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Die schwarzen Schafe: Erzählungen
Die schwarzen Schafe: Erzählungen
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eBook601 Seiten8 Stunden

Die schwarzen Schafe: Erzählungen

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Über dieses E-Book

"Die schwarzen Schafe" ist eine von 27 wunderbaren, spannenden Erzählungen.
In jeder einzelnen Geschichte finden sich Momente
des Alltags sowie Begegnungen mit Menschen, deren
Schicksale den Leser nicht loslassen werden.
Viel mehr als Klatsch und Tratsch über Prominente,
berührt uns das Leben, mit allen seinen Höhen und Tiefen,
von Menschen in unserer Mitte,
also von ganz normalen Leuten,
die unsere Nachbarn sein könnten.
Manchmal sind die Erzählungen spannend,
mal herzergreifend, unheimlich oder humorvoll,
immer jedoch unterhaltsam.
Endet eine Geschichte, so ist man schon gespannt auf
die darauffolgende und legt das Buch nicht aus der Hand.

Bernd Sternal
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum12. Mai 2020
ISBN9783751940740
Die schwarzen Schafe: Erzählungen
Autor

Rolf Alldag

Der Autor Rolf Alldag wurde 1938 in Hannover geboren. Der Vater, von Beruf Metallarbeiter, ist in den letzten Kriegstagen bei Kampfeinsätzen in Schlesien als vermisst gemeldet und die Mutter musste ab 1944 allein für das Wohl der Familie sorgen. Nach der Schulentlassung 1953 beginnt Rolf Alldag eine landwirtschaftliche Lehre in einem kleinen Ort am Deister bei Hannover, danach ist er in einem Kohlenbergwerk im Ruhrgebiet tätig. Von 1958 bis 1966 arbeitet er als Bauarbeiter in der Baubranche. Nach dem Studium der Bautechnik arbeitet er ab 1972 in leitender Position in einem internationalen Baukonzern. 1959 heiratet er und hat zwei Söhne und eine Tochter. Seit 2004 ist er Pensionär und lebt in Niedersachsen. All diese Lebensabschnitte und die Personen, welche eine kleine oder große Rolle in seinem Leben spielten, inspirierten ihn zu seinem Buch "Der Zocker, die Rote Hilde und andere Erzählungen", das Buch "Ein Fall für Drei - Erzählungen" ist nun der Folgeband. Seit 2002 veröffentlichte Rolf Alldag Jagdbeiträge in verschiedenen Zeitschriften. Im Jahr 2009 brachte er sein erstes Buch "Das Hochzeitsfoto von 1906" - Lebenswege einer Familie aus Niedersachsen heraus. Mit seiner Liebe zur Natur beschäftigt sich auch sein 2010 erschienenes Buch "Luise und andere Jagdgeschichten". Danach folgten weitere: 2011 "Arntedanz" - eine Sammlung von Gedichten des Heidedichters Bernhard Alldag, 2013 "Die Strasse" - Eine niedersächsische Geschichte mit teils biografischem Inhalt, 2014 "Ivans Reise" - ein Roman, der in einem kleine Dorf in Russland beginnt und in Nachkriegsdeutschland endet, 2015 "Der Zocker, die Rote Hilde und andere Erzählungen" und 2016 "Ein Fall für Drei - Erzählungen".

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    Buchvorschau

    Die schwarzen Schafe - Rolf Alldag

    Inhalt

    Der alte Ahlborn

    An einem schönen Tag

    Der Maler

    Der Kudu

    Alex und die Liebe

    Der Sänger

    Im Dorf

    Ein richtiger Mann

    Ein Selbstmörder

    In der Kneipe

    Der Lehrer

    Hanna

    Der Zocker

    Die rote Hilde

    Ein Fall für Drei

    Ein bisschen Frieden

    Berni

    Die schwarzen Schafe

    Die Beteiligung

    Kuckuck

    Ein Gespräch

    Ein alter Mann

    Der Einheitstag

    Elfriede

    Floh am Hacken

    Briefwechsel

    In der Fremde

    Der alte Ahlborn

    Der alte Ahlborn war mir als Hilfe zu meiner auszuführenden Arbeit beigegeben worden, von der Arbeit selbst will ich aber nichts erzählen. Es geht mir hier, in dieser Erzählung, nur um meine Beihilfe. Ich nenne diesen Mann nun, nachfolgend, nur noch Ahlborn und ich bin fest davon überzeugt, dass er nichts dagegen gehabt hätte, dass ich das „Herr" vor seinem Namen in dieser Erzählung einfach entfallen lasse, falls er das folgende lesen würde. Das tue ich aber keineswegs aus Respektlosigkeit gegenüber dem alten Herren, sondern nur der Einfachheit halber und weil ich glaube, dass das auch so verstanden wird.

    Um aber vom alten Ahlborn zu erzählen, muss ich doch kurz erläutern, dass meine Tätigkeit zum großen Teil im Außenbereich einer großen Firma liegt. Eigentlich da, wo unsere Firma das erforderliche Geld für ihre Existenz und ihr Wohlergehen verdiente. Kam ich aber für eine bestimmte Zeit in den Innenbereich – ins Büro – stand Ahlborn mir bei meinen dort zu erledigenden Arbeiten zur Seite. Das ging so lange, bis alles erledigt war und ich meine Unterlagen einpacken konnte und in den Außenbereich zurückkehrte. Wenn ich richtig überlegte, brauchte ich ihn gar nicht. Was zu tun war, konnte ich auch allein erledigen. Aber, ich freute mich ihn zu sehen und etwas Unterhaltung war schließlich auch damit verbunden.

    Was mir auf meinem auswärtigen Arbeitsplatz fehlte, waren die dringenden Kontaktpflegen zu meinen Kollegen im Büro. Die wollte ich auf keinem Fall abreißen lassen. Das holte ich nun in der Zeit meiner Anwesenheit hier schnell nach. Ahlborn war einer von ihnen, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene.

    Wir begrüßten uns bei meiner Ankunft in dieser Zeit stets nach alter Weise mit einem kräftigen Handschlag, manchmal auch mit einem kleinen, schon freundschaftlichen Klapps auf die Schulter. Genau so, als hätten wir uns nur für einige Tage nicht gesehen und freuten uns gemeinsam auf die kommende, wenn auch beschränkte, gemeinsame Zeit. Natürlich wurden auch andere Kollegen und Kolleginnen begrüßt, aber Ahlborn blieb bei allem vorn, an erster Stelle.

    Die üblichen Fragen: „Wie geht’s, wie stets", waren schnell erledigt und die die nun gemeinsame Arbeit begann.

    Es lagen oft viele Monate zwischen unserem Wiedertreffen, manchmal sogar mehr als ein Jahr. Die Freude des Wiedersehens war ganz sicher beidseitig verteilt. Wir konnten beide gut erkennen, dass wir wieder älter geworden waren. Es ging auch oft so weit, dass ich glaubte, er hat direkt auf mich gewartet, in der Zwischenzeit sogar Informationen eingeholt, wann ich denn endlich käme. Was er in der Zwischenzeit tat, welchem Kollegen er zur Hand ging, eine tatkräftige Beihilfe war, habe ich nie erfahren und ich habe auch gar nicht danach gefragt.

