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Reich sein: Das mondäne Wien um 1910
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eBook682 Seiten15 Stunden

Reich sein: Das mondäne Wien um 1910

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Über dieses E-Book

Wien nach der Jahrhundertwende: Etwa tausend Wiener Familien, die Reichsten der Reichen, bilden die Spitze der Gesellschaft. Es ist eine exklusive Welt, die einen mondänen Lebensstil pflegt. Man trifft sich am Tennisplatz und beim Derby im Prater, diniert im Sacher und verbringt den Winter in Abbazia. Die Herren tragen feinen Zwirn, ihre eleganten Frauen Mode aus Paris. Sie heißen Rothschild, Wittgenstein oder Krupp, leiten Banken, handeln mit Holz und Kohle oder genießen als Rentiers ihre enormen Einkünfte.
Reichtum, so zeigt Roman Sandgruber in seinem großartigen Porträt dieser Wiener Eliten, wurde seither nie mehr so unverhüllt zur Schau gestellt wie um 1910: mit riesigen Villen, vielen Dienstboten, großen Autos, luxuriösen Reisen. Gleichzeitig war die Einkommensungleichheit so extrem wie nie. Eine Traumzeit für Millionäre und eine rauschhafte Zeit vor dem Untergang der Habsburgermonarchie.
SpracheDeutsch
HerausgeberMolden Verlag
Erscheinungsdatum6. Okt. 2022
ISBN9783990406861
Reich sein: Das mondäne Wien um 1910

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    Buchvorschau

    Reich sein - Roman Sandgruber

    Sonja Knips, geborene Baronin Potier des Echelles, die Gattin des Industriellen Anton Knips. Gemälde von Gustav Klimt, 1897/98, Österreichische Galerie Belvedere.

    INHALT

    VORWORT

    Einleitung: Das große Steuerleid

    TEIL I: REICH SEIN

    Die Ein-Promille-Gesellschaft

    929 Millionäre

    TEIL II: REICH WERDEN

    Der Reichste der Reichen

    Vom Bankier zum Banker

    Die letzte Blüte der Privatbankiers

    Die Macht der Bankdirektoren

    Handel macht reich

    Die Holz- und Kohlenhändler

    Alles ist Handel

    Textilhändler und Warenhäuser

    Abenteurer und Imperialisten

    Industrielle und Erfinder

    Die Königin der alten Industrie

    Brauherren und Zuckerbarone

    Schöne Sachen

    Mehr Licht

    Die beginnende Informationsgesellschaft

    Kreise um Wittgenstein

    Rüsten für den Krieg

    Das Zeitalter der Maschinen

    Der aufgehende Stern der Autoindustrie

    Die galizischen Ölmillionäre

    Der große Bauboom

    Von Tellerwäschern zu Millionären

    Nobeladvokaten und Rechtsvertreter

    Reiche Professoren und ein paar nicht arme Studenten

    Kunst und Geld

    Die Zeitungszaren

    Reiche „arme" Staatsdiener

    TEIL III: REICH ERBEN

    Außer Konkurrenz – die Habsburger

    Der „alte Adel – die „erste Gesellschaft

    Der „neue Adel – die „zweite Gesellschaft

    Lustige Witwen und reiche Töchter

    Jüdischer Reichtum

    TEIL IV: REICH BLEIBEN

    Die Religionen und der Geist des Kapitalismus

    Kapitalismus als Religion

    Reichtum und Bildung

    Reichtum und Mobilität – Schmelztiegel Wien

    Quinquin – Heirat und Sexualität im Umbruch

    Alles Netzwerke und Seilschaften!

    „Orden sind mir wurscht!"

    Aussteiger und schwarze Schafe

    Der Aufstand der Armen

    Die Politik der Reichen

    TEIL V: REICH LEBEN

    „Oh, wie herrlich lebten sie!"

    Die Statussymbole der Reichen

    Die Orte der Reichen

    Jagderlebnisse und Jagdergebnisse

    Bergeroberungen

    Millionäre auf dem Rad

    Herrenreiter

    Herrenfahrer

    Polo und Golf – die neuen Spiele der Reichen

    Tennisfreundschaften und Tennisduelle

    TEIL VI: REICH STERBEN

    Reich sterben ist eine Schande

    Leben und Weiterleben

    Die Bilder der Reichen

    Das Buddenbrook-Syndrom

    „Wenn das Haus fertig ist, kommt der Tod"

    Die Katastrophe des Holocaust

    TEIL VII: AUSBLICK

    Die Wiederkehr der Ungleichheit

    Anmerkungen

    TEIL VIII: DIE 929 REICHSTEN WIENERINNEN UND WIENER DES JAHRES 1910

    Geldeinheiten und Umrechnungen

    Bildnachweis

    Impressum

    Feudale Pracht an der Ringstraße: das Palais Ephrussi, errichtet 1872/73 nach Plänen von Theophil von Hansen. Foto: Harald Jahn.

    Die Harlander Baumwollspinnerei. Die kaufmännische Leitung der „Harlander" übernahm 1889 Josef Salcher jun., der ältere Bruder von Alfred und Carl Salcher.

    Anprobe im vornehmen Modegeschäft Zwieback in der Kärntner Straße. Ella Zwieback, die Tochter des Textilfabrikanten und Warenhausbesitzers Ludwig Zwieback, hatte 1899 Alexander Zirner (1863–1924), den Gesellschafter der Firma Brüder Zirner, geheiratet und erbte nach dem Tod des Vaters 1906 das Warenhaus. Alexander Zirner meldete anno 1910 dem Fiskus 376.047 Kronen zum Versteuern.

    „WENN MAN ZEIT HAT,

    UND IN DER LAUNE IST,

    BAUT MAN FABRIKEN,

    EROBERT LÄNDER,

    SCHREIBT SYMPHONIEN,

    WIRD MILLIONÄR …

    ABER GLAUBE MIR,

    DAS IST DOCH ALLES

    NUR NEBENSACHE.

    DIE HAUPTSACHE –

    SEID IHR! – IHR – IHR! …"

    Arthur Schnitzler,

    Das weite Land, 1910

    VORWORT

    Wien um 1910: Die Reichshaupt- und Residenzstadt der Habsburgermonarchie hatte die Zweimillionengrenze überschritten und träumte von 4 Mio. Einwohnern, in einem Reich, das auf 52 Mio. angewachsen war. Wien war zur siebtgrößten Stadt der Welt und viertgrößten Europas geworden: ein Schmelztiegel der Nationen, eine Hochburg der Künste und Wissenschaften, eine Stadt der Träume, aber auch der harten sozialen und nationalen Gegensätze, die von schmelzenden Operettenmelodien und einem verzopften Hofzeremoniell nur oberflächlich zugedeckt wurden. Für die einen war es die „gute alte Zeit, das „Zeitalter der Sicherheit und ein „letzter Glanz der Märchenstadt, für die anderen ein „Tanz auf dem Vulkan, ein „Völkerkerker und ein Warten auf die „letzten Tage der Menschheit. Noch regierte der alte Franz Joseph, Kaiser von Österreich und König von Ungarn, König von Böhmen, Markgraf von Mähren, Erzherzog von Österreich, Herzog von Steiermark, Kärnten und Krain, gefürsteter Graf von Tirol, König von Galizien und Lodomerien. Immer noch auch mit dem Titel eines Königs von Jerusalem und – merkwürdig genug im Lichte der späteren Geschichte – eines Herzogs von Auschwitz. Es war Klimts Wien, Mahlers Wien, Schnitzlers Wien, Wittgensteins Wien, Freuds Wien, Herzls Wien, Rothschilds Wien, Luegers Wien. Hitlers Wiener Jahre begannen 1908, Trotzki lebte hier von 1906 bis 1914 und Stalin recherchierte im Jahr 1913 hier für seine Studien über die Nationalitätenprobleme. Josip Broz, später Tito genannt, wohnte im selben Jahr in Neudörfl und arbeitete in den Daimler-Werken in Wiener Neustadt.

