61 Ich begleite dich auf allen wegen
Von Barbara Cartland
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61 Ich begleite dich auf allen wegen - Barbara Cartland
Ich Begleite dich auf Allen Wegen
Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2017
Copyright Cartland Promotions 1985
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
Ich Begleite dich auf Allen Wegen
„Bleiben Sie noch ein wenig!"
Die Frauenstimme klang weich und lockend.
Aber der Marquis löste sich aus den Armen, die ihn umschlangen, und erhob sich vom Bett. Er machte einen großen Schritt, um nicht auf ein durchsichtiges seidenes Negligé zu treten, das auf dem Teppich lag, hob sein weißes Halstuch auf und ging zum Frisiertisch hinüber. Vor dem Spiegel band er es sich mit einer Kunstfertigkeit um den Hals, um die ihn seine Freunde beneidet hätten.
Lady Cora Standish, die ihn dabei beobachtete, machte keine Anstalten, ihre Nacktheit zu verhüllen. Man hatte ihr unzählige Male versichert und sie war sich dessen auch bewußt, daß ihr Körper den Gipfel der Vollkommenheit darstellte. Wie sie da in den spitzenbedeckten Seidenkissen lag, nur mit zwei Reihen großer schwarzer Perlen bekleidet, bot sie einen atemberaubenden Anblick.
Blondes Haar, blaue Augen und eine makellos weiße Haut waren die Attribute weiblicher Schönheit, die von den Dandys in den Clubs um St. James gepriesen wurden, und Cora Standish stellte in dieser Hinsicht alle Rivalinnen in den Schatten.
In diesem Augenblick drehten sich ihre Gedanken ausnahmsweise nicht um ihre eigene Person, sondern um den Marquis von Merlyn, der mit dem Rücken zu ihr vor dem Frisierspiegel stand. Von ihrem Bett aus hatte sie Gelegenheit, seine breiten Schultern, die schlanke Taille und die schmalen Hüften zu bewundern. Trotz seines athletischen Körperbaus umgab ihn eine so starke Aura von Lässigkeit, daß seine Bekannten sich oft fragten, wie es kam, daß er gleichzeitig so sportlich wirkte.
Cora Standish mußte sich eingestehen, daß der Marquis auf Frauen eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübte. Seine halbgeschlossenen Lider, sein schleppender Tonfall und vor allem seine spöttische Stimme, bei der man nie recht wußte, ob er etwas ernst meinte oder nur scherzte, nahmen die Damenwelt gefangen. Noch mehr aber war es seine Gleichgültigkeit und Überlegenheit, die viele Frauen magisch anzog.
Der Marquis ordnete gerade sein Haar zu der Windstoßfrisur, die der Prinz von Wales in Mode gebracht hatte, als Lady Cora fragte: „Wann werde ich Sie wiedersehen?"
„Vermutlich heute abend im Carlton House, erwiderte er. „Dort dürfte es wie üblich unerträglich heiß und viel zu voll sein. Warum der Prinz durch eine derartige, in Kriegszeiten absolut unangebrachte Geselligkeit die öffentliche Kritik auf sich ziehen will, ist mir unerfindlich.
„Seine Königliche Hoheit langweilt der Krieg, sagte Lady Cora schmollend. „Mir geht es nicht anders.
„Das will ich Ihnen gern glauben, entgegnete der Marquis. „Trotzdem sollten Sie nicht vergessen, daß unser Land in einen unerbittlichen Kampf um seine Freiheit verwickelt ist und es noch viele Jahre dauern dürfte, bis wir uns wieder der Segnungen des Friedens erfreuen können.
Obwohl sie am Ernst seiner Worte nicht zweifelte, hob Lady Cora verdrießlich die Schultern. Vor einem Jahr war der Waffenstillstand mit Napoleon zu Ende gegangen. England hatte dem Tyrannen den Krieg erklärt, und die Männer, die ihr bis dahin zu Füßen gelegen hatten, fanden es jetzt wichtiger, ihrem Vaterland zu dienen.
„Jedenfalls haben wir Napoleon gezeigt, daß wir es ernst meinen, erklärte der Marquis. „Im Übrigen ist es durchaus möglich, daß wir noch alle zu den Waffen gerufen werden, wenn uns nicht irgendwelche Idioten davon abhalten.
Seine Stimme klang verächtlich. Lady Cora wußte, daß er darum gebeten hatte, zu seinem Regiment zurückkehren zu dürfen, das er nach dem Tod seines Vaters und der Unterzeichnung des Waffenstillstandes verlassen hatte, und daß ihm der Prinz von Wales diesen Wunsch abgeschlagen hatte. Sie dachte, daß er seinem Land im Krieg auch auf andere Weise nützlich sein konnte, und fragte sich, warum ein Mann mit unermeßlichen Reichtümern und so vielseitigen Interessen sich ausgerechnet zur Armee drängte.
Er stand am Fußende des Bettes und betrachtete voller Bewunderung die verführerische Frau.
„Kommen Sie und küssen Sie mich", flüsterte sie.