    Wenn Ahlborn montags zum morgendlichen Arbeitsbeginn kam und die kurze Begrüßung erledigt war, packte er seine braune, abgeschabte Aktentasche aus und nahm mir gegenüber bequem am Schreibtisch Platz. Neben der großen, verbeulten Alubüchse mit den immer dick belegten Broten und die Thermoskanne mit Kaffee, kam jedes Mal, mit pünktlicher Regelmäßigkeit, die mitgebrachte Tageszeitung zum Vorschein. Aber nur an diesem einen Tag in der Woche, am Montag. Erst habe ich es gar nicht registriert, aber dann stellte ich fest, er teilte es mir auf meine Nachfrage auch mit, es war immer die Ausgabe des vergangenen Wochenendes. Noch später erfuhr ich, dass ein Händler in seiner Straße ihm dieses Exemplar stets bis Montagmorgen, vor seinen Fahrtantritt ins Büro, bereithielt.

    „Darf ich mal das Telefon haben?"

    Mit einer Handbewegung wanderte das auf einem Schwenkarm stehende Telefon von mir zu ihm herüber und es begann ein Telefonat, das ich stets mit großem Interesse verfolgte. Ich hätte auch gar nichts anderes tun können, als meine eigene Arbeit zu unterbrechen und hinzuhören. Die Stimme meiner Beihilfe bekam nun einen ganz anderen Klang. Sie hatte, nachdem er sich laut und stark geräuspert hatte einen Befehlston, den Ahlborn sich irgendwo angewöhnt haben musste.

    „Ja, ich bin es. Ob ich gut angekommen bin? Na, würde ich wohl sonst anrufen! Wir wollen es kurz machen. Also pass auf: Nimm einen Zettel, hast Du ihn. Gut, dann schreib auf: Die Margarine holst Du bei Alberts, die Kartoffeln bei Schmidt."

    So ging das eine ganze Weile, wobei die Stimme an Strenge und Lautstärke nichts verlor und er die Zeitung immer vor Augen hatte, die Seiten umblätterte und gleichzeitig mit seinen Bleistiften spielte oder sonstige kleine Arbeiten verrichtete. Er kreuzte und markierte an, was er las und durchgab. Nach etwa zwanzig Minuten, manchmal auch kürzer, war die Bestellung ohne weiteren Gruß erledigt, der Schwenkarm mit Telefon wendete sich mir wieder zu und die Zeitung verschwand im Dunkel der Aktentasche.

    Erstaunt fragte ich ihn beim ersten dieser Telefonate, was das zu bedeuten hatte und warum seine Frau das alles besorgen solle? Er könne doch am Wochenende mit dem Auto alles viel schneller erledigen.

    Stirnrunzelnd und mich geduldig anblickend erklärte er mir: „Die hat doch Zeit genug. Eine ganze Woche lang ist sie jetzt beschäftigt. Sie wissen doch, unsere Stadt ist weit auseinandergezogen und wir wohnen ganz am Rand. Nun ist sie ebenfalls beschäftigt, hockt nicht nur zu Hause herum und kommt nicht auf dumme Gedanken". Manchmal hatte ich das Gefühl ich müsste den Raum verlassen, um das private Gespräch zwischen den Eheleuten nicht zu stören, blieb dann aber doch.

    So wie ich es aus seinen wenigen privaten Erzählungen heraushören konnte, lebte er mit seiner etwa gleichaltrigen Frau allein in einer kleinen Etagenwohnung in einer Stadt, die eigentlich nur aus einzelnen, weit auseinandergelegenen Teilen bestand. Die „dummen Gedanken, von denen er seine Frau abhalten wollte, bestanden sicherlich nur in seiner etwas beschränkten Fantasie. Auch von einem längst erwachsenen Sohn war manchmal andeutungsweise die Rede, aber Genaues war ihm nicht zu entlocken. So wie ich es aus den dürftigen Aussagen heraushörte, besaß der Sohn die volle Liebe der Mutter und bekam von ihm die etwas blasierte Überlegenheit des Vaters zu spüren. Hier gab es wohl häusliche Streitigkeiten und Entfremdung, die vielleicht darin lagen, dass dieser „große Junge immer noch im Hotel Mama residierte.

    Wenn meine Beihilfe auch sonst ein eifriger und guter Erzähler über alle möglichen Dinge war, von sich selbst und seiner Familie kam erstaunlich wenig über den Schreibtisch zu mir herüber. Vielleicht ahnte er aber auch, dass hierfür bei mir kein besonderes Interesse vorhanden war. Es war mir aber völlig klar, dass der Ahlborn, der mir hier, meist freundlich gegenüber saß und meine Beihilfe war, zuhause ein ganz anderer Mensch sein konnte.

    Ob er jemals Urlaub machte, konnte ich nicht erfahren. Während meiner Anwesenheit war er jedenfalls immer da. Als besonders humorvoll konnte man ihn nicht einstufen. Seinen leichten, aber ständigen Husten bezeichnete er stets im, humoristischen Tonfall mit dem Wort „Friedhofsjodler". Ein Wort, das ich so nicht kannte, mir aber gefiel, weil es eben vom alten Ahlborn stammte und sonst nirgends zu hören war. Da war klar zu hören, dass auch Ahlborn über ein Quäntchen Humor verfügte.

    Der Tag begann mit dem Einerlei des Bürolebens. Gegen Mittag holte meine Beihilfe seine Brotdose hervor und erneut gab es für mich etwas zu bestaunen. Er verzehrte in aller Ruhe bergeweise, so wie ich es beurteilen und sehen konnte, die gut und dick belegten Butterstullen. Erstaunlich viele für sein Alter und seine hagere Gestalt. An manchen Tagen wehte auch eine kräftige Knoblauchfahne zu mit herüber. Bestimmt nahm er den zur Stärkung seiner Spannkraft. Seine Frau musste ihre Probleme haben, ihn zu Hause satt zu bekommen. Vielleicht hielt er sich da aber mit dem Essen zurück und holte nun im Büro alles nach. Aber um meine Beihilfe näher zu beschreiben, muss ich doch etwas weiter ausholen.

    Als ich ihn kennenlernte, kam er mir schon uralt vor. Bestimmt lag es daran, dass ich gerade etwas über dreißig und Ahlborn auf die Siebzig zuging, oder vielleicht sogar diese schon erreicht und überschritten hatte. Zu seinem Alter hatte ich gar keinen Zugang; ich konnte mir nicht vorstellen, jemals selbst so alt zu werden. Ahlborn war ja bereits Rentner, aber noch einmal wegen Mangels an geeignetem Personal aktiviert worden und wieder ins Arbeitsleben eingestiegen. Vielleicht aber auch, weil die Rente nicht reichte oder er sich im häuslichem Umfeld nicht wohlfühlte. Später, als er mir von seinen Arbeitseinsätzen in den verschiedensten Teilen unseres zuvor noch größeren Landes erzählte, konnte ich mir seine Abwesenheit vom heimischen Herd besser erklären. Ich habe ihn nie nach den genauen Gründen für seinen so späten Arbeitseinsatz gefragt, bestimmt hätte er mir die auch gar nicht mitgeteilt. Er war das Arbeiten eben gewohnt und konnte sich einen Müßiggang, nur so zuhause herumsitzen, gar nicht vorstellen