    Es war eine spannende Zeit: in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Technik, in der Politik. Wien glänzte als Mekka der Medizin. Die Grundlagen von Physik und Chemie wurden neu definiert. In Geschichte, Ökonomie, Soziologie und Rechtswissenschaften wurden Höchstleistungen vollbracht. Die Kunst war in raschem Umbruch. Noch dominierten die historisierenden Stile. Aus heutiger Sicht aber ist es die Zeit des Jugendstils. Hans Makart hatte eine ganze Epoche geprägt. John Quincy Adams malte die feudalen Eliten, Gustav Klimt die modischen Aufsteiger, besser gesagt deren Frauen und Töchter. Josef Hoffmann richtete ihre Villen ein. Adolf Loos provozierte den Kaiser mit seinem direkt vor die Hofburg platzierten Haus ohne Schnörkel und Verzierungen. Arthur Schnitzler, der einflussreichste und umstrittenste Dichter der Epoche, provozierte Theaterskandale, Arnold Schönberg provozierte mit neuer, vorher nie gehörter Musik, Sigmund Freud provozierte mit der Analyse der Seele. Die Wiener Könige der Silbernen Operette feierten internationale Erfolge. Gustav Mahler war, von der Leitung der Staatsoper enthoben, nach Amerika gegangen und todkrank zurückgekehrt. Man unterhielt sich glänzend: in der Hofoper und im Burgtheater, auf den Flaniermeilen am Ring und auf den Rennplätzen im Prater, in den Separées im Sacher und bei der Heurigenmusik in Grinzing. „Die Frauen sind schön und elegant. Und überhaupt alles ist verteufelt elegant", schrieb Anton Tschechow anlässlich seines Aufenthalts über das Wien des Fin de Siècle.¹ Die Wortwahl „verteufelt", beim Wortsinn genommen, lässt die dunkle Ahnung von einem bevorstehenden Verderben mitschwingen.

    Der Glanz der Ringstraßengesellschaft blendet. Ihre Leistungen beeindrucken. Die damit verbundenen Ungerechtigkeiten, Benachteiligungen und Fehlentscheidungen müssen nachdenklich stimmen. Es sind etwa 1.000 Millionäre, die die Einkommensspitze dieser Gesellschaft bildeten: das Kaiserhaus, hohe Adelige und Großgrundbesitzer, Rentiers und Bankleute, Großhändler und Industrielle, einige Baumeister, ein paar Künstler, Wissenschaftler und Ärzte, kaum Politiker und Beamte, eine Reihe von Witwen und reichen Erbinnen und ein Kardinal. Wie und von wem diese „verteufelte" Eleganz finanziert wurde, darüber hat sich die österreichische und internationale Geschichtsforschung, die zum Fin de Siècle und seinen kulturellen und sozialen Oberschichten hervorragende und zu Recht berühmte Studien präsentiert hat, wenig Gedanken gemacht. Die österreichische Wirtschaftsgeschichte hat sich 50 Jahre lang vorwiegend mit Fragen des Wirtschaftswachstums, aber wenig mit dessen Verteilung beschäftigt. Die Sozialgeschichte hat sich in Richtung der Kulturgeschichte bewegt. Die zwei informativen und ambitionierten Teilbände über die sozialen Strukturen der Habsburgermonarchie zwischen 1848 und 1918 heißen zwar Von der feudal-agrarischen zur bürgerlich-industriellen Gesellschaft und Von der Stände- zur Klassengesellschaft. Dass „Klassen auch etwas mit Einkommen und Vermögen zu tun haben, kommt in den fast 2.000 Seiten, die sich mit den „sozialen Strukturen und den sozialen Fragen beschäftigen, aber nicht zum Ausdruck.² Fragen nach Einkommen und Vermögen sind in Österreich offensichtlich nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in historischer Perspektive in hohem Maße tabuisiert. Wie groß war die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen? Wer gehörte zu jenem Kreis der reichsten Wienerinnen und Wiener, die die „erste und „zweite Gesellschaft der untergehenden Habsburgermonarchie bildeten und gleichzeitig deren kulturellen und alltäglichen Glanz und Nachklang formten? Was verdienten die Habsburger, der Hochadel, die Bankiers und Industriellen, die Freiberufler, Künstler oder auch die Frauen, die die Ringstraßengesellschaft bildeten? Und was waren die Ursachen der extremen Ungleichheit der Einkommen und Vermögen?

    Die vorliegende Studie hat mehrere Ziele: zum ersten eine Analyse der Einkommensverteilung und der Spitzeneinkommen, die sich heute wieder den Verhältnissen vor 100 Jahren angleichen, nicht nur in den USA und in Westeuropa, sondern auch in Österreich, zweitens eine Analyse der Sozialstruktur dieser obersten Oberschicht und der sozial- und wirtschaftshistorischen Triebkräfte des Wiener Fin de Siècle und drittens eine biographisch-proso-pographische Erfassung der Zugehörigen dieser Ringstraßengesellschaft. Mit den etwa 1.000 höchsten Einkommensbeziehern wird der Blick von den fünf bis zehn großen, geistesgeschichtlich herausragenden Persönlichkeiten, die meist stellvertretend für das Wien des Fin de Siècle genommen werden,³ auf jenes oberste Promille erweitert, das die finanzielle und wirtschaftliche Oberschicht dieser Stadt ausmachte.

