94. Liebe im Wüstensand
Von Barbara Cartland
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Buchvorschau
94. Liebe im Wüstensand - Barbara Cartland
1 ~ 1870
»O nein, Papa! Ich könnte Lord Bantham niemals heiraten!«
Vitas Stimme klang entschlossen, doch ihr Vater, General Sir George Ashford, entgegnete: »Ich verstehe durchaus, daß sein Antrag dich überrascht, Vita, aber deine Mutter und ich sind der Meinung, daß er der geeignete Gemahl für dich ist.«
»Aber er ist alt, Papa! Er ist dein Freund! Ich hätte nie geglaubt, daß er sich überhaupt für mich interessiert!«
»Bantham ist zurückhaltend und besitzt Würde, woran es den meisten jungen Männern heutzutage mangelt«, erklärte der General ungehalten. »Salopp ausgedrückt, würde man wohl sagen: Er trägt sein Herz nicht auf der Zunge. Trotzdem liebt er dich und möchte dich heiraten.«
»Das ist einfach lächerlich! Er ist viel zu alt!«
Kaum war es heraus, wurde Vita bewußt, daß sie einen Fehler begangen hatte. Ihr Vater war fünfundvierzig gewesen, als sie geboren wurde, und Lord Bantham war gerade erst vierzig Jahre alt.
Doch der bloße Gedanke an eine Vermählung mit ihm erfüllte sie mit Grauen.
Gewiß wollte sie irgendwann einmal heiraten, und es gab genügend gutaussehende junge Männer, die ihr bereits ihr Herz zu Füßen gelegt hatten. Daß sämtliche bisherigen Bewerber um ihre Hand von ihrem Vater als Mitgiftjäger bezeichnet und abgewiesen worden waren, hatte sie nicht gestört.
Mit achtzehn Jahren hatte sie noch viel Zeit, sagte sie sich.
Es war nicht sonderlich verwunderlich, daß sie es nicht eilig hatte, unter die Haube zu kommen. Vita war so schön, daß sie jedem Mann, dem sie begegnete, den Kopf verdrehte.
Sie hatte ein schmales Gesicht mit ebenmäßigen Zügen, rotblondes Haar, das in sanften Locken ihr Gesicht umspielte, und blaue Augen mit langen dunklen Wimpern, deren Farbe ins Violett spielte, wenn sie zornig oder erregt war. Ihr Teint war auffallend hell, nur die Wangen hatten die zarte Röte wilder Rosen.
Was die Männer jedoch besonders in ihren Bann schlug, war ihre sprühende Lebensfreude, die jeden, der mehr als eine Minute in ihrer Gesellschaft verbrachte, in helles Entzücken versetzte.
Kein Name hätte besser zu ihr gepaßt als der, den ihr Vater ihr gleich nach ihrer Geburt gegeben hatte.
Wie alle englischen Väter war er der festen Überzeugung gewesen, sein erstes Kind müsse ein Stammhalter sein. Doch Vitas Geburt hatte Lady Ashford beinahe das Leben gekostet.
Als der General dann seine blau angelaufene, knapp dem Erstickungstod entronnene kleine Tochter sehen durfte, hatte er erleichtert aufgeatmet, weil nicht nur das Kind, sondern auch seine Mutter überlebt hatte.
»Es ist ein Mädchen, Sir George!« hatte der Doktor betont herzlich verkündet, wohl wissend, daß man gewöhnlich dem Arzt die Schuld gab, wenn der ersehnte Erbe ausgeblieben war.
»Das sehe ich«, erwiderte der General trocken.
»Welchen Namen wollen Sie ihr geben?« fragte der Doktor. »Sie hat einen ungeheuren Lebenswillen bekundet, obwohl die Chancen schlecht für sie standen.«
»Dann kann sie nur Vita heißen«, entschied der General in einem Anflug von Mutterwitz, für den man ihn in seinem Club rühmte.
Er und seine Gemahlin hatten sich bereits eine Reihe von Namen für den erwarteten Sohn ausgedacht. Die Tatsache, daß ihnen eine Tochter geschenkt worden war, traf sie völlig unvorbereitet, und als Lady Ashford wieder einigermaßen bei Kräften war, protestierte sie heftig gegen die Namenswahl ihres Gatten.