    Der von Ahlborn hinterlassene Eindruck auf sein Umfeld war schon beachtlich und ging weit über unsere gemeinsame Bürotätigkeit hinaus. An körperlicher Größe hatte er altersbedingt nichts eingebüßt. Sein Auftreten war sogar würdevoll zu nennen. Er ging aufrecht gerade, langsam und bedächtig, wobei ihm seine drahtige, fast schon dürre Gestalt sehr zustatten kam. Nach seinem Appetit hätte er das Doppelte wiegen müssen. Sein Schritt war als dennoch elastisch zu bezeichnen und hatte gar nichts Greisenhaftes und so waren auch seine Bewegungen. Das ergraute noch immer volle Haar war glatt zurückgekämmt und er war immer gut und glatt rasiert. Was absolut nicht im Einklang mit diesem Bild stand, waren die buschigen Augenbrauen. Sie hingen über den tiefliegenden Augen, verdeckten ihm, so schien es mir, die Sicht und gaben ihm ein etwas wildes Aussehen. Selbst über seine Brillengläser hingen die drahtigen Borsten. Was optisch ebenfalls störte, waren die aus der Nase und den Ohren herauswachsenden Haare. Ich fragte mich oft, warum seine Frau ihn darauf nicht aufmerksam machte? Im Gesicht befanden sich ganz natürliche Altersspuren, aber sie passten zu ihm, wie seine Kleidung, die auf die wechselnden Jahreszeiten keinen Einfluss hatte. Es war ja immer das Gleiche. Die hohe Stirn zeugte von einer gewissen Intelligenz. Der Mund leicht verkniffen, mit zwei tiefen, seitlichen Gramfalten. Das war kein Gesicht, das Humor oder Lebensfreude verbreitete.

    Ich will es so sagen: Er hatte einen tragischen Gesichtsausdruck. Anders kann ich es aus der Erinnerung heraus nicht beschreiben. Ja, er war eine tragische Gestalt. Seine Augen, sein Mund, einfach das Gesicht hatten diesen Ausdruck. Aber, er machte keinen Trend der Zeit mit. Er blieb stets so, wie er sicher immer war. Es gab im Büro noch einige Leute in seinem, oder fast in seinem Alter, er unterschied sich jedoch von denen allen, nicht nur in der etwas altmodischen Kleidung, bestimmt auch in seiner Weltanschauung. Ich hatte vor ihm bestimmt das, was man schlechthin Hochachtung nennt.

    An besonders beanspruchten Stellen, am Hosenboden und an den Knien, zeigte der ständig getragene, zweireihige braune Anzug leichte Abnutzungserscheinungen; dazu die ständig gleiche, farblose Krawatte, die allerdings mehr einem Strick ähnelte, um den dünnen Hals mit dem vorspringenden, behaarten Adamsapfel, ließ ihn für Außenstehende unbedeutend erscheinen. War die Anzugjacke geöffnet, was selten vorkam, wurde eine Uhrkette sichtbar. Meine Beihilfe trug aus verständlichen Gründen keine Armbanduhr, in der Westentasche steckte eine aufziehbare Taschenuhr an einer dicken, silbrigen Kette. Es war ein etwas altmodischer Anblick in unseren so modernen Zeiten. So unterschied er sich von vielen im Büro, von mir ganz besonders. Ich legte auf das Äußere nicht den großen Wert wie meine Beihilfe Ahlborn.

    Was ihn aber von allen anderen Mitarbeitern in der Firma grundsätzlich unterschied, war seine linke Hand. Die fehlte, sie war ihm in den Wirren des vergangenen Krieges abhandengekommen. Aber wie das genau geschah, das erzählte er mir, auf meine Anfrage, erst viel später. Groß gefehlt hat sie ihm bei seiner nun ausgeübten Tätigkeit nicht. Er trug eine starre Kunsthand, an der jeder leicht gebogene Finger kunstvoll und anatomisch richtig ausgebildet war. Diese Hand war mit einem braunen, an einigen Stellen schon abgenutzten Lederhandschuh überzogen, aus denen das Holz der Kunsthand hervor sah. Es gab auf diese Hand sogar einen, wie er oft meinte, viel zu kleinen Rentenzuschlag.

    Ahlborns Aufgabe lag im Kopieren und Nachrechnen umfangreicher, zentimeterdicker Leistungsverzeichnisse. War er am Rechnen, rasselte die halbmechanische Rechenmaschine und spuckte meterlange Papierstreifen aus, die dann den Papierkorb füllten. Ganz natürlich schlichen sich auch schon einmal Rechenfehler ein und die Prozedur begann am gleichen Stapel noch einmal von vorn. Auf die von ihm errechneten Resultate konnte ich mich aber immer voll verlassen und tat es auch. Selbst kleinere oder größere Fehler, von den Einreichern der Unterlagen mit Bedacht eingebaut, um das Angebot im ersten Durchgang niedrig erscheinen zu lassen, und später Nachforderungen geltend zu machen, wurden von meiner Beihilfe erkannt und mitleidslos ausgemerzt. Sein kurzes, grimmiges Auflachen beim Nachrechnen zeigte mir über den Schreibtisch an, dass wieder ein eingebauter Fehler erkannt wurde.

    Das Kopieren der Leistungsverzeichnisse wurde aber außerhalb unseres gemeinsamen Büros erledigt. Das Riesengerät stand einige Stockwerke entfernt an einem zentralen Platz und war der Anlaufpunkt für das gesamte Personal im Büro. Hier etwas zu kopieren, bedeutete Zeit und viel Glück. Stets war das Gerät belagert und besonders spannend wurde es, wenn die Beihilfe mit ihren zentimeterdicken Verzeichnissen, noch verpackt im Pappkarton, am Kopierer auftauchte. Für den Rest des jeweiligen Tages kam nun keiner mehr an das Gerät, Ahlborn hatte es wie seinen persönlichen Besitz besetzt und ließ keinen heran. Selbst die flehend vorgebrachten Bitten: „Nur mal eine Seite", stießen bei meiner Beihilfe auf absolute Ablehnung. Es war aber auch eine strapaziöse Prozedur. Für jede Seite musste der Deckel angehoben, das Blatt sorgfältig eingelegt und zurechtgerückt werden. Anschließend den Deckel wieder schließen, auf den Knopf drücken und so weiter. Der Tag war dann ausgebucht. Ein Hindernis war ihm seine Kunsthand jedoch nicht. Er gebrauchte sie so sicher und geschickt, als wäre es seine echte, lebendige mit Blut und Nerven versehene Hand.

    So verbrachten wir, meine Beihilfe und ich, die Zeit meiner Anwesenheit im Büro.

    Zu persönlichen Gesprächen zwischen uns während der Arbeitszeit kam es selten. Zwischendurch durchstreifte meine Mithilfe die Gänge in den Etagen, holte sich Informationen und teilte sie mir als Hausnachrichten mit. Aber bei einem dieser Gespräche erfuhr ich von ihm, dass er vor dem Krieg bereits in dieser Firma, nur in einer anderen Niederlassung, in Ostpreußen – ganz genau in Königsberg – als Bauingenieur gearbeitet hatte und nun auch aus alter Anhänglichkeit gerade diese Firma wieder als seinen vielleicht letzten Arbeitsplatz erwählt hatte.

    So ruhig und gleichmäßig hätte es für die Zeit meiner Anwesenheit im Büro auch weitergehen können, aber es kam anders. Unser fast schon väterlich wirkender Direktor ging in den wohlverdienten Ruhestand und nahm seine persönliche, nur für ihn arbeitende, mütterlich wirkende, Sekretärin mit. Ein neuer Direktor betrat die Bühne und mit ihm eine neue Vorzimmerdame. Auch im Vorzimmer des Neuen herrschte nun ein anderer Wind. Schon rein optisch saß da nun eine Person, die als kleines Kunstwerk betrachtet werden konnte.