    Das Projekt wurde ohne öffentliche oder private finanzielle Förderungen und Drittmittel durchgeführt. Dennoch ist der Autor vielen Personen zu Dank verpflichtet. Gerhart Bruckmann gab den Anstoß, als er dem Autor die Kopie einer Namensliste der 929 höchsten Steuerzahler Wiens und Niederösterreichs im Jahr 1910 überließ.⁴ Ernst Bruckmüller und Hannes Stekl haben mit ihren Forschungsprojekten zum Bürgertum im 19. Jahrhundert und zu Armut und Reichtum viel wissenschaftliche Vorarbeit geleistet, ebenso die Akademie der Wissenschaften mit dem Biographischen Lexikon und Helmut Rumpler mit der Herausgabe der Monumentalreihe zur Geschichte der Habsburgermonarchie 1848–1918. Dass sich amerikanische Historiker in besonderem Maß für das Wiener Fin de Siècle interessiert haben, hat die internationale und innerösterreichische Aufmerksamkeit für die Thematik sehr gesteigert. Georg Gaugusch hat mit seinen genealogischen Studien zu den 500 wichtigsten jüdischen Familien Wiens nicht nur eine wichtige Grundlage geliefert, sondern auch den Autor selbstlos mit Rat und Tat bei der Erstellung der Biographien unterstützt und die Kurzbiographien einer akribischen Korrektur unterzogen. Das Wiener Stadt- und Landesarchiv war bei Datenrecherchen im Melderegister sehr behilflich, ebenso das Stadtarchiv St. Pölten. Ich danke zahlreichen Forschern und Nachkommen der damaligen Familien, die mich durch Informationen und Materialbeistellung unterstützt haben: Jens Budischowsky, Michael John, Petrus Kaserer, Oliver Kühschelm, Albert Lichtblau, Dieter Lutz, Michael Pammer, Georg Ransmayr, Wolfgang Reitzi, Markus Riccabona, Elmar Samsinger, Georg Sayer, Gertraud Vonwiller, Alexander Zerkowitz und vielen anderen. Ich danke Norbert Loidol, der mit seinem großen Wissen manche Fehler korrigiert hat. Gerlinde Hinterhölzl hat den biographischen Teil lektoriert. Der Dank gilt nicht zuletzt dem Styria Verlag und Johannes Sachslehner, der das gesamte Buchprojekt betreut hat, und der Johannes Kepler Universität Linz, in deren wissenschaftlichem Feld die Forschungen erfolgen konnten. Vor allem aber danke ich meiner Frau Margith und meiner Familie für die langjährige Geduld, die ein derartiges neben dem Universitätsalltag laufendes Forschungsprojekt erfordert.

    Linz, im Juli 2013

    VORWORT ZUR NEUAUSGABE

    Seit der ersten Auflage dieses Buches im Jahr 2013 sind neun Jahre vergangen, in denen viel geforscht wurde, auch viele Erinnerungen bei Nachfahren und Erben neu oder wieder aufgetaucht sind und mir viel erzählt und mit mir ausgetauscht wurde. Das Wiener Fin de Siècle hat seine Faszination nicht eingebüßt, sondern noch weiter gesteigert. Es sind nicht nur wichtige wissenschaftliche Beiträge neu hinzugekommen, sondern noch mehr Bildbände, Filmdokumentationen und literarische Aufarbeitungen.

    Das monumentale Werk von Georg Gaugusch über das jüdische Großbürgertum (Wer einmal war) ist um den zweiten Band erweitert worden. Auf den dritten warten wir immer noch. Marie-Theres Arnbom hat die Reihe ihrer Villenführer inzwischen auf fünf Bände ausgeweitet. Der fantastische Blog von Eva Maria Mandl (Rustenschacher Allee – Pratercottage) und vieles andere wäre zu erwähnen.

    Es ist dem Verlag zu danken, dass er das Buch nicht nur neu aufgelegt, sondern auch eine gründliche Überarbeitung und großzügige Ausgestaltung möglich gemacht hat. Es liegt nun nicht nur in aktualisierter, sondern auch in gestraffter und noch viel schöner illustrierter Form vor. Das Verzeichnis der 929 Millionäre und Millionärinnen hingegen konnte auf wenige Eckdaten gestrafft werden, nicht so sehr aus Platzgründen, sondern weil diese Biographien inzwischen an anderer Stelle und vielfach auch im Internet viel ausführlicher und aktueller verfügbar sind.

    Linz, im Sommer 2022

    Arthur Krupp (1856–1938) war eine der prägendsten Unternehmerpersönlichkeiten Österreichs. Er versuchte Berndorf mit der Metallwarenfabrik, der Industriellenvilla, den Arbeiter- und Beamtenwohnhäusern, einer Konsumanstalt, den beiden in den wichtigsten Stilperioden der Kunstgeschichte gestalteten Schulen, dem prunkvollen Arbeitertheater und der dazwischen positionierten neobarocken Pfarrkirche zu einer „idealen" Industriestadt zu gestalten.

    Johanna Albertine Gartenberg (1897–1991), die Gattin von Wolko (Wilhelm) Gartenberg, dem zweitjüngsten der sechs Söhne des galizischen Ölpioniers Moses Gartenberg (1841–1916), mit der vierjährigen Tochter Edmée. Gemälde von Anton Faistauer, 1924, Öl auf Leinwand, Schütz Art Museum, Engelhartszell.

    EINLEITUNG

    DAS GROSSE STEUERLEID

    Ach, diese Steuern! Nicht nur für Arthur Schnitzler war das Erstellen der jährlichen Steuererklärung eine ewige Qual. In seinem Tagebuch nahm es viel Raum ein, obwohl ihm ein kunstbeflissener Hofrat zur Hand ging. Am 27. Jänner 1908 schreibt er: „Kais. Rath Gaschler bei mir; setzte mir meine Personaleinkommenssteuerfassion auf. Er fügte zur Person des Josef Gaschler erklärend hinzu: „Eine wohl nur in Österreich mögliche Figur: ein wohlhabender Hausbesitzer über 50, der aus Verehrung für die Kunst Persönlichkeiten aus der Kunst- und Theaterwelt bei der Abfassung der Steuerfassion und im Verkehr mit der Steuerbehörde an die Hand geht.

    Die Einkommenssteuer kehrt in Schnitzlers Tagebuch mit monotoner Regelmäßigkeit zu Anfang jeden Jahres wieder: Am 28. Jänner 1910: „K. R. Gaschler, wegen der Steuerfassion. Noch einmal am 28. April 1910: „K. R. Gaschler, mir Weisungen für die Steuerbehörde gebend. Und am 15. November 1910 wieder: „Kais. Rat Gaschler hilfreich in einer Steuersache. Man will mir nachträglich für den Grillparzerpreis Personaleinkommenssteuer aufrechnen. Dabei haben sie dem Schönherr (gemeint ist Karl Schönherr), der für den Bauernfeld-Preis fatierte, das Geld zurückgegeben resp. ausdrücklich mitgeteilt, Preise seien steuerfrei."

    Im Jänner 1911 geht es in ähnlicher Art weiter. Am 30. Jänner 1911: „Steuerfassion. Am 6. Mai 1911: „Nachmittag war Kais. R. Gaschler bei mir, Auskunft einholen inoffiziell quasi über Einkommensverhältnisse Schönherrs, der thatsächlich in seiner Fassion das unverschämteste geboten zu haben scheint (Melodie: ‚Wenn das ein Jud thut …‘ oder ‚das kann nur ein Jud thun …‘) und einer Strafuntersuchung nah war. (Ich erklärte natürlich, dass meines Wissens Sch.s Einkünfte bis ‚Glaube‘ ganz unbedeutend gewesen, und verständigte ihn). Wieder am 29. September 1912: „Vormittag Kais. Rat Gaschler in Steuerangelegenheiten … Die Schulden Saltens; die doppelt verpfändeten Tantièmen. Mir bangt um ihn. Und am 3. März 1913: „K. R. Gaschler in Steuersachen. Müller Guttenbrunn; der feine Herr denunziert mich und Schönherr und gibt (bewusst falsch) an, dass 2.000 Aufführungen meiner Stücke (in Wirklichkeit 767) stattfanden.⁵ Gaschler starb 1913. Die Probleme Schnitzlers mit der Steuer aber blieben, auch wenn es aus heutiger Sicht recht geringe Probleme waren. Schnitzler dürfte vor dem Krieg im Schnitt etwa 500 bis 1.000 Kronen Einkommenssteuer im Jahr zu zahlen gehabt haben. Bei seinem Einkommen von mehr als 50.000 im Jahr eine kaum nennenswerte Summe!

