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Der kleine Lord: Neu übersetzt von Marion Balkenhol
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Der kleine Lord: Neu übersetzt von Marion Balkenhol
eBook226 Seiten3 Stunden

Der kleine Lord: Neu übersetzt von Marion Balkenhol

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Über dieses E-Book

Über Nacht zum Lord – das gibt es eigentlich nur im Märchen! Den siebenjährigen Cedric verschlägt es von New York nach England, wo ihn sein adliger Großvater zu seinem würdigen Nachfolger erziehen will – mit allen Konsequenzen. Nach dem Tod seines Vaters wächst Cedric mit seiner Mutter in ärmlichen Verhältnissen, aber in einem behüteten Umfeld und reich an Freunden auf. Die Atmosphäre auf dem Anwesen des Earls of Dorincourt im verregnet- kalten England ist jedoch eine ganz andere: Die strikte Erziehung zu Sitte und Ordnung steht an erster Stelle. Sein ihm fremder Großvater entpuppt sich als ein veritabler Ebenezer Scrooge, dem Geld über das Menschliche geht. Es braucht jedoch keine drei Geister, um bei dem alten Earl eine Verwandlung zu mehr Nächstenliebe zu bewirken: Dies schafft ganz allein Ceddie, der kleine Lord mit dem großen Herzen.
SpracheDeutsch
Herausgebermarixverlag
Erscheinungsdatum25. Okt. 2019
ISBN9783843806169
Der kleine Lord: Neu übersetzt von Marion Balkenhol

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    Buchvorschau

    Der kleine Lord - Frances Hodgson Burnett

    1

    EINE GROSSE ÜBERRASCHUNG

    Cedric selbst wusste überhaupt nichts davon. Ihm gegenüber war es nie erwähnt worden. Er wusste, dass sein Papa Engländer gewesen war, weil seine Mama es ihm gesagt hatte. Aber sein Papa war gestorben, als Cedric noch ein kleiner Junge war. Daher wusste er nicht mehr viel von ihm, nur dass er groß war, blaue Augen und einen langen Schnurrbart hatte, und dass es wunderbar war, auf seinen Schultern durch das Zimmer getragen zu werden. Nach dem Tod seines Vaters hatte Cedric festgestellt, dass es besser war, mit seiner Mama nicht über ihn zu sprechen. Als sein Vater krank war, hatte man Cedric fortgebracht, und als er zurückkam, war alles vorbei. Seine Mutter, die auch sehr krank gewesen war, konnte gerade eben wieder auf ihrem Stuhl am Fenster sitzen. Sie war blass und dünn, und alle Grübchen waren aus ihrem hübschen Gesicht verschwunden, ihre Augen sahen groß und traurig aus, und sie war in Schwarz gekleidet.

    »Liebste«, sagte Cedric (sein Papa hatte sie immer so genannt, also hatte der Kleine es übernommen), »Liebste, geht es meinem Papa besser?«

    Er spürte, wie ihre Arme zitterten, wandte seinen Lockenkopf zu ihr um und schaute ihr ins Gesicht. Was er dort erblickte, brachte ihn fast zum Weinen.

    »Liebste«, fragte er, »geht es ihm gut?«

    Dann gab ihm sein liebendes kleines Herz plötzlich ein, er solle doch beide Arme um ihren Hals schlingen und sie immer und immer wieder küssen, und seine Wange an ihre drücken. Daraufhin legte sie ihr Gesicht an seine Schulter, weinte bitterlich und hielt ihn so fest, als könnte sie ihn nie wieder loslassen.

    »Ja, es geht ihm gut«, schluchzte sie. »Es geht ihm recht gut, aber wir – wir haben jetzt nur noch uns beide. Niemanden sonst.«

