Schloss Hunyadi: Kriminalnovelle
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Über dieses E-Book
Ernst ist das Leben, heiter die Kunst. Wenn aber ein Schauspieler bei der Premiere plötzlich halb tot in seiner Garderobe liegt, wenn sich dem Regisseur, der versucht Licht in das Geschehen zu bringen, menschliche Ab-gründe auftun, dann gerät das geruhsame Leben in der Provinz selbst zur Tragödie.
Eine erotisch aufgeladene Arthur-Schnitzler-Inszenierung im Schloss Hunyadi, dunkle, bis zum Kriegsende zurückreichende Geheimnisse um das Kloster Sankt Gabriel, laue Sommertage in Maria Enzersdorf: Diese Treibhausatmosphäre wird zu der Kulisse, vor die Gerald Szyszkowitz eine faszinierende Geschichte um Liebe und Verrat, Gier und Ambition stellt, eine Geschichte um das Theaterleben mit seinem Glanz und seinem Elend, eine Geschichte über das sanfte Verstreichen der Zeit mit seinem ewig retardierenden Moment. Und bald spiegelt die Bühne einer Kleinstadt schillernd andere Welten wider.
Der Autor – legendärer Fernsehspielchef des ORF – ist bei diesem Buch so ganz in seinem Element und hat eine Novelle geschrieben, bei der sich das Unterbrechen der Lektüre von selbst verbietet – ein Lesegenuss vom Allerfeinsten.
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Buchvorschau
Schloss Hunyadi - Gerald Szyszkowitz
1. Kapitel
Es war Sommer. Die alten Bäume auf dem Platz vor dem Schloss Hunyadi bewegten im aufkommenden Abendwind die dunkelgrünen, breit belaubten Kronen, an der Hauptstraße gingen die Laternen an, aber in dem von den Bühnenscheinwerfern hell erleuchteten Hof des dreiflügeligen Barockschlosses war es noch sonnenwarm, der Himmel abendblau, und wenn man bewusst hinhörte, konnte man die Amseln aus dem hinter dem Schloss liegenden Park herüberhören, denn das Pausengerede der Zuschauer ließ langsam nach, man hatte den Gong gehört, und der zweite Teil der Freiluftaufführung der ,Liebelei‘ von Schnitzler konnte beginnen.
Dieses Stück der in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindenden Sommerspiele passte gut in dieses Dorf, denn zur Schnitzler-Zeit war ja der jetzige Bezirk Wieden die ,Vorstadt‘ von Wien gewesen, heutzutage aber war das eher der sogenannte ,Speckgürtel‘ zwischen Perchtoldsdorf und Mödling, und deswegen war in der Pause − mit einem Glas Gspritzen in der einen und einem Lachsbrötchen und dem Programmheft in der anderen Hand − heftig diskutiert worden, ob sich die Situation für die jungen Frauen in der Zwischenzeit nicht grundsätzlich verändert hätte.
„Was täte heute eine junge Frau wie diese Christine Weiring? Wenn sie erfährt, dass ihr Geliebter wegen einer anderen Frau umgekommen ist? Springt man da bei uns auch noch aus dem Fenster? Was sagen Sie, Herr Amann, quasi als Fachmann?", fragte Onofri, der diensthabende Arzt, und wandte sein winziges, verdorrtes Gesicht dem neuen Schauspieldirektor zu.
Der zögerte mit einer Antwort und dachte: So, wie unser verknitterter Doktor, werden auch wir alle bald aussehen, klein, alt und kümmerlich, gelbe Greise in zu dunklen, um uns herumschlotternden Abendanzügen … − Aber so, wie die meisten in der Pause etwas anderes sagten, als sie gedacht hatten, sagte auch er etwas anderes: „Bitte, nehmen Sie Ihre Plätze ein! Man soll das Ende einer Aufführung nie in der Pause verraten, auch nicht im Programmheft!"
Er sagte das sanft tadelnd, während er auf das Heft deutete, das die Frau Doktor in ihrer schmalen, festen Hand hielt, denn in diesem Programmheft hatte er leider selber schon das tragische Ende dieses bis zur Pause so sentimental-lustigen Stückes verraten.
„Dann dürfen S‘ aber auch keine solchen Stücke ansetzen. Wir sind nicht auf dem Land. G‘rad unser hauptstadtnahes Dorf hat ein sehr bürgerliches Publikum. Wir kennen unsere Klassiker!, antwortete der Alte spitz und hätte am liebsten hinzugefügt: „Und zwar mit ganz anderen Besetzungen als der, die Sie uns heute da vorgesetzt haben.
„Aber die zwei Mädel, bitte, die sind ganz gut", sagte er schnell, während er hinter seiner Frau auf die etwas erhöhte Zuschauertribüne kletterte. Er sagte diesen Satz mit der Überzeugung eines Kunstkenners, dem seit Jahren keiner widersprochen hatte. In Wahrheit unterhielt er sich schon seit langem nur noch mit seiner Frau.
