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Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich": Stimmungsbilder einer buchfeindlichen Zeit
Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich": Stimmungsbilder einer buchfeindlichen Zeit
Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich": Stimmungsbilder einer buchfeindlichen Zeit
eBook233 Seiten2 Stunden

Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich": Stimmungsbilder einer buchfeindlichen Zeit

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Über dieses E-Book

Roderich Zeller begibt sich auf eine ungewöhnliche Reise durch zwölf Jahre Diktatur unter Hitler: Anhand von Zeitzeugnissen, Briefen, einer regelrechten „Verehrungsliteratur“ und zahlreichen kleinen Dokumenten entsteht das Bild eines Volkes, das die „Einbräunung“ nicht nur über sich ergehen lässt, sondern zum großen Teil freiwillig und manchmal geradezu enthusiastisch daran mitarbeitet. Da fällt es kritischen Stimmen schon schwer zu verhindern, dass selbst Goethe auf der Verbotsliste endet.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum2. Apr. 2012
ISBN9783837250602
Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich": Stimmungsbilder einer buchfeindlichen Zeit

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    Buchvorschau

    Verordnetes Denken, Schreiben und Lesen im "Tausendjährigen Reich" - Roderich Zeller

    Gisela.

    Vorwort

    Die erzählende Beschreibung des Schicksals des Buches in der NS-Zeit bietet eine Auswahl von Belegen aus NS-Quellen, genannt Naziana. Der Text dokumentiert das geistige Leben in einem Staat, der keine anderen als parteitreue Grundsätze durchzusetzen versuchte mit dem Ziel, die angestrebte „Volkwerdung mit Hilfe der „Rechtgläubigkeit in kurzer Zeit zu vollenden.

    Hitler, der sich schon im Mein Kampf[1] als ein von Gott Berufener vorgestellt hatte, hielt sich frei von der menschlichen Schwäche, falsche Gedanken zu hegen. Er sprach sich daher wie ein Etre Suprême das Recht bei allen wichtigen Entscheidungen auf das Letzte Wort zu. Und das Denken der Deutschen hatte sich diesem Leitsatz zu unterwerfen.

    Es kommen im vorliegenden Text alle sozialen Schichten mit ihren Schriften zu Wort, von den treugläubigen Zellen- und Blockwarten und redlichen Bürgern bis zu den neumodisch denkenden Machtträgern des Dritten Reichs. Die politisch gewichtlosen Mitläufer tief unten wie die Mandarine ganz oben fühlten sich in der Pflicht, auf ihre Weise zur Machtfülle des Herrschers beizutragen. Gehorsam und hilfreich wollten alle Aktivisten dienen und zugleich mit Unmenschlichkeit ihre Pflichten erfüllen. Die NS-Weltanschauung hatte sich schnell etabliert und strebte zudem eine neue „Gottanschauung" an.[2] Schon der protestantische Theologe Georg Schott bietet den Lesern der frühen Zwanzigerjahre einen gottähnlichen „Führer" an und einen von Gott berufenen Retter Deutschlands.

    Diesem unfehlbaren Schöpfer der neuen Gesetze für Deutschland zu folgen, ohne zu zweifeln an seiner Botschaft, war deshalb bald eines jeden volkhaft[3] gesonnenen Deutschen eine erste Pflicht.

    Der Text und vor allem die eingebrachten Dokumente zu verschiedenen Themen wenden sich an Leser jeden Alters, denen die Zeit des Nationalsozialismus ein Anliegen ist.

    Möge die vorliegende Anzahl von Zeugnissen aus einer tief eingebräunten Zeit den Nach-Läufern helfen, den jüngeren wie den älteren, sich von ihrer Hitleritis zu befreien.

    Der die NS-Zeit kennende Leser kann Abgelegenes entdecken. Die so wenig beachteten kleinen Dokumente sind dennoch mitteilsame Zeugnisse des Seelenzustandes vieler Deutscher.

    [1]Quelle der Zitate: Adolf Hitler, Mein Kampf, München, 1941.