    So klein er auch war, begriff er doch, dass sein großer, stattlicher junger Papa nie wiederkommen würde, dass er tot war, wie er es auch von anderen Menschen schon gehört hatte, wenngleich er nicht genau begriff, was das für ein seltsames Ding war, das so viel Traurigkeit mit sich brachte. Weil seine Mama immer weinte, wenn er von seinem Papa sprach, beschloss er bei sich, es sei besser, nicht so oft mit ihr über ihn zu reden, und er merkte auch, dass es besser war, sie nicht still dasitzen und reglos und stumm ins Feuer oder aus dem Fenster starren zu lassen. Er und seine Mama kannten nicht viele Leute, und man hätte ihr Leben für einsam halten können, obwohl Cedric erst erfuhr, dass es einsam war, als er älter wurde und man ihm sagte, warum niemand sie besuchen kam. Seine Mama war eine Waise und ganz allein auf der Welt, als sein Papa sie heiratete. Sie war sehr hübsch und hatte als Gesellschafterin bei einer reichen alten Dame gelebt, die nicht nett zu ihr war, und eines Tages sah Captain Cedric Errol, als er zu Besuch war, sie mit Tränen an ihren Wimpern die Treppe hinauf laufen, und sie erschien ihm so lieblich, unschuldig und bekümmert, dass er sie nicht mehr aus dem Sinn bekam. Nachdem viele eigenartige Dinge geschehen waren, hatten sie sich kennengelernt und waren einander von Herzen zugetan. Sie wurden Mann und Frau, obwohl ihre Heirat von manchen missbilligt wurde. Am zornigsten jedoch war der Vater des Captains, der in England lebte und ein sehr reicher und bedeutender alter Adliger war, ein böses Gemüt hatte und Amerika und die Amerikaner zutiefst verabscheute. Er hatte zwei Söhne, die älter waren als Captain Cedric, und von Gesetzes wegen erbte der Älteste dieser Söhne den Titel und den Grundbesitz der Familie, der sehr groß und prächtig war, und wenn der älteste Sohn starb, würde der nächste erben. Obgleich er also einer so feinen Familie angehörte, bestand nur eine geringe Chance, dass Captain Cedric selbst zu Reichtum kommen würde.

    Aber es begab sich, dass Mutter Natur den jüngsten Sohn mit Gaben beschenkt hatte, die sie seinen älteren Brüdern versagt hatte. Er hatte ebenmäßige Gesichtszüge, eine schöne, kräftige, anmutige Gestalt, ein strahlendes Lächeln und eine weiche, fröhliche Stimme. Er war tapfer und großzügig, hatte das gütigste Herz auf der ganzen Welt und besaß, wie es schien, eine Anziehungskraft, der alle Menschen erlagen. Bei seinen älteren Brüdern war das nicht der Fall, keiner von beiden war ansehnlich, noch waren sie sehr freundlich oder klug. Als sie in Eton zur Schule gingen, waren sie nicht beliebt, im College machten sie sich nichts aus dem Studium, verschwendeten Zeit und Geld gleichermaßen und hatten nur wenige echte Freunde. Der alte Earl, ihr Vater, erfuhr beständig Enttäuschungen und Demütigungen durch sie, sein Erbe machte dem edlen Namen der Familie keine Ehre, und aus ihm würde nichts als ein selbstsüchtiger, verschwenderischer, unbedeutender Mann werden, der keine mannhaften oder noblen Eigenschaften besaß. Wie bitter, dachte der alte Earl, dass ausgerechnet der Drittgeborene, der nur über ein sehr geringes Vermögen verfügen würde, alle Tugenden besitzen sollte, Ausstrahlung, Kraft und Schönheit. Zuweilen hasste er den stattlichen jungen Mann fast, weil er all das Gute hatte, das mit dem Adelstitel und dem prächtigen Grundbesitz einherging, doch in den Tiefen seines stolzen, sturen alten Herzens kam er nicht umhin, sehr viel für seinen Jüngsten übrig zu haben. In einem Anfall von schlechter Laune schickte er ihn auf Reisen nach Amerika, denn er wollte ihn eine Weile aus den Augen haben, um nicht zornig zu werden, wenn er ihn stets mit seinen Brüdern verglich, die zu der Zeit über alle Stränge schlugen und ihm große Sorge bereiteten.

