Menschen, die Geschichte schrieben: Vom Barock zur Aufklärung
Von marixverlag
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Menschen, die Geschichte schrieben - marixverlag
Schweden)
GUSTAV II. ADOLF
von Bernhard R. Kroener
VOM „LÖWEN AUS MITTERNACHT ZUM „SCHWEDISCHEN HERKULES
Jahre mögen kommen, gehen,
Erdenruhm wie Rauch verschwinden,
Doch Dein Name wird bestehn,
Allen Zeitlauf überwinden.
Ja, du Leu aus Mitternacht:
Ewig Ruhm hast Du zum Lohne,
Über Tod und Grabesnacht
Leuchtet deine Siegerkrone!¹
Keines der gekrönten Häupter Europas, keiner der Feldherrn des Dreißigjährigen Krieges hat einen derartigen Nachruhm erfahren, geradezu einen Mythos entstehen lassen wie König Gustav II. Adolf von Schweden, der „Löwe aus Mitternacht".²
Die Menschen der Frühen Neuzeit verwendeten Sprachbilder, die sie den antiken Mythen, dem Alten und Neuen Testament entlehnten, um ihre als spannungsvoll, häufig als krisenhaft bedrohlich empfundene Wirklichkeit zu erklären. Mythen gewinnen also ihre Form, Bedeutung und Strahlkraft aus den Sinnbedürfnissen ihrer jeweiligen Gegenwart. Entsprechend verblassen sie, geraten bald in Vergessenheit, wenn der unmittelbare Anlass, dem sie ihre Entstehung verdanken, nicht mehr gegeben ist. Mythen zählen zur Kategorie der Wahrnehmungsmuster. Sie stellen einen kulturellen Code dar, mit dessen Hilfe sich die Zeitgenossen über Normen, Werte und Einstellungen verständigen.³
Die Propaganda nutzt den Mythos, um aktuelle politische Interessen und Ziele massenwirksam zu verbreiten. Der Dreißigjährige Krieg stellt jene epochale Auseinandersetzung in Europa dar, in der erstmals ein Konflikt gleichermaßen mit dem Schwert und der Feder ausgetragen wurde.⁴ Nicht von ungefähr entstand der Begriff der Propaganda, wenngleich in anderem Zusammenhang, in den Anfangsjahren dieses Krieges. 1622 begründete Papst Gregor XV. die Congregatio de propaganda fide (die Kongregation zur Verbreitung des Glaubens) als Instrument der Heidenmission und Waffe im Kampf gegen die Ketzer. Die Durchsetzung politischer Interessen erfuhr im Zeitalter der Konfessionalisierung durch eine gezielte religionspolitische Aufladung eine zusätzliche Dynamik.
Das zentrale Element jeder Propaganda ist die Schaffung eines Feindbildes.⁵ Es dient als einheitlich dunkle Hintergrundfolie, vor der sich sinnbildlich oder personifiziert das eigene Anliegen als gerecht, gottgewollt und letztlich siegreich entfaltet. Der Begriff des Feindbildes weist auf das Bild als zentrales Medium der frühneuzeitlichen Propaganda, auf die Verbildlichung, das Sinnbild hin. Die Verbindung von Bild und Text, die Reduzierung des politisch-konfessionellen Anliegens auf verkürzte, plakativ präsentierte Aussagen leistet das Flugblatt.⁶ Seit der Reformation bildeten Einblattdrucke neben Flugschriften das geeignete Medium, um mit geringem Aufwand eine möglichst große Leserschaft zu erreichen. Die Massenwirksamkeit wurde durch die graphische Umsetzung kollektiver Wahrnehmungsmuster in Kombination mit umgangssprachlichen Deutungsangeboten erreicht. Auf Messen und Jahrmärkten boten reisende Händler Flugblätter an. Die Bilder zogen die Kunden werbewirksam an die Stände. Die Texte wurden noch zusätzlich ausgesungen oder vorgelesen, um den nicht schriftmächtigen Interessenten mit dem Bild zugleich die Botschaft nahe zu bringen. Ereignisse von überregionaler Bedeutung, wie etwa die Zerstörung Magdeburgs durch kaiserlich-ligistische Truppen 1631, haben Hunderte von Flugschriften und Flugblätter erscheinen lassen. Sie wurden zum Teil in einer Auflage von mehreren tausend Exemplaren verbreitet. Weitere Nach- und Raubdrucke waren üblich.⁷
