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Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare: Roman
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Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare: Roman
eBook160 Seiten2 Stunden

Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare: Roman

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Über dieses E-Book

Der Dichter aus Stratford-upon-Avon blieb stets eine geheimnisumwitterte Gestalt. Und auch um die Biographie seines Zeitgenossen Christopher Marlowe ranken sich viele Mythen. Der Roman von Gerald Szyszkowitz zeichnet ein packendes Kapitel der Literaturgeschichte neu, führt zugleich farbig in das England des 16. Jahrhunderts – in eine spannende und zugleich grausame Epoche. Folter, selbst der Galgen bedrohen das Leben Christopher Marlowes, und so stellt sich für ihn die Frage, wie er mit seinen Schriften verfahren könnte – sie öffentlich zu machen und sich doch tunlichst keiner Gefährdung auszusetzen. Der Weg, den er und ein Mann namens Shakespere – Sie lesen richtig! – nun wählen, sollte noch Generationen von Anglisten und Filmemachern vor immer neue Rätsel stellen...

Aus einem Gebräu von Literatenehrgeiz, politischer Ranküne und homophilen Neigungen webt der Autor eine faszinierende Prosa, die sich von unzähligen historischen Romanen durch höchstes erzählerisches Niveau hebt, dabei überaus unterhaltsam und vor allem spannend.

SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Roesner
Erscheinungsdatum20. Apr. 2019
ISBN9783903059429
Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare: Roman

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    Buchvorschau

    Das falsche Gesicht oder Marlowe ist Shakespeare - Gerald Szyszkowitz

    bleibt.

    Erster Akt: Christopher Marlowe

    I

    Im letzten Sommer war ich in Stratford-upon-Avon, spazierte mit all den Shakespeare-Figuren meiner Erinnerung durch die freundlichen Straßen, stand auch bald wie alle anderen Touristen in der hüb­schen Kirche vor der Büste des großen William Shakespeare. Vom ersten Moment an aber hatte ich das Gefühl: Dieser Mann hat den ‚Hamlet‘ nicht ge­schrieben!

    Nicht, dass mich die Glatze oder die Knub­bel­na­se gestört hätten, auch nicht die unübersehbare Pri­mi­tivität dieses Grabdenkmals, ich hatte nur einfach das Gefühl, das könnte er nicht sein, und das wäre er auch nicht.

    Zurück in Wien fiel mir in der MORAWA-Buch­handlung in der Wollzeile ein Buch von Ivan Nagel auf, mit dem Titel ‚Shakespeares Dop­pelspiel‘. Ich schlug es auf und las, dass der ‚So­domit‘ James der Erste immer wieder den ‚Kauf­mann von Venedig‘ an seinem Königshof hatte sehen wollen, weil ihn die Lie­besgeschichte zwischen dem Kaufmann Antonio und dem jungen Bassanio an seine eigene Si­tuation erinnert hatte.

    Einen ‚Sodomiten‘, las ich, nannte man damals einen Menschen, der sich verliebt, ohne an eine Fort­pflanzung zu denken. So wie das eben in So­dom offenbar üblich gewesen ist. Und genau diese Situation hätte dann den großen Shakespeare zu sei­nem ‚Doppelspiel‘ gezwungen, schreibt Ivan Nagel.

    Zu welchem Doppelspiel?

    In der FAZ fiel mir der Kommentar zu einem Buch von Bastian Conrad auf, das den über­ra­schen­den Titel trug: ‚Der wahre Shakespeare: Chris­topher Mar­lowe‘. In der Buchhandlung St. Gabriel habe ich es sehr schnell bekommen und wurde nun immer neugieriger. Immer neue Fragen taten sich auf.

    Da ich aber im Internet nicht viel fand, fuhr ich nach Cambridge, denn dort, in dieser alten Uni­ver­si­tätsstadt, in dem gotisch engen, geheimnisvollen Corpus Christi College, erbaut 1352, hat dieser Christopher Marlowe studiert, und dort, dachte ich, würde man wohl am ehesten mehr wissen über ihn.