    [2]S.: Dr. Georg Schott, Prot. Theologe. Im Volksbuch vom (sic) Hitler, 1924, lobt Schott Hitlers „heiligen Haß des Bösen" und den „von Herzen demütigen Menschen"; zugleich sind für ihn die Zweifler an der neuen Lehre „das Gesindeldeutschland" (S. 69 u. 249). – Eine metaphysische Deutung von Hitlers Buch schenkte auch ein anonymer katholischer Geistlicher den Deutschen. „[…] ich bin aus einem Saulus zu einem Paulus geworden." In: Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers Mein Kampf, München, 2006, S. 349, Fußnote 890. – Mein Kampf wurde nicht selten mit der christlichen Bibel gleichgesetzt. Andere erkannten in ihm tiefe Verwandtschaft mit Galilei, Kepler, Newton, Faraday und nannten das Buch ‚Neuestes Testament‘. S.: O. Plöckinger, Kap. 6 c.

    [3]Senya Müller, Sprachwörterbücher im Nationalsozialismus, Stuttgart, 1994, S. 146ff.

    Literaturüberblick

    Quellenreiche Untersuchungen der Lesewelt in der NS-Zeit bieten die Studien von Christian Adam, Lesen unter Hitler. Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich, Berlin, 2010 und Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat. Von der ‚Gleichschaltung‘ bis zum Ruin, Frankfurt am Main, 2011 u. frühere Ausgaben. – Literatur im Dritten Reich Dokumente und Texte, hgb. v. Sebastian Graeb-Könneker, Stuttgart, 2001.

    Die Etappen der Umsetzung der NS-Ideologie von der „Machtergreifung bis 1939 bietet Alfred Himstedt in seinem chronologisch angelegten Themenkatalog der staatlich umgesetzten fünfundzwanzig Leitsätze des „politischen Glaubensbekenntnisses der NSDAP im Sinne des „Gottbeauftragten" und daher Vor-Denkers Adolf Hitler. Eine Schrift aus Stichworten und Kurztexten von großem Informationswert. Der eisige Sprachstil und die Fülle der befehlsartigen politischen Berichte sind ein exemplarisches Dokument der Stimmung in Deutschland seit Beginn der NS-Herrschaft.[1]

    Die zahlreichen Belege aus den Reden und Proklamationen Hitlers sowie Berichten von NS-Tagungen finden sich in dem chronologisch angelegten, zitatenreichen und kommentierten Werk v. Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen 1932 – 1945, Bd. 1 1932 – 1938 u. Bd. 2 1939 – 1945.

    Die regelmäßig erschienenen Veröffentlichungen wie das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Kulturtagungen der Partei, Wochen des deutschen Buches, Parteitagungs- und Jahrestagungen der Reichskulturkammer, Parteikongressberichte, Aufrufe, Tagesbefehle und Reden des Führers im Kriege 1939/41 Berlin 1941, Führer zu den Parteitagungen und der Völkische Beobachter liegen in vielen öffentlichen Bibliotheken vor. Während des Krieges erschienen Aufrufe, Tagesbefehle und Reden des Führers im Kriege 1939/41 hrsg. vom Chef der Zivilverwaltung im Elsass Abteilung Erziehung, Unterricht und Volksbildung, Karlsruhe, 1941. Eine Zusammenstellung der „Führer-Erlasse" von Martin Moll, Stuttgart, 1997 bietet eine Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung. Zu Kunst u. Kultur: Robert Eikmeyer, Hrsg., Adolf Hitler, Reden zur Kunst-und Kulturpolitik 1933 – 1939, Frankfurt am M., 2004.

    Wie schnell entstand das „Neue Deutschland"! Schon 1935 wurde der Öffentlichkeit bewusst gemacht, wie eng das Netz der streng kontrollierten Organisationen geworden war. Das amtlich von der Parteileitung zugelassene Deutsche Führerlexikon 1934/1935 umfasst 552 Seiten Kurzbiografien und einen Zweiten Teil von 135 Seiten mit einem Verzeichnis der jungen öffentlichen Einrichtungen unter der staatlichen Kontrolle, von der Spitze der „Bewegung Adolf Hitler und seinen kleinen Propheten bis zur „Reichsfachschaft Deutscher Werbefachleute – NSRDW – und ihrem Führer Reichsfachschaftsführer Hugo Fischer, stellvertr. Reichs-

    propagandaleiter der NSDAP. Ein Verzeichnis von Tausenden allmächtiger bis ortsgebundener Oberhäupter unter der Befehlsgewalt des übermächtigen, allwissenden „Ersten Führers, auch „Volkskanzler genannt.[2]

    „Nazi Propaganda Literature" (356 Titel) ist eine reiche Textquelle und zugänglich über Google oder MARC records.