Dieser Medienkrieg im Krieg hat zumindest bis 1635 einen Mobilisierungsschub bewirkt, der kriegsverschärfend, vielleicht sogar kriegsverlängernd gewirkt hat. Das Schicksal des unglücklichen „Winterkönigs", Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz – eine ursprünglich verächtliche Charakterisierung seiner kurzen Herrschaft, die sich allerdings bis heute gehalten hat – kennzeichnet die erste Phase der publizistischen Auseinandersetzung. Die Katastrophe von Magdeburg bildete einen weiteren Schwerpunkt. Diese Schreckensmeldung, die die Menschen erregte und ihre Phantasie beflügelte, wurde durch die Verwendung konfessioneller Feindbilder zusätzlich verschärft.⁸
Einen in Vorbereitung, Durchführung und Wirkung erstaunlichen Höhepunkt der zeitgenössischen Propaganda stellt die Konstruktion des Gustav Adolf-Mythos dar.⁹ Bevor wir uns den einzelnen Phasen dieses Prozesses während des Dreißigjährigen Krieges widmen, werfen wir zunächst einen Blick auf die schwedische Außen- und Sicherheitspolitik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
POLITISCHE HINTERGRÜNDE
1628 erschienen in der mecklenburgischen Hanse- und Hafenstadt Wismar mehrere spanische Seeoffiziere. Die exotischen Gäste aus der Flottenbasis Dünkirchen erweckten Aufmerksamkeit und Verdacht zugleich. Seit die Armeen des Kaisers, die die Truppen des Dänenkönigs Christian IV. und seiner protestantischen Verbündeten im Reich geschlagen hatten, unaufhaltsam nach Jütland vorrückten und inzwischen weite Teile der Ostseeküste in Besitz genommen hatten, fragten sich die politischen Kommentatoren, ob hinter dem Titel des Generalissimus Wallenstein, „des ozeanischen und baltischen Meeres General", nicht handfeste habsburgische Seeinteressen verborgen sein könnten. Seit Jahrzehnten führte Spanien einen verlustreichen Kleinkrieg gegen die abtrünnigen Niederlande, den die europäische Supermacht der Epoche offenbar nicht gewinnen konnte. Was lag näher als der Versuch, aus den Häfen der Ostseeküste den niederländischen Heringsfang und die Getreideimporte der Generalstaaten aus Polen zu unterbinden. Damit wäre die Lebensader zu den dicht besiedelten holländischen Provinzen unterbrochen gewesen, ein spanischer Sieg wäre in greifbare Nähe gerückt. Diese Vorstellung löste Beunruhigung aus, da damit auch Schwedens Sicherheitsinteressen massiv bedroht wurden. Der Friede von Lübeck, das Restitutionsedikt, das eine dauerhafte Rekatholisierung Norddeutschlands befürchten ließ, und schließlich noch eine spanische Flotte in der Ostsee –, dieser Entwicklung konnte und wollte man in Stockholm nicht tatenlos zusehen.
Das skandinavische Königreich mit kaum mehr als einer Million Einwohnern vermochte einer Invasion keinen größeren Widerstand entgegenzusetzen. Umso wichtiger schien es, rechtzeitig das strategische Glacis, das heißt die Ostseeküste, in die Hand zu bekommen. In der Vorstellung der Zeitgenossen glich Schweden einer Festung, ihren Burggraben bildete die Ostsee und die deutsche Gegenküste die äußeren Verteidigungswälle. Diese primär militärisch-strategischen Überlegungen verbanden sich mit handfesten ökonomischen Erwägungen. Das Land vermochte einen längeren Militäreinsatz finanziell nur dann zu verkraften, wenn die Flusszölle der in die Ostsee mündenden großen Ströme in die schwedische Kriegskasse gelenkt werden konnten. Das Gebiet, in dem die schwedischen Armeen operieren würden, musste den Krieg ernähren. Auf eine Unterstützung durch die protestantischen Reichsfürsten konnte man angesichts der überwältigenden Erfolge der kaiserlich-ligistischen Waffen zunächst nicht rechnen. Nach den vorangegangenen Erfahrungen mit den Armeen Tillys würden sie den Erfolg nicht auf dem Schlachtfeld suchen wollen.
