Auf Reisen
Von Heinrich Mann
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Buchvorschau
Auf Reisen - Heinrich Mann
Auf Reisen
Auf Reisen
Auf Reisen
Seit Ferdinand Weber sich dieses Mal in Riva aufhielt, hatte ihn eine üble Stimmung nicht verlassen. Bald nach der Ankunft am Gardasee hatte er eine kleine Fußreise durch das Ledrotal und die andern, sich bis nach Brescia hinziehenden Gebirgsschluchten unternommen und genau den Weg innegehalten, der ihm, seit er ihn vor drei Jahren einmal gegangen, eine so angenehme Erinnerung gelassen. Doch sollte man niemals solche Straßen, die man vor dem fünfundzwanzigsten Jahre geschritten, im reiferen Alter wiedersehen wollen: je abgelegener und unbegangener sie sind, desto unangetasteter finden wir dort alles wieder, was wir damals an Träumen dortgelassen und was uns jetzt nicht mehr gehört.
Damals hatte er zur gleichen sonnigen Herbstzeit dies Stück Land mit den reizenden Phantasien betrachtet, mit denen wir in jenen Jahren alles ansehen. Wie jeder andere des gleichen Alters hatte er sich immer auf der Suche nach etwas schönem Unbekannten befunden, eine unausgesetzte Ahnung von Glück und Liebe, die ihm begegnen mußten, war seinen Schritten voraufgegangen. Die sonderbaren Felsen des geheimnisvollen Ampola-Tales öffneten ihre Säulengänge, Türme und Tore seinen Traumwünschen, die gewohnte Stege darin fanden. Auf dem schwarzen Nachen des schwarzen Idrosees schiffte sich seine Einbildung, die unsichtbare Liebe zur Seite, ein und steuerte langsam und lautlos jener grünen Bucht zu, hinter der ein süßes Geheimnis ihrer wartete.
Nun aber kräuselte ein kalter Hauch den See und trieb den Schlamm ans Ufer, und die überragenden Felsen des Ampola-Tales schienen ihm die Sonne übermäßig abzuhalten. Der Weg war steinig, ohne Wirtshaus weit und breit und wollte kein Ende nehmen. Er konnte nicht begreifen, daß er einmal Freude daran gehabt haben sollte. Von Storo benutzte er einen Wagen und dankte endlich Gott, als die Trambahn ihn am dritten Tage seiner Wanderung ans Ufer nach Salö brachte. Während er über den See nach Riva zurückfuhr, fing es an zu regnen, und mehrere Tage hörte es nicht wieder auf.
So lag er jetzt in seinem Gasthausfenster, wo er An- und Abfahrt der Dampfer dicht unter seinen Augen hatte. Solch eines Hafenbildes war er sonst schwer müde geworden. Aber die Passagiere hatten ein verdrossenes Aussehen und verbargen sich hinter Regenschirmen. Die zeisiggrünen und violetten Röcke der Bauern, die er stets so lustig-südlich gefunden, kamen ihm unnötig schreiend vor, denn alles übrige war müde und unbehaglich. Es schien ein plötzliches Unglück über die Welt gekommen zu sein; sogar das Vieh nahm daran teil. Das Geschrei der Esel, die in die Lastwagen gespannt wurden, klang wahrhaft leidend, wie das eines kranken Menschen.
Warum nahm er heute alles von dieser Seite, mit einer unbestimmten Melancholie, die er nie an sich gekannt? Er war eher heiteren Temperaments, äußerlich war er sich selbst nie anders erschienen, und er gehörte nicht zu den Menschen, die von ihrer Natur mehr als ihre Äußerungen kennen.
»Ich bin dumm, Grillen zu fangen«, sagte er und schloß das Fenster.
Es sollte indes noch ärger kommen. Denn nächsten Tages traf ein Brief ein, so dick wie er ihn nur einmal im Jahre erhielt. Seine Schwester, sein Schwager, seine Nichte und die Jungen hatten ihre Briefe zusammengeschlossen, in denen sie ihm zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstage Glück wünschten. Mit diesen Menschen, die seine ganze Familie ausmachten, lebte er in bestem Einvernehmen, so daß man ihn, wenn er, in drei Jahren etwa einmal, vier Wochen in ihrer Mitte verlebt, nur mit Bedauern