    Die Steuern waren vielleicht lästig. Aber sie verringerten die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen kaum, sondern verstärkten sie sogar. Für uns allerdings sind sie die wichtigste Quelle, diese Ungleichheit erfassen und messen zu können. Das gilt vor allem für die Einkommenssteuer. Der Einführung der progressiven Einkommenssteuer im Jahr 1898 waren jahrzehntelange Verhandlungen im Abgeordnetenhaus vorausgegangen. Der Anlass dafür war, dass die Steuerreformen bis in die 1880er Jahre vor allem die indirekten Steuern erhöht hatten und damit den Druck auf die Einkommensschwachen verstärkten, während der Anteil der direkten Steuern am Gesamtsteueraufkommen immer weiter zurückgegangen war. Die Besteuerung der selbständigen Einkommen basierte bis dahin auf der 1812 eingeführten Erwerbssteuer und einer 1849 beschlossenen Einkommenssteuer, die die Industriebetriebe kaum oder mit lächerlich niedrigen Sätzen erfasste und nicht den tatsächlichen Ertrag, sondern die Ertragsfähigkeit eines Unternehmens bewertete. An ihrer Stelle sollte als Hauptstück eine neue progressiv und gerechtere Einkommenssteuer kommen.⁶ 1886 wurde ein für die damalige Zeit wahrhaft „radikaler" Entwurf im Abgeordnetenhaus eingebracht, der eine Progression bis 15 Prozent bei Einkommen über 100.000 Gulden vorsah. Der Finanzminister Julian Ritter von Dunajewski hingegen plädierte für eine mäßige Progression von 0,6 bis maximal 3 Prozent. Erst unter Finanzminister Dr. Emil Steinbach wurde die Einführung der progressiven Einkommenssteuer energisch in Angriff genommen, Eugen Böhm-Bawerk hat sie als Sachbearbeiter und hernach Finanzminister finalisiert.⁷

    Beschlossen wurde das neue Einkommenssteuergesetz im Jahr 1896. In Geltung stand es erstmals 1898. Die Steuerpflicht begann bei Jahreseinkommen von 1.200 Kronen. Die Steuerbelastung stieg mit leichter Progression von 0,6 Prozent in den untersten Einkommensstufen bis auf nahe 5 Prozent bei den höchsten Einkommen über 200.000 Kronen. Allerdings kam diese Obergrenze nur für etwa 20 Steuerzahler tatsächlich zur Wirkung. Bei den 100.000er Einkommen bewegte sie sich in Richtung von etwa 3 Prozent. Im Herrenhaus allerdings wurde der Spitzensteuersatz von 5 Prozent weiterhin als viel zu hoch beklagt und vergeblich auf 4 Prozent zu senken versucht.

    Versteuert werden mussten alle Geld- und Naturaleinnahmen. Abgezogen werden konnten Betriebsausgaben, übliche Abschreibungen, Schuldzinsen und rechtsverbindliche Lasten aus betrieblichen Aufwendungen, nicht aber Auslagen für den Haushaltsbedarf, für Dienstboten oder die Wohnung. Auch der fiktive Mietwert des Wohnens im eigenen Hause musste in die Einkommen einbezogen werden. Vermögenserhöhungen aus Erbschaften und Schenkungen hingegen galten nicht als steuerpflichtige Einkommen, sondern unterlagen anderen Steuern. Sehr wohl versteuert aber wurde das Einkommen, das aus diesen Vermögenszuwächsen herrührte. Einnahmen aus der Veräußerung von Vermögensobjekten wurden nur dann dem zu versteuernden Einkommen zugerechnet, wenn diese im Zuge einer Erwerbsunternehmung oder in Ausführung eines Spekulationsgeschäftes erfolgt waren. Einkommensversteuert wurden auch alle Dividenden, Zinsen und sonstigen Kapitalerträge und im Unterschied zur aktuellen österreichischen Rechtslage auch Glücksspielgewinne.

    Besteuert wurde nicht die einzelne Person, sondern der Haushalt. Untergliedert wurden die Einkommen in den Steuerbekenntnissen nach sechs Gruppen: Grundbesitz, Gebäudebesitz, selbständige Erwerbsunternehmen, Dienstbezüge, Kapitaleinkommen und sonstige Einkommen. Dass wie bei allen Steuerveranlagungen die Vorschreibungen die Realität nicht exakt trafen, ist anzunehmen. Die Einkommen aus Grundbesitz waren wahrscheinlich nur unzulänglich erfasst. Das wurde schon in zeitgenössischen Kommentaren kritisiert. Auch beim Hausbesitz dürfte die Erfassung zu gering gewesen sein. Das war aber nicht das Hauptproblem. Denn die Steuerlast der Habsburgermonarchie war höchst ungleich verteilt. Aber ganz in die andere Richtung, als die Spitzenverdiener behaupteten. Sie jammerten über die Steuern und merkten nicht, wie privilegiert sie waren. Denn gemessen an ihrem Einkommen waren sie viel weniger belastet als die Geringverdiener, die über die indirekten Steuern, die hauptsächlich Grundbedürfnisse erfassten, in einem wesentlich höheren Maße zum Steueraufkommen beitrugen als die Spitzenverdiener.

    Die progressive Einkommenssteuer mit ihrer kaum eine wirkliche Progression erkennen lassenden Staffelung der Steuersätze von 0,5 bis 5 Prozent hatte an den gesamten Staatseinnahmen im Jahr 1910 nur einen Anteil von weniger als 5 Prozent. Zu den direkten Steuern zählten ferner die Grundsteuer und die Hausklassen- und die Hauszinssteuer. Die Grundsteuer brachte nur halb so viel wie die Einkommenssteuer. Die Einnahmen aus den Gebäude- und Mietensteuern waren zwar etwas höher als die aus der Einkommenssteuer. Aber es ist klar, dass gerade die Mietensteuern zu einem hohen Teil auf die Mieter überwälzt werden konnten und überwälzt wurden. Die Mieten vor dem Ersten Weltkrieg waren extrem hoch und verbrauchten etwa ein Viertel der Ausgaben einer durchschnittlichen Wiener Arbeiterfamilie. Die Unternehmenssteuern (die Allgemeine Erwerbssteuer und die Erwerbssteuer auf rechnungspflichtige Unternehmen) brachten ungefähr so viel wie die Einkommenssteuer. Insgesamt ergaben alle direkten Steuern (Einkommenssteuer, Unternehmenssteuern, Grundsteuer, Hauszinssteuer) zusammen etwa ein Fünftel des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens des Staates.