    Die erste Tätigkeit des neuen, voller Dynamik auftretenden, zwergenhaften Direktors begann mit dem Ausdünnen des Personals, in allen Etagen als Sanierungsmaßnahme und Kosteneinsparung. Saßen drei Leute in einem Raum, was wegen Platzmangels oft der Fall war, konnte einer davon mit Sicherheit seine Tasche packen und nach Hause gehen, ob er gebraucht wurde oder nicht. Der Nebenmann hatte die Aufgaben des Entlassenen zu übernehmen, basta.

    Unsere Betriebsrätin(bei uns war es eine Frau) bekam nun viel Arbeit. „Rote Grete" wurde sie genannt, aber nur wenn sie nicht in der Nähe war und ihr dieser Name nicht zu Ohren kam. Sie war eine einsame, energische Kämpferin und unternahm mehr, als von einer Betriebsrätin erwartet wurde. Sie tat viele Dinge, die dem neuen Direktor nicht lieb und recht waren. Ihr Einsatz für die Kollegen grenzte an einen Heldenkampf, der aber von vielen Mitarbeitern leider nicht immer anerkannt wurde. Die Anpassung vieler Mitarbeiter – in Sorge um den eigenen Arbeitsplatz – an die Methoden des Neuen, nahm unangenehme Formen an.

    Dass gerade unser „Laden", als eine Niederlassung von vielen in den Hauptstädten der Bundesländer, finanziell gut im Rennen lag, war als eine Tatsache nicht nur den Kalkulatoren bekannt. Der Neue versuchte sich in den ganz oberen Etagen der Hauptniederlassung mit seinen Maßnahmen einen Namen zu machen, was ihm, wie es die späteren Jahre zeigten, auch gelang. Aber, das ist eine ganz andere Geschichte. Was wir beide – meine Beihilfe und ich – und bestimmt auch der neue Scharfmacher zu dieser Zeit noch nicht ahnten, war, dass er, der durch die Büroräume fegte und sanierte, später am Untergang der Firma ganz aktiv beteiligt sein sollte, vielleicht sogar der Hauptschuldige war. Zum Glück hatten wir zu der Zeit keine Ahnung wie alles kommen sollte.

    Eine klitzekleine Schadenfreude konnte ich mir aber nicht versagen, als der sich für so wichtig haltende kleine, dicke und obendrein arrogante Einkäufer aus der Chefetage seinen Platz räumen musste. An dessen Schreibtischkante lehnte zu bestimmten Zeiten eine Schrotflinte, die er sich oft schon gegen Mittag über die Schulter warf, zum geländegängigen Auto auf dem firmeneigenen Parkplatz ging und mit der Zurücklassung einer blauen Abgaswolke für den Rest Tag verschwunden blieb. Die nach seinem Rauswurf folgende Zeit konnte er nun geruhsam den ganzen Tag auf dem Hochsitz im Wald verbringen. Aber vielleicht wollte er das gar nicht.

    Dann kam, nach leichtem Abflauen der Entlassungswelle, das Streichen von jahrelangen Privilegien und Sondervergütungen, und nun traf es auch unsere kleine Gemeinschaft.

    An einem Tag kam Ahlborn aufgeregt von einem Ausflug in andere Etagen und aus der Registratur mit einem Brief in der Hand zurück. Seine behaarten Nasenflügel bebten und so wie ich es auf dem ersten Blick sah, war sogar die Brille leicht beschlagen.

    „Stell‘n Sie sich mal vor, was der Neue sich einfallen lassen hat. Sie kommen nicht drauf."

    Er sah mich fragend an. Ich kam wirklich nicht drauf, ich konnte mir auch gar nicht denken, was meine Beihilfe so auf die sogenannte Palme gebracht hatte. Aber, ich sollte nicht länger in Unkenntnis darüber bleiben.

    „Hier, ich habe es schriftlich. Er, der Neue, hat mir das Fahrgeld gestrichen. Sagen Sie mal, kann der so Dinge, die der alte Direktor vereinbart hat, einfach so streichen?"

    Auf seine aufgeregten Fragen wusste ich in dem Moment keine geeignete Antwort und ich glaube, er hatte auch gar keine erwartet. Also blieb ich erst einmal stumm.

    Hier muss ich aber einflechten, dass meine Beihilfe ja jeden Tag mit ihrem alten Käfer etwa sechzig Kilometer für eine Strecke Fahrt machen musste, um an ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Eine gehörige Entfernung für die beiden Veteranen und das auch im Winter bei Schnee und Glatteis. Bei einer passenden Gelegenheit, im eisigen Winter mit jede Menge Schnee auf den Straßen, teilte er mir mit, dass der Kauf von Winterreifen für ihn gar nicht in Frage kommt. Er hatte mit dieser Unterlassung, so lange ich ihn kannte, auch immer Glück. Ich hatte es wohl geahnt, aber nicht genau gewusst, dass er überhaupt für seine Fahrten Fahrgeld bekam. Ich suchte auf dem Schreibtisch nach meiner Lesehilfe, wenn es dämmerig wird brauche ich sie. Ganz so jung bin ich nun auch nicht mehr und sah ich mir sein gerade erhaltenes Schreiben genauer an. Konnte aber feststellen, dass nur ein kleiner Teil davon gestrichen war. Der größere Teil war ihm verblieben.

    Aber für Ahlborn war dieser Tag erst einmal gelaufen, er war nicht mehr ansprechbar und hatte eine Laune, die jede weitere Unterhaltung ausschloss. So ging dieser Tag, es war die dritte oder vierte Woche nach dem Machtantritt des neuen Direktors, zu Ende. Der Gedanke an das Geschick meiner Beihilfe verließ mich auch am folgenden Abend nicht und so hatte ich am nächsten Tag, nach intensiver Überlegung am Vorabend, eine Idee und konnte kaum abwarten, sie ihm mitzuteilen.

    Ahlborn betrat das Büro, setzte sich nach einer kurzen Begrüßung auf seinen Platz und griff zur Rechenmaschine. Sein Gesicht war ernst und verschlossen, völlig den vorgefallenen Dingen des gestrigen Tages angepasst.

    „Guten Morgen Herr Ahlborn, ich hab da eine Idee."

    Nur widerwillig wendet er sich mir zu. Eigentlich ein klares Zeichen, dass er von mir nichts Besonderes erwartete.

    „Der Verlust, den der Neue ihnen zugefügt hat, den gleiche ich wieder aus. Sie schreiben auf ihren Stundenzettel jetzt jeden Tag eine Stunde mehr als Sie hier sind und alles ist wieder so wie vorher. Ich unterschreibe."

    „Wollen Sie das wirklich tun. Bekommen Sie auch keinen Ärger?" Ahlborn war nun interessiert und wandte sich mir mit etwas freundlicherem Gesicht zu.

    „Nein, Ärger krieg ich nicht und wenn, dann werde ich damit schon fertig." Immer zum Wochenende unterschrieb ich seinen Wochenzettel mit den geleisteten Stunden, nach denen er dann auch bezahlt wurde. Meine Beihilfe machte ein zufriedenes Gesicht und es sah so aus, als wäre der Frieden wieder hergestellt.

    Es waren vielleicht weitere drei Wochen vergangen, Ahlborn saß mir gegenüber und ich merkte ihm an, dass irgendetwas nicht seinen Vorstellungen entsprach.

    Ich sprach ihn an: „Ist irgendetwas los, gibt es zu Hause Ärger?"

