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Adler von Österreich
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Über dieses E-Book

Ein Maximum an Material zur politischen Zeitsatire gestaltend, wird – frei nach dem Diktum, die Wahrheit nachzubilden sei gut, aber sie zu erfinden noch besser – der historische Hintergrund hier dazu benutzt, mittels Anspielungen, Anachronismen und Zitaten tatsächliche Vorgänge zu illustrieren, wobei Parallelen zur Gegenwart keinesfalls Zufall sind, sondern vorhandene Analogien – ohne Rücksicht auf politische Korrektheit – durchaus bestätigen sollen.

Eine fiktive Biographie kreuzt die Wege authentischer Politik: Sich als patriotischer Journalist den Weg ebnend, wird der junge Arpad Papp zum Vertrauten des schillernden k. u. k. Außenministers Graf Andrássy. Wie schon Caesar, neiden dessen Feinde ihm seine Erfolge seiner Erfolge wegen.
Doch der ehemalige ungarische Rebellen-Graf betreibt eine verdeckte Expansionspolitik – an langer Hand vorgeplant, strebt er, zu diesem Zweck mit Deutschland und Russland verbündet, nichtsdestoweniger als die >Besitznahme der türkischen Provinzen< Bosnien-Herzegowina an.

Durch die Auseinandersetzungen seiner ethnisch-religiösen Gruppierungen sowie des sichtbaren Zerfalls des Osmanischen Reiches bedingt, schon im 19. Jh. ein Hort evidenter Konfliktaustragung, entzündet die Besitzfrage der instabilen Regionen die schwelende Rivalität der um Vorherrschaft bemühten europäischen Großmächte. Um - auf Umwegen - Zugriff auf diese Länder zu erlangen, sichert Andrássys Geheimabkommen dem Zaren sogar freie Hand für dessen geplanten Krieg gegen die Türkei zu – allen Abmachungen entgegen, zeigt St. Petersburg sich jedoch nicht gewillt, seine Siegesbeute zu teilen. Dennoch gewinnt Andrássy letztlich das diplomatische Tauziehen: Der Berliner Kongress gewährt Österreich-Ungarn ein offizielles Mandat zur Besetzung Bosnien-Herzegowinas.

Anstatt zu einem Triumphzug am Höhepunkt seiner Macht, entwickelt der Einmarsch sich aber zu einem horriblen Okkupationskrieg mit den Aufständischen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum13. Okt. 2017
ISBN9783742772862
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    Buchvorschau

    Adler von Österreich - Camillo Schaefer

    Inhaltsangabe

    Ein Maximum an Material zur politischen Zeitsatire gestaltend, wird – frei nach dem Diktum, die Wahrheit nachzubilden sei gut, aber sie zu erfinden noch besser – der historische Hintergrund hier dazu benutzt, mittels Anspielungen, Anachronismen und Zitaten tatsächliche Vorgänge zu illustrieren, wobei Parallelen zur Gegenwart keinesfalls Zufall sind, sondern vorhandene Analogien – ohne Rücksicht auf politische Korrektheit – durchaus bestätigen sollen.

    Eine fiktive Biographie kreuzt die Wege authentischer Politik: Sich als patriotischer Journalist den Weg ebnend, wird der junge Arpad Papp zum Vertrauten des schillernden k. u. k. Außenministers Graf Andrássy. Wie schon Caesar, neiden dessen Feinde ihm seine Erfolge seiner Erfolge wegen.

    Doch der ehemalige ungarische Rebellen-Graf betreibt eine verdeckte Expansionspolitik – an langer Hand vorgeplant, strebt er, zu diesem Zweck mit Deutschland und Russland verbündet, nichtsdestoweniger als die >Besitznahme der türkischen Provinzen< Bosnien-Herzegowina an.

    Durch die Auseinandersetzungen seiner ethnisch-religiösen Gruppierungen sowie des sichtbaren Zerfalls des Osmanischen Reiches bedingt, schon im 19. Jh. ein Hort evidenter Konfliktaustragung, entzündet die Besitzfrage der instabilen Regionen die schwelende Rivalität der um Vorherrschaft bemühten europäischen Großmächte. Um - auf Umwegen - Zugriff auf diese Länder zu erlangen, sichert Andrássys Geheimabkommen dem Zaren sogar freie Hand für dessen geplanten Krieg gegen die Türkei zu – allen Abmachungen entgegen, zeigt St. Petersburg sich jedoch nicht gewillt, seine Siegesbeute zu teilen. Dennoch gewinnt Andrássy letztlich das diplomatische Tauziehen: Der Berliner Kongress gewährt Österreich-Ungarn ein offizielles Mandat zur Besetzung Bosnien-Herzegowinas.

