef Hudals langjähriger Freund, hält die Ansprache, in der »er auf die eifrige Tätigkeit des Herrn Hudal als Gewerbsmann, dessen biederen Charakter und seine stete Fürsorge als Mitglied der Genossenschaft, als Ausschußmitglied der Krankenkasse und Kassenkontrollor hinwies, und schloß seine Rede mit dem Wunsche, daß das Jubelpaar noch recht viele glückliche Tage erleben möge«.²⁴

    Ein Doppelname sollte das »Deutschtum« verstärken: der Eintrag im »Großen Herder«, Ausgabe 1933.

    Eineinhalb Jahre vor der Priesterweihe des Sohnes scheint also alles in Ordnung, von einer »gescheiterten Ehe« kann zu diesem Zeitpunkt offenbar noch keine Rede sein, und Vater Josef Hudal ist auch kein »Sozialfall«, wie dies in diversen biografischen Skizzen kolportiert wird. Irgendwann in den folgenden Jahren kommt es dann doch zur Trennung von Gattin Maria, denn am 13. November 1919 heiratet der mittlerweile 70-jährige Josef Hudal eine wesentlich jüngere Frau, die 1888 geborene Josefa Schniederitsch (Žniderić).

    Wie aber passen diese Fakten mit Hudals abfälligen Bemerkungen über seinen Vater zusammen? Ist es die Scheidung, die dazu den letzten Anstoß gibt? In den Römischen Tagebüchern bemitleidet Hudal seine Mutter und vermeidet das Wort »Vater«, da dieser mit dem Feind der Kirche gemeinsame Sache gemacht hätte: »Sie lebte mit 73 Jahren ganz allein, schwer geprüft durch eine unglückliche Ehe mit einem Mann, der religiös und politisch im kirchenfeindlichen Lager der Sozialisten stand.«²⁵ Fast scheint es so, als hätte Hudal selbst dafür gesorgt, dass sein Vater in ein schiefes Licht geriet – er konnte ihm wohl sein Engagement bei den Sozialdemokraten nicht verzeihen. Möglicherweise spielte der junge Priester auch bei der Trennung der Eltern eine nicht unwesentliche Rolle.

    Während der Vater bei den Sitzungen der Schuhmachergenossenschaft um bessere Bedingungen für seinen Berufsstand rang, vertraute die Mutter auf die Kraft des Gebetes: »Meine Mutter stammte noch aus der alten österreichischen Konkordatsschule, der die Feinde Roms kein hohes geistiges Niveau nachsagten. Sie war eine bescheidene, schlichte Frau, aber durch ihren tiefen Glauben von menschlicher Haltung … So oft ich ihr Zimmer betrat, fand ich sie im Gebet versunken, eine milde fast unendlich primitive Religiosität, reine Engherzigkeit zeichnete sie aus«, schrieb Hudal im Kapitel »Abschied von Rom« seiner Memoiren, das unveröffentlicht blieb. »Infolge ihres unglücklichen Familienlebens« sei ihr Leben »ein täglicher Opfergang« gewesen, sie aber habe »still und lächelnd diese Dornenkrone« getragen.²⁶

    Zögling im Fürstbischöflichen Seckauer Diözesan-Knaben-Seminar

    Im Herbst 1896 trat der elfjährige Alois in das öffentliche Gymnasium des Fürstbischöflichen Seckauer Diözesan-Knaben-Seminars ein, ab dem 22. September war er unter der Adresse des Instituts, der Grabenstraße 27, gemeldet.²⁷ Dass ein Schüler aus der Stadt Graz im Seminar aufgenommen wurde, war eine absolute Ausnahme, stand das Institut doch vor allem Zöglingen aus den ländlichen Regionen der Steiermark zur Verfügung. Was bewog die Leitung des Hauses zu dieser Entscheidung? Zweifellos gab es darüber in der Familie Hudal eine eingehende Diskussion, war doch für einen sozialdemokratisch orientierten Handwerker der Berufswunsch des Sohnes nicht einfach zu akzeptieren. Dazu kam die wirtschaftliche Lage der Familie – das Geld war knapp, mit dem Schulgeld für das Seminar drohte eine zu hohe Belastung. Doch auch dafür bot sich eine Lösung an: Unter den Stiftungen zum fürstbischöflichen Knabenseminar befand sich die Stiftung einer gewissen Theresia Brenner. Diese am 3. September 1870 verstorbene Theresia Brenner hatte dem Knabenseminar bereits mit 31. Oktober 1849 ihr Haus und den Grund in der Kalvarienbergstraße 98 vermacht, so »daß von dem jährlichen Ertrage dieser Realität ein hoffnungsvoller Knabe der Seckauer Diözese in diesem Institute herangebildet werden« konnte. Die Niederschrift dieser Schenkung im Grundbuch war 1856 erfolgt, der Gymnasiast Alois Hudal wurde zu einem ihrer Nutznießer.