Doch mit der Entschlossenheit, die ihm seinen hohen Rang beim Militär eingebracht hatte, beharrte er auf seinem Willen und behauptete, das Kind sei bereits auf diesen Namen ins Geburtenregister eingetragen.
Als dann die Taufe stattfand, ließ Lady Ashford dem Vornamen ihrer Tochter die Namen Hermione, Alice und Helena beifügen, doch es blieb bei Vita, und mit jedem Jahr erwies das Mädchen sich dieses Namens würdiger.
Während sie nun im Salon von Ashford House in Leicestershire ihrem Vater gegenüberstand, sah Vita bezaubernd aus, trotz der zornfunkelnden Augen und der trotzigen Miene.
Ihr Vater hatte sie von klein auf maßlos verwöhnt, doch ihr war bewußt, daß es sehr schwer sein würde, sich seinem Willen zu widersetzen und sich zu weigern, Lord Bantham zu heiraten.
Nach Überzeugung ihrer Mutter konnte Vita ihren Vater häufig um den Finger wickeln, doch zuweilen, wenn er überzeugt davon war, daß es zu ihrem Besten war, könnte er erstaunlich schwierig sein.
Sie konnte sich nicht erklären, weshalb ihr nicht früher aufgefallen war, daß Lord Bantham sich für sie interessierte.
Vermutlich war ihr das deshalb entgangen, weil er so eng mit ihrem Vater befreundet war, sonst hätte sie längst spüren müssen, daß er ernsthafte Absichten hegte.
Sie wußte auch ohne die euphorischen Worte ihres Vaters, daß Lord Bantham als ausgesprochen gute Partie galt. In den gesellschaftlichen Kreisen, in denen die Ashfords verkehrten, war ein unverheiratetes Mädchen endlosen Spekulationen und listigen Schachzügen ausgesetzt, bis es endlich den schützenden Hafen der Ehe erreichte.
Da Vita sich ihrer Schönheit und auch ihres Reichtums durchaus bewußt war, hatte sie bereits seit ihrer Schulzeit eine feste Vorstellung, was sie vom Leben erwartete.
Sehr früh schon hatte sie am gesellschaftlichen Leben außerhalb der Unterrichtsräume teilnehmen dürfen. Sie galt als exzellente Reiterin und durfte bereits mit acht Jahren an Parforcejagden teilnehmen. Da sie mutig war und absolut ohne Furcht, war sie bald der Liebling aller auf den elegantesten und exklusivsten Jagdgesellschaften, die in Leicestershire stattfanden.
Ihr Vater war ein hervorragender Pferdekenner, und es bereitete ihm Vergnügen, seine kleine Tochter auf die Jagd mitzunehmen.
So genoß Vita schon als Kind große Freiheiten und war mit fünfzehn Jahren gebildeter und selbstsicherer als die meisten ihrer Altersgenossinnen.
Ihre kindliche Erscheinung, die zartgliedrige Gestalt und ihre großen, staunenden Augen erregten überall Aufsehen, und so wurde sie von allen Erwachsenen, mit denen sie in Berührung kam, nach Strich und Faden verwöhnt.
Erst mit siebzehn Jahren, nach ihrem Schulabschluß, wurde sie von den anderen Damen als ernsthafte Konkurrenz betrachtet und ihre zauberhafte Erscheinung mit neidischen Blicken verfolgt.
Vita war so klug, zu erkennen, daß ihr Vater und ihre Mutter entschlossen waren, sie sobald wie möglich mit einem respektablen Mann ihrer Wahl zu vermählen, damit sie den Gefahren, die ihre Schönheit mit sich brachte, entging.
Daß ihre Wahl auf Lord Bantham gefallen war, erfüllte sie mit Entsetzen, wenn sie auch ehrlich zugeben mußte, daß ihre Eltern gute Gründe für ihre Entscheidung anführen konnten.