    Doch nach ungefähr sechs Monaten fühlte er sich einsam und sehnte sich insgeheim nach seinem Sohn. Also forderte er ihn schließlich auf, heimzukehren. Der Brief kreuzte sich mit einem, den Captain Cedric gerade seinem Vater geschrieben hatte, um ihm seine Liebe zu einer hübschen jungen Amerikanerin mitzuteilen, die zu heiraten er beabsichtige. Als der Earl diesen Brief erhielt, packte ihn blanke Wut. So sehr er auch zu Wutausbrüchen neigte, noch nie im Leben hatte er seinem Zorn derart Ausdruck verliehen wie nach dem Brief seines Jüngsten. Sein Kammerdiener, der sich gerade im Zimmer aufhielt, glaubte schon, seine Lordschaft würde einen Schlaganfall erleiden, so sehr wütete er. Eine Stunde lang tobte er wie ein Tiger, dann setzte er sich hin und schrieb seinem Sohn. Er untersagte ihm, jemals wieder in die Nähe seiner Heimat zu kommen, oder auch nur seinem Vater oder seinen Brüdern zu schreiben. Er solle leben, wie es ihm gefalle, und sterben, wo er wolle, er sei für immer aus seiner Familie verbannt und brauche nie wieder Hilfe von seinem Vater erwarten, so lange er lebe.

    Der Captain war sehr traurig, als er den Brief las, denn er mochte England sehr, besonders die schöne Gegend, in der er zur Welt gekommen war. Sogar seinen übellaunigen Vater hatte er gemocht und dessen Enttäuschungen nachempfinden können, aber er wusste, dass er in Zukunft kein Entgegenkommen von ihm erwarten konnte. Zuerst war er unsicher, was er machen sollte, da er nicht zur Arbeit erzogen worden war und keinerlei Erfahrung in geschäftlichen Dingen hatte, aber er war mutig und wild entschlossen. Also quittierte er seinen Dienst in der englischen Armee, fand nach anfänglichen Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle in New York und heiratete. Der Unterschied zu seinem früheren Leben in England war sehr groß, aber er war jung und glücklich und hoffte, in Zukunft mit harter Arbeit Großes zu erreichen. Er hatte ein kleines Haus in einer ruhigen Straße, und sein kleiner Sohn wurde dort geboren. Alles war auf schlichte Weise so fröhlich und heiter, dass es ihm niemals leid tat, die hübsche Gesellschafterin der reichen alten Dame geheiratet zu haben, einfach weil sie so liebreizend war, weil er sie liebte und sie seine Liebe erwiderte. Sie war in der Tat sehr reizvoll, und der kleine Junge glich seiner Mutter und seinem Vater. Obwohl er in einem so ruhigen und bescheidenen kleinen Haus zur Welt gekommen war, hatte es wohl nie ein glücklicheres Kind gegeben. Zum einen war er stets gesund und bereitete daher niemandem Sorge, dann hatte er ein ruhiges Gemüt und war so bezaubernd, dass er allen eine Freude war, und drittens war er bildhübsch anzusehen. Er war kein kahlköpfiges Baby, sondern trat mit einem Schopf aus weichem, feinem, goldblonden Haar ins Leben, das sich an den Enden kräuselte und zu Locken wurde, als er sechs Monate alt war. Er hatte große braune Augen, lange Wimpern und ein süßes kleines Gesicht, einen starken Rücken und stämmige Beinchen, auf denen er mit neun Monaten bereits laufen konnte. Für ein kleines Kind benahm er sich so gut, dass es eine Freude war, ihn kennenzulernen. Er betrachtete offenbar jeden als seinen Freund, und wenn ihn jemand auf der Straße in seinem Kinderwagen ansprach, schenkte er dem Fremden einen goldigen, ernsten Blick aus seinen braunen Augen, lächelte ihn dann offen und freundlich an, was zur Folge hatte, dass es niemanden in der Nachbarschaft gab – auch der Gemischtwarenhändler an der Ecke nicht, der als missmutigster Mensch unter den Lebenden galt –, der sich nicht freute, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Von Monat zu Monat wurde er hübscher und interessanter.