    Ich ging daher in Cambridge gleich in dieses Cor­pus Christi College und ließ mir in der Parker-Bib­lio­thek, einem von bunten Buchrücken domi­nier­ten, ho­hen Raum mit großen Fenstern und einer far­bigen Holzdecke von einem ungnädigen Biblio­the­kar alle vorhandenen Marlowe-Unterlagen ge­ben, vor allem auch eine Kopie des einzigen Bildes von Mar­lowe. Es ist aus dem Jahr 1585, und es wurde hier im Corpus Christi College erst im Jahr 1952 zerkratzt und verschmiert auf dem Dachboden gefunden.

    Im Jahr 1585 dürfte jemand hier sehr stolz auf ihn gewesen sein und hatte ihn malen lassen. Dann dürfte der Student Christopher Marlowe jedoch in Un­­gna­de gefallen sein, und schon demolierten irgendwelche Idioten sein Bild und räumten es achtlos weg.

    Als er gemalt wurde, war er 21 Jahre alt. Neben seine goldgelbe Wuschelfrisur hat er sich sein Lebensmotto schreiben lassen: „QUOD ME NUTRIT ME DESTRUIT, also die schöne Erkenntnis: „Was mich nährt, zerstört mich.

    Was für eine Prophezeiung!

    Was muss das für ein Mensch gewesen sein!

    II

    Er sieht mich neugierig an. Mit seinen dunklen, großen, interessierten Augen. Spitzgesichtig, schmal und melancholisch. Eine Mischung aus Mann und Frau, aus Genussmensch und Büßer, aus eiferndem Studenten und manikürter Luxuspuppe sitzt da vor mir. In einem violetten Wams mit goldenen Borten und Bändern. Er hat eine wüste Windstoßfrisur, aber an den Ohren ahne ich Perlen. Und auch sein weicher Schnurrbart und das Bärtchen unter der Unterlippe sehen recht kokett aus. Nur den Korb mit den jungen Hunden, den er damals, wie ich vorhin gelesen habe, gerne mit sich herumtrug, sieht man nicht auf dem Bild. Aber alles andere, was man damals von ihm erzählt hat, traue ich diesem sensiblen Gesicht durchaus zu. Dass nämlich dieser zwischengeschlechtliche junge Mann zum Beispiel Nacht für Nacht bis zur Erschöpfung tanzen konnte, dass er sich danach aber allein in seinem Bett gegeißelt hat.

    Ich muss an die Luft …

    Aber auch hier, in diesen alten Winkeln hinter der Bibliothek, ist es stickig. Hier wohnten Freund und Feind eng zusammen, die Katholischen und die Protestantischen, die einander spinnefeind gewesen sind, außer man war gerade verliebt ineinander, was es auch gegeben hat. Normalerweise, habe ich gerade gelesen, tauschte man, wenn man einander begegnete, zwar lächelnd Höflichkeiten aus, wünsch­te sich aber von Herzen den Tod.

    Hier im Hof, von wo aus man den nor­manni­schen Turm der Collegekirche sieht, hat die Univer­sität immerhin eine Tafel angebracht zur Erinne­rung an die berühmten Dramatiker Christopher Mar­lowe und John Fletcher, die beide einmal hier Studenten gewesen sind.

    III

    Christopher Marlowe war zwar mit einem Sti­pendium vom Bischof von Canterbury nach Cam­bridge gekommen, glaubte aber bald einem kri­tischen Lehrer mehr als allen anderen Würden­trä­gern der Krone und der Kirche in diesem Corpus Christi College. Offenbar schon im zwei­ten Jahr sah er es als seine ganz persönliche Aufgabe an, alles anzuklagen, was „faul ist im Staate Dänemark".

