Lesereise Donau: Vom Schwarzwald zum Schwarzen Meer
Von Duygu Özkan und Jutta Sommerbauer
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Buchvorschau
Lesereise Donau - Duygu Özkan
Ein Fluss, zwei Quellen
Die Städte Donaueschingen und Furtwangen streiten über den Donauursprung
Es gibt waghalsigere Serpentinen. Aber die Idylle ist hier ganz zu Hause. Der Schwarzwald ist ein guter Gastgeber für jene, die wohltemperiertes Behagen suchen. Dabei hat sich heute der Nebel spät verzogen und eine dünne Schicht Tau auf den weitläufigen Wiesen hinterlassen. Der Weg ist aber ein gemütlicher. Es liegen keine zehn Kilometer zwischen Furtwangen und dem Gasthof Kolmenhof, wo hinter dem urig-robusten Gebäude mehrere Parkbänke stehen, ein Kinderspielplatz, und wo ein Schäferhund den Besuchern lautstark vermittelt, wer hier das Sagen hat. Zwischen dem Garten des Gasthofs und einem lichten Wald plätschert ein Rinnsal, dekoriert mit verschieden großen Steinen, wobei auf einem stattlichen, halbrunden Exemplar eine Tafel zu finden ist. »Donau-Quelle«, steht hier zu lesen, »Hier entspringt der Hauptquellfluss der Donau, die Breg, in der Höhe von 1078 m ü.d.M., 2888 km von der Donaumündung entfernt. Hundert Meter von der Wasserscheide zwischen Donau und Rhein, zwischen Schwarzem Meer und Nordsee.«
Aus diesem Bach, eingebettet in diesen heimeligen Garten zwischen Wald und Tümpel, aus diesem Bach also wird der zweitlängste Strom Europas, eine wuchtige Schlange, die durch zehn Länder kriecht und unterwegs vom Wasser von Inn, Drau, Save, Theiß und anderen Flüssen gespeist wird? Die Antwort darauf kann wiederum eine Frage sein, die der Schriftsteller Jules Verne formuliert hat: »Immerhin konnte hier noch eine Schwierigkeit auftauchen«, schreibt er im Jahr 1909. »War denn die Lage der richtigen Quelle des großen Stromes genau festgestellt?« Nun ja: Nein. Vernes Frage geht eine längere Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlern – und auch Lokalpatrioten – über den wahren Donauursprung voraus – und ein bisweilen kurioser Streit über eben jenen Ursprung schließt daran an: Zwei Städte in Baden-Württemberg, Donaueschingen und Furtwangen, ringen um die wahre Quelle.
Auf der einen Seite haben wir den Bach bei Furtwangen, hinter dem Gasthof und in der Nähe der Martinskapelle, der fast ein bisschen verloren einen kleinen Hügel besetzt. Hier entspringt die Breg, neben der Brigach ein Quellzufluss der Donau. Die Breg ist der längere der beiden Quellflüsse, was wiederum bedeutet, dass von diesem Garten aus gesehen der Weg zur Mündung am längsten ist. Die Breg gilt daher als Ursprungsquelle. Es war in den fünfziger Jahren, als das Ehepaar Ludwig und Irma Öhrlein die Quelle der Breg in Furtwangen ausmachte. Auf der anderen Seite haben wir Donaueschingen, rund dreißig Kilometer von Furtwangen entfernt. Dort lösten die Forschungen der Öhrleins freilich einen Sturm der Entrüstung aus. Für die Donaueschinger war die Sache eindeutig: Das Forscherehepaar Öhrlein hat diese Behauptung aufgestellt, weil es vergünstigt oder gar kostenlos ihre Ferien am Hof verbringen konnte. Woraufhin die Furtwanger auch eine Antwort parat hatten: Donaueschingen wurde von einigen nur mehr Eschingen genannt.
Tatsächlich ist die Donauquelle in Donaueschingen zumindest publikumswirksamer. Vom Westen kommend macht die Straße eine leichte Kurve, ehe auf der rechten Seite das Fürstlich Fürstenbergische Schloss in mattem Gelb zu sehen ist. »Die Quelle?« Der einheimische Spaziergänger weiß freilich schon Bescheid, als wir uns ein wenig orientierungslos im Kreis drehen. Mit einem freundlichen Wink zeigt er auf die Stufen, die zur Kirche St. Johann führen. Dahinter befindet er sich also, der Garten des Schlosses und der Brunnen im Garten. Ein rundes Becken, umgeben von einem niedrigen Geländer, das ein filigranes Muster ziert. Das Wasser ist klar. Hier entspringt der Donaubach, der sich nach rund neunzig Metern mit der Brigach vereint, die sich wiederum mit der Breg vereint und als Donau weiterfließt.