    Als er alt genug war, um mit seiner Kinderfrau auszugehen, einen kleinen Wagen hinter sich herziehend, mit einem kurzen weißen Schottenrock und einem großen weißen Hut auf dem lockigen blonden Haar, sah er so gut, kräftig und rosig aus, dass er alle Blicke auf sich zog. Dann kam seine Kinderfrau immer nach Hause und erzählte seiner Mama Geschichten von Damen, die ihre Kutschen hatten anhalten lassen, um ihn anzusehen und mit ihm zu sprechen, und wie zufrieden sie waren, wenn er sich mit ihnen auf seine fröhliche Art und Weise unterhielt, als wären sie alte Bekannte. Diese muntere, furchtlose, drollige Art, sich mit Menschen anzufreunden, war das Reizvolle an ihm. Er war sehr vertrauensselig, hatte ein aufgeschlossenes kleines Herz für jeden und wollte einfach nur, dass sich alle so wohl fühlten wie er. Sehr rasch erschlossen sich ihm die Gefühle der Menschen in seiner Umgebung. Das hatte sich vielleicht auch mit der Zeit entwickelt, weil er so viel mit seinem Vater und seiner Mutter zusammen war, die stets liebevoll, fürsorglich, zärtlich und kultiviert waren. Zu Hause hatte er nie ein unfreundliches oder unhöfliches Wort gehört. Immer war er geliebt und liebkost und zartfühlend behandelt worden, weshalb seine kindliche Seele voller Freundlichkeit, Unschuld und Warmherzigkeit war. Seine Mama war nur mit hübschen Kosenamen angeredet worden, die er auch selbst benutzte, wenn er mit ihr sprach. Er hatte immer gesehen, dass sein Papa auf sie aufpasste und gut für sie sorgte, weshalb auch er lernte, Sorge für sie zu tragen.

    Als er schließlich erfuhr, dass sein Papa nie mehr zurückkommen würde, und sah, wie traurig seine Mama darüber war, entwickelte er in seinem freundlichen kleinen Herzen die Vorstellung, dass er alles ihm Mögliche tun musste, um sie glücklich zu machen. So klein er auch war, kam ihm doch dieser Gedanke jedes Mal, wenn er auf ihren Schoß kletterte und ihr einen Kuss gab, seinen Lockenkopf an ihren Hals lehnte, wenn er ihr sein Spielzeug und seine Bilderbücher brachte, um sie ihr zu zeigen, und wenn er sich still an ihre Seite schmiegte, da sie sich gern auf das Sofa legte. Er war noch nicht alt genug, um sich etwas anderes auszudenken, er machte einfach, was er konnte, und war ihr damit ein größerer Trost, als er sich vorzustellen vermochte.

    »O Mary«, hörte er sie einmal zu ihrer alten Dienstmagd sagen, »ich bin mir sicher, er versucht, mir auf seine unschuldige Weise zu helfen – ich weiß es. Er schaut mich mitunter mit einem liebevollen, verwunderten Blick an, als empfände er Mitleid für mich, und dann kommt er und streichelt mich oder zeigt mir etwas. Er ist so ein kleiner Mann, ich glaube wirklich, er weiß es.«

    Als er älter wurde, hatte er viele kleine Marotten, die andere Menschen amüsierten und interessierten. Er war seiner Mutter so ein guter Gefährte, dass sie kaum einen anderen brauchte. Sie pflegten miteinander spazieren zu gehen, zu reden und zu spielen. Schon im frühen Kindesalter lernte er lesen, und danach legte er sich abends immer auf den Läufer vor dem Kamin und las laut vor – mal Geschichten, mal dicke Bücher, wie sie ältere Menschen zur Hand nehmen, manchmal sogar die Zeitung. Dann vernahm Mary in der Küche oft, wie Mrs. Errol entzückt über die wunderlichen Dinge lachte, die er von sich gab.

    »Un es is wirklich so«, sagte Mary zum Gemischtwarenhändler, »du musst einfach über den komischen Kerl lachen – so altmodisch wie der sich immer ausdrücken tut! Kommt der doch an dem Abend, wo der neue Präsident ernannt worden is, zu mir in die Küche un baut sich vor dem Ofen auf, sieht aus wie’n Bild, wie er da seine Händchen in die Taschen steckt, un sein unschuldiges Gesichtchen is so ernst wie das von ’nem Richter. Sagt der doch glatt zu mir: ›Mary‹, sagt der, ›mich interessiert die Wahl sehr‹, sagt der. ›Ich bin Publikaner, und die Liebste auch. Bist du Publikaner, Mary?‹ ›Leider nich‹, sag ich zu ihm, ›bin durch und durch Demokrat!‹ Und da tut der mich mit nem Blick ankucken, der einem ans Herz geht, und sagt: ›Mary‹, sagt der, ›das Land wird in den Ruin treiben.‹ Un danach lässt der doch keinen Tag aus, wo er nich auf mich einschwätzen tut, ins andere Lager zu wechseln.«

    Mary war ihm sehr zugetan, und sie war auch sehr stolz auf ihn. Sie war seit seiner Geburt bei seiner Mutter, und nach dem Tod seines Vaters war sie Köchin und Hausmagd und Kinderfrau und alles andere gewesen. Sie war stolz auf seinen geschmeidigen, kräftigen kleinen Körper und seine guten Manieren, besonders auf die hellen Locken, die ihm in die Stirn und über die Schultern fielen. Bereitwillig arbeitete sie früh und spät, um seiner Mama zu helfen, seine kleinen Anzüge zu nähen und in Ordnung zu halten.

