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WAS WIRD AUS NONNA?: Der Krimi-Klassiker!
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eBook268 Seiten3 Stunden

WAS WIRD AUS NONNA?: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Im Gang begannen sich die Leute zu sammeln. Alles erkundigte sich, was geschehen sei. Aus den Fenstern der andern Wagen blickten ängstliche Gesichter. Man wollte die Ursache des plötzlichen Haltens erfahren. Im ganzen Zug verbreitete sich die Nachricht, dass ein Herr in seinem Abteil tot aufgefunden wurde. Alles war aufgeregt und verstört.

Man rief nach einem Arzt, doch es fand sich keiner unter den Fahrgästen. Glücklicherweise war aber eine Krankenschwester im Zuge, die die dunkle Pflegerinnentracht eines bekannten Krankenhauses trug. Da dem überfallenen Mann nicht mehr zu helfen war, nahm sie sich des ohnmächtigen Mädchens an.

Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

Der Roman Was wird aus Nonna? erschien erstmals im Jahr 1926; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1954.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum29. Jan. 2021
ISBN9783748773160
WAS WIRD AUS NONNA?: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    WAS WIRD AUS NONNA? - Herbert Adams

    Das Buch

    Im Gang begannen sich die Leute zu sammeln. Alles erkundigte sich, was geschehen sei. Aus den Fenstern der andern Wagen blickten ängstliche Gesichter. Man wollte die Ursache des plötzlichen Haltens erfahren. Im ganzen Zug verbreitete sich die Nachricht, dass ein Herr in seinem Abteil tot aufgefunden wurde. Alles war aufgeregt und verstört.

    Man rief nach einem Arzt, doch es fand sich keiner unter den Fahrgästen. Glücklicherweise war aber eine Krankenschwester im Zuge, die die dunkle Pflegerinnentracht eines bekannten Krankenhauses trug. Da dem überfallenen Mann nicht mehr zu helfen war, nahm sie sich des ohnmächtigen Mädchens an.

    Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller.  Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

    Der Roman Was wird aus Nonna? erschien erstmals im Jahr 1926; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1954.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    WAS WIRD AUS NONNA?

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    »Endlich geht's los!«, sagte, Tony Bridgman. »Gott sei Dank haben wir ein Abteil für uns allein, sodass wir ungestört plaudern können.«

    Sein Freund, Jimmie Haswell, fand nicht mehr Zeit, ihm zu antworten; denn gerade in dem Augenblick, als sich der Zug in Bewegung setzte, wurde die Tür aufgerissen und eine junge Dame hereingeschoben. Ihr folgte der Vater, ein Mann in mittleren Jahren, der vor Anstrengung keuchte. Den Abschluss machten zwei Handkoffer, die ein energischer Träger mit Schwung in das Abteil abstellte.

    Jimmie kam der jungen, um ihr Gleichgewicht kämpfenden Dame zu Hilfe, fasste sie am Arm und stützte sie, bis sie einen Sitzplatz erreicht hatte. Es war ihm durchaus nicht unangenehm. Mit weit weniger Genuss erfüllte Tony die Menschenpflicht, den strauchelnden und pustenden Vater auf den Beinen zu halten. Beide aber wurden ärgerlich, als die schweren Handkoffer gegen ihre Beine flogen.

    Doch noch ehe der Zug in volle Fahrt erreichte, hatte alles seinen Platz gefunden. Der Herr und das Mädchen beglückwünschten sich lachend, dass sie noch rechtzeitig den Zug erreicht hatten. Tony Bridgman sank in seine Ecke zurück und verschwand hinter seiner Wochenzeitschrift.

    Auch Jimmie Haswell hielt ein illustriertes Magazin vor sein Gesicht. Er tat aber nur so, als würde er lesen. Tatsächlich nutzte die Zeitschrift nur als eine Deckung, über die hinweg er die Neuankömmlinge beobachten konnte. Ein Blick hatte ihm gezeigt, dass die junge Dame wahrscheinlich viel interessanter war als die schönste Kurzgeschichte, ja sogar als die Kreuzworträtsel des Magazins. Ein scharfsinniger Beobachter hätte aus dieser einfachen Tatsache wahrscheinlich den Schluss gezogen, dass die beiden jungen Männer, sie standen an der Schwelle der Dreißiger, ganz verschieden veranlagt waren. Der scharfsinnige Beobachter hätte sich aber arg getäuscht. Die beiden jungen Männer waren durchaus nicht verschieden veranlagt, nur ihre Verhältnisse unterschieden sich - allerdings gerade in einem wesentlichen Punkt: Tony Bridgman war verheiratet, der andere nicht!