    Trotz seiner grundsätzlich kritischen Hal­tung war er bei den Kollegen gern gesehen, denn sein langes, weiches, sandgelbes Haar flog immer schwungvoll und aufmunternd um seine Schultern, wenn er nach einer Vorlesung über Gott und die Welt diskutierte. Jeder wusste bald: Dieser Marlowe war nicht irgendwer, und viele waren schnell mit ihm gut bekannt. Sein intimster Freund aber wurde der schüchterne Thomas Walsingham, dessen älte­rer Vetter, wie im College bekannt war, gerade zum neuen Geheimdienstchef der Königin Elisabeth er­nannt worden war.

    Dazu kam, dass der Gönner dieses mäch­tigen Geheimdienstchefs der allmächtige Wil­liam Cecil, Graf von Exeter, persönlich war, die rechte Hand der Kö­ni­gin, und ebenso Kanzler der Universität Cam­bridge.

    Noch einmal schau ich mir das zauberhafte Por­trät mit dem Wuschelkopf an. Dieser Junge hatte of­fen­bar hier gleich die richtigen Freunde. Und damit auch gleich eine Ahnung von der Bedeutung des Wor­tes: „Eine Hand wäscht die andere!" Diese Grund­lage jedes Zusammenhalts in einem Staats­wesen lernte man an der Universität Cambridge da­mals sichtlich schon in den ersten Semestern.

    IV

    Aber warum wurde er plötzlich zum Dramatiker? Und warum gleich der berühmteste? Wieso war es die­­sem Dandy möglich, ein paar Jahre später ein Stück wie ‚Hamlet‘ zu schreiben?

    Wer hat ihn ge­för­dert?

    Ich lasse mir ein Buch über seine Königin geben und betrachte ihr Bild. Ihr Vater, Heinrich der Achte, ist ein überaus bru­ta­ler Herrscher gewesen, aber seine Tochter war sen­sibler, denke ich.

    Plötzlich steht diese Elisabeth neben mir. Mit ihrer hohen Stirn, den scharfsichtigen, investigativen, dun­­klen Augen, dem auffallend schmalen Mund – und mit diesem von wilden, roten Locken einer nor­mannischen Hexe umrahmten, kalkweißen Gesicht.

    Sie sieht streng und furchterregend aus. Ohne jede Anstrengung hat sie Griechisch mit dem Studenten Marlowe gesprochen. Und La­tein. Sie konnte auch Französisch und Italienisch, weil sie die Literatur dieser Länder liebte. So wie sie die Musik liebte. Und jede Form von Theater.

    „Man tut mir unrecht, Lord Cecil. Was heißt denn: Es hängen zu viele Protestanten am Galgen? Ich muss mich doch wehren! Ich muss mit allen Mitteln der privaten Lüge und der öffentlichen Verstellung um meine Macht kämpfen! Die man mir jeden Tag nehmen will, obwohl ich sie gerade erst bekommen habe! Ich spiele ein gefährliches Spiel! Wenn ich meine Macht auch nur eine Minute verliere, verliere ich meinen Kopf! Das ist so in un­serer Familie! Ja, das gebe ich zu, es sind ein paar Ih­­rer Protestanten am Galgen gelandet, und das bedauere ich, aber das war notwendig. Zum Wohl des Staates."

    Lord Cecil nickt. In sei­nem rotbraunen Staatskleid mit der weißen Hals­krause, mit seinem schwarzen Bart und dem Höf­lingsbarett sieht er durch und durch seriös aus. Noch ist er Staatssekretär, aber bald wird er Groß­schatzmeister sein. Denn er ist der treueste Helfer Ihrer Majestät. Calvinistisch selbstlos, penibel in sei­nen Amtsgeschäften, aber überaus hilfreich, wenn Dis­kretion verlangt ist.