    Mehr als 70 Prozent der Staatseinnahmen kamen aus indirekten Steuern, die restlichen 10 Prozent von sonstigen Abgaben und von den Staatsbetrieben. Da es noch keine allgemeine Umsatzsteuer gab, wurden einzelne genau definierte Waren mit entsprechenden Steuern belastet: Branntwein, Wein und Bier, Mehl, Fleisch, Zucker, Mineralöl, Tabak, Salz und das Lotto. Dazu kamen noch Stempel, Taxen und Gebühren. Den höchsten Ertrag brachte das Tabakmonopol, gefolgt von den Zöllen, dann Zucker (fast 9 Prozent), Branntwein, Bier, Fleisch, Mineralöl (besteuert wurde damit vorwiegend das Licht der Petroleumlampen), dann erst kamen Salz und Lotto, und ganz zuletzt der Wein. Bei den Zöllen wurde etwa die Hälfte der Einnahmen aus der Besteuerung von Lebensmitteleinfuhren erzielt, insbesondere von Getreide und Kaffee, aber auch von Vieh, Fischen und Konserven. Etwa 20 Prozent stammten aus der sogenannten Verzehrungssteuer, 18 Prozent aus der Tabaksteuer, nicht ganz 3 Prozent aus der Salzsteuer und etwa 10 Prozent aus Zöllen.

    Besteuert waren vor allem Grundbedürfnisse mit sehr geringer Einkommenselastizität, von denen in einem Millionärshaushalt kaum mehr konsumiert wurde als in einer Arbeiterfamilie. Die Zolleinnahmen aus Automobilimporten hingegen waren kaum der Rede wert. Ein importiertes Automobil – der Zoll wurde nach dem Gewicht berechnet – war 1913 im Durchschnitt mit 128 Kronen belastet, bei Stückkosten der Automobile, die zwischen 3.000 und 18.000 Kronen liegen konnten. Auf inländischen Autos lag überhaupt keine Steuer. Ein bezeichnendes Detail war, dass zwar Bier, Branntwein und Wein hoch besteuert waren, das Luxusgut Schaumwein im Jahr 1910 aber noch steuerfrei war. Die Umsatzsteuer auf alle Waren, die die Verzehrungssteuer ersetzte, wurde erst 1917 bzw. nach Kriegsende eingeführt.

    Die hohe Besteuerung der Grundbedürfnisse bewirkte, dass ein Kleinverdiener eine wesentlich höhere prozentuelle Steuerbelastung zu tragen hatte als ein Millionär. Die Verbrauchsausgaben eines Arbeiterhaushaltes waren mit mindestens 20 Prozent Steuer belastet, die Einkommen eines Millionärs mit Sätzen, die deutlich unter 10 Prozent blieben. Erst die Kriegsschulden und die soziale Revolution nach Kriegsende erzwangen einen Wandel. Im Ersten Weltkrieg stieg der Grenzsteuersatz der Einkommenssteuer auf 38,5 Prozent und wurde in mehreren Schritten bis auf 60 Prozent im Jahr 1920 hinaufgesetzt. Auch eine Vermögensabgabe wurde eingehoben. Die wirkliche Steuer aber war die Hyperinflation. Der Krieg und die Hyperinflation krempelten die gesamte Vermögens- und Einkommensverteilung um, mit dem Ergebnis, dass sie nunmehr zwar viel gleicher war, aber gleichzeitig alle viel weniger hatten als zuvor. Für die Zukunft sah der Millionär August Miller-Aichholz nach dem Ersten Weltkrieg seine Ängste bestätigt: „Die Vermögensabgabe und eine ganze Reihe sehr drückender neuer Steuern werden das Verfügen über unsere einstigen Werte stark verändern und zum Teil unmöglich machen."

    ANNA SACHER

    (Wien 2.1.1859–25.2.1930)

    1880 heiratete Anna Maria Fuchs, die Tochter des Fleischhauers Johann Fuchs, den Gastronomen und Hotelier Eduard Sacher (1843–1892), dessen Vater Franz (1816–1907) als Erfinder der später weltberühmten „Sachertorte" gilt. 1876 hatte Eduard Sacher das Hotel in der Wiener Philharmonikerstraße eröffnet, das binnen weniger Jahre wegen seiner Eleganz, Exklusivität und Spitzengastronomie zum Treffpunkt der Wiener Oberschicht wurde. Nach dem frühen Tod ihres Gatten im Jahr 1892 übernahm Anna Sacher die Leitung des Hauses und machte das Hotel durch ihren einzigartigen Unternehmensstil zu einem der berühmtesten Häuser Europas. 1910 versteuerte die erfolgreiche Geschäftsfrau 179.924 Kronen. Erst 1929 zog sie sich aus der Hotelleitung zurück. Nach ihrem Tod musste über das Unternehmen der Ausgleich eröffnet werden. Die Familie Gürtler, die das Unternehmen aufkaufte, startete einen Neuanfang.

    Für die 263 Mio. Kronen Einkommen zahlten die 929 Einkommensbezieher in Wien und Niederösterreich, die im Jahre 1910 mehr als 100.000 Kronen Jahreseinkommen deklarierten, 12 Mio. Kronen Einkommenssteuer. Das ergab einen durchschnittlichen Steuersatz von 4,7 Prozent. Dennoch gab es viel Aufregung um die Einkommenssteuer. „Dass man dem Staat eine gewisse Berechtigung zur Einhebung von Steuern zubilligen müsse, ging dem berühmten Orthopäden Adolf Lorenz niemals ein: „Er betrachtete Steuern als veritablen Raub seines ehrlich und schwer verdienten Geldes. Der Räuberstaat war sein stehender Ausdruck.⁹ Die Steuervorschreibung versetzte ihn jeweils in hellen Zorn.

    „Oh, diese Steuern!" war auch der Standardsatz der aus Russland gebürtigen Witwe Rebecca Mauthner, der reichen Großtante des Historikers Heinrich Benedikt. Er erinnerte sich an den Luxus ihrer Wohnung am Kolowratring, die die ganze lange Flucht des ersten Stocks des Ringstraßenhauses einnahm, an die formalisierten Mittagessen, an die Praterfahrten mit den Orlowtrabern und dem gallonierten Kutscher auf dem Bock, an die wie Leibjäger livrierten Diener und – an die dauernden Klagen seiner Tante über die Höhe der Steuern.¹⁰ Sie deklarierte 1910 bei der Steuerveranlagung ein Jahreseinkommen von 160.000 Kronen und bezahlte dafür 6.920 Kronen Steuer oder 4,3 Prozent ihres Einkommens.

    Obwohl die Steuersätze aus heutiger Sicht lächerlich niedrig waren, gab es zahlreiche Verfahren wegen Hinterziehung. Gegen Arthur Schnitzlers Bruder Julius lief 1910 ein Steuerstrafverfahren. Unter dem Druck der drohenden Strafe wurde sein Einkommen von 138.000 Kronen auf 244.000 Kronen nachfatiert. Auch gegen Kalman Tafler und gegen die Brüder Eduard und Heinrich Mandl waren Verfahren anhängig. Ein Robert Müller, über den ansonsten nichts Näheres bekannt ist, hatte in den Vorjahren jeweils nur etwa 40.000 Kronen einbekannt und wurde in einem Strafverfahren auf 243.000 Kronen hinaufgesetzt. Man erzählte sich mit Genuss die Anekdoten über bekannte Steuersünder: Rudi Pick, einer der beiden Söhne Gustav Picks, des Verfassers des Fiakerlieds, lebte auf etwas zu großem Fuß: „Von der Löwenjagd, und nachdem er noch am Berg Sinai drei Steinböcke geschossen hatte, nach Wien zurückgekehrt, erhielt er einen Vorhalt vom Steueramt, wie es komme, dass er kein Einkommen bekenne, aber im Sacher wohne, einen eigenen unnummerierten Fiaker halte und vor kurzem eine gewiss recht kostspielige Jagdexpedition in Afrika mitgemacht habe? Rudi setzte auf den Vorhalt nur wenige Worte als Antwort: „Ich lebe halt über meine Verhältnisse.¹¹

    Das 1808 von Johann Jakob Geymüller als Sommerresidenz errichtete Schlösschen in Pötzleinsdorf erlebte unter dem Großindustriellen Isidor Mautner (2. von links) und seiner Frau Jenny eine gesellschaftliche Hochblüte. Das Mautner-Imperium war beeindruckend: Zum Ende des Ersten Weltkrieges war Isidor Mautner, der 1910 598.296 Kronen Jahreseinkommen versteuerte, Chef von 42 Fabriken mit ca. 23.000 Beschäftigten. Generaldirektor des Unternehmens war er selbst, die beiden Söhne Stefan (Stephan) und Konrad, die sich allerdings kaum für das Geschäft interessierten, waren seine Stellvertreter. In der Weltwirtschaftskrise zerbrach der Konzern.