Der schwedische König hatte folglich denkbar ungünstige Voraussetzungen für einen Propagandafeldzug. Gustav II. Adolf suchte daher bereits im Vorfeld seines Eingreifens auf dem europäischen Kriegsschauplatz seine Herrscherpersönlichkeit, die Rechtmäßigkeit seiner Politik und die damit verbundenen Erwartungen zielgerichtet, breitenwirksam und kontrolliert in die Öffentlichkeit zu bringen. Er bediente sich dabei seit 1627, also bereits mehrere Jahre vor seinem militärischen Eingreifen, der Unterstützung schwedenfreundlicher protestantischer Intellektueller, die etwa von Hamburg aus die medialen Verbreitungswege antikatholischer Publizistik im Reich zu nutzen verstanden. Dabei kam ihm zugute, dass er auf eine in ihren drucktechnischen Möglichkeiten hoch entwickelte und in ihrer Argumentationsweise versierte protestantische Propaganda zurückgreifen konnte, die sich gerade im deutschen Sprachraum seit der Reformation entwickelt hatte und die über ein eingespieltes Netz von Kupferstechern, Druckern und Verlegern verfügte. Ihr Text- und Bildprogramm war der anzusprechenden Zielgruppe durchaus vertraut. Sie war hinsichtlich ihrer Effizienz und Methodik der katholischen Kriegspropaganda weit überlegen.¹⁰ Der Schwedenkönig besaß zudem medienpolitisches Gespür. Er vermochte Einsatzmöglichkeiten und Wirkung seiner Propagandainstrumente recht genau einzuschätzen und geschickt einzusetzen.
Gerade weil die Legitimität seines Königtums zu Anfang durchaus nicht unbestritten war, bedurfte sie einer besonderen medialen Inszenierung. Im Vergleich zu den großen europäischen Herrscherfamilien, wie etwa den Habsburgern, stellte das Geschlecht der Vasa eine junge Dynastie dar. Mit Gustav II. Adolf bestieg erst der Enkel des ersten Königs den Thron. Der noch junge König – er war bei Regierungsantritt erst 16 Jahre alt – hatte von Anfang an mit den durchaus berechtigten Thronansprüchen seines katholischen Onkels, Sigismund III. von Polen zu kämpfen. Die habsburgische Unterstützung Polens, die Präsenz kaiserlicher Truppen an der Ostseeküste und die zu erwartende Anwesenheit spanischer Flotteneinheiten mussten dem König daher wie eine indirekte Kriegserklärung erscheinen. Die ständigen Kämpfe gegen Russland und Polen um das Baltikum als der strategischen Vormauer Schwedens und die Konkurrenz mit Dänemark luden der Bevölkerung dieses dünn besiedelten, landwirtschaftlich geprägten Landes nur schwer zu tragende Lasten auf. Dem daraus resultierenden innenpolitischen Druck vermochte Gustav Adolf nur in einem engen Schulterschluss mit den einflussreichen Ständen, vor allem dem Adel, zu begegnen. Während sich der König im eigenen Lande als friedliebender lutherischer Landesfürst, als Adelskönig stilisierte, der gegen seinen Willen zur Existenzsicherung seines Territoriums zu ständigem Kriegführen gezwungen war, trat er im Reich als kriegerischer Volkskönig auf.¹¹ Daraus entstand eine nicht unproblematische Spannung innerhalb der propagandistischen Inszenierung. Nur durch die militärischen Erfolge und den frühen Tod des Herrschers in der Schlacht bei Lützen wurde letztlich ein Zusammenbruch der medialen Selbstinszenierung des Königs vermieden.