    Anstatt zu einem Triumphzug am Höhepunkt seiner Macht, entwickelt der Einmarsch sich aber zu einem horriblen Okkupationskrieg mit den Aufständischen. Auch der seinem Mentor blind ergebene Papp, gerät ins Schussfeld von Andrássys Gegnern. Zur politischen Bürde geworden, zwingt Andrássys gelungener diplomatischer Coup, ihn schließlich zu demissionieren.

    Historischer Hintergrund:

    Von den regierenden Kreisen Österreich-Ungarns zunächst noch als leichte Beute ihrer Prestigepolitik gehalten, wurde die Besitznahme Bosnien-Herzegowinas zur wesentlichen Etappe an Kriegs auslösenden Spannungen in Europa. Bis in unsere Zeit wiederholter Brennpunkt politischen Geschehens, drängte die Okkupation - und spätere Annexion- Bosnien- Herzegowinas die konservative Habsburgermonarchie zuletzt in jenen verhängnisvollen Kollisionskurs, der sie faktisch dem Mittelpunkt der gesamteuropäischen Krise des 20. Jahrhunderts entgegenführte, aus der später die dramatische Wende zum Ersten Weltkrieg entstand.

    „Was ist unschuldig, heilig, menschlich gut.

    Wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland?"

    Schiller, Jungrau II, 10

    „Ich stelle das Vaterland über meine Person."

    Bismarck, 28. März 1874

    „Ein Wahrzeichen nur gilt: das Vaterland zu erretten."

    Homer, Ilias XII, 243

    Prolog:

    Prolog:

    WENN DIE WELTORDNUNG AUS DEN FUGEN GERÄT, KOLLABIEREN DIE ALTEN ELITEN

    Es war die beste bisher denkbarste Zeit und es war die denkbar schlechteste Zeit – eine Ära höchster Erkenntnis und größter Verdummung, eine Epoche des Anfangs und Endes, des dicksten Luxus und Überflusses, des tiefsten Elends und unglaublichsten Fortschritts, der ausgesucht klügsten Köpfe und größten Spiegelfechter. Kurzum, die Zeit, in der der Verstand sich laufend halbierte, war der gegenwärtigen ziemlich gleich. Wir halten im Jahr des Herrn 1873. –

    Europa, das seinen Kolonialbestand in Übersee ständig zu vergrößern verlangte, lag mit sich selbst in immerwährenden, eifersüchtigen Streit. Während die Mächtigen in den Ländern des Kontinents versicherten, dass alles zum Besten gediehe, drang aus den Tiefen der geknebelten Massen nur ein dumpfes Murren hervor. Der wackere englische Marineleutnant Verney Lovett Cameron unternahm erstmals den Versuch, Afrika auf seinem 3000-Meilen-Marsch von Osten nach Westen zu durchqueren. Seinen Namen neben so berühmte Vorgänger wie Livingstone, Speke, Mungo Park und Heinrich Barth setzend, schickte er sich soeben in höllischer Hitze an, über Sansibar in den unerforschten Schwarzen Kontinent vorzudringen, wo jenseits des Landes der menschenfressenden Stämme die geheimnisvolle Terra incognita anfing.