Lord Bantham war einer der reichsten Männer in England und galt als untadelig. Er gehörte nicht den Kreisen an, deren frivoles Treiben die Klatschpresse beschäftigte und von Ihrer Majestät, der Königin, zutiefst verabscheut wurden.
Er war eine der Säulen des House of Lords. Als Kenner des Landlebens und der dort auftretenden Probleme gehörte er nahezu jedem Ausschuß und jedem Komitee an, das sich mit der Wahrung und Pflege des englischen Landlebens befaßte, und seine Besitztümer, seine Häuser und Güter suchten weit und breit ihresgleichen.
Als standesgemäße Partie war er unübertrefflich, aber als Mann . . .
Vita schauderte bei dem Gedanken.
Wieder fiel ihr Blick auf das Kinn ihres Vaters, das Entschlossenheit verriet.
Sir George war in seiner Jugend ein gutaussehender Mann gewesen und wirkte auch jetzt noch ungemein attraktiv.
Sie blickte zu ihrer Mutter hinüber und sah ihren besorgten, Verzeihung heischenden Gesichtsausdruck, der ihr verriet, daß ihre Mutter die Entscheidung für Lord Bantham unterstützen würde und von ihr keine Hilfe zu erwarten war.
Ich muß klug vorgehen, sagte sie sich.
»Bantham kann dir alles bieten, was du dir erträumst«, hörte sie ihren Vater sagen. »Du wirst zu den vornehmsten Gastgeberinnen von London zählen, denn er hat sich immer schon gewünscht, die politische Prominenz zu sich bitten zu können. Zudem verfügt er über das berühmteste Gestüt weit und breit.«
Er wußte, daß letzteres seiner Tochter besonders zusagen würde.
Der General besaß selbst zahlreiche Pferde, aber es waren meist nur Tiere, die er und Vita während der Jagdsaison im Winter ritten.
Das bedeutete jedoch nicht, daß er nichts für Pferderennen übrig hatte. Vita hatte ihn oft schon nach Newmarket oder Epsom begleitet, und im vergangenen Jahr hatte sie von der königlichen Loge aus dem Rennen von Ascot beigewohnt.
Lord Bantham hatte den Goldpokal gewonnen, und der General, der eine große Summe auf Sieg gesetzt hatte, war begeistert gewesen.
Sie hatten Lord Bantham zum Sieg seines Pferdes gratuliert, und rückblickend gestand Vita sich ein, daß er ihre Hand länger als schicklich gehalten hatte. Doch das taten die meisten Männer, wenn sie Gelegenheit dazu hatten, und fast alle gerieten ins Stottern, wenn sie ihr in die Augen sahen.
Nicht so Lord Bantham. Vita konnte sich nur erinnern, daß er ihr an jenem Tag langweiliger und mürrischer erschienen war als je zuvor.
Viele Freunde ihres Vaters waren fröhlich und amüsant. Sie bekamen glänzende Augen, wenn sie mit ihr flirteten, sie neckten oder mit Komplimenten überschütteten.
Lord Bantham hingegen hatte sie nur angesehen, doch sie war viel zu sehr mit ihren redegewandteren Verehrern beschäftigt gewesen, um Notiz davon zu nehmen.
»Die Bantham-Juwelen sind überwältigend«, sagte Lady Ashford plötzlich. »Ich erinnere mich, sie an Lady Bantham, der Mutter Seiner Lordschaft, anläßlich eines Hofballs gesehen zu haben. Sie war buchstäblich mit Diamanten übersät, und die übertrafen selbst jene der Königin.
»Vita benötigt im Augenblick wenig Schmuck«, erklärte der General, »sie wird jedoch später einmal erkennen, daß Diamanten die Schönheit einer Frau besonders zur Geltung bringen.«
Sie versuchten es mit allen Mitteln, sie in eine Ecke zu drängen, aus der sie nicht entrinnen konnte, stellte Vita bei sich fest, und es kostete sie große Mühe, ihren Vater betörend anzulächeln.