Die Gläser waren leergetrunken, die Zigaretten ausgedrückt, die Gespräche beendet. Erwartungsvoll saßen die Einheimischen und ihre Gäste vor dem hell erleuchteten Bühnenpodest, und, während er hinter die Bühne ging, fiel Amann auf, wie schnell es wieder so ruhig wurde, dass man nicht nur die Vögel hören konnte, sondern auch jedes Hüsteln und Räuspern und jedes Rücken der Holzstühle. Plötzlich fing jemand zu klatschen an, aber nicht viele folgten. Wahrscheinlich muss es auf der Bühne so still sein, dachten die meisten, in dem kleinen Zimmer auf der Wieden. Vor hundert Jahren. Damit will der Regisseur etwas sagen … Aber was? Ein Pfiff! Aber wieder blieb es ruhig. Irritierend ruhig.
„Was ist los?", flüsterte jemand. Man war hier Unvorhergesehenes nicht gewohnt. Hier im Ort passierte normalerweise nie etwas Unerwartetes.
Eine Dame in der ersten Reihe fragte so laut, dass es alle verstehen konnten: „Hörst du die Amsel? Die sitzt wie jeden Abend oben im Baum und verabschiedet die Sonne!"
Ihr Mann, ein Transportunternehmer, nickte, während er überlegte, wie viel der neue Holztribünen-Aufbau hier im Schlosshof wohl gekostet haben konnte.
„Oder …, begann seine Frau wieder, „ist da was passiert?
„Aber nein, murmelte er. „Was soll denn passiert sein?!
„Vielleicht sind die mit dem Umziehen nicht fertig geworden, sagte sie und wollte diesen Gedanken auch noch länger ausführen, denn als Besitzerin eines Modegeschäftes in Mödling kannte sie sich mit dem An- und Ausziehen aus, wurde aber von der neben ihr sitzenden Schulfreundin am Weiterreden gestört, weil die ihr zuflüsterte: „Ich bin zwar euretwegen in die Premiere gegangen, aber vielleicht auch, weil ich mit diesem Jonas Zelinko, der den Fritz spielt, einmal zusammen gewesen bin.
Kichernd zeigte sie auf seinen Namen im Programmheft.
„Und? Wie war er?"
„Sehr lebendig. Damals."
„Und das heißt …?"
„Dass es damals auch Langweiligere gegeben hat", sagte die Schulfreundin heiter, aber plötzlich wurde ein Scheinwerfer zur Bühnenmitte gedreht, und Herr Amann kam an die Rampe. Er lächelte verlegen und sagte, dass er leider selber, mit dem Buch in der Hand, die Rolle des Fritz zu Ende spielen müsste. Die Zuschauer lachten, weil sie dachten, das gehörte zur Inszenierung.
„Da ich weiß, dass ein Arzt unter uns ist, darf ich Sie kurz zu mir bitten …?" Mit diesen Worten kam Amann die drei Stufen vom Podest herunter und verschwand mit dem Herrn Medizinalrat, der sich schnell und geschickt aus seiner Reihe herausgedrängt hatte, durch die Seitentür.
„Jetzt ist doch was passiert, sagte die Dame in der ersten Reihe, und ihre Schulfreundin seufzte: „Und zwar meinem Jonas, oder?
Während Amann mit dem Arzt zur Garderobe hetzte, hörte er Klatschen, das offensichtlich noch seinem Auftritt galt. „Sehen Sie?, sagte er. „Nichts freut das Publikum so, als wenn im Theater einmal wirklich was passiert.
Ilka, die Regieassistentin, hörte zwar nicht, was er gesagt hatte, trat aber an der Garderobentür, die sie bewacht hatte, sofort zur Seite.
„War wer bei ihm? In der Zwischenzeit?"
„Aber nein! Alle wollten rein, aber ich hab niemanden reingelassen. Auch die Kerstin nicht. Er liegt noch genauso da wie vorhin, als ich ihn gefunden hab."
„Ja, da liegt er", bemerkte nun auch der Arzt.
Genau in der Mitte seiner schmalen Garderobe lag Jonas Zelinko regungslos auf dem Boden. Auch ein umgeworfener Stuhl, ein Hocker, ein Handtuch und ein zerbrochenes Glas lagen da neben diesem blonden, jungen Mann mit der frischen Stirnwunde. Der Arzt beugte sich ächzend hinunter und untersuchte den verletzten Schauspieler lange und genau. „Er lebt, aber das sieht nicht gut aus, sagte er, richtete sich langsam auf und lehnte sich an die Garderobentür. „Haben Sie die Rettung verständigt?
Ilka deutete auf ihr Handy.
„Und die Polizei?"
Ilka nickte.
Doktor Onofri drehte sich zu Amann: „Na, dann warten wir wohl gleich hier auf die Brüder, oder?"
„Ja, Sie können hier warten, aber ich, ich muss auf die Bühne. Ich nehme mir nur wegen der Striche das Buch vom Jonas mit", sagte er und nahm das Textbuch, das auf dem Schminktisch lag, so schwungvoll an sich, dass ein Foto herausfiel. Ein Foto von einem Mädchen. Er steckte es schnell ein.
2. Kapitel
Amann war der Sohn einer Künstlerfamilie, hatte die Universitäten in Wien, Paris und Washington besucht, hatte in Folge einer ziellosen Leidenschaft an allen möglichen Theatern