    Im nebeligen London heizte Fanny Janauschek, eine aus Prag gebürtige, überaus knusprige, korsettgeschnürte Demoiselle, die auf Cameron wohl ein kokettes Auge geworfen hätte, inzwischen dem ewig fröstelnden Theaterpublikum ein. Als erste fremdländische Mimin, die erfolgreich die Vereinigten Staaten bereist hatte, war sie, sich virtuos die fremde Sprache aneignend, raketenartig zur am meisten gefeierten englischen Schauspielerin ihrer Zeit aufgestiegen. Darüber hinaus galt sie als mindestens ebenso scharfgeladen, wie die neueste englische 81-Tonnen-Kanone; das schwerste Geschütz der Welt, übertraf die Geschoßwirkung dieser Wunderwaffe alleine die Kruppsche 35,5 Centimer-Kanone. Im sonnigen Mittelitalien hatte das nunmehrige Königreich sich die Ländereien des ehemaligen Kirchenstaates einverleibt. Der Papst, dem nur noch der Besitz des Vatikans, des Laterans sowie seiner Villa Castelgandolfo verblieb, erhielt als Äquivalent dafür die jährliche Dotation von über drei Millionen Lire – das Einkommen tausender italienischer Handarbeiter. Sozusagen zum bescheidenen Trost, bescheinigte das Vatikanische Konzil dem Statthalter Christi gleichzeitig seine Infallibilität (Unfehlbarkeit) in sämtlichen Glaubensfragen. Die dahinsiechende Stahlproduktion Frankreichs, das in wütenden Revanchegelüsten über seine blamable Niederlage bei Sedan, dem Fall von Paris, dem Verlust Elsaß-Lothringens sowie über die deutsche Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles schwelgte, zog nach dem frustrierenden Kriegsverlauf, wieder zufriedenstellend an. In Österreich-Ungarn, respektive der viel besungenen Donaumetropole Wien, ging die Regentschaft Kaiser Franz Josephs I. bereits ins fünfundzwanzigste Jahr. Neben seiner außergewöhnlichen, von grauen Fäden durchzogenen Barttracht und einer Stirnglatze, besaß der Monarch den ratenden Blick eines Menschen, der Worte vernimmt, ohne sie verstehen zu können und sprach mitunter so leise, wie es Leute, die mit innerer Spannung eine Katastrophe erwarten, dies meistens zu tun pflegen.

    Gleichsam hors concours (außer Wettbewerb) wanderten, mit nichts als ihrem Unglück beladen, einige zehntausend, bettelarme, scheel angesehene orthodoxe Juden, den Ostrand des Reiches verlassend - Sinnbild eines riesigen, sich schier unendlich ausbreitenden Elends -, in die Haupt- und Residenzstadt ein.

    Karl Lueger, nachmals christlich-sozialer Groß-Bürgermeister von Wien, dümpelte zwar vorläufig noch im historischen Dunkel umher, doch ein klerikal-konservatives, einem Grafen gehörendes Presseorgan behauptete nichtsdestoweniger, als dass die unerwünschten Kaftan-Träger den Wüstensand zwischen ihren Zehen aufwirbelten, der die Stadt zu überschwemmen begänne.

    Während die große Not, die Menschen und Ratten gleich hungrig zurücklässt, immer unverschämter um sich griff, ohne noch ihren Höhepunkt zu erreichen, betrug die Wahlberechtigung im Lande satte sechs Prozent der Bevölkerung, während die Mindeststeuerleistung, erst mit diesjähriger Verordnung herabgesetzt, bei 10 Gulden lag. Durch die Ausbeutung seiner böhmischen Sklaven ein ungeheures Vermögen zusammenscharrend, war aus dem Ziegelbrenner Heinrich Drasche ein Edler von Wartinberg geworden; sich eine Barttracht in kaiserlicher Manier erlaubend, wurde der behäbige Bierbrauer Markhof zum Ritter von Mautner, wogegen der Geldschrankfabrikant Wertheim gar zum feinen Baron avancierte. Zwei gewiefte Journalisten, hatten Michael Etienne und Max Friedländer die >Neue Freie Presse< gegründet und residierten seither in einem Palast ähnlichen Ringstraßengebäude. Mittels seiner Einrichtungen und modernsten Maschinen sämtliche Konkurrenten an pekuniären Erfolgen weit übertrumpfend, war das Blatt im Eilzugtempo zum absoluten Bannerträger der verfassungstreuen, deutsch-österreichischen Bevölkerung geworden. Gleichzeitig mit dem Kaiserjubiläum hatte in Wien, wo der Himmel bekanntlich immer voller Geigen hängt, mit großem Pomp die Weltausstellung begonnen. Dem emsigen Architekten Hasenauer war es solcherart vorbehalten gewesen, nach Entwürfen, die das Gremium einem Engländer abgekauft hatte, eine 80 Meter hohe, riesenhafte Kuppel, 105 Meter im Durchmesser, die so genannte Rotunde, zu konstruieren. Verbündeten wie gegnerischen Mächten sollte vor ungläubigem Staunen das Maul offenstehen, welche enormen, exorbitanten technischen Fortschritte der totgesagte alte Habsburgerstaat dennoch zu leisten imstande war.