    Das 1830 vom Hofkaplan Franz Sebastian Job gegründete Knabenseminar hatte ein klares Ziel: begabte junge Menschen zu sammeln und auf den Priesterberuf vorzubereiten. Eine »Pflanzschule« für »arme Jünglinge aus Obersteier« sollte es sein. Acht Jahre lang lebten die heranwachsenden jungen Burschen in einer eigenen Welt, rund um die Uhr behütet und bewacht. Das religiöse Ritual bestimmte ihren Tag: Nach dem Aufstehen traf man sich zum Morgengebet in der Kapelle, vor dem Mittagessen zur Anbetung vor dem Allerheiligsten und zum Englischen Gruß. Vor und nach dem Essen betete man gemeinsam laut in lateinischer Sprache, während die Suppe gegessen wurde, las ein Erzieher aus einem geistlichen Buch vor – ein Ritual, das sich zum Abendessen wiederholte: Anbetung in der Kapelle, dann lautes Gebet vor und nach dem Mahl. Auch die Studierstunden wurden mit einem Gebet begonnen und beschlossen, vor dem gemeinsamen Abendgebet gab es eine gemeinschaftliche geistliche Lesung aus der Nachfolge Christi des Thomas von Kempen oder aus der Philothea, der »Anleitung zum frommen Leben« des heiligen Franz von Sales.

    Der langjährige Reichspost-Chefredakteur Friedrich Funder, der 1892 im Haus an der Grabenstraße die »Maturitätsprüfung« bestand, fand in seinen Erinnerungen Vom Gestern ins Heute zu einem differenzierten Urteil: Die Erziehung im Seminar, so seine Meinung, »vermittelte dem Jüngling eine religiöse, sein Denken durchdringende Disziplin, die er, auf sich allein gestellt, selbst im Kreise einer katholischen Familie schwer sich hätte aneignen können. Dem steigenden Personalbedürfnis der kirchlichen Organisation half das österreichische Knabenseminar ab, indem es die Wahl des geistlichen Berufes für saubere junge Menschen erleichterte und ungeeignete rechtzeitig erkannte und ausschied. Ausgezeichnete Männer, große Bischöfe, Seelsorger von bestem Format, priesterliche Gelehrte hohen Ranges, Schriftsteller und Dichter, Pädagogen, Männer der praktischen Sozialreform und auch der Staatskunst sind daraus hervorgegangen.« Funder gestand aber auch zu, dass manche am »harten Ringen« dieser Ausbildung scheiterten: »Nicht wenige haben die ganze Höhe nie erreicht und versanken in soziale Isolierung, zuweilen zu Sonderlingen geworden, einzelne gingen daran zugrunde, von der Welt, die sie umringte, überwältigt.«²⁸ An den Lehrern konnte das Scheitern dieser wenigen Seminaristen, glaubt man Funder, nicht gelegen sein, denn die waren »prachtvolle Menschen«, allen voran der Direktor des Instituts, Dr. Josef Stradner, dem Funder ein »goldenes Herz« zusprach und der »so zauberisch schön lateinisch stenographieren konnte.«²⁹

    Auch wenn ihn die Jahresberichte des Karolinum-Augustineum nicht unter den Besten nennen – Alois Hudal war sicherlich ein guter Schüler, nach dem ersten Halbjahr der VIII. Klasse taucht er erstmals mit »Vorzug« in der Schülerliste auf.

    1899 traf die Familie Hudal ein schwerer Schicksalsschlag: Am 30. Juni, Alois hatte eben die dritte Klasse am Knabenseminar erfolgreich absolviert, starb sein achtjähriger Bruder Josef an einer Hirnhautentzündung.

    Die Gymnasialzeit verlief nicht ganz ohne Brüche und Konflikte. Mit 16 Jahren, so berichtet Hudal in seinen Erinnerungen, habe er »an die Pforte des Dominikanerklosters in Graz« mit der Absicht geklopft, in diesen Orden einzutreten. Auslöser für diesen Wunsch sei eine besondere Erfahrung gewesen: »Fast jeden Abend habe ich mit meiner Mutter in der schönen Barockkirche am Münzgraben dem Salve Regina beigewohnt.« Pater Grisemann, der damalige Provinzial der Dominikaner, riet dem Jungen jedoch, zunächst einmal die Schule zu beenden – ein Rat, der offenbar auch vom Vater unterstützt wurde. Dem Dominikanerorden habe er aber auch in späterer Zeit »mein Herz zugewandt«.³⁰ Die Episode wirft nicht zuletzt Licht auf die Rollenverteilung in der Familie Hudal: Auf der eine Seite die fromme Mutter, die gemeinsam mit ihrem Sohn regelmäßig das mystische Erleben in der Kirche sucht, auf der anderen Seite der praktische Vater, der auf den Abschluss der Schulausbildung pocht.