    Aus Platzgründen werden bei einigen Textstellen keine bibliographischen Angaben gemacht. Die Quellen sind leicht zugänglich.

    [1]Alfred Himstedt, Das Programm der NSDAP. Wird erfüllt! Meilensteine des Dritten Reiches, Berlin, 1939, S. 5.

    [2]Auch Prinzipale der katholischen wie protestantischen Kirche werden als „Führer" aufgeführt. Vorbilder für eine selbst angestrebte Hierarchie? Eine zweite Auflage liegt nicht vor.

    Einführung

    Das Buch kam im Dritten Reich unter eine Art Orwell’scher „Gedankenpolizei, die dafür zu sorgen hatte, dass der reine NS-Geist die Herrschaft übernimmt nach dem erwarteten Endsieg des „Großgermanischen Reichs.

    Gunter d’Alquen, Hauptschriftleiter der SS-Zeitung Das Schwarze Korps, sagt in einer Blütenlese aus dieser Zeitung den Schreibwilligen seiner Zeit, welche Grundregel sie bei ihrer Arbeit an der Zukunft Deutschlands einzuhalten hatten: „Die in Vollendung gestalteten Ewigkeitswerte eines seiner völkischen Sendung bewußten Volkes sind die Kulturwerte schlechthin, Kulturwerte, die dann auch – aber sehr fern dem Geschwafel intellektueller Internationalisten – Menschheitswerte unvergänglicher Prägung darstellen. Die Politischen Notwendigkeiten ergeben sich aus dieser grundsätzlichen völkischen Einstellung, sie sind damit auch Exponenten der deutschen Kulturaufgabe. Sie wird erfüllt nur durch Künstler, die zu dienen bereit sind im „[…]dynamischen Sinne, d. h. der Revolutionierung der menschlichen Natur durch Entbindung ihrer besten rassischen Instinkte. Das war die nicht zu umgehende Verpflichtung, unter der alle künstlerisch-geistig Schaffenden – die „Volkstümler" also – schöpferisch zu wirken verpflichtet wurden.[1]

    Schon sehr früh unterwarfen sich diesen Lehren auch angesehene Philosophen, Schriftsteller, Journalisten, Lehrstuhlinhaber vieler Fakultäten, Lyriker und setzten kniefällig ihre Gaben mit dienerischem Sprachaufwand ein, um der Partei mit Kampfschriften gegen Neinsager und Zweifler beizustehen.

    Ein Jongleur von Sprache und Gedanken, Gottfried Benn, vermaledeit in einem harten Ton die Emigranten, denen er ihre Unfähigkeit nachweist, die rassische und damit wesenhafte Umwandlung der Menschheit unter deutscher Leitung zu verstehen. Hier eine Kostprobe aus einer Radioansprache Gottfried Benns: „Verstehen Sie [angesprochen sind die deutschen Emigranten in Nord- und Südamerika] doch endlich dort an Ihrem lateinischen Meer, daß es sich bei den Vorgängen in Deutschland gar nicht um politische Kniffe handelt, die man in der bekannten Manier verdrehen und zerreden könnte, sondern es handelt sich um das Hervortreten eines neuen biologischen Typs, die Geschichte mutiert und ein Volk will sich züchten. Allerdings ist die Auffassung vom Wesen des Menschen, die dieser Züchtungsidee zugrunde liegt, dahingehend, daß er zwar vernünftig sei, aber vor allem ist er mythisch und tief. Allerdings denkt man hinsichtlich seiner Zukunft so, daß man ihn unten am Stamm okulieren muß, denn er ist älter als die Französische Revolution, schichtenreicher, als die Aufklärung dachte. Allerdings empfindet man sehr weitgehend ihn als Natur, ihn als Schöpfungsnähe, man erlebt ja, er ist weit weniger gelöst, viel wundervoller an das Sein gebunden, als es aus der höchstens tausendjährigen Antithese zwischen Idee und Realität erklingt."