    Dergestalt eröffnete der Kaiser am 1. Mai in eigener Person die gigantische Weltausstellung im Wiener Prater. Unter den Anwesenden waren nicht nur sein alter Intimfeind Bismarck, sondern auch sämtliche europäische Potentaten, aber auch eine Reihe exotischer Adabeis wie der Juwelen funkelnde Schah von Persien, ein des Schreibens und Lesens unkundiger, ehemaliger Ziegenhirt, hochrangige Osmanen, Japanesen, Negerkönige mit Nasenringen, gepiercten Lippen, Löwenfellen und Speerträgern, aber auch der - sinnigerweise als ungarischer General - kostümierte Zar Alexander II. von Russland. Sie alle waren einträchtig nach Wien gereist, um hier dem erst 43-jährigen Herrscher von Gottes Gnaden, der schon als 18-jähriger Jüngling den Habsburgerthron erklettert hatte, ihre unentbehrlichen Glückwünsche aufzusagen. Das großangelegte Unterfangen der Weltausstellung, welches das nahezu atemlose industrielle wie kulturelle Tempo der zeitgenössischen Entwicklung in den Mittelpunkt seiner zukunftsträchtigen Botschaft stellte und zugleich der Versuchung erlag, mittels seines weit gespannten technisch-geistigen Überbaues das Kaiserjubiläum gewissermaßen gebührend zu krönen, erwies sich jedoch allzu rasch bloß als hohler Gipfelpunkt des aufgeputschten Gründerzeitrausches. Während die Hofburg und die modernisierte Stadt, in der überdies eine Choleraepidemie ausbrach, weiterhin Schauplätze glanzvoller Festivitäten waren, wie man solche seit dem vielzitierten Wiener Kongress nicht mehr erlebt hatte, kam es nur ganze 8 Tage später zum gewaltigen Börsenkrach, der das ganze Ausmaß an falscher Prosperität brutal entlarvte. Allein seit 1870 waren in Wien 33 Bankhäuser gegründet worden, 1872 gleich 530 fressgierige, Messer und Gabel bewehrte, neue Aktiengesellschaften dem urbanen Boden entstiegen. Ihre eleganten Kontore überschwemmten die Börse mit drei Milliarden Gulden Papierwert, hinter denen in Wahrheit nicht einmal eine Milliarde an Gründungskapital stand. Noch in den letzten Tagen vor dem großen Crash wechselten Wertpapiere in der unverschämten Höhe von 20 Millionen Gulden ihre Besitzer, kauften hasardierende Spekulanten und Glücksritter mit ihrem letzten Geld die heiß begehrten Coupons - wer nimmer liquid war, kaufte auf Kredit. Die Kurse zogen somit weiterhin an und eine Unzahl an Spekulanten warteten fiebernd ab, um ihre Aktien zu noch höheren Preisen absetzen zu können.

    Die Regierungspartei, hieß es indessen hämisch, betreibe im Parlament Börsengeschäfte und mache an der Börse Politik.

    Aber die euphemistischen Pressemeldungen, die zunächst noch einem so genannten Reinigungsprozess, den die Börse seit Wochen durchmachen müsse das Wort geredet und die Tatsachen schöngefärbt hatten, trogen. Innerhalb einer einzigen Stunde des 9. Mai stürzte die Credit-Aktie zu wohlfeilen 25 Gulden plötzlich ins Bodenlose - 5000 Gulden in österreichischen Staatspapieren brachten kaum mehr den Gegenwert von 500 Gulden. Acht Großbanken sagten darauf Konkurs an, 40 weitere Banken wurden liquidiert, sechs Versicherungen sowie ganze 52 (!) Industrieunternehmungen gingen kopfüber bankrott, der gesamte Geld- und Kreditapparat schlitterte in den Abgrund. Zu wertloser Makulatur geworden, brach der heißgelaufene Aktienmarkt zusammen wie ein Kartenhaus.