Bevor wir uns den verschiedenen Darstellungen Gustavs Adolfs während des Dreißigjährigen Krieges zuwenden, deren Bildprogramm die Konstruktionsprinzipien des überzeitlichen Mythos vom Schwedenkönig anschaulich widerspiegelt, sollen an dieser Stelle die politisch-programmatischen Voraussetzungen seines Eingreifens in den Dreißigjährigen Krieg kurz skizziert werden.
DAS EINGREIFEN IN DEN DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG – DER „LÖWE AUS MITTERNACHT"
Bereits 1627 hatte Gustav Adolf werbewirksam verbreiten lassen, Schweden biete allen verfolgten deutschen Protestanten Zuflucht. Der König wurde damit langfristig als Beschützer seiner bedrängten Glaubensgenossen popularisiert. Er sei der protector, nicht aber der proditor Germaniae (der Bewahrer, nicht der Räuber Germaniens).¹²
Mit dem Hinweis auf den uneigennützigen Schutz der „teutschen Libertät gegenüber einer tyrannischen Aneignungspolitik, die in einer habsburgisch-katholischen Universalreichsbildung zu kumulieren drohte, begründete der König seinen Anspruch, einen gerechten Krieg zu führen. Die Besetzung der Ostseeküste würde der Sicherheit Schwedens ebenso dienen wie dem Schutz des Protestantismus. Machtpolitik und Religionspolitik, diplomatisches Kalkül und Glaubenstreue lassen sich im Handeln eines frühneuzeitlichen Herrschers nicht voneinander trennen. Sie bedingen sich, sie verstärken sich wechselseitig. Gustav Adolfs Eingreifen in den „teutschen Krieg
entsprang daher weder ausschließlich kaltrationalem Machtstaatsdenken noch einem idealistischen Glaubenseifer. In seinem Handeln verbanden sich beide Antriebskräfte und bildeten so die Grundlage seiner medienpolitischen Inszenierung. Eine geschickt betriebene Popularisierung seiner Politik bettete die religionspolitischen und machtpolitischen Argumente in einen übergeordneten Deutungszusammenhang ein. Der König war, anders als der Dänenkönig, nicht zugleich deutscher Reichsfürst. Er war ein landfremder Herrscher, den niemand, noch nicht einmal die bedrängten protestantischen Fürsten, gerufen hatte. Es bedurfte also neben der aktuell politischen Befreiungsapologetik einer von langer Hand vorbereiteten mystischen Überhöhung seines Handelns, die ihn zum Vollstrecker göttlichen Wirkens stilisierte.
In der Atempause, die der Krieg nach dem Frieden von Lübeck einlegte und die der Landung Gustav Adolfs auf der Insel Usedom voranging, erschienen überall im Reich Hinweise auf absonderliche Himmelszeichen, die die Menschen beunruhigten und auf zu erwartende Ereignisse von dramatischer Bedeutung einstimmten. Aus Pommern wurde berichtet, man habe am Himmel die Erscheinung eines mächtigen Kriegsvolkes aus dem Norden beobachtet. In Tübingen beschrieb ein Gelehrter ein Nordlicht, das er als Abbild einer Schlacht deutete. Es sei begleitet gewesen von einem Brausen „wie eines starken Nordwinds".¹³ Allenthalben brachte man diese Erscheinungen mit Aussagen der Heiligen Schrift in Verbindung.
Besonders wirkungsmächtig wurde das Bild des Löwen aus Mitternacht, auch als Löwe aus dem Norden bezeichnet, das eindeutig mit der Person des Schwedenkönigs verknüpft wurde. An diesem Beispiel lässt sich die durch Gustav Adolf betriebene propagandistische Selbststilisierung eindeutig nachweisen. Noch vor seinem Aufbruch nach Deutschland ließ der König Gedenkmünzen prägen, die dieses Motiv zeigten und die nach seiner Landung unter der Bevölkerung verteilt wurden.¹⁴ Mit dem Auftreten des Löwen aus Mitternacht verband sich seit dem Spätmittelalter die Vorstellung von dem nahenden Weltenende, durch das der Antichrist auf Erden besiegt und ein goldenes Zeitalter eingeläutet werde. Damit wurden gleichsam messianische Vorstellungen verknüpft, in denen der Löwe aus Mitternacht mit Christus gleichgesetzt wurde.¹⁵ Geschickt verstand es Gustav Adolf, populäre Weissagungen auf seine Person zu beziehen. Dadurch verlieh er seinem politischen Handeln eine Rechtfertigung aus göttlichem Willen, gegen die es auf Erden keine Berufung geben konnte.