    Es ging aber auch anders: Heinrich Eissler, durch 40 Jahre Chef der Firma Eissler – ein Kaufmann alten Schlages, voller Rechtlichkeit, Strenge und Staatsgesinnung –, weigerte sich, Steuerbekenntnisse zu unterschreiben, die ihm zweifelhaft erschienen, und erklärte bei einer Bücherrevision der bosnischen Filiale dem Steuerprüfer, die Bilanzen seien falsch, denn die Firma verdiene viel mehr. Die erboste Verwandtschaft drängte ihn daraufhin mit wiederholten schriftlichen und mündlichen Aufforderungen, freiwillig zurückzutreten, und erreichte schließlich 1919 beim Handelsgericht mit Hinweis auf sein Alter den Ausschluss aus der Firma, eine den Greis tief kränkende Maßnahme.¹²

    Man weiß zur Genüge, dass Steuerdaten fehlerhaft sind. Aber für uns sind sie dennoch die verlässlichste Quelle über die Höhe der Einkommen, vor allem bei den Spitzeneinkommen, auch wenn man meinen kann, dass manches nicht oder zu niedrig erfasst war. Man muss davon ausgehen, dass das, was die Steuerpflichtigen dem Finanzamt meldeten, eher die Untergrenze ihrer tatsächlichen Einkommen darstellte. Aber diese Untergrenze ist so hoch, dass sie die Spannweite der sozialen Probleme der Zeit überdeutlich aufzeigt.

    TEIL I

    REICH SEIN

    DIE EIN-PROMILLE-GESELLSCHAFT

    Hermann Horwitz war einer der sonderlichsten Bankleute Wiens im ausgehenden 19. Jahrhundert. Er litt, obwohl äußerst wohlhabend, an einer Verarmungsneurose. Nach Berichten sei er immer wieder, manchmal sogar mitten in der Nacht, aufgestanden, um sich über sein Vermögen zu vergewissern und darüber Bilanz zu legen, in der Angst, am Hungertuch nagen oder seine Familie mittellos zurücklassen zu müssen. Schlussendlich führte dieser Wahn zu seinem völligen Zusammenbruch und Selbstmord. Seine Ärzte, der Internist Dr. Carl Bettelheim und der junge Sigmund Freud, hatten vergeblich versucht, seinen Ängsten mit Kuraufenthalten, Medikamenten und Analysen zu begegnen.¹³

    Auch Sigmund Freud lebte in der ständigen Angst vor Verarmung. Der aus Wien gebürtige Nestor der amerikanischen Betriebswirtschaftslehre, Peter Drucker, dessen Eltern Freud gut kannten und dem er daher des Öfteren begegnet war, glaubte bei Freud eine „Geld- und Verarmungsneurose" diagnostizieren zu können. Er wollte so reich werden wie der Chemiker und Techniker Auer von Welsbach, der sich 1899 aus seinen Erfindungen des Gasglühlichts und der Osmium-Lampen ein riesiges Schloss in Kärnten leisten konnte, während Freud von seiner Traumdeutung in der Erstauflage nur 351 Stück verkaufen konnte: „… dass ich eine Erfindung machen möchte, die mich so reich und unabhängig werden lässt wie meinen Landsmann, den Dr. Auer von Welsbach", schrieb er.¹⁴ Freud fühlte sich ein Leben lang unterbezahlt. Er beklagte sich unaufhörlich über seinen imaginären Geldmangel, obwohl er ausgesprochen gut verdiente und zu den sehr wohlhabenden Wienern gehörte. Peter Drucker meint, dass derartige Neurosen in Wien um 1900 relativ häufig gewesen seien.¹⁵

    Reich zu sein und arm zu werden beherrschte die Träume und Ängste des Fin de Siècle. Reichtum wurde seither nie mehr so unverhüllt und demonstrativ zur Schau gestellt wie um 1900: mit riesigen Villen, vielen Dienstboten, großen Autos, teuren Pferden und weiten Reisen. Geld bestimmte auf Länder- und Gemeindeebene immer noch das Wahlrecht. Das Geld kämpfte mit dem ererbten Adel um die Position in der Gesellschaft. Wien um 1910 war ein Traumland für Millionäre. Die schmale Oberschicht dieser Millionäre teilte sich in zwei Gruppen, die sich gegenseitig belauerten und konkurrenzierten: die Hofgesellschaft zum einen, das Großbürgertum zum anderen, die einen ausgestattet mit viel symbolischem Kapital und großem Erbe, die andere mit noch größerem realem Kapital und rasch wachsenden Zukunftsaussichten. Der Adel verstand sich als die „erste Gesellschaft, als „die oder „eigentliche Gesellschaft. Sozial gab er immer noch den Ton an. Ökonomisch stand er längst im Schatten der „zweiten Gesellschaft, der alten und neuen Großbürger, auf die sich der Großteil des Reichtums konzentrierte.

    Es war die „gute, alte Zeit. Die Kaiserzeit. Aber war es auch eine gute Zeit? Die sozialen Probleme waren übergroß und die Schatten lang. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag immer noch bei etwa 60 Stunden. Die soziale Absicherung war ungenügend, die Wohnungsnot nicht gelöst. Urlaub gab es kaum, eine Krankenversicherung nur für Industriearbeiter, Handelsangestellte und Staatsbeamte, eine Altersversicherung überhaupt nur für Angestellte und Staatsdiener, eine Arbeitslosenversicherung für niemanden. Was aus bürgerlicher Sicht als „Zeitalter der Sicherheit erschien, war für die Arbeiter immer noch von höchster Unsicherheit und vielerlei Abhängigkeiten geprägt: vom Arbeitgeber, der mit Aussperrung drohte, vom Hausherrn, der beim kleinsten Mietrückstand die Delogierung erwirkte, vom Greißler, bei dem man anschreiben ließ. Es war eine ständige Hetzjagd mit der Zeit, zehn bis elf Stunden tägliche Arbeit, lange Fußwege von und zur Arbeitsstätte, kaum Zeit für Besorgungen, kaum Raum für Erholung, und kaum eine Chance, Ersparnisse anlegen oder dem Dasein entrinnen zu können. Gewalt lag in der Luft. Die Teuerung erregte die städtischen Massen. Streiks wurden mit vehementer Erbitterung und der Drohung von Aussperrungen durchgekämpft. Die Klassen und Nationalitäten prallten hart aufeinander. Auch die Bauern bangten um ihre Existenz. Die Diskussion um die Landflucht brach auf. Immer mehr Höfe wurden von Güterschlächtern aufgekauft und ihre Äcker und Wiesen zu Jagdrevieren aufgeforstet.