    Tony war noch nicht länger als ein Jahr verheiratet. Er war daher noch sehr verliebt in seine kleine Frau und augenblicklich gerade im Begriff, nach längerer Abwesenheit in ihre Arme zu eilen und ein ausgiebiges Wochenende mit ihr zu genießen. Ihn selbst fesselte nämlich sein Beruf an London, für sie aber hatte er einen kleinen Bungalow in Rhyl zum Sommeraufenthalt gemietet. Begreiflicherweise verbrachte er jede freie Stunde bei ihr. In der nächsten Woche lief die Mietzeit des kleinen Häuschens ab; er hatte deshalb zur besonderen Feier des letzten Wochenendes seinen Freund Jimmie Haswell mitgenommen.

    Jimmie war also Junggeselle. Er hatte daher das Recht, sich für jedes hübsche Gesicht zu interessieren, ganz besonders dann, wenn ihm die Besitzerin dieses hübschen Gesichtes durch das Zusammenwirken von väterlicher Hast, anfahrendem Zug und eigenem Schwung in die hilfsbereiten Arme geflogen kam.

    Gewöhnlich pflegte er allerdings nicht viel Zeit auf die Betrachtung des gepuderten Geschlechtes zu verwenden. Er war Advokat und hatte als solcher reichlich Gelegenheit, Damen aller Altersklassen genau kennenzulernen. Und seine Meinung über die Frauen war im Allgemeinen nicht sehr gut. Als Rechtsanwalt gewinnt man eben zu viel Einblick in die düsteren Winkel des menschlichen Wesens, wo sich oft zu viel Selbstsucht und Verlogenheit zeigen, als dass ihm viele Illusionen erhalten bleiben würden.

     Als er jedoch das Mädchen in der andern Ecke des Abteils ansah, erschien sie ihm so ganz anders als die Mehrzahl der jungen Damen, denen er bisher begegnet war. Jedenfalls war sie sehr jung: Er schätzte sie auf zwanzig Jahre. Sie war auch sehr hübsch, hatte dunkle Augen, einen süßen kleinen Mund und einen sehr reinen Teint. Was ihn an ihr jedoch am meisten entzückte, waren zwei reizende Grübchen, die kamen und verschwanden. Sie verschwanden, ehe man sie noch recht wahrgenommen hatte, und lächelten gleich wieder auf den rosigen Wangen, wenn man eben dabei war, an eine optische Täuschung zu glauben.

    Ihr lebhaftes frisches Wesen gefiel ihm über alle Maßen. Der Zug hatte die ausgedehnten rußigen Vorstädte Londons verlassen und brauste durch das offene Land, dem das sanfte Licht eines frühen Septemberabends einen eigentümlichen Reiz verlieh. Sie machte ihren Vater auf jede Einzelheit der Landschaft aufmerksam: nette Bauernhöfe, seltsame alte Windmühlen, reizende im Grün halb versteckte Weiler, ehrwürdige Kirchen und rauschende Bäche. Zu allem hatte sie etwas zu sagen, immer wieder etwas zu fragen.

    »Schau, Daddy, schau!«, rief sie laut aus, als weißgeschürzte Kaninchen, vom Rattern des Zuges aufgeschreckt, über das Feld stoben, um in ihren Löcher unter Hecken und Büschen zu verschwinden.

    Jimmie benützte diese Gelegenheit zu dem freundlichen Vorschlag, die Fremden möchten doch mit ihm und seinem Freunde die Plätze tauschen. Er und Tony hatten nämlich die Fenstersitze, während die andern auf der Gangseite saßen und daher nur eine eingeschränkte Aussicht genießen konnten. Vielleicht hoffte er auch im Geheimen, ein Gespräch anknüpfen zu können.