Das Flugblatt (S. 23) ist in unmittelbarem Zusammenhang mit der Landung des Königs im Sommer 1630 entstanden. Es zeigt, wie ein bekrönter und mit einem Schwert bewaffneter Löwe von einem Schiff an Land springt. Das Steuer des Schiffes hält ein Engel, der durch eine Posaune an den Lippen als Engel der Verkündigung ausgewiesen ist. Einen Schiffer kennzeichnen Attribute einer holländischen Seemannstracht, dazu ein gezogener Degen. Auf dem Deck lagert ein kleinerer Löwe, der auf seinem Haupt eine Mitra trägt. Ein Hahn mit einem Beutel, der offenbar Geld enthält, sitzt auf dem Mast unter dem Wimpel, der die schwedischen Nationalfarben trägt.
Der große Löwe reckt sein Schwert einem siebenköpfigen apokalyptischen Drachen entgegen, der die Insignien der katholischen Kirche, unter anderem die Tiara des Papstes, trägt. Dieses Ungeheuer hat aus dem im Hintergrund sichtbaren Gebäude der Kirche offensichtlich bereits fünf Säulen herausgebrochen, deren Inschriften auf die Unterdrückung des evangelischen Glaubens hindeuten. Die auf den ersten Blick mystisch-allegorische Darstellung weist bei näherer Betrachtung handfeste politisch-programmatische Aussagen auf, die sich den mit der zeitgenössischen Bildprogrammatik vertrauten Betrachtern ohne weiteres erschlossen.
Schwedische Rettung der Christlichen Kirchen/Anno 1630, Ulm, 1630¹⁹
Der wehrhafte Löwe, der an Land springt, um die wahre Kirche aus den Fängen des Antichrists und seiner Helfershelfer zu befreien, ist der König von Schweden, der hier aber noch nicht in der Ikonographie Gustav Adolfs auftritt. Der Verkündigungsengel steuert die Wege des Herrn. Der König von Schweden fungiert in diesem Zusammenhang als vicarius Dei (Stellvertreter Gottes). Der bewaffnete Schiffer in holländischer Tracht verdeutlicht demgegenüber das realpolitische Interesse der Generalstaaten an einem ungestörten Ostseehandel. Der kleine Löwe, der in entspannter Haltung den Erfolg seines großen Artgenossen erwartet, steht für den protestantischen Administrator von Magdeburg, Wolfgang von Brandenburg, der sich nach Schweden geflüchtet hatte und nun mit den Truppen Gustav Adolfs zurückkehrte. Der Hahn auf der Mastspitze kann dagegen unterschiedlich gedeutet werden. Er ist zweifellos das Symbol Christi, das Sinnbild des Lichts und der Auferstehung. Er mag aber auch für die Unterstützung der Hansestädte, allen voran Hamburgs, stehen. Demnach ist er auch ein wichtiges propagandistisches Argument im Bemühen Schwedens, sich der Unterstützung der Hafenstädte an der Ostsee zu versichern.¹⁶
Schwedischer Hercules/ das ist: Trost vnd Frewde der Frommen/ vnd getroste Zuversicht der Göttlichen instehenden Errettung, 1630
Neben der Bildpublizistik waren es vor allem Volks-, Soldaten- und geistliche Lieder, Sinnsprüche und Gedichte, die die religiöse und mystische Legitimation der schwedischen Kriegführung als eines gerechten Krieges mit unzweifelhaft siegreichem Ausgang verbreiteten.