    1907 war mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts eine neue Epoche der Politik angebrochen. Vorerst galt es allerdings nur für Männer. Die Stunde der Massenparteien und der Massenbewegungen hatte geschlagen. Auf den Schultern der Massen stand Karl Lueger. Er prägte die Stadt wie kein anderer. Er war der Repräsentant der Kleinbürger. Die von Teuerung und Mietenwucher bedrängten Industriearbeiter fühlten sich von ihm nicht vertreten, auch wenn er für die Infrastruktur der Stadt viel bewirkte. Auch in den Salons der Reichen konnte er nicht willkommen sein. Sein Antisemitismus hätte alle abstoßen müssen, auch wenn ihn viele akzeptierten und auch seine Gegner seine Leistungen würdigten.

    Insgesamt waren nahezu 40 Parteien und Gruppierungen im Reichsrat vertreten. Neben den beiden größten Parteien, den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, entstanden verschiedenste kleinere Vereinigungen: von den Deutschradikalen und Schönerianern bis zu den Alttschechen, Jungtschechen und Tschechischen Nationalsozialisten, den Zionisten und den italienischen, polnischen und ruthenischen Nationalisten. Zwischen 1907 und 1913 gab es fünf Regierungen und eine lange Reihe von Ministerwechseln.

    Die Abkapselung, das Aufrichten von Grenzen, von realen und von imaginären, war das Hauptcharakteristikum der Epoche: Der Adel schottete sich vom übrigen Volk ab, der Erbadel vom Briefadel, die Nichtjuden von den Juden, die Katholiken von den Evangelischen. Die Oberschicht war tief gespalten. Am Hofball des Kaisers traf sich die aristokratische Elite, am Ball des Wiener Bürgermeisters die Klientel Karl Luegers, der damit die Vorstellung eines gesellschaftlich gleichwertigen Widerparts zur exklusiven Hofgesellschaft vermitteln wollte. Die jüdische Geldaristokratie, immerhin fast zwei Drittel der Millionäre, war nirgends beheimatet. Der Kaiser und die Hocharistokratie schlossen sie stillschweigend aus, die Kleinbürger und ihre Pateien hetzten gegen sie. Albert Rothschild, dem Reichsten der Reichen, war zwar der Zutritt zur Hofgesellschaft zugestanden worden. Doch integriert war er nicht: Für einen Händedruck des Kaisers reichte es nicht.

    Der zwischen 1892 und 1900 vollzogene Übergang von der Silber- zur Goldwährung, der mit der Umbenennung von Gulden und Kreuzer auf Krone und Heller verbunden war, schien die Sicherheit des Goldes zu bieten: eine sehr zerbrechliche Sicherheit, wie sich 1914 herausstellte. Von einem „goldenen Zeitalter der Sicherheit", das Stefan Zweig im Rückblick so wortreich beschwor, konnte keine Rede sein. Das traf für die Unterschichten nicht zu. Es war aber auch für die Millionäre recht trügerisch. Die vielen Verlustgeschichten gehen im Glanz der wenigen Erfolge unter. Carl Schorskes Utopie vom paradiesischen Garten, dessen Offenheit so abrupt zerstört worden sei, verdeckt die soziale Sprengkraft, die sich schon seit langem aufgebaut hatte.¹⁶

    Nie in der jüngeren Geschichte Österreichs und nirgendwo in der Habsburgermonarchie war die Vermögens- und Einkommensverteilung so ungleich wie in Wien in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Das oberste Zehntelpromille der Wiener verdiente im Jahr 1910 etwa 6,4 Prozent aller Einkommen, das oberste Promille 11,9 Prozent, das oberste eine Prozent mehr als ein Viertel und die obersten 10 Prozent mehr als die Hälfte aller Einkommen. Auf die obersten 20 Prozent entfielen zwei Drittel aller Einkommen.

    Rund 90 Prozent der Bevölkerung der westlichen Reichshälfte Österreich-Ungarns verdienten im Jahr 1910 weniger als 1.200 Kronen und fielen daher nicht unter die Einkommenssteuerpflicht. 1.513 Haushalte verdienten mehr als 100.000 Kronen, in Wien und Niederösterreich allein 929. Für das damals hoch industrialisierte Niederösterreich blieben nur 47 Millionäre. Wien saugte den Reichtum an. Nirgends, auch nicht in den großen Städten Triest oder Prag, gab es eine derartige Millionärsdichte wie in Wien. Böhmen hatte 283 Millionäre. Aber nur 57 davon lebten in Prag. Auch in Mähren waren die Millionäre nicht so stark auf das Zentrum Brünn konzentriert wie in Niederösterreich auf Wien. In den heutigen österreichischen Bundesländern gab es überhaupt nur wenige Millionäre.¹⁷

    Wien zog den Reichtum und die Armut an. Familien, die schon reich waren, suchten den Glanz des Hofes und der Stadt, Männer, die reich werden wollten, fanden die Gelegenheit dafür am ehesten in der Hauptstadt. Doch die Massen der Zuwanderer blieben arm, viele sogar sehr arm. Etwas mehr als 6 Prozent der Bevölkerung der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie lebten in Wien, aber fast zwei Drittel der Millionäre: „Millionäre gibt es in Wien eine ganze Menge – vielleicht tausend, vielleicht auch mehr", schrieb Otto Friedländer in seinem pathetischen Rückblick auf das Wiener Fin de Siècle.¹⁸ Er ging damit nicht fehl. Er konnte sich leicht durch einen Blick in das Statistische Handbuch überzeugen. Im Jahr 1910 weist es für die ganze österreichische Reichshälfte, also für ein Gebiet von mehr als 28 Mio. Einwohnern, 1.513 Spitzenverdiener mit einem Jahreseinkommen von 100.000 Kronen und mehr aus. Zwei Drittel davon, genau 929 Personen, lebten in Wien und Niederösterreich, d. h. 61,4 Prozent. Rechnet man die von der Steuer befreiten Mitglieder der kaiserlichen Familie und ein paar Steuersünder dazu, so wird man der Zahl Tausend als Zahl der Wiener, die ein Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Kronen genossen, recht nahekommen.

    Hunderttausend Kronen. So viel konnte von den meisten Menschen in einem ganzen Leben nicht verdient werden. Industriearbeiter konnten zwischen 500 und 1.500 Kronen im Jahr erreichen, Landarbeiter nicht einmal halb so viel und ein Dienstmädchen vielleicht 100 bis 300 Kronen. Eine Volksschullehrerin erhielt 1.100 Kronen im Jahr, ein Lehrer 1.200, ein Mittelschulprofessor bis zu 3.000, ein Direktor einer Höheren Schule 4.000, ein ordentlicher Universitätsprofessor zwischen 8.000 und 16.000 Kronen. Die Statthalter als höchste Beamte kamen inklusive Funktionszulage auf bis zu 32.000 Kronen im Jahr, die Statthalterei-Vizepräsidenten auf 23.500 Kronen. Ähnlich verhielten sich auch die Gehälter der Minister und des Ministerpräsidenten. Die höchsten Armeegehälter bewegten sich zwischen 10.188 Kronen für einen Oberst und 22.192 Kronen für einen Feldmarschall, ein Sektionschef in den Ministerien erhielt 20.000 Kronen, ein Ministerialrat 12.000 Kronen. Ein Direktor eines mittleren Betriebes konnte mit 10.000 bis 20.000 Kronen rechnen. Dazu konnten allerdings weitere beträchtliche Einkommen aus Verwaltungsratssitzen oder Bonuszahlungen kommen.