    »Wollen Sie sich nicht hierher setzen?«, fragte er. »Die Gegend ist auf dieser Seite interessanter, und die Aussicht ist besser.«

    »Dürfen wir wirklich?«, antwortete sie voll Eifer, ihrem Vater einen fragenden Blick zuwerfend. Der nickte ihr lächelnd zu.

    »Überaus freundlich von Ihnen«, sagte er zu Jimmie. »Meine Tochter sieht England zum ersten Mal und scheint ganz entzückt zu sein.«

    Der Platztausch wurde vollzogen. Jimmie begann sich bald Vorwürfe zu machen, dass er eigentlich recht dumm war. Denn das Mädchen sah jetzt fortwährend von ihm weg, sodass er nur das reizende kleine Ohr unter dem Samthut bewundern konnte. Dann aber wendete sie sich doch wieder einmal dem andern Fenster zu, und er benützte die Gelegenheit, sie zu fragen:

    »Finden Sie England so anziehend, wie Sie es erwartet haben?«

    »Doch... Ich glaube schon... Ich liebe es sehr.«

    Ihre sanfte Stimme mit dem leichten fremdländischen Akzent gefiel ihm in hohem Maße. Er wollte mehr hören.

    »Was haben Sie eigentlich zu finden gehofft?«, fragte er mit einem entwaffnend liebenswürdigen Lächeln.

    »Das weiß ich selbst nicht«, antwortete sie mit einem leichten Erröten. »Als Daddy und ich aus der Schweiz heimfuhren, sahen wir auf einer Eisenbahnstation die schöne farbige Fotografie eines Hochlandtales mit einem über eine mächtige Felswand stürzenden Wasserfall. Ich konnte mich nicht enthalten, zu sagen: 0 Daddy, warum haben wir uns das nicht angesehen? Das muss ja ganz wundervoll sein! Als wir dem Bilde näher traten, erkannten wir, dass es gar keine Schweizer Gegend darstellte, sondern die Swallow Falls in Nord Wales. Da ließ ich mir von Daddy versprechen, dass er mich gleich dahin führen würde, wenn wir nach England kämen.«

    Der Vater nickte zustimmend. Jimmie aber meinte: »So benützen Sie also Ihren ersten Tag in England ausgerechnet dazu, nach Wales zu fahren?«

    »Ist denn das nicht ein und dasselbe?«, fragte sie.

    »Fast«, lächelte Jimmie, »aber doch nicht ganz. Wir Engländer betrachten die Waliser als unsresgleichen, sie aber glauben, dass sie ein wenig besser sind als die Engländer.«

    »Daher liefern sie uns immer wieder Prediger und Politiker, die uns bessern sollen«, mengte sich Tony Bridgman ins Gespräch.

    »Es ist wirklich sonderbar«, meinte der Vater der jungen Dame, »dass die Leute von Wales so viele Prediger hervorbringen und gar keine Maler. Die Schönheit ihrer Landschaft scheint sie nicht zu inspirieren. Sie haben auch nur Barden, aber keine Dichter. Sie haben majestätische Berge, aber nur wenige schöne Bauwerke. Die Natur scheint der einzige Architekt in Wales zu sein.«

    Das Eis war damit gebrochen, es kam ein angeregtes Gespräch über die verschiedensten Gegenstände in Fluss. Jimmie fragte das Mädchen, ob es längere Zeit in England zu verbringen gedenke. Sie sagte, es sei ihre Heimat, und sie sei gekommen, um fortan hier zu leben. Darauf zählte er ihr eine Reihe von Orten auf, die sie unbedingt besichtigen müsse.

    Der Vater schien gegen diese Beratung nichts einzuwenden zu haben. Er sagte, dass sie im Herbst das Land bereisen wollten, und nannte eine Menge Sehenswürdigkeiten, die er ihr zu zeigen beabsichtigte. Jimmie wunderte sich einigermaßen, dass der Vater seine Heimat so gut kannte, während die Tochter den Fuß noch nie auf heimischen Boden gesetzt hatte. Er bemerkte überdies, dass ihr angeregtes Gespräch die Aufmerksamkeit anderer Mitreisenden auf ihre kleine Gruppe gelenkt hatte.

    Zwei oder drei Leute, die den