    „Vielleicht sollten wir wieder einmal ein Fest ver­anstalten, sagt sie. „Aus Cambridge höre ich, dass ein gewisser Marlowe die ‚Amores‘ von Ovid übersetzt hat. Und dass einer unserer skurrilen Bischöfe diese Übersetzung verbrennen ließ. Das heißt doch, dass sie interessant ist, nicht wahr?

    V

    War diese Königin seine Muse? Marlowe kam je­denfalls zu dieser Zeit an ihren Hof im Zusam­men­hang mit einem nicht ganz geklärten Geheim­dienst­auftrag. Er hatte in diesen Monaten, ent­nehme ich den Unterlagen in der Bibliothek, das Herz voll Poe­sie, den Kopf voll Prosa, und im Sack sei­nes Talars immer noch das Stipendium des Bi­schofs von Can­terbury. Er hatte also keine finan­zi­ellen Probleme, wohl aber die Grund­überzeu­gung, dass Meinungen, wenn sie interessant bleiben sollten, gewechselt werden müssten. Besonders auf dem Feld der Religionen. Vor einer Generation wa­ren hier alle katholisch gewesen, dann hatte man sich gemeinsam mit dem verrückten König Hein­rich dem Achten von Rom distanziert, aber nun war­tete in den schottischen Bergen als Nachfolger der jungfräulichen Königin schon der nächs­te romtreue Katholik, ihr Neffe, der Sohn der von ihr geköpften Cousine Maria Stuart.

    Das war alles sehr verwirrend. Wenn man sich verwirren ließ. Von dem ganzen Drumherum. Von all den verschiedenen Bischöfen, vom schottischen und vom irischen Whisky. Aber im ständig wech­sel­n­den Echo dieser unsinnigen Religionskriege gab

    es in den Schlafsälen der jungen Herren auch die ‚Sehnsucht nach dem Schönen‘.

    Und wie alle Parvenüs kopierte nun auch der junge Marlowe akribisch und aufs Peinlichste genau alle Äußerlichkeiten dieser Gesellschaftsschicht, ob­wohl er dieser nie würde angehören kön­nen.

    Er grinste daher recht verlegen, wenn er nun die modisch karierten Jacken der Landjunker und die dazugehörigen gelbgrünen Schals spazieren führte, wie auch die Spitzenwäsche und die Spitzenhandschuhe seiner hochadeligen Kollegen. Aber er liebte Verkleidungen und Kostümierungen jeder Art, und wenn ein Theaterstück aufgeführt wurde, trug er auch gerne einmal seidene Frauenkleider. Schließlich schaffte er es sogar, dass hier in Cambridge, das diese jungen Gecken gewissermaßen für eine ‚Gehschule der Genies‘ hielten, schon nach wenigen Monaten nichts so selbstverständlich war wie die honiggelben Stulpenstiefel, mit denen er als Erster bei der Heiligen Messe am Weihnachtstag Aufsehen erregt hatte.

    VI

    Eine wirkliche Sensation war allerdings der Bericht im darauffolgenden August über das Massaker in der ‚Bartholomäusnacht‘ in Paris 1572. Aus den Tausenden verblutenden Hugenotten wurden in den geflüsterten Berichten schnell Hunderttausende. Marlowe war elektrisiert. Sein schüchterner Herzensfreund Thomas Walsingham war ja in dieser katholischen Schandnacht – auf Grund seiner besonderen Nähe zum Geheimdienst – persönlich in der Englischen Botschaft in Paris gewesen, und seine aufregenden Erzählungen wurden in den folgenden Kneipennächten zur Basis für die vernichtenden Tiraden in Marlowes brutalstem Frühwerk ‚Das Massaker von Paris‘.

    Ich lese das Stück und komm dem Dichter einen Schritt näher. Mich interessiert: Wie war die Reaktion nach der Premiere?

    Er schrieb dieses Stück noch in Cambridge, aber auf eine richtige Bühne konnte er es erst in London

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