    Hat Benn, der so große Meister von Sprache und Gedanken, diese deutungsgeladene Botschaft vorbereitet oder ex tempore vorgetragen? Jedenfalls ist der mystisch-esotherische Ton schon bald in vielen Veröffentlichungen dieser Zeit zu vernehmen.[2]

    Er ist bis heute nicht widerspruchsfrei in eine Dichter- und Denkerbranche einzuordnen. Ein „verunglückter Nazi war er für die einen. Ein „intellektueller Schwerverbrecher, ein „typischer Kulturbolschewist, ein „Verräter an sich selbst oder „ein moralisches Monstrum" für die anderen.[3] Holger Hof, der Autor einer Benn’schen Biografie, nennt ihn geistreich zusammenfassend „Medizyniker". Der Partei ist er jedenfalls nicht beigetreten.

    Benn bleibt für seine Leser ein widersprüchliches Temperament von hohen Gaben.

    Auch die schreibende Jugend ließ sich einfangen, um der in Deutschland aufkommenden Gegenkultur zum Durchbruch zu verhelfen. So viele glaubten, der jungen Botschaft, besser gesagt Gegenkultur, dienen zu müssen, im radikalen Ton.

    Ein junger Getreuer aus diesen Reihen, Gottfried Griesmayr, schlug vor, die NS-Lehren unter den Deutschen durchzusetzen, denn alle Volksgenossen sollten zu Nationalsozialisten umerzogen werden. Ein politisches Ziel, das er in seinem Text begründet mit einem Aktionsplan aus einer Rede Hitlers: „Weich bin ich als Mensch, graniten hart bin ich als Führer dieser Partei. Alles kann ich verzeihen, nur eines nicht: Verrat an der Bewegung, Untreue an ihr. Wer sich hier gegen den Geist der Bewegung versündigt, hat mich als fanatischen Todfeind gegen sich. Und ich werde nicht ruhen und nicht rasten, bis ich ihn entfernt habe."[4]

    [1]Gunter d’Alquen, Hrsg., Auf Hieb und Stich. Stimmen zur Zeit am Wege einer deutschen Zeitung, München, 1937, S. 245/6 u.276 et passim.

    [2]Gottfried Benn, Der neue Staat und die Intellektuellen, Stuttgart, 1933, Antwort an die literarischen Emigranten, S. 28. – Der Ton der beiden Rundfunkreden v. 24. April u. 24. Mai 1933 gibt sich erhoben und tiefsinnig.

    [3]Durs Grünbein, Elegie für einen Irrtum. Gottfried Benns ‚Statische Gedichte‘ von 1947. In: Die Zeit Feuilleton v. 14.04.2011.

    [4]Gottfried Griesmayr, Unser Glaube. Bekenntnis eines jungen Deutschen, Berlin, 1941, S. 25 u. S. 48 mit Quellenangabe: Rede am 6. Mai 1931 in Eutin. – Eine strenge ‚Führeranthologie ‘Der Führer zu Deiner Verpflichtung. Hrsg. v. der Reichsjugendführung. Bearbeitet und verantwortlich: Oberbannführer Gottfried Griesmayr, o. O., 1939 u. 1941. Das erwähnte Zitat trägt in dieser Sammlung als Ort u. Datum: 7. Sept. 1931 München.

    Humanistische Träume werden beargwöhnt

    Die NS-Herrscher sorgten wie die Spartaner durch den Einsatz von ‚Ephoren‘ für die Einhaltung der vorgeschriebenen Gedankenwelt. Durfte doch nur gelten, was der Großtyrann in seinen politischen Visionen forderte. Obendrein träumten die NS-Mächtigen, diese parteiamtlichen Glaubensinhalte in ganz Europa durchzusetzen und – man will es nicht für wahr halten – der übrigen Welt für alle Zeiten eine ‚Germanisierung‘ aufzuerlegen. Ein neuer Mensch war angestrebt, willig im Geist der neuen Lehre sich zu hitlern, d. h. sich zu entindividualisieren und zu entzweifeln.

    Auf unteren Ebenen hatte diese Umprägung zu folgenden volksnahen Anbetungsversen geführt:

    Deutschland

    […]

    Unsere Helle beleuchtet die fremde Welt,

    Dort wüten Unkraut und Feuer im Feld.

    Wir wehren ab den Feuerherd

    Und rotten das Unkraut aus Erd.