Die Interpretation des Löwen aus Mitternacht als sich erfüllende Prophezeiung und Repräsentation göttlichen Wollens entzog den schwedischen König jeglicher Kritik an seinem Handeln. Sie sollte in erster Linie dazu dienen, dem vergleichsweise kleinen schwedischen Expeditionskorps von etwa 16000 Mann einen möglichst starken Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen. Auch zielte sie auf eine breite Unterstützung, die nicht von einer Legitimation durch die protestantischen Fürsten abhängig war, zumal deren Mitwirkung an der schwedischen Expansionspolitik nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden konnte. Sie richtete sich im Besonderen auf das Rekrutierungspotential der schwedischen Armee in Norddeutschland. Gustav Adolf vermochte den kaiserlich-ligistischen Truppen nur dann erfolgreich entgegenzutreten, wenn es ihm rasch gelang, durch umfangreiche Werbungen deutscher Söldner seine Armee erheblich zu verstärken.
Der Löwe als Sinnbild von Kampfesmut, Stärke und Macht, wurde zum Symbol des charismatischen Herrschers, dessen göttliche Sendung den Sieg über die Feinde versprach und damit seinen Soldaten Lohn in Aussicht stellte.
Und so sangen die Soldaten wenig später:
Der Schwede führt einen praven Krieg
Er thut richtig auszahlen
Das ihm ein jeder Soldat gut Zeugnis gibt
Er hat ihm Lust zu dienen.¹⁸
Erst mit dem Tod Gustav Adolfs verlor dieses Motiv seine Wirksamkeit, da das Bildprogramm so eindeutig auf den König bezogen war, dass es auf keinen der schwedischen Befehlshaber der zweiten Kriegshälfte übertragen werden konnte.
ERFOLGE GEGEN DIE KAISERLICHEN – SCHWEDISCHER HERKULES UND PROTESTANTISCHER MESSIAS
Das Bild vom Löwen aus Mitternacht, das zunächst der politisch-konfessionellen Legitimation des schwedischen Kriegseintritts diente, wurde im Zusammenhang mit den kriegerischen Erfolgen Gustav Adolfs umgedeutet in eine Personifikation des Schwedenkönigs als eines von Gott gesandten Heilsbringers. Diesen Übergang markiert anschaulich der typologisch seltene Einblattdruck des „Schwedischen Herkules" (S. 27).
Gustav Adolf ist hier als Herkules abgebildet. Die ikonographischen Besonderheiten der Physiognomie des Königs sind deutlich erkennbar; dennoch verzichtet der Künstler zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf eine zusätzliche Darstellung des Löwen auf der Schulter des Helden, um dem Betrachter die Zuordnung zu erleichtern. Das Handeln des Herrschers wird aus der Hand Gottes gelenkt: Drei Schnüre verbinden Gustav Adolf mit dem himmlischen Lenker, während der König selbst als Medium Gottes durch eben diese drei Schnüre seine bewaffneten Feinde aus der Dunkelheit ihres Verstecks ans Licht zieht. Die Gestalt des antiken Helden eignete sich wie keine andere zur Verbildlichung der deificatio (Vergottung) des Herrschers, war doch auch Herkules als Mensch wegen seines tugendhaften Handelns vergöttlicht worden. Gott wirkt durch den Helden, der in seinem Handeln der Verehrung durch die Menschen empfohlen wird – hier versinnbildlicht durch die Dreiergruppe Mann, Frau, Kind.²⁰
Das der antiken Mythologie entlehnte Bild des Herkules am Scheidewege war bereits in der reformatorischen Propaganda verbreitet gewesen. Herkules, der auch als Sinnbild des miles christianus, d. h. des christlichen Soldaten, gedeutet wurde, steht mit der Wahl zwischen Tugend und Laster in einer Entscheidungssituation, die jedem Christen vertraut ist.²¹ In seiner Gestalt vereinigen sich ebenso die Tugenden des Herrschers, der seine Macht und Stärke Gott wohlgefällig einzusetzen weiß. Der Held, der als Mensch durch seine Taten unsterblich wurde, wird im Spiegel des christlich tugendhaften Herrschers zu einem Werkzeug Gottes auf Erden. Er darf sich einer Verehrung durch die Menschen gewiss sein, die in propagandistischer Überhöhung bereits Züge einer Vergöttlichung annimmt.²²
Wenngleich das Herkulesmotiv in erster Linie eine begrenzte intellektuelle Käuferschicht anzusprechen verstand, so verstärkte sich nach den unerwarteten Siegen Gustav Adolfs in breiten Bevölkerungsschichten das Bild des Schwedenkönigs als eines Werkzeuges Gottes für die bedrängte protestantische Christenheit. Die mystischen Deutungen des Löwen aus Mitternacht schienen in den schwedischen Waffenerfolgen ihre realpolitische Bestätigung zu finden. In diesem Sinne reimte ein 1632 in Franken entstandenes Lobgedicht:
Deus heißt auf deutsch Gott und aus den vier lateinischen
Buchstaben kommt sued.