Kopfschüttelnd ergriff er seinen Rock, der über einem Brokatsessel lag, und schlüpfte hinein. In dem hervorragend geschnittenen, faltenlos sitzenden Kleidungsstück wirkte er so aufregend attraktiv, daß Lady Cora sich nicht länger beherrschen konnte.
Mit leidenschaftlicher Stimme wiederholte sie: „Ich möchte, daß Sie mich küssen, Alexis."
„In dieser Falle habe ich mich schon öfter gefangen", erwiderte der Marquis mit amüsiertem Lächeln.
Er wußte aus Erfahrung, wie gefährlich es für einen Mann war, sich zu einer Frau hinunterzubeugen, die auf einem Bett lag, wie leicht sie ihn zu sich herabziehen konnte und wie schwer es dann sein würde, wieder freizukommen.
„Leben Sie wohl, Cora", sagte er.
Sie stieß einen leisen Schrei der Enttäuschung aus.
„Warum wollen Sie mich schon verlassen? fragte sie. „George wird den ganzen Abend bei Watiers verbringen. Als wir uns beim Lunch sahen, zuckten seine Hände förmlich vor Gier nach einem Kartenspiel.
Schmeichelnd fuhr sie fort. „Ich möchte, daß Sie bleiben."
„Sie wirken sehr überzeugend, sagte der Marquis, „aber leider habe ich eine unaufschiebbare Verabredung.
Lady Cora richtete sich auf.
„Mit wem? Wenn es sich um eine andere Frau handelt, kratze ich ihr die Augen aus."
„Kein Grund zur Eifersucht, sagte der Marquis lässig. „Ich treffe mich mit meiner Schwester.
„Und was wünscht Caroline von Ihnen, das keinen Aufschub duldet?" fragte Cora wütend.
„Das will ich ja gerade herausfinden. Und deshalb muß ich mich jetzt verabschieden, Cora. Vielen Dank für Ihre Liebenswürdigkeit."
Als er zur Tür schritt, sprang Lady Cora auf und lief hinter ihm her. Als sie ihn eingeholt hatte, zog sie seinen Kopf zu sich herunter.
„Ich liebe Sie, Alexis, sagte sie. „Ich liebe Sie. Und dabei habe ich immer das Gefühl, daß Sie sich mir entziehen wollen. Fühlen Sie denn gar kein bißchen Zärtlichkeit für mich?
„Ich habe Ihnen oft genug versichert, daß Sie die schönste Frau sind, die ich kenne", erwiderte er.
Das war nicht die erhoffte Antwort. Da sie jedoch nur zu gut wußte, daß sie ihn nicht zu einer Liebeserklärung zwingen konnte, gab sie sich damit zufrieden. Ihre Lippen, hungrig nach seinen Küssen, öffneten sich. Ihre Augen waren halb geschlossen; die langen dunklen Wimpern betonten die Blässe ihrer Wangen.
„Küssen Sie mich", bat sie noch einmal und schmiegte sich an ihn.
Der Marquis küßte sie ohne Leidenschaft. Als sie sich immer enger an ihn drängte, hob er sie hoch und trug sie zum Bett zurück.
Dort bettete er sie in die Kissen und sagte mit einem Anflug von Lachen in der Stimme: „Versuchen Sie sich mit einiger Schicklichkeit zu benehmen, Cora. Wenn ich Sie morgen nicht besuchen kann, werde ich mich bemühen, Donnerstag zu kommen, es sei denn, George ist zu Hause."
„So lange kann ich ohne Sie nicht sein", rief Lady Cora mit flehender Stimme.
Immer noch leise lachend verließ der Marquis das Zimmer. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, ließ sich Lady Cora ärgerlich in die Kissen zurückfallen. Sie wäre sehr überrascht gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß sich der Marquis auf der Fahrt von ihrem Haus am Berkeley Square zum Merlyn House in der Park Lane in Gedanken mit ihr beschäftigte.
Er fand sie amüsant, und es schmeichelte ihm, daß sie seinetwegen ihre anderen Liebhaber aufgegeben hatte. Cora Standish hatte ihren Mann bereits kurz nach der Hochzeit betrogen. Nach Verlassen der Schule hatte sie einen gutmütigen und reichen Peer geheiratet, der bald bemerkt hatte, daß ihn das Kartenspiel mehr aufregte als die Launen seiner Frau.
Mit fünfundzwanzig Jahren war Cora Standish zu einer atemberaubenden Schönheit erblüht, und ein unstillbarer Hang nach Liebe erfüllte sie. Sie hatte unzählige Skandale verursacht, bis ihr klar wurde, daß sie klüger daran tat, ihre Liebhaber nicht zu offen zu präsentieren. In der Gesellschaft, in der sie glänzen wollte, war es von Nachteil, von den Frauen geschnitten zu werden.
Diese neue Einstellung, in der Öffentlichkeit den Schein zu wahren, hatte es ihr ermöglicht, den Marquis einzufangen, auf den sie schon seit langem ein Auge geworfen hatte.