    Wir vertrauen dem Führer, dem Deutschlandlenker,

    Dem Gottgesandten, dem edlen Denker.

    Sieg heil! Dir, schöner deutscher Staat.

    Großdeutschland vertraut

    seiner eigenen Saat.[1]

    Schon der junge Joseph Goebbels verkündete diese erdumfassende Vision 1917 in seiner Abitur-Rede. Der Klassenprimus, mitten im Krieg voller pangermanischer Gedanken, verkündete diese Fata Morgana dem, wie er glaubte, bald siegreichen Deutschland. „Das Volk der Dichter und Denker hat die Pflicht, „dass es mehr ist als dieses. Dass es die Berechtigung in sich trägt, die politische und geistige Führerin der Welt zu sein.[2]

    Und Napoleon I. wie Napoleon III. hatten Paris zum „Mittelpunkt der ganzen Welt" werden lassen. Jetzt sollte diese ehrenvolle Aufgabe Berlin zufallen.[3]

    Gedanken, die nicht wenige der gehobenen Untertanen inspirierten.

    Hanns Johst, einer der damaligen Fundamentalisten, brachte dieses angestrebte Ziel in folgende befehlshafte Zeilen: „Der wahre Dichter ist völkisch! Mit Leib und Seel, mit Wort und Schrift gehört er zum Element, zum Sakrament seiner Nation."[4]

    Ein Kurzzeitdichter von kleinen Gaben setzte die zukünftigen Grundlagen des Denkens in bücher- und religionsunfreundliche Zeilen. Der einzige gültige und deshalb zuverlässige Gott war nun ein diesseitiges Wesen. Buch und Kruzifix, Philosophie und Theologie also, hatten ausgespielt, und die endgültige Wahrheit war damit jedermann leicht zugänglich.

    [1]Elisabeth Korb (Witwe) Neustadt, Weinstraße, Luitpoldstraße 19. In: Henrik Eberle, Hrsg., Briefe an Hitler, Bergisch-Gladbach, 2007, S. 339.

    [2]Zit. nach: Georg Bönisch, Das Böse Genie. Joseph Göbbels schuf die Marke Hitler und ebnete den Nationalsozialisten den Weg zur Macht. In: Der Spiegel 47/2010 22.11.2010, S. 79.

    [3]Jochen Thies, Architekt der Weltherrschaft. Die „Endziele" Hitlers, Düsseldorf, 1976, S. 38.

    [4]Hanns Johst, Standpunkt und Fortschritt, Oldenburg, 1933, S. 27; zit. nach H. Lengenbucher, Nationalsozialistische Dichtung, Einführung und Übersicht, Berlin, 1935, zu H.J.’s ‚Textmotto‘.

    Wahrheit

    Wenn ihr von Glauben spricht,

    so fragt ihr: was ist wahr und recht?

    Und sucht in Büchern, die die Menschen schrieben,

    die Wahrheit wie ein blindes Licht

    und seht dabei die vielen nicht,

    die müde schon darüber blieben.

    Uns gab ein Gott die Antwort

    auch ohne Bücher und Altar,

    wir glauben:

    nur was uns stark macht, das ist wahr![1]

    Die Anweisungen von oben waren als verordnete Wahrheit hinzunehmen, die jeglicher Deutung entzogen wurde. Widerlegungen hatten harte Strafen zur Folge. In Wien zirkulierte ein Witz, der diese Angst der Herrschenden vor dem falschen Verstehen der Gedanken Hitlers parodiert: „Hitlers Weihnachtsrede wird morgen in allen Zeitungen sein. Und zwar mit dem kleinsten Druck, damit niemand zwischen den Zeilen lesen kann."[2]

    So viele neue Menschen, zum Zweifel unfähige Mitdenker, hatten unter dem Trommelfeuer der Propaganda sich ganz angepasst an den allein gültigen politischen Glauben und dabei ihre Identität aufgegeben. Die zurechtgeschnitzten Parteigenossen, PGs, waren endgültig von den quälenden Fragen des Gewissens befreit.[3]

    Das „Neue Kampf- und Gemeinschaftslied […] trägt bereits die unverkennbaren Züge der neuen Generation, für die der sieghafte Kampfweg des Führers und Horst

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