    Tausende Pleite gegangene Firmen, unzählige Einzelinsolvenzen, eine schier unübersehbare Masse augenblicklich ruinierter, bürgerlicher Existenzen waren die Folge. Aber auch namhafteste Kreise waren der hitzig überschwappenden Spekulationswelle letzthin auf den Leim gekrochen - selbst der Kaiser besaß Aktien der Ferdinand-Nordbahn sowie der Mährisch-Schlesischen-Nordbahn, aus denen er Dividenden bezogen hatte. Eine Welle von Selbstmorden griff seuchenartig um sich - wer keine Schusswaffe erübrigen konnte, schluckte Gift, hing sich einfach am Halse auf, stürzte sich aus dem Fenster, oder fügte sich sonst wie den Ehrentod zu. Endlose Leichenzüge wankten, fromme Litaneien absingend, den Friedhöfen zu, Armenbegräbnisse hatten Hochsaison.

    Selbst der im Dänischen Feldzug erfolgreich gewesene Militärkommandeur General von Gablenz, schied freiwillig aus dem Leben.

    1. Kapitel

    Teil 1:

    DIE CRUX DER AUSWÄRTIGEN INTERESSEN

    1. Kapitel

    Fortschritt lautete einer der meist strapazierten Begriffe der Zeit und fortschrittlich befand man die Bartmatratzen der Herren sowie die neuentwickelten Fliegenfänger.

    Die alte Garnisonsstadt Ödenburg, im gleichnamigen ungarischen Komitat südöstlich des Neusiedler Sees, hinkte dem Fortschrittlichkeitswahn der großen Welt draußen zwar stets hinterher, doch inmitten der sanft gewellten, pannonischen Landschaft verlief das Leben dafür in einem ewig ruhigen Gleichmaß dahin.

    Das Städtchen besaß mehrere katholische und evangelische Schulinstitute, eine historisch bedeutsame Benediktinerkirche, einen ansehnlichen Stadtturm mit funktionierendem Glockenspiel, einige mittelalterliche Baudenkmäler, eine alte, schon 1623 gegründete Stadtapotheke. Außerdem verfügte es über eine Reihe qualitativer Wein- und Bierhäuser zu durchaus zivilen Preisen. Malerisch und klein wie eine Postkartenidylle am Fuße eines grünen Hügels gelegen, verrannen die Wochen und Monate, nur von katholischen Feiertagen und Dragonerparaden unterbrochen, um zu ereignislosen, schläfrigen Jahren zu verfließen.

    Doch so, wie ein Blitz aus heiterem Himmel fährt und da und dort eine Scheune in Brand setzt, ereilte das blindwütige Schicksal hier den unglückseligen Spekulanten Tibor Papp, einen bislang honorigen Bürgerschuldirektor, sowie seine schwäbische Gemahlin Katharina und riss beide aus ihrer gewohnten Beschaulichkeit.

    Ein schwarzbärtiger Mensch mit Geschäftssitz am Schottenring in Wien, der beim Zusammenbruch seines Unternehmens einen Schuldenstand von rund 3 Millionen Gulden hinterließ, hatte den börsenunkundigen Schulmeister um seine gesamten Ersparnisse gebracht und obendrein noch auf hundert Jahre im Voraus verschuldet. „Mut, lieber Herr - nur Mut! Geschäft! hatte der Schwarzbärtige seinerseits enthusiastisch geäußert. Ihre große Chance steht vor der Tür. Flugs, greifen Sie zu, sonst ist sie für immer vertan - umarmen Sie einfach das Glück, Teschek! Nur immer rasch vorwärts!" Doch das Grauen und Entsetzen, das daraus folgen sollte, war übergroß und entsetzlich.

    An einem traurigen ungarischen Sonntag ein flüsterndes Zwiegespräch führend, von dem keine Silbe ans Ohr des einzigen Sohnes dringen durfte, beschloss das unglückselige Ehepaar als letzten Ausweg vor der unausbleiblichen Schande seine Flucht aus dem Dasein. Schluckweise ein verseuchtes Glas Wasser zelebrierend, bescherte ihnen dies rasch die gewünschte Cholera. Im Abschiedsbrief standen die Worte: Gemeinsam gelebt, gemeinsam gestorben...