Hat der römische Politiker und Historiker Tacitus bereits im 1. Jahrhundert die Donauquelle im Schwarzwald geortet – »Die Donau entspringt aus einem sanften und leicht ansteigenden Rücken des Schwarzwaldes« –, fällt im 15. Jahrhundert schließlich der Name Donaueschingen. Der Fürstenbrunnen hat der Quelle körperliche Substanz gegeben. »Die Fürsten von Fürstenberg sind stolz, die Herren der Donauquelle zu sein, in die in kräftigeren Zeiten die hohen Besucher hineinsprangen, um ein Glas auf das Wohl der Herrschaft zu leeren«, schrieb der Geograf Friedrich Ratzel im Jahr 1905. Die Gelehrten aber, so Ratzel weiter, wollten ihnen, den Fürsten, »diesen schönen Besitz streitig machen«. Denn die Donau entstehe – und das ist auch heute weitgehend anerkannt – bei Donaueschingen, durch die Vereinigung der Breg und der Brigach.
Was die Gelehrten betrifft: Derer gab es wohl zum Leidwesen der Donaueschinger nicht wenige. Für Ratzels Zeitgenossen Jules Verne stand fest, dass der Donauursprung im fürstlichen Garten nicht mehr als eine Sage ist: »Man weiß jetzt, dass er aus der Vereinigung zweier Bäche, der Brege und der Brigach, entsteht.« Schon ein Jahrhundert vor Verne hatte sich der Wiener Naturwissenschaftler Joseph August Schultes über die Fürsten echauffiert: »Könnte nicht ebenso gut jeder Bauer, der einen Brunnen in seinem Hofe hat, dessen Quelle in die vorüberfließende Donau ausläuft, behaupten, er sey der Besitzer der wahren Donauquelle?«
Der Streit über den tatsächlichen Beginn der Donau erhielt im Jahr 1981 eine politische Dimension, als das baden-württembergische Innenministerium eine »Ferienreisekarte« herausgab, wobei bei Furtwangen der Zusatz »Donauquelle« vermerkt war – bei Donaueschingen aber nicht. Der Bürgermeister Donaueschingens verfasste eine Protestnote an das Ministerium, die Furtwanger Donauquelle wurde dann bedauernd entfernt: Man könne sich das Zustandekommen dieses Eintrags nicht erklären.
Wurde der Quellenstreit bisweilen auch von den Betroffenen selbst auf die Schaufel genommen – eine gewisse Ernsthaftigkeit ist geblieben. Zuletzt war es die EU in Gestalt des FDP-Europa-Abgeordneten Michael Theurer, der in offenen Wunden bohrte. Vor drei Jahren rührte er mit einer Radtour die Werbetrommel für das Donaustrategiepapier der Europäischen Union. Theurer begann die Tour in Donaueschingen, denn hier beginne auch die Donau. Und dann sagte er noch schnell: »Damit habe ich nichts zu den Quellflüssen gesagt.«
Kapitän Bachs schwimmendes Wohnzimmer
Eine Fahrt auf dem Frachtschiff
Einen seiner besten Freunde sieht Rolf Bach durchschnittlich alle zwei Wochen, wenn die Herren im Laufe einer Minute aneinander vorbeifahren, sich freundlich zuwinken und der Freund ihm anschließend per Funk einen schlüpfrigen Witz erzählt, wobei Bach kurz und trocken lachen muss. Wenn der Freund vorbeigefahren ist, hat Bach die bleiche Nebelsuppe vor seinen großen Fenstern wieder für sich allein. Freundschaften pflegen gehört zu den schwierigeren Dingen in seinem Leben. Bach erinnert sich an den Oktobertag, als er eben jenen Freund länger als eine Minute sah. Man verbrachte einen Tag in Regensburg, aß Schweinshaxe und Knödel in einem Festzelt, das Wetter war ungewöhnlich warm. Es wird wohl noch ein wenig dauern, bis die Freunde auf dem Festland wieder aufeinandertreffen.
Sein Frachtschiff hat der groß gewachsene fünfzigjährige Deutsche »El Niño« genannt. Hier wohnt und arbeitet er, schippert die meiste Zeit des Jahres über Rhein, Main und Donau, voll beladen mit Transportgütern aller Art. »Auf dem Schiff hat man Zeit«, sagt er, »das ist Fluch und Segen zugleich.« Obwohl Bach und seine Berufsgenossen Millionen Tonnen Güter jährlich quer durch Europa befördern, ist es nicht die Binnenschifffahrt, die einem beim Wort Gütertransport in den Sinn kommt. Gerade die Donau ist ein bedeutsamer Transportweg: Sie verbindet zehn Länder – so viele wie kein anderer Fluss auf der Welt. Auf dem deutschen Abschnitt wurden im Jahr 2012 insgesamt über sechs Millionen Tonnen Güter – etwa Eisen, Stahl, Düngemittel, Autos – transportiert. Das ist eine Steigerung von 7,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Binnenschifffahrt erholt sich langsam, denn die Wirtschaftskrise ist nicht spurlos an den nassen Wegen vorübergegangen. 2011 wurden fast sechzehn Prozent weniger Güter transportiert als im Jahr davor.
Rolf Bach kann ein Lied davon singen. Noch vor fünf Jahren habe er netto doppelt so viel verdient wie heute, auch wenn es