    „Nein, da nicht. Aber ich will Ihnen mal etwas sagen: Der Neue ist doch ein Lump. Streicht der mir doch das Fahrgeld. Ob der vielleicht nicht weiß, wie viele Kilometer ich jeden Tag zu fahren habe? Und meine Karre fährt ja nicht nur mit Benzin. Da sind auch noch andere Kosten. Eine Schweinerei ist das. Und dafür macht man sich hier krumm."

    Mit diesen Worten verließ er seinen Platz an der Rechenmaschine und war aus unserem Raum verschwunden. Die Tür schlug mit Schwung hinter ihm zu und ich war allein. Etwas ungläubig, ja erstaunt und verwundert, sah ich ihm hinterher. Mir fiel mein gemachter Vorschlag wieder ein und damit auch die Tatsache, dass er ja bereits schon einige Mal den versprochenen Stundenzuschlag bekommen hatte. Der lag bedeutend über seinem „Verlust". Was sollte das also eben? Das konnte dieser sonst mit einem phänomenalen Gedächtnis ausgestatte Mann doch nicht vergessen haben. Außerdem mischte sich bei mir leichter Ärger ein. Der sollte was von mir zu hören bekommen, dachte ich mir. Nach einer geraumen Zeit war meine Beihilfe wieder an ihrem Platz.

    „Sagen Sie mal, sprudelte es aus mir im gar nicht mehr kameradschaftlichen Ton heraus, „mein lieber Herr Ahlborn, hatte ich Ihnen nicht die Stunde extra für den Abzug zugesagt und Sie haben sie auch bekommen. Ich verstehe Ihre Aufregung nicht.

    „Naja, habe ich ja auch. Aber es ist doch trotzdem eine Sauerei von dem Kerl. Und das will nun der neue Chef sein. Der bringt es noch soweit und gibt der Firma einen anderen Namen, vielleicht sogar seinen Eigenen." Damit war unser Gespräch über dieses Thema erledigt.

    So glaubte ich.

    Es waren gerade vielleicht zwei weitere Wochen vergangen, als meine Beihilfe dieses Thema erneut über den Schreibtisch zu mir herüberschickte. Es war so, als wenn er gar keinen anderen Gedanken fassen konnte. Ob es an meiner Laune lag, oder weil dieses Thema mir sowieso auf die Nerven ging, weiß ich nicht mehr zu sagen, denn die Entlassungswelle rollte noch immer, wenn auch etwas langsamer, und keiner saß so fest im Firmensattel, dass er von den Aktivitäten des neuen Direktors unberührt bleiben konnte. Einige scharfe Worte kamen als Retoure zu ihm zurück und es begann eine lange, schweigende Ruhepause über den gemeinsamen Schreibtisch hinweg.

    Meine Zeit der Bürotätigkeit näherte sich ihrem Ende zu. Alle Arbeiten waren getan, die zu erteilenden Aufträge vergeben und meine Anwesenheit wurde nun an anderer Stelle erforderlich. Meine Beihilfe sah sich im Büro schon nach dem Ersatz für mich um, den er unbedingt finden musste, um auch mit meinem Nachfolger die Extrastundenbezahlung auszuhandeln. Aber noch war ich da und gerade die letzten Tage sollten, so war es von mir geplant, als angenehme Zeit in der Erinnerung bleiben. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich bei meinem neuen Einzug ins Büro, vielleicht in einem Jahr oder länger, Ahlborn nicht mehr vorfinden würde. Wir saßen uns gegenüber, ich sah auf seine Lederhand, die vor mir auf dem Schreibtisch lag, und mir fiel ein, dass ich ihn noch nie nach der direkten Ursache des Verlustes seiner linken Hand gefragt hatte. Dass der Krieg daran schuldig war, stand ja außer Zweifel, er deutete es vor langer Zeit schon an, aber etwas Genaueres wollte ich schon wissen. Meine vielleicht etwas übersteigerte Fantasie ging zu Nahkämpfen im Schützengraben oder ganz besonderen Einsätzen, wo er dann mit einer Hand, die abgeschlagene in der Tasche, weitergekämpft hatte. So selbstsicher und energisch wie meine Beihilfe sich gab, hätte man das auch von ihm verlangen können. Ich befragte ihn.

    „Ja, ich will Ihnen das erzählen."

    Er stand auf und schloss die Bürotür, die immer einen Spalt zur Beobachtung der Vorgänge auf dem Flur offenstand, setzte sich wieder und nachdem er sich einen Becher Kaffee aus seiner Thermoskanne eingeschenkt, sich im Bürostuhl zurückgelehnt hatte und erinnerungsschwer zur Zimmerdecke blickte, begann er mit seiner Erzählung.

    „In dieser Firma, in der ich Rentner jetzt als Hilfskraft tätig bin, war ich ja auch schon vor und während des Krieges eingestellt. Aber in ganz anderer Funktion. Ich bin Bauingenieur, genau wie Sie. Wir bauten Bunker in Berlin; ich war am Westwall beteiligt und auch an der Atlantikküste. Ich habe in Frankreich den Reichsminister Todt gesehen und in Berlin den Speer; beide auf den Baustellen, allerdings nur aus weiter Entfernung. Haben Sie die Namen vielleicht schon einmal gehört?"

    Ich konnte das stumm mit dem Kopf nickend bejahen.

    „Ich sehe schon, Sie kennen sich da etwas aus. Also überall da, wo Beton verarbeitet und fließen musste, und das in großen Mengen, da war mein Einsatzgebiet.

    Was meinen Sie wohl, wie viele Leute ich unter mir hatte. Ja, das waren Baustellen! Da waren Russen, Polen und auch Franzosen und Belgier. Die kamen natürlich nicht freiwillig und so war auch die Arbeitsmoral; aber ich habe denen schon Dampf gemacht. Natürlich lief alles über den Dolmetscher, der dann immer aus ihren eigenen Reihen kam. Zuletzt kamen auch Italiener, aber die konnte ich ganz vergessen, die konnten nichts und taten wenig. Und so war ich zwar auch am Krieg beteiligt, aber ohne Waffe. Naja, eine kleine, mit fünf Patronen geladene Pistole hatte ich schon in der Hosentasche, die hatte ich mir organisiert, von der wusste keiner was. Eine richtig schöne, eine kleine Walther war das. Wozu ich sie aber hatte, das wusste ich selber nicht. Benutzt habe ich sie nicht ein einziges Mal. Nicht mal einen Probeschuss habe ich damit abgegeben. Zum Schluss, als es nichts mehr zu bauen gab, als kein Material mehr da war, da haben sie mich für die Waffe und den Endsieg entdeckt. Dabei gab es gerade da viel zu bauen; ich denke an den Wiederaufbau, es lag doch alles in Schutt und Asche."

    Ahlborn machte eine kurze Pause und sprach dann weiter.

    „Aber egal, ich wurde also Soldat. Meine Ausbildung erfolgte in einer kleinen Stadt, in der Nähe der Hauptstadt Berlin. Wie die Stadt hieß, habe ich nicht erfahren oder vergessen. Wir kamen in der kurzen Zeit der Ausbildung ja gar nicht aus dem Gelände heraus. Das Einzige, was ich da gelernt habe war, wie man die Patronen in den Karabiner befördert. Nicht einmal genau und zielsicher schießen konnte ich. Wegen Munitionsmangels gab es ja auch kaum Schießübungen. Andere Abteilungen waren schon weiter, hatten Maschinengewehre oder andere Schnellfeuerwaffen, aber wir – meine Abteilung – hatten nur die alten Karabiner und das waren nicht einmal alles deutsche Waffen, das waren Beutestücke. Ich lag in einer Stube mit so vielen anderen, dass ich sie gar nicht gezählt habe. Der im Bett unter mir lag, mit dem habe ich mich angefreundet, ihn aber später nicht mehr wiedergesehen.