    Hunderttausend Kronen waren so etwas wie eine Traumzahl. Um hunderttausend Kronen bzw. fünfzigtausend Gulden geht es in Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else: Es ist jene Summe, die ihr Vater benötigt hätte, um seinen wirtschaftlichen Untergang zu verhindern, und an die der reiche Herr von Dorsday die Bedingung knüpfte, Else nackt sehen zu dürfen, und für die sich Fräulein Else letztendlich in den Selbstmord treiben lässt. Hunderttausend Kronen, die „in drei Tagen herbeigeschafft sein müssen, sonst ist alles verloren. Else gibt nach: „Du sollst deine fünfzigtausend Gulden haben, Papa … Ich bin bereit. Da bin ich … Der Vater ist gerettet, Else ist verloren.¹⁹

    Errechnete Einkommensverteilung, 1910, Kronländer der Habsburgermonarchie, heutiges Österreich (Anteile der obersten Percentilen am Gesamteinkommen)

    Anmerkung: Ergebnisse der Personaleinkommenssteuer für 1910; Gesamtsumme der Einkommensbezieher aufgrund der Volkszählungsergebnisse 1910 (Haushaltsvorstände, Dienstboten, Gesinde, Inwohner und Bettgeher; nicht eingerechnet sind Angehörige, Pflegekinder und sonstige Personen), Durchschnittseinkommen, inklusive der Habsburger, oberstes Zehntelpromille 5,6 Prozent in Niederösterreich bzw. 6,4 Prozent in Wien. Die weit verbreitete Steuerbefreiung der Herrscherhäuser wurde in den von Atkinson und Piketty herausgegebenen Studien offensichtlich nirgendwo berücksichtigt. (Die Übersicht basiert auf eigenen Berechnungen.)

    Im Ländervergleich zeigte die Habsburgermonarchie 1910 kein von den übrigen industrialisierten Ländern abweichendes Bild der Einkommensverteilung. Auch in Deutschland gab es eine extrem ungleiche Einkommensverteilung. Auffallend in Österreich ist allerdings die starke Konzentration der großen Einkommen auf die Hauptstadt Wien. In Berlin war sie viel weniger stark. Von den 15 höchsten Einkommensbeziehern in Preußen um 1910 wohnte kein einziger in Berlin. Bertha Krupp wohnte in Essen, die Industriellen lebten am Rhein oder in Schlesien, die Bankiers in Frankfurt und Hamburg, die Adeligen auf ihren Gütern. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy war 1908 der reichste Mann Berlins. Er rangierte in Preußen an 17. Stelle. Vor ihm lagen vier andere Bankiers.²⁰ Auch der regierende Adel konzentrierte sich nicht allein auf Berlin, sondern auch auf München, Dresden und die anderen Residenzstädte der deutschen Duodezfürsten.

    In den USA konzentrierten sich die Spitzeneinkommen ebenfalls nicht so ausschließlich auf New York, schon gar nicht auf die Hauptstadt Washington, sondern waren gleichmäßiger übers Land verteilt. Am ehesten konnten London oder Paris eine mit Wien vergleichbare Verteilung der Spitzeneinkommen aufweisen.

    Spitzeneinkommen um 1910 in europäischen und außereuropäischen Ländern (Anteile der obersten Percentilen am Gesamteinkommen)

    Quellen: Atkinson/Piketty, Top Incomes over the 20th century; Atkinson, Top incomes: a global perspective; für Österreich eigene Berechnungen.

    929 MILLIONÄRE

    Die 929 reichsten Wiener und Niederösterreicher, etwa 0,7 Promille der Haushalte, erzielten 9,8 Prozent der Einkommen. Ihre Namen und Einkommen sind überliefert: Es sind alte Adelige und neureiche Juden, berühmte Ärzte und geistreiche Damen, zielstrebige Parvenus und gefeierte Künstler, orthodoxe Gläubige und liberale Agnostiker, erfolgsverwöhnte Manager und „schwarze Schafe", Erben und Glückspilze und oft waren sie unendlich unglücklich.²¹

    Sie sind zu 90 Prozent männlich, zu fast 60 Prozent jüdisch, zu 10 Prozent von altem Adel. Alle sind sie unermesslich reich; sie sind mit Wien verbunden; zuvorderst durch den Wohnort, nicht immer durch den Standort ihrer Unternehmen, häufig durch die Funktion bei Hofe oder in der Öffentlichkeit und durch ihre mehr oder weniger starke Integration in das Wiener Gesellschaftsleben. Sie wurden nicht älter als der Durchschnitt der Bevölkerung. Der Großteil erlebte den Zusammenbruch des Reiches, musste in Hyperinflation und Weltwirtschaftkrise das Zusammenschmelzen ihrer Ressourcen hinnehmen und geriet, wenn es sich um Juden handelte, zu einem nicht geringen Teil auch noch in den Holocaust des Nationalsozialismus.

    Entscheidende Faktoren für Einkommen und Vermögen waren das Lebensalter, das Geschlecht, die Ausbildung, die Branche und vor allem die Herkunft, das Erbe und die Heirat, und bis zu einem gewissen Grad auch das Glück. Es sind nicht immer sympathische Charaktere. Sie können unsozial, arrogant, aufbrausend, gewalttätig sein. Nicht immer waren sie so kunstliebend, wie wir glauben, und vor allem nur selten der künstlerischen Moderne zugetan. Aber es waren Menschen, die das Gesicht Wiens und Österreichs bis heute entscheidend geprägt haben.

    Manche kamen aus ärmlichsten Verhältnissen, etwa der Generaldirektor der Länderbank, Samuel Hahn, geadelt als Ritter von Hahn. Die Menschen hätten ihm nicht verziehen, schreibt Kola, dass er aus kleinen Anfängen heraus eine so hervorragende Position erlangt habe.²² Ihre Einkommenszuwächse konnten recht zufällige Quellen haben, am zufälligsten, wenn sie aus einem Lottotreffer stammten: Ein Kaufmann aus dem niederösterreichischen St. Ägyd am Neuwald, eine Pfaidlerin aus dem 6. Wiener Gemeindebezirk und ein kleiner Wiener Bankier waren 1910 durch Lottogewinne zu Millionären geworden. Auch Börsenspekulanten kann man zu diesen Glücksrittern rechnen. Bei manchen weiß man die Gründe nicht: Josef Häusler recte Josef Goldfischer machte innerhalb von zehn Jahren einen Aufstieg vom „Monteur" (Lehmann 1900) zum Millionär mit 180.000 Kronen Einkommen. Ein Jahr vorher waren es noch „nur" 62.000 Kronen gewesen.

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