    »Is er nich ’ristokratisch?«, pflegte sie zu fragen. »Tät mich doch sehr wundern, wenn’s auf der Fifth Avenue auch nur ein Kind gäb, was so aussieht wie er und so hübsch läuft. Un alle, Mann, Frau oder Kind, tun hinter ihm herkucken in seinem schwarzen Samtanzug aus meiner Herrin ihrem alten Kleid, wie er das Köpfchen zurückwirft un seine Locken dann fliegen und glänzen tun. Sieht aus wie ein kleiner Lord, der.«

    Cedric wusste nicht, dass er wie ein kleiner Lord aussah, er wusste gar nicht, was ein Lord war. Sein bester Freund war der Gemischtwarenhändler an der Ecke – der mürrische Mann, der ihm gegenüber nie mürrisch war. Er hieß Mr. Hobbs, und Cedric bewunderte und achtete ihn sehr. Er hielt ihn für einen reichen, mächtigen Mann, hatte er doch so viele Sachen in seinem Laden – Pflaumen und Feigen und Orangen und Biskuits. Außerdem besaß er Pferd und Wagen. Cedric mochte den Milchmann und den Bäcker und die Apfelfrau, aber Mr. Hobbs mochte er am liebsten und war mit ihm so vertraut, dass er jeden Tag zu ihm ging, sich oft lange zu ihm setzte und über das Tagesgeschehen sprach. Es war recht erstaunlich, worüber sie sprechen konnten – den 4. Juli zum Beispiel. Als sie dieses Thema anschnitten, fanden sie kaum ein Ende. Mr. Hobbs hatte eine sehr schlechte Meinung über »die Briten«, und er erzählte die ganze Geschichte des Unabhängigkeitskrieges, gab Beispiele über die Schändlichkeit des Feindes und die Tapferkeit der aufständischen Helden zum Besten, und er wiederholte sogar des Langen und Breiten Teile aus der Unabhängigkeitserklärung. Cedric war so aufgeregt, dass seine Augen leuchteten, seine Wangen rot anliefen und seine Locken vollkommen zerzaust waren. Er konnte es kaum erwarten, zu Abend zu essen, sobald er wieder zu Hause war, um seiner Mutter alles wiederzugeben, was er gehört hatte. Vielleicht hatte Mr. Hobbs in ihm das Interesse für Politik geweckt. Mr. Hobbs las gern Zeitungen, daher erfuhr Cedric viel darüber, was in Washington vor sich ging, und Mr. Hobbs pflegte ihn auf dem Laufenden zu halten, ob der Präsident seinen Pflichten nachkam oder nicht. Und als einmal eine Wahl stattfand, war er ganz begeistert, und wahrscheinlich wäre das Land untergegangen, hätte es Mr. Hobbs und Cedric nicht gegeben. Mr. Hobbs nahm ihn mit zu einem großen Fackelzug, und viele Fackelträger erinnerten sich danach an einen stämmigen Mann, der neben einem Laternenpfahl stand und auf seinen Schultern einen hübschen kleinen, jubelnden Burschen trug, der seine Mütze schwenkte.

    Kurz nach dieser Wahl, als Cedric zwischen sieben und acht war, geschah das Merkwürdige, das sein Leben auf wundervolle Weise veränderte. Seltsam war auch, dass er an dem Tag, an dem es passierte, mit Mr. Hobbs über England und die Königin gesprochen hatte, und Mr. Hobbs schwerwiegende Dinge über die Aristokratie geäußert hatte, vor allem hatte er sich über Earls und Lords entrüstet. An dem Morgen war es heiß gewesen, und nachdem er mit ein paar Freunden Soldat gespielt hatte,

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