    Was ich als persönlichen Vorteil ansah: wir brauchten uns nicht mehr bei der Ausbildung im Schlamm und Dreck zu wälzen. Auch das Exerzieren entfiel. Nach ein paar Wochen war der Zirkus mit der Ausbildung, wie sie es nannten, vorbei. Wir bekamen eine einigermaßen passende Uniform. Sie stand mir übrigens sehr gut und ich hätte gerne ein Foto von mir für meine Frau, die ich damals schon kannte, verheiratet waren wir noch nicht, machen lassen. Ich habe nämlich erst später geheiratet. Erst als der Krieg vorbei war. Ja, sie hat mich dann doch noch genommen, obwohl schon Teile an mir fehlten. Es gab aber keine Gelegenheit, um ein Foto zu machen. Ich habe ihr geschrieben, dass die Uniform mir prima steht. Sie schrieb darauf hin zurück, ich sollte man bloß mit meinem zivilen Anzug und heil und gesund zurückkommen, das würde ihr reichen. Gesund war ich dann, aber nicht mehr ganz heile. So ist sie eben. Ihr fehlte schon immer das Romantische."

    Ahlborn machte wieder eine kurze, bedeutungsvolle Pause und fuhr fort. „An einem dunklen, regnerischen Morgen: Trillerpfeifen und Kommandotöne ertönten auf dem Platz vor den Baracken. Wir alle in die Waffenkammer, Karabiner und Munition in Empfang nehmen. Lastkraftwagen standen mit laufenden Motoren und wir alle drauf. Die Fahrt ging zu einem Bahnhof, gar nicht weit vom Ausbildungsort entfernt.

    Ein Kerl, ich weiß nicht, was der für einen Rang hatte, brüllte: „Alle in die Waggons, aber ein bisschen dalli." Was ich aber noch nicht erwähnt habe, wir konnten schon seit einigen Tagen Kanonendonner, Grollen in der Luft hören. Zuerst dachte ich an ein Dauergewitter, aber wo sollte um diese Jahreszeit ein Gewitter herkommen? Ich habe es dann erfahren: es waren Bombenabwürfe und Kanonen der Luftverteidigung in der Hauptstadt. So dicht lagen wir in dessen Nähe. Fliegeralarm hatten wir auch, aber runtergefallen ist bei uns nichts. Wir sahen nur die in der Sonne blinkenden, feindlichen Geschwader mit langen Kondensstreifen über uns hinwegziehen. Von unseren eigenen Flugzeugen war nichts zu sehen.

    Also weiter: Wir quetschen uns in die Waggons, meinen völlig leeren Ranzen auf dem Rücken und den Karabiner fest in der Hand. Sieben Schuss Munition für den Karabiner steckten lose in meiner Uniformtasche. Das Irre war ja, dass die Karabiner, die wir in unserer Einheit hatten, gar keine deutschen waren. Das waren französische Beutewaffen, aber das sagte ich schon. Der Nachteil war der, wenn die Munition alle war, gab es keinen Nachschub. Die Deutschen, also unsere Leute, hatten ein ganz anderes Kaliber als die Franzmänner. Einen Stahlhelm hatte keiner von uns, es hieß, die sind alle. Wir hatten alle Käppis auf dem Kopf. Stahlhelme kriegt Ihr später, sagten sie. Einen geschlossenen Waggon habe ich auch nicht gekriegt, meiner war oben offen. Kalt war es, dass man bibberte. Der Zug war bestimmt nicht für menschliche Transporte in so dünnen Uniformen gedacht.

    Aber weiter: Es regnete zwar nicht direkt, aber so etwas wie mit Schnee vermischter Nieselregen war es schon. Wenn ich sagte, dass die Patronen in der Uniformtasche steckten, so habe ich wohl vergessen zu erzählen, dass das meine einzige Jacke bei dem Mistwetter war. Und die war dünn. Kaum waren alle in dem Waggon verstaut, ruckte der Zug an und die Fahrt ging los. Von der Landschaft, die wir durchfuhren, sah ich nichts. Die Seiten des Waggons waren so hoch, dass man nicht drüber weg sehen konnte. Ich sah nur den dunklen Himmel mit Schnee- und Regenwolken. Es gab keine Sitzgelegenheit. Einige hatten sich auf den nassen Holzboden gesetzt, ich stand an eine Seitenwand gelehnt. Es gab auch nichts zum Festhalten bei dem Gerüttele. Von schweren Waffen, wie Kanonen oder Waffen zur Abwehr von Flugzeugen, falls wir angegriffen werden, war im gesamten Zug nichts zu sehen. Alles nur Soldaten in meinem Alter und alle mit der gleichen Ausbildung, wie ich sie hatte. Ich war zu der Zeit ja schon bald vierzig Jahre alt.

    So wie ich es feststellen konnte, ging es in östliche Richtung. Ein Gespräch unter Kameraden kam nicht zustande, alle waren irgendwie bedrückt und von Kampfeswillen war nichts zu spüren. Das Einzige, was man bei dem Geratter und Gerumpel deutlich spüren konnte, war die Angst und die Niedergeschlagenheit jedes Einzelnen. Hier fuhr ein richtiger Angsthaufen, keine Retter und Sieger für den so oft herbeigerufenen Endsieg. Vielleicht ahnte der eine oder andere bereits, dass wir ja gar keine Soldaten im eigentlichen Sinne waren, sondern einfach nur Kanonenfutter. Das Wort kannten wir, durften es aber nicht laut werden lassen. Dort wo wir hin rollten, warteten bestimmt ganz andere Soldaten als Gegner auf uns, als wir es selbst waren. Ich bin kein Trinker. Alkohol hinterlässt bei mir immer Übelkeit und Kopfschmerzen, aber an diesem Tag hätte ich gerne einen kleinen Rausch gehabt. Nicht nur wegen der Kälte. Man soll dann mehr Mut haben und sich weniger fürchten. In mir war so ein klammes Gefühl, ich wäre gerne irgendwo gewesen, nur nicht in diesem Waggon und auf dieser Fahrt."

    Ahlborn unterbrach seine Erzählung, griff nach seiner Thermoskanne und goss den neben ihm stehenden Becher randvoll, lehnte sich auf seinen Stuhl zurück und trank den heißen Kaffee in kleinen Zügen.

    „Soll ich weiter erzählen. Finden Sie das Thema noch interessant."

    Ich sagte: „Ja, erzählen Sie bitte weiter."

    Inzwischen war es längst Feierabend in der Firma. Türen knallten und Schritte verhalten auf dem Flur. Der sonst so pünktlich abgehenden Ahlborn lies diese Geräusche vorüber gehen und nutzte meine Neugier an seiner Erzählung. Bestimmt konnte ich am Wochenende die Mehrstunde auf seinem Stundenzettel registrieren.