    Ähnliche Dinge vollziehen sich jeden Tag und jede Nacht, ob unter dem Mond oder unter der Sonne, viel öfter als man bedenkt, denn die Verzweiflung der Menschen, die ja jeden begleitet, bleibt immerzu gegenwärtig.

    Von den rüden Ansprüchen der Gläubigerhorde kurzerhand vor die Tür des schmalen Familienhäuschens am sonnigen Várkerület (dem Graben) gesetzt, fand sich der junge, kaum 20-jährige, einzige Sohn des verstorbenen Ehepaares, Arpad Papp, ein schwärmerischer Tagträumer und Vielleser, der ohne weitere Verwandtschaft dastand, daraufhin ebenso obdach- wie zukunftslos auf der Straße wieder, wo man mit schmutzigen Fingern auf ihn wies. Aber unbekümmert um die unabsehbare Masse an Gestrauchelten und quasi über Nacht ans Elend Verlorenen, der nun auch unser Held, ohne jedes eigene Zutun dem Gespött preisgegeben, anheimgefallen war, schäumte das Leben ringsum rasch wieder so hoch auf, wie ein gutgefülltes Champagnerglas.

    Glücklich ist, wer vergisst...

    Die verrauchende Sektfröhlichkeit und den Katzenjammer des dramatischen >Schwarzen Börsenfreitags< völlig ignorierend, überschlugen die diversen Postillen sich, dessen ungeachtet, in unsäglich hochtrabenden Lobhudeleien der zum Desaster geratenen Weltausstellung.

    Es wäre ein wahres Friedensfest, leierten die Journale, das die Nationen vom ersten Maientage bis Allerseelen in Wien feierten; das gesamte Kulturleben der Gegenwart, das ganze Gebiet der Volkswirtschaft würde damit zur Anschauung gebracht - und ein Naturpark, wie ihn keine zweite Reichshauptstadt hätte, böte die Szenerie für ein Schauspiel ohnegleichen, dessen famoser Industriepalast, die Maschinenhalle sowie der fabelhafte Kunst-Hof als wahrer Triumph des modernen Lebens anzusehen wären.

    Von heißem Begehren, tiefer Seelenangst sowie eiskalten Nächten geschüttelt, durchwühlte der von allen Pforten gewiesene, gemiedene, verzagt in Ödenburg umherirrende Arpad Papp, auf steter Suche nach Nahrung inzwischen sämtliche Abfalleimer. Diverse Sonderausgaben und Festschriften zur Weltausstellung aus dem Müll fischend, ersetzten sie ihm, da er im Freien schlief, notdürftig sein verlorenes Bett. Einzig ein mildtätiger Mesner und wahrer Christ, der ihn am Fö-tér, dem Hauptplatz, auflas, gewährte dem jungen Mann schließlich, wenigstens seine Nächte in der Sakristei der dort befindlichen Benediktinerkirche verbringen zu dürfen.

    Hungrig harte, aus den Futtersäcken der Pferde gestohlene Brotrinden verschlingend und seinen Durst am Weihwasserbecken löschend, studierte der Entwurzelte dort, vor Kummer fast schlaflos, im fahlen Kerzenschein seine gehorteten Broschüren. Die vergangenen, quälenden Ereignisse noch deutlich vor sich, die ihm sein Elend bescherten, las er umso aufmerksamer Zeile um Zeile durch und wiederholte sich sorgsam Absatz für Absatz seiner Lektüre, da er nichts Besseres wusste.

    Fadenscheinig genug, schlackerte der vorgefundene Zeitgeist mit seinen Flügeln – und häufte emsig Gulden auf Gulden. Trotz aller Seichtigkeit der jeweiligen Sprache und aller aufgetischten Lügen, füllten sich die Panzerkassen all der schreibseligen Halunken, deren Gerissenheit einzig den Götzen Mammon anhimmelte, jedoch wie mittels einen Magneten. Ungeduldig geworden, aber auch ärgerlich, erblickte der junge Leser hinter der Hohlheit der Worte plötzlich ein tiefes intellektuelles Loch, auf dessen Grund nur schlammige Vornehmheit faulte.

    Ungenutzte Kräfte in sich wahrnehmend, hielt Papp nachdenklich inne – eine jäh vor ihm aufsteigende Fata Morgana ehrenvollen Strebens und selbstverleugnender Ausdauer empfindend, wies diese einen denkbaren Weg aus seinem schuldlosen Unglück hinaus.