»Das alles kommt so überraschend für mich, Papa«, sagte sie. »Du mußt mir Zeit lassen, darüber nachzudenken. Außerdem gibt es so vieles, was du mir erklären mußt, weil ich darüber nicht Bescheid weiß.«
Sie wußte, daß ihr Vater ihrer rührenden Bitte nicht widerstehen konnte. Seine grimmige Miene wich einem zärtlichen Ausdruck.
Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich.
»Du weißt genau, Liebes, daß mein einziger Wunsch ist, dich glücklich und in angemessener gesellschaftlicher Stellung zu sehen.«
Sein Blick wanderte zu seiner Gemahlin, bevor er fortfuhr: »Wir werden alt, deine Mutter und ich, und möchten dich versorgt wissen.«
Er stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Vor allem bist du eine sehr reiche junge Dame, und ich habe mir schon oft gewünscht, deine Patin wäre nicht so großzügig gewesen!«
»Niemand könnte Lord Bantham unterstellen, ein Mitgiftjäger zu sein«, bemerkte Lady Ashford.
Ihre Art, selbstverständliche Dinge zu erwähnen, reizte ihren Gemahl häufig zu Unmutsäußerungen. Diesmal schwieg er und beugte sich über seine Tochter, um ihr einen Kuß auf die Stirn zu geben.
»Wir werden später darüber sprechen, wie du vorgeschlagen hast, Vita.«
»Danke, Papa!«
Vita stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Vater einen Kuß zu geben, bedachte ihre Mutter mit einem Lächeln und verließ dann leichtfüßig den Raum. Sie lief nach oben in ihr Schlafzimmer, schloß die Tür hinter sich und starrte mit vor Zorn dunklen Augen und zusammengepreßten Lippen ins Leere.
Wie hatte das nur geschehen können? Wie hatte diese Hiobsbotschaft sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen können, so daß sie völlig unvorbereitet war, als sei die Bombe eines Anarchisten vor ihren Füßen explodiert?
»Ich will ihn aber nicht heiraten! Ich will nicht!« sagte sie, ohne zu bemerken, daß sie laut gesprochen hatte und ihre Worte von den Wänden ihres Schlafgemachs widerzuhallen schienen.
Sie ging zum Kaminsims, griff nach dem Klingelzug und läutete so heftig, daß Sekunden später eine Zofe mit besorgter Miene im Zimmer erschien.
»Was ist denn passiert, Miss Vita?«
»Mein Reitkostüm . . . schnell! Und laß ein Pferd für mich satteln, . . . nein, ich gehe selbst in den Stall. Hilf mir nur beim Umkleiden!«
Das Mädchen begann ihr Kleid aufzuhaken.
»Wo ist Martha?« fragte Vita.
»Unten. Sie hat Teepause, Miss. Sie wußte sicherlich nicht, daß Sie sich jetzt schon umkleiden wollen.«
»Natürlich nicht.«
Sie hatte plötzlich Sehnsucht nach Martha, ihrer Gouvernante aus Kindertagen, der sie stets all ihren Kummer anvertraut hatte.
Doch Martha hatte ihre festen Gewohnheiten, und dazu gehörte, daß sie um diese Zeit mit der Haushälterin eine Tasse Tee trank. Erst wenn die Teepause vorüber war, würde sie ihre Pflichten wieder aufnehmen.
Emily, die Vita und somit auch Martha diente, half ihrer jungen Herrin in das Reitkostüm aus dunkelgrünem Samt, das die Schönheit ihrer Haut betonte und einen rötlichen Schimmer auf das goldblonde Haar zauberte.
Ungeduldig, mit einem flüchtigen Blick in den Spiegel, setzte Vita den hohen Reithut mit dem zarten Tüllschleier auf, griff zu Reitpeitsche und Handschuhen und verließ das Haus über die Hintertreppe, um ihrem Vater nicht zu begegnen.
Wenn sie mit ihm zusammengetroffen wäre, hätte er darauf bestanden, sie zu begleiten, und sie ersucht, zu warten, bis er sich umgekleidet hatte.
Er sah es nicht gern, wenn sie allein ausritt, doch Vita nahm darauf keine Rücksicht und lehnte auch das Angebot eines der Reitknechte ab, sie zu begleiten.
»Ich unternehme nur einen kleinen Übungsritt durch