    „Na, dann weiter: Irgendwann kam eine Pause. Der Zug hielt auf offener Strecke. Wir konnten ganz kurz im Gebüsch verschwinden, dann ging es wieder weiter. Verpflegung und zu trinken gab es nicht ein einziges Mal. Wir sollten von dem leben, was wir im Tornister hatten. Da hatte ich aber nichts drin, es hat ja gar keiner gesagt, dass wir am Morgen abgeholt werden. Gegen Nachmittag, es wurde ja schon früh dunkel, hörte ich, trotz der Rumpelgeräusche der Waggons, wieder Kanonendonner; es waren wohl Kanonen. Dann war es ganz nahe, unser Zug wurde beschossen und hielt mit einem Ruck auf offener Strecke. Ob es aus Maschinenwaffen oder Einzelfeuer war, konnte ich nicht feststellen. Es klatschte gegen die Holzwände der Waggons und mit einem singenden Ton gegen die eisernen Tore. Jemand machte von außen die doppelflügeligen Türen auf, die nahe daran Stehenden fielen sofort heraus und landeten auf dem Schotter. Verteilen und Deckung nehmen, schrie eine Stimme, deren Rufer ich in dem entstandenen Gewirr nur ganz kurz sah. Das Auffälligste, was ich in diesem Augenblick an dem Schreier sah, war der glänzende Stahlhelm, der ihm vorne bis in die Augen hing. Das war sicherlich der einzige Stahlhelm im ganzen Zug. Rangzeichen hatte der auch, aber deuten konnte ich sie nicht. Es ging ja auch alles viel zu schnell. Den immer noch ungeladenen Karabiner in der Hand, sprang ich herunter vom Waggon und rannte über die Gleise und den Schotter hinter den anderen her, zu einem kleinen Waldstück. Vom Feind, der uns angriff, von dem sah ich nichts. Überall waren Wasserlöcher, die ich aber mit Schwung überwand. Damals ging das noch. Die ersten Bäume als Deckung waren schnell erreicht und ich konnte aufatmen. Nun setzte erneut Gewehrfeuer ein, vielleicht auch aus einem Maschinengewehr, so genau konnte ich das mit meinen wenigen Erfahrungen gar nicht unterscheiden. Es konnten ja nur die Russen sein. Polnische Einheiten, so hatte man uns das bei der Ausbildung gesagt, sollten aber auch schon in die Kämpfe eingegriffen haben. Vor denen sollten wir uns besonders in Acht nehmen. Es hieß; die machen keine Gefangenen. Dann krachte es hell, gar nicht so wie mit den Gewehren. Viel später, als alles vorbei war, habe ich mir das erklären lassen. Das waren Handgranaten. Da wir aber gar keine hatten, können sie ja nur von der anderen Seite geworfen worden sein. Erst da fiel mir auf, wie nahe die anderen vor uns gewesen sein müssen.

    Also Deckung suchen. Ich sah nach unten, zur Seite und stellte fest, dass um mich alles Sumpf und Morast, durchsetzt mit Wasserlöchern, war. Da hinein mit meiner sauberen, trockenen Uniform. Nein, das ging nicht. Auch in dieser, schon an Panik grenzenden Aufregung nicht. Der Krieg sollte für mich gerade erst beginnen. Eine Hand, es war die linke, legte ich um den Stamm des nächsten Baumes, ich glaube es war eine Birke, und ließ mich ganz sachte in die Knie, in die Hocke sacken, ohne mit der Uniform den Boden zu berühren. Der Baum, gar nicht so dick, sollte dennoch mein Schutzschild sein. Die Kugeln pfiffen nur so durch die Gegend. Von welcher Seite konnte ich gar nicht feststellen, aber bestimmt kamen die meisten Schüsse von vorn. Vom Gegner, den ich aber gar nicht sah. Es dauerte, ich glaube, nur Sekunden, da spürte ich einen stechenden Schmerz in der Hand, die mich am Baum hielt. Sie war mir nun keine Hilfe mehr und ich fiel rückwärts in den Schlamm. Nach dem Aufrappeln sah ich mir die linke Hand an, aber da gab es nichts mehr zu sehen, da war gar keine mehr. Es hingen noch ein paar Hautteile und Finger an Sehnen und lose Haut herunter, aber sonst nichts. Ich verspürte keinen Schmerz, in mir war nur eine grenzenlose Verwunderung. Staunend sah ich auf den Stummel und den blutigen Rest, der einmal meine Hand war. Von irgendjemand habe ich mal gehört, dass wegen des Schrecks der Schmerz erst später kommt. Es war tatsächlich so, ich hatte keinen Schmerz. Den Arm hochhaltend, um den Blutstrom zu stoppen, so blieb ich hinter dem Baum hocken. Das Gewehrfeuer verstummte, von allen Seiten hörte ich den Ruf nach Sanitätern. Mit meiner heilen Hand hob ich den im Schlamm liegenden, immer noch ungeladenen Karabiner auf und torkelte mit eigener Kraft zum Zug zurück. Vorbei an Toten, die in den unmöglichsten Stellungen im Schlamm lagen und an Verwundeten, die nach einem Sanitäter riefen und nach mir die Hände ausstreckten. Dann muss ich, am Zug angekommen, bestimmt ohnmächtig geworden sein. Von da an weiß ich gar nichts mehr.

    Der Zug, der uns gebracht hatte, fuhr dann, so habe ich es mir später sagen lassen, die gleiche Strecke wieder zurück. Von der Fahrt habe ich nichts mitbekommen. Im Lazarett wachte ich wieder auf, da war die Hand verschwunden und für mich der Krieg beendet. Von denen, die da im Lazarett um mich herumlagen, habe ich natürlich keinem erzählt, wie das mit meiner Hand passiert ist. Auch später zu Hause nicht. Der Krieg war dann für alle anderen nach wenigen Wochen auch vorbei. Was mir aber erst viel später aufgefallen ist, erst als ich im Lazarett lag und über alles nachdenken konnte, kam mir zum Bewusstsein, dass wir ja gar nicht aufgeteilt waren. Nicht in Zügen und nicht in Kompanien. Das sollte vielleicht erst am Bestimmungsort geschehen. Ich kannte ja nicht einmal meinen unmittelbaren Vorgesetzten. In diesem Scheißkrieg bin ich nicht einmal Gefreiter geworden. Aber, wenn der Kram, ich meine hier der Krieg, noch weiter gegangen wäre, hätte ich doch wenigstens das Verwundetenabzeichen gekriegt. Sie hätten es mir geben müssen. Von dem Leben im Lazarett will ich Ihnen gar nichts erzählen, es war die Hölle auf Erden. Es gab zuletzt weder Medikamente noch was zu essen, aber ich überlebte, wie Sie sehen."

    Er stand auf, ging ein paar Schritte vor dem Schreibtisch auf und ab und hielt mir die Lederhand entgegen.

    „So habe ich eben nur dieses hier. So, nun kennen Sie die Geschichte. Aber das eine muss ich Ihnen zum Abschluss meiner Erzählung noch sagen: Gerne erzähle ich ja nicht von dieser miesen, beschissenen Zeit. Aber früher, gleich nach dem Ende des Krieges haben mich so viele gefragt wie das war, da konnte und wollte ich nichts erzählen. Wenn ich es jetzt tue, hört gar keiner mehr zu. Außer Ihnen jetzt. Ich habe mal versucht, meinem Sohn, als er älter war, auch diese Geschichte zu erzählen, aber er hat nur abgewunken. So eine richtige Heldengeschichte ist es ja auch nicht und lügen oder was dazu erfinden wollte ich nicht.