    Am 16. Mai 1904 begann für die 20 Schüler der VIII. Klasse im Karolinum-Augustineum die schriftliche Maturitätsprüfung. Die Aufgaben waren anspruchsvoll und standen ganz im Zeichen klassischer humanistischer Bildung. So mussten Hudal und seine Kollegen die Strafrede des Marcellus aus dem 27. Buch des Titus Livius ins Deutsche übersetzen und die Rede Ciceros für Murena aus dem Deutschen ins Lateinische; zur Griechisch-Matura kam ein Stück der Antigone von Sophokles zum Übertragen, und das Thema für den Aufsatz in Deutsch lautete: »Einfluss der Antike auf die deutsche Literatur«. Die mündlichen Prüfungen fanden unter dem Vorsitz von k. k. Hofrat und Universitäts-Professor Dr. Max Ritter von Karajan vom 7. bis 9. Juli statt – alle Kandidaten wurden für reif erklärt, vier mit Auszeichnung: Florian Steirer aus Feldkirchen, Franz Stradner aus St. Anna am Aigen, Rupert Wilhelm aus Puch bei Weiz und Leopold Zangger aus Eibiswald.³¹

    Der Weg zum Priester

    Was die Wahl des Studienfaches betraf, so gab es für den 19-jährigen Maturanten und Alumnen des Priesterhauses keinen Zweifel: Es konnte nur die Theologie sein! Im Herbst 1904 inskribierte Hudal an der theologischen Fakultät der Stadt Graz, das Ziel, die Priesterweihe, war vorgezeichnet. Inzwischen wohnte er wieder zu Hause bei den Eltern, die seit 1901 in einer Wohnung in der Naglergasse 78 lebten.³²

    In den Ferien des Jahres 1906 hatte Hudal erstmals Gelegenheit, eine Fahrt nach Italien zu unternehmen. Wohl gemeinsam mit Studienkollegen besichtigte er die Weltausstellung in Mailand, eines der ausgestellten Kunstwerke hinterließ dabei einen bleibenden Eindruck auf ihn: »Es war eine Marmorstatue, die den Tod als Knochenmann darstellte. Vor dem Tode stand ein Jüngling mit blühenden Körperformen. Der Tod umschlang ihn mit seinen Knochenarmen und preßte ihn an seine Brust. Der Gegensatz zwischen dem lebensfrohen Jüngling und diesem Totengerippe war erschütternd. Am Sockel der Statur war die Inschrift angebracht: Amico eterno – dem ewigen Freund.«³³ Die Erinnerung an dieses Kunstwerk begleitete Hudal durch das Leben.

    Das Studium selbst bereitete dem begabten jungen Mann keine Probleme, so konnte er sich den turbulenten politischen Ereignissen jener Zeit widmen. Hudal wurde Zeuge der heftigen Auseinandersetzungen, die im sogenannten »Wahrmund-Jahr« 1907/08 die Grazer Universität erschütterten und am 16. Mai 1908 in einer wilden Schlägerei gipfelten. Der liberale Innsbrucker Kirchenrechtler Ludwig Wahrmund hatte zuvor der Kirche jede Wissenschaftlichkeit abgesprochen und die katholischen Studenten als »Parasiten« beschimpft³⁴ – das Erlebnis dieses scharfen »Kulturkampfes« zwischen freisinnigen und freidenkerischen Studenten und ihren katholischen Kollegen prägte Hudal nachhaltig und verstärkte zweifellos seine kämpferische Grundeinstellung.

    Bereits vor der Priesterweihe demonstrierte Hudal, dass er gewillt war, seine Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben und mit Nachdruck seine Überzeugungen zu propagieren. So war er am 3. Oktober 1907 Ehrengast bei einer Versammlung des steiermärkischen christlichen Frauenbundes »Einigkeit« in der Grazer »Harmonie«. Das Thema seines Vortrages: »Sind Frauenvereine in unserer vereinsüberreichen Zeit notwendig und was sind ihre Aufgaben?« Der angehende Priester wusste dem Thema durchaus einiges abzugewinnen und sprach die aktuelle Situation der Frauen offen an – schon jetzt zeigte Hudal, dass es einer seiner Stärken sein sollte, die Lebenswelt seiner Zuhörer intensiv zu durchdringen und für seine »Botschaft« entsprechend aufzubereiten. So zeigte er sich etwa mit der Forderung, dass Frauenvereine sexuelle Aufklärung zu leisten hätten und politische Bildung vermitteln sollten, am Puls der Zeit. Um schlagkräftig zu sein, müssten die christlichen Frauenvereine, so Hudals Schlussappell, auf

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