…
So ist nun Deus Gott und Sued
Buchstäblich Königl. Majestät.²³
Der Einzug Gustav Adolfs in die protestantischen Reichsstädte Nürnberg und vor allem Augsburg im Frühjahr 1632 markiert nach dem Sieg bei Breitenfeld im vorausgegangenen Jahr (September 1631) den Höhepunkt des zeitgenössischen Gustav Adolf-Mythos. Die Menschen der Frühen Neuzeit waren überzeugt, dass Jubiläen, also die Erinnerung an Ereignisse im Abstand eines Jahrhunderts gleichsam auch Zeitenwenden bedeuteten, an denen Gott den Menschen einen Weg im irdischen Jammertal weise.
So hatte man sich, wenige Tage nachdem das schwedische Expeditionskorps 1630 auf Usedom gelandet war, in Stralsund daran erinnert, dass Seine Majestät nur einen Tag vor der feierlichen Erinnerung an die vor einhundert Jahren beschlossene Confessio Augustana, die gültige evangelische Bekenntnisschrift, an der Küste Pommerns gelandet sei. Das durchaus zufällige Zusammentreffen der Ereignisse wurde von Gustav Adolf sogleich medienpolitisch virtuos genutzt, um sich zum auserwählten Verteidiger der protestantischen Freiheit zu stilisieren.²⁴ Als die schwedischen Truppen am 11. April 1632 schließlich in Augsburg „der Hauptstadt der evangelischen Christenheit"²⁵ einrückten, schien die Mission des Schwedenkönigs durch Gottes Fügung erfüllt.
Im Bildmittelgrund eines Flugblattes von 1632²⁶ (S. 31) liegt eine von Schmerzen gepeinigte Frauengestalt, in der der Betrachter die Personifikation der Confessio Augustana erblicken soll. Sie weist mit ihrem rechten Arm auf die im Hintergrund erkennbare Stadtsilhouette Augsburgs. Gustav Adolf im Halbharnisch mit Feldherrnstab und Degen blickt zum Himmel, von wo aus ihn die Strahlen der göttlichen Gnade erreichen. Im Vordergrund links ein Kirchengebäude, das durch den katholischen Ritus dem wahren Glauben entfremdet ist. Eine Anspielung auf die konfessionelle Situation in Augsburg vor der Besetzung durch schwedische Truppen.
Gustav Adolf hatte nicht nur die Protestanten politisch befreit, er hatte die Grundlagen des Glaubens und damit das Seelenheil der Menschen gerettet. Jetzt begann die mythische Überhöhung des Königs. Gustav Adolf war nicht mehr nur das Werkzeug Gottes, er wurde zunehmend zur Personifikation eines protestantischen Messias. Damit wurde ihm eine Rolle übertragen, von welcher der König selbst wusste, dass er ihr politisch und spirituell nicht gerecht werden konnte. Er wollte ein protestantischer Volkskönig, nicht aber ein mystisch überhöhter Gottkönig sein. Die von ihm bewusst ins Werk gesetzte Selbststilisierung in Verbindung mit den unerwarteten militärischen Erfolgen konfrontierte ihn mit der durchaus unangenehmen öffentlichen Erwartung, dass seine Herrschaft nicht von dieser Welt sei, er also auch keine diesseitigen machtpolitischen Ambitionen hege. Genau das Gegenteil war der Fall. Seine Siege ließen ihn hoffen, dass es ihm gelingen könne, auch für Schweden eine universalistische kontinentaleuropäische Herrschaft zu realisieren.