    Das Soldatenleben lag mir ohnehin nicht. Ich will Sie nicht mit einer genealogischen Geschichte meiner Familie langweilen, aber Helden auf dem Schlachtfeld, sind bei und nicht anzutreffen. Kein einziger. Ich wollte auch nicht der erste sein."

    Angespannt habe ich seiner Schilderung gelauscht und hatte das untrügliche Gefühl, dass meine Beihilfe erleichtert war. Endlich konnte er alles das erzählen, was er bestimmt einmal einem geduldigen Zuhörer wie mir erzählen wollte. Kein Telefonanruf und kein Besucher hatte seine Schilderung unterbrochen.

    Die Heldentat, die ich mit Spannung erwartet hatte, hat es also gar nicht gegeben. Meine Beihilfe hat in dem Krieg, der schließlich sechs Jahre dauerte, keinen einzigen Schuss abgegeben und so wie ich es verstanden habe, nur wegen seiner schönen, sauberen Uniform die Hand verloren. So wie ich es raushörte, hatte er in seinem Karabiner auch gar keine Munition gehabt. Die war ja noch in der Uniformtasche. Es gab keine Grabenkämpfe und auch keine Heldentaten. Die Hand hätte er auch in Friedenzeiten bei der Arbeit verlieren können.

    Aus mir nicht mehr bekannten Gründen wurde ich nach seiner Erzählung von einem Lachanfall geschüttelt, der sich erst legte, als meine Beihilfe empört aufstand, den Raum verließ und die Tür hinter sich zuknallte. Meine Reaktion entzweite uns für die restlichen Tage, die wir noch gemeinsam verbrachten.

    Es tat mir leid, aber mein unbändiges, völlig unnötiges Lachen überkam mich nicht, weil seine Geschichte so lustig war, ich sah seine Lederhand nur über den langen, gemeinsamen Zeitraum unserer Zusammenarbeit ganz anders. Wegen meiner völlig unbegründeten Lachsalve habe ich mich geschämt.

    Wir haben uns danach nicht wieder gesehen. Als ich nach über einem Jahr wieder ins Büro kam, war Ahlborn nicht mehr da. Auf meine Nachfragen konnte mir keiner eine Auskunft geben. Es war so, als hätte es ihn gar nicht gegeben.

    Gerne hätte ich mich für mein Verhalten entschuldigt. Meine Beihilfe hatte von ihren Mitmenschen keine besonders gute Meinung und so konnte ich mir gut vorstellen, dass er, als er an diesem Abend nach seiner Erzählung nach Hause kam, zu seiner Frau sagte:

    „Der, der neben mir sitzt, ist auch nicht besser als die anderen."

    An einem schönen Tag

    Er wird von dem Verkehrslärm auf dem Flur vor seinem Apartment geweckt. Türen knallen zu, eilige Schritte hallen auf dem harten Fußboden, verlieren sich im Treppenhaus und im Aufzug. Durch die, wegen der sommerlichen Wärme weit geöffnete Balkontür, dringt von unten der Autolärm herauf. Er steht von dem Bett auf, das in der Raumecke steht und geht an die Balkontür. Von dort aus kann er weit in östliche Richtung über die Felder sehen. Das riesige, vielgeschossige Gebäude, in dem er im obersten Teil wohnt, liegt weit vor der großen Stadt und wird von Leuten bewohnt, die in der Stadt noch keine feste Bleibe gefunden haben oder hier nur für kurze Zeit beschäftigt sind. Firmen haben hier ihr Personal auf Zeit untergebracht.

    Mit einem Blick zum wolkenlosen Himmel stellt er fest: Es wird ein schöner Tag. Die Sonne hat den Horizont im Osten schon überschritten, es wird bestimmt auch ein warmer Tag werden.

    Er geht ins Bad, lässt die kalte Dusche langsam über seinen Körper laufen, rasiert sich anschließend, geht noch einmal zum Balkon und macht einige gymnastische Übungen. Es sind Übungen, die er täglich durchführt; man sieht diesen Übungen seinem drahtigen, schon etwas muskulösen Körper, der das fünfzigste Lebensjahr hinter sich hat, an. Dann bereitet er sein morgendliches Frühstück vor. Im Gegensatz zu anderen Tagen bringt er an diesem Morgen das sonst unordentlich daliegende Bett in Ordnung, zupft das Bettzeug gerade, stellt das Kissen auf und gibt ihm mit der Handkante einen spielerischen Schlag auf die Mitte. Beide Enden stehen nun hoch und er sieht leicht amüsiert darauf. Auch der Tisch wird an diesem Morgen abgeräumt, sauber gewischt und das benutzte Geschirr abgewaschen. Mit wenigen, geübten Handgriffen ist alles erledigt.

    Dieser Tag verspricht mehr. Es ist nicht allein das strahlende Wetter, sein inneres Gefühl sagt ihm, dass irgendetwas anders wird als sonst und er ist gespannt darauf.

    Nachdem er seine kleinen Haustätigkeiten beendet hat, zieht er leichte, dem Wetter des Tages angepasste Kleidung an, schaut noch einmal in die Runde, stellt zum Schluss ordnend die unbequemen, kunststoffbespannten Stühle an den viereckigen Tisch und schließt die Balkontür. Auf dem Weg zu seinem Auto, das am Straßenrand vor dem Wohnklotz parkt, grüßt er den ihm bekannten Hausmeister der Wohnanlage. Beide wünschen sich gegenseitig einen guten Morgen. Dann hat er seinen Wagen erreicht und steigt ein. Die Fahrt zur Arbeitsstelle geht über die Einfallstraße in Richtung Süden. Auf der vierspurigen Straße kommen ihm endlose Autokolonnen entgegen. In seine Richtung – stadtauswärts – fahren nur ganz wenige Fahrzeuge. Der morgendliche Beginn der Arbeitszeit lässt den Autostrom der Pendler in die große Stadt nicht abreißen.

    An seiner Arbeitsstelle angekommen, stellt er das Auto ab und geht zum nahegelegenen Zeitungskiosk, spricht mit dem Verkäufer einige Worte und kauft, wie jeden Morgen, die aktuelle Tageszeitung der Stadt. Erst jetzt betritt er sein Büro und stellt fest, dass von seinen Kollegen noch keiner an seinem Platz ist.

    Ihm sind diese Minuten des Alleinseins am frühen Morgen recht. Er vertieft sich in die Zeitung, bis die ersten Kollegen eintreffen. Die Begrüßung ist wie immer, man gibt sich kurz die Hand und fragt nach dem Befinden. Dann drückt er auf den Knopf des Computers und der Arbeitsablauf beginnt. Der Tag ist mit intensiver Arbeit ausgefüllt, die zu erledigenden Termine sind kurz bemessen und unter allen Umständen einzuhalten, für private Gespräche bleibt wenig Zeit. Aber ihm macht die Arbeit Freude und er kann sich nichts anderes vorstellen, als gerade diesen Job zu erledigen.

    Nach drei Stunden kommt für ihn die erste Pause. Seine Kollegen packen ihre mitgebrachten Pausenbrote aus und bereiten sich in der kleinen Kochnische Kaffee oder Tee.

    „Wenn für mich ein Anruf kommt, ich bin gleich wieder da."

    Er nimmt die neben dem Schreibtisch liegende Zeitung unter den Arm und verlässt das Büro, überquert den freien Platz in dem Neubauviertel zwischen gerade gepflanzten Bäumen, die noch mit einer Stützkonstruktion versehen sind und betritt einige Häuser weiter ein weiteres Büro. Vor der Tür drückt er auf einen Klingelknopf und die

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