Sunrise: Erzählung
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Über dieses E-Book
Michael Köhlmeier erzählt raffiniert und mit verlässlichem Gespür für eine gute Geschichte - amüsant, tiefgreifend und gleichzeitig von einer wohltuenden Gelassenheit.
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Buchvorschau
Sunrise - Michael Köhlmeier
Michael Köhlmeier
Sunrise
Erzählung
Für Richard O’Brien,
Robert Dornhelm und Jörg Fauser
„Hör zu, sagte Richard, „ich erzähle dir die Geschichte von Leo Pomerantz, Rita Luna und dem Dünnen.
„Dem Dünnen?" fragte ich.
„Sagte ich doch."
„Dünner noch als du?"
„Ungefähr gleich dünn, würde ich sagen. Zufrieden?"
Wir hatten eine Münze geworfen, ich weiß nicht, was für eine Münze es war, sie gehörte Richard. Kopf hatte er gewettet, und Kopf war gefallen. Also durfte er erzählen, und ich mußte mich um die Autos kümmern.
„Kennst du den Hollywood-Boulevard?" fragte er.
„Kann sein", sagte ich.
„Kennst du ihn morgens um sieben? Wenn du ihn nämlich morgens um sieben nicht kennst, dann kennst du ihn gar nicht. Der Hollywood-Boulevard morgens um sieben, der sieht folgendermaßen aus. – Hörst du zu?"
„Aber ja, Richard. Ich war nämlich aufgesprungen und mit ausgebreiteten Armen an die Fahrbahn gelaufen. So macht man das nachts. Zeigt Not an. Nützte aber nichts in diesem Fall. VW Golf mit Stoffverdeck, wahrscheinlich weiß oder beige. „Ich hör schon zu, Richard
, sagte ich und setzte mich wieder neben ihn an die Leitplanke. „Erzähl ruhig weiter!"
„Gut. Also der Hollywood-Boulevard am Morgen sieht im Prinzip genauso aus wie am Nachmittag."
„Es kommt aber am Morgen etwas Besonderes dazu – das meinst du."
„Ja, das meine ich."
„Was kommt denn am Morgen Besonderes dazu, Richard?"
„Die Leute fühlen sich morgens um sieben anders als am Nachmittag, sagen wir so um fünf. Das ist es. Sie sind müde. Sie waren entweder noch gar nicht im Bett, oder sie sind zu früh raus. Das ist in jeder Stadt so, da unterscheidet sich Los Angeles von keiner anderen Stadt der Welt. Über der Stadt hängt Nebel. Kannst du dir das vorstellen? Du kannst es nicht, es ist nämlich dieser verlogene Nebel, der sich aufführt, als wäre er Bewölkung. Der Hochstapler unter den Nebeln. Der Großkotz unter den Nebeln. Ja, man muß das so hart formulieren. Da nützt dir keine Erfahrung, du wirst ihn für Wolken halten, bis zehn Uhr wirst du denken, es sind Wolken heute. Bedeutende Meteorologen haben sich von diesem Nebel hinters Licht führen lassen ... Gib doch zu, du kennst Los Angeles gar nicht!"
„Kaum, du hast recht, eigentlich kaum."
„Aus Filmen kennst du die Stadt. Stimmt’s?"
„Hauptsächlich."
„Also dann hör zu! Am Morgen sind die Straßen naß. Das ist nicht schwer, sich vorzustellen. Der Hollywood-Boulevard ist eine von den Straßen, die am Morgen besonders naß sind. Er wird nämlich mit Hochdruck naß gemacht. Es kommen die Spritzwagen, die für Sauberkeit zuständig sind, und besorgen das. Die Männer, alles totale Profis, können den Druck regulieren. Es gibt fünf Stufen am Gerät. Der Hollywood-Boulevard, der ja früher vornehm gewesen ist, wird heute mit Stufe vier abgespritzt. Das heißt, er ist nicht mehr vornehm. Er ist verdreckt, eingeschmiert mit Unrat von der klebrigsten Sorte. Die messingumrahmten Sterne, in denen die Namen der Stars stehen, ziehen den Schmutz besonders an, könnte man meinen. Manchmal ist so einer völlig mit zerstampften Pommes frites zugedeckt. Charlie Chaplin oder Mae West. Kannst du nicht mehr lesen. Als ob es die nie gegeben hätte. Charlie Chaplin und Mae West, stell dir vor! Die müssen dann freigespritzt werden. Mit Stufe vier. Für Hollywood-Boulevard gilt Stufe vier. Das ist eine Stufe unterhalb der Slums. Aber dort wird gar nicht gespritzt. Zum Beispiel in Watts. Dort spritzt niemand. Deshalb bleibt Stufe fünf plombiert. Die Männer sind übrigens allesamt Schwarze, und sie betreiben Bodybuilding. Jedenfalls in der Zeit, in der meine Geschichte spielt, waren die Spritzmänner am Hollywood-Boulevard alle schwarz, und alle haben sie Bodybuilding betrieben und alle waren sie totale Profis. Spielt in meiner Geschichte aber keine Rolle. – Also flott jetzt: Leo Pomerantz wohnte nämlich in der Nähe des Hollywood-Boulevards. Darum erzähle ich das ja auch alles. – Sagt man bei euch flott oder in Dänemark?"
„Bei uns, Richard. Ja."
„Flott! Mit Doppel-t?"
„Mhm."
„Flott-ä! Flott-ä! Sehr gut! Wie abgeschossen. Am Ende des Wortes haut es einen an die Mauer ... Seine Freunde nannten ihn Sneezy. Das ist ein Zwerg aus Disneys Schneewittchen. Zu jener Zeit, in der die Geschichte spielt, schlief Leo Pomerantz sehr wenig, und wenn er schlief, war es ein dünnes, flottes Dahindämmern, und das brachte er im Schutz von drei mannshohen Ölfässern hinter sich. Neben einer Garage in der Whitley Avenue. Das war sein Ruheplatz seit gut zwei Monaten. Ein guter Ruheplatz, das muß betont werden, einer der besten sogar. Er gab acht auf ihn, pflegte ihn. Der Platz war ein perfektes Versteck. Die Ölfässer standen an einer Mauer, sie hatten eine merkwürdige Form, sahen aus wie Gaskartuschen, die man beim Camping verwendet, wie diese Schokoladenhauben, die es bei euch in den Zigarettengeschäften zu kaufen gibt, die Schwedenbomben heißen, nur daß die Ölfässer eben mannshoch waren. Drei waren es, wie gesagt, und die standen dicht an der Mauer. Aber es sah nur so aus, als stünden sie dicht an der Mauer, weil die Mauer nämlich schief war. Dank eines Erdbebens. Und so war hinter den Ölfässern ein Schlupf, den man von außen