    In der kleinen Stadt standen prächtige Bauten, aus denen Wohlstand und Annehmlichkeiten schauten, üppige Gärten, deren pralle Lebensfrüchte vor seinen Augen funkelten - alles Dinge und Sachen, die seine übergroße Not mit dem allmählich aufkeimenden, hoffnungsvollen Gedanken erfüllten, dem wegweisenden Winken jenes verheißungsvollen Wortgeklingels und modernistischen Geschreibsels einfach zu folgen.

    Die ausgetretenen Steinstufen zur Sakristei emporsteigend, warf er sich in seinen abgetragenen Kleidern auf sein verwahrlostes Lager und weinte bitterlich. Aber als die Sonne über dem welligen Landstrich aufging, war es damit vorbei. Ein junger Mann von guten Fähigkeiten und Neigungen, musste er, anstatt sich in sein bitteres Los zu fügen, fähig sein, dieselben bloß dafür nutzen, sich selber zu helfen, sein Glück zu machen und ebenfalls ein Zeitungsschreiber werden.

    Etiennes glänzender Aufstieg, dessen Blatt sich auf der Weltausstellung in einem eigenen Pavillon präsentiert hatte, markierte einen leuchtenden Pfad; vom Anhauch satter Druckerschwärze umweht, triumphierte der Journalismus – offenbar unangefochten um Lüge und Wahrheit – unbesorgt um sämtliche Katastrophen am äußersten Vorgebirge der Menschheit, ohne sich dabei auch nur die Hosenbeine schmutzig zu machen. Wo sonst mochten sich noch bessere Aussichten für Papp finden lassen, sein böses Missgeschick in reinstes Glück zu verwandeln?

    Ursprünglich mit einer gewissen Mutlosigkeit behaftet, die wie eine unsichtbare Last auf seine schwächlichen Schultern drückte, erwachte in ihm ein geradezu animalisches, unbilliges Streben nach Höherem. Gleichzeitig einen gewaltigen, nie zuvor gekannten Heißhunger verspürend, ein unsagbares Fressgelüst, sich mit fetten Karpfen, Geflügel, Schöpsernen, Schwein, Rind, Wild, Süßigkeiten, Kraut, Knödel und sonstigen Köstlichkeiten den Magen voll zu stopfen und literweise schwarzes Bier und Wein nachzuspülen, blickte Papp, von seinen Wünschen nahezu beinahe schon neubelebt, in eine rosige Zukunft voraus. An ungebrochenen Gestalten, bildhaften Superhelden und sonstigen polymorphen Vorbildern, wie etwa dem archaischen Briten Cameron, der seine Phantasie besonders bewegte, fehlte es Papp nicht.

    Schon in jungen Jahren Führer der Livingstone-East-Coast- Expedition geworden, war es dessen Aufgabe gewesen, dem von Stanley im Inneren Afrikas aufgefundenen, verschollen geglaubten, großen Forscher Livingstone neue Hilfsgüter zuzuführen. Schon auf halbem Wege zum Tanganjika-See in Unjanjembe eingetroffen, hatte man Cameron dort aber nur noch die Leiche des mittlerweile verstorbenen Livingstones präsentiert.

    Radikal abgemagert, von schweren Fieberkrämpfen niedergeworfen und todkrank, waren Camerons Augenlider zugeschwollen, während Scharen beißendes, stechendes Ungeziefer ihm das Blut aus dem Körpers schlürften. Obgleich sein Begleiter Dr. Dillon sich im Delirium erschoss, rappelte das quicke englische Stehaufmännchen sich zählebig wieder hoch - Kopf und Fuß beherzt in gefährliche Steppen und Urwälder setzend, führte Cameron seine wilde Entdeckungsreise unbeirrt weiter fort – ein Beispiel, das Papp endgültige Aufbruchsstimmung und entsprechenden Schwung verlieh, sein eigenes Dasein in ähnlicher Weise mit einem Ruck zum Bessern zu wenden.

    Noch die keinen Meter entfernten, kalten Kirchenmauern mit ihren vergilbten Wandmalereien anstarrend, reifte in ihm, das gespenstische, nächtliche

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