Flugblatt von 1632
DIE REALITÄT VERDRÄNGT DEN MYTHOS
Blenden wir an dieser Stelle noch einmal zurück auf die mythischen Grundlagen seines Königtums. Der schwedische König sah sich in der Tradition eines skandinavischen Gotizismus und bezeichnete sich selbst als „Suecorum, Gothorum et Vandalorum rex". Die Vasakönige betrachteten sich als legitime Nachfolger der sagenhaften Gotenkönige, deren Ursprünge über die Königreiche der Völkerwanderung und die römische Kaiserzeit bis zum alttestamentlichen Weltanfang zurückverfolgt werden konnten. Damit war ein Geschichtsbild konstruiert, das unter günstigen machtpolitischen Bedingungen auch dazu berechtigte, die Kaiserkrone anzustreben.²⁷ Das entsprechende Bildprogramm findet sich bereits im reichen Skulpturenschmuck der „Vasa", des Flaggschiffes der schwedischen Flotte, das auf seiner Jungfernfahrt 1628 aufgrund erheblicher Konstruktionsmängel bereits im Hafen von Stockholm gekentert war. Erst vor wenigen Jahrzehnten wurde das Schiff gehoben und inzwischen restauriert.²⁸
Daher lässt sich auch der Lauf des mitternächtlichen Löwen durch die reiche Pfaffengasse, die geistlichen Stifter an Rhein und Main in diesem Kontext deuten. Er diente eben nicht der Befreiung der dort kaum anzutreffenden protestantischen Glaubensverwandten, sondern in erster Linie der Kriegsfinanzierung, der Versorgung der deutschen Verbündeten des Schwedenkönigs mit Landbesitz, der Einschüchterung Frankreichs und möglicherweise der machtpolitischen Vorbereitung eines schwedischen Kaisertums.
Als die Protestanten im Reich nach dem Sieg von Breitenfeld den Ausgleich mit den katholischen Reichsständen und damit ein Ende des Krieges erhofften, spielte der König bewusst die machtpolitische Karte und ließ keinen Zweifel, dass der Krieg noch nicht gewonnen sei.²⁹
Die proschwedische Propaganda setzte nach der Besetzung Bayerns und der Münchener Residenz Kurfürst Maximilians, den Gottes Gerechtigkeit nun ebenso behandelte wie Friedrich V. von der Pfalz, dessen Kurhut er zu Unrecht trug, verstärkt auf die Popularität des leutseligen Schwedenkönigs. Die Vergöttlichung Gustav Adolfs, die bereits Züge kollektiver Hysterie zeigte, begann jedoch den Plänen des Königs zu schaden, zumal die schwedisch-deutsche Armee Bayern systematisch ausplünderte. Die Realität begann den Mythos zu verdrängen, zumal auch in den protestantischen Territorien die Kosten der schwedischen Kriegführung zunehmend als Belastung empfunden wurden.
Wallenstein, der nach Übernahme seines zweiten Generalats zum zentralen Gegenspieler Gustav Adolfs aufrückte, suchte mit seinen Operationen an der Alten Feste bei Nürnberg weniger einen spektakulären Sieg über den Schwedenkönig zu erringen, als vielmehr durch eine Zermürbungstaktik dessen Nimbus öffentlichkeitswirksam zu beschädigen. Der Abzug der schwedischen Armee erschien nach der vorangegangenen Siegesserie schmählicher als eine Niederlage in offener Feldschlacht.
Gustav Adolf seinerseits benötigte dringend einen militärischen Erfolg, einen Befreiungsschlag, der ihn aus seiner strategischen Sackgasse herausführen, seine Bündnispartner politisch stabilisieren und der schwedischen Armee eine günstige Ausgangslage für die Operationen des kommenden Jahres (1633) verschaffen sollte. Das Zusammentreffen mit Wallenstein bei Lützen am 16. November 1632 sollte diese Hoffnungen