Seitdem er die Armee verlassen hatte, genoß der Marquis das Leben in der eleganten Welt, die ihn mit offenen Armen aufgenommen hatte. Daß man sich um ihn riß, war nicht erstaunlich. Er sah hervorragend aus, besaß einen stolzen Titel und ausgedehnte Ländereien.
Der verstorbene Marquis war ein Spieler gewesen. Er hatte die Clubs von St. James in Gesellschaft von James Fox und anderen leidenschaftlichen Spielern in solchem Maße frequentiert, daß die Familie zu fürchten begann, von dem gewaltigen Vermögen ihrer Ahnen würde bald nichts mehr übrigbleiben. Glücklicherweise hatte sein frühzeitiger Tod seinem Sohn den Titel eingetragen und einen Teil des Familienbesitzes gerettet.
Aber auch ohne einen Pfennig hätte sich der Marquis der Zuneigung schöner Frauen erfreut. Und er hätte ein Narr sein müssen, wenn er sich seiner Anziehungskraft nicht bewußt gewesen wäre.
Als er merkte, daß Lady Cora Standish sich für ihn interessierte, hatte er nachgegeben, einerseits weil er sie begehrte, andererseits weil er feststellen wollte, ob ihre so hoch gerühmten Qualitäten den Tatsachen entsprachen.
Sie war die leidenschaftlichste Frau, die ihm je begegnet war. Man sagte dem Marquis nach, daß er beinahe jede Frau zu höchster Leidenschaft zu entflammen vermochte. Doch Lady Cora übertraf ihn in dieser Hinsicht.
Er wußte, daß er sie nicht liebte, und daß selbst bei ihren leidenschaftlichen Begegnungen sein Herz niemals beteiligt war. Keine Frau hätte sich ihm bereitwilliger hingeben oder ihn stärker erregen können. Schon bei der leisesten Berührung erhob sich die Flamme des Begehrens und schlug über ihnen zusammen. Trotzdem beschloß er, als er seinen Wagen vor der Säulenvorhalle seines Hauses zum Stehen brachte, sie am nächsten Tag nicht aufzusuchen.
Beim Betreten der Marmorhalle stellte er befriedigt fest, daß die Van Dycks, die er zurückerworben hatte, nachdem sein Vater sie verkaufen mußte, im Licht der Abendsonne zauberhaft aussahen.
„Ist Mylady eingetroffen?" fragte er den Butler.
„Ja, Mylord. Mylady befindet sich im Blauen Salon."
Der Blaue Salon war ein eindrucksvoller Raum. Seine weißgoldenen Wände bildeten einen idealen Hintergrund für eine Sammlung von Gemälden französischer Meister. Dazwischen gab es einige leere Stellen. Der Marquis war immer schlechter Laune, wenn er sie bemerkte. Im Augenblick hatte er jedoch nur Augen für seine Schwester, die am Fenster stand und in den Garten hinausblickte.
„Alexis, rief sie bei seinem Eintreten aus. „Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.
„Verzeih mir meine Verspätung, Caroline, entschuldigte er sich. „Ich bin aufgehalten worden.
„Den Grund dafür kann ich mir vorstellen", stellte die Gräfin von Brora lächelnd fest.
Sie war fünf Jahre älter als er und eine elegante, gutaussehende Frau. In ihrem neuen Frühjahrshut und dem großen Muff konnte sie sich mit der Mehrzahl der eleganten Damen durchaus messen.
„Ich dachte gerade daran, daß in Merlyncourt jetzt die Stiefmütterchen blühen, sagte sie, während sie auf einem kleinen Sofa Platz nahm. „Du weißt, wie zauberhaft sie im Frühjahr aussehen. Da es so warm für die Jahreszeit ist, werden sie rechts und links der Einfahrt wie ein riesiger, goldener Teppich wirken.
Ihr Bruder sah sie zunächst mit belustigter Miene an.
Doch dann sagte er: „Ich habe das Gefühl, daß du mit mir über Merlyncourt sprechen willst."
„Allerdings, erwiderte sie überrascht. „Woher weißt du das?
„Du bist leicht zu durchschauen, meine Liebe. Und ich hatte gehofft, du wolltest mich um meiner selbst besuchen."
„Was ich zu sagen habe, betrifft weitgehend deine Person. Sie legte den Muff neben sich auf das Sofa und fuhr fort: „Weißt du eigentlich, was dort vor sich geht, Alexis?
„In welcher Beziehung?" erkundigte er sich.
„Ich meine, was Jeremy dort anstellt."
„Jeremy? fragte er scharf. „Ich habe seine Schulden erst vor einem Monat bezahlt. Er kann doch unmöglich schon wieder alles ausgegeben haben. Wenn dem so sein sollte, kann er diesmal meinetwegen in den Schuldturm gehen.
„Es handelt sich nicht um Geld, sagte die Gräfin. „Jedenfalls nicht unmittelbar.
„Sprich nicht länger in Rätseln, Caroline", befahl ihr Bruder. „Komm zur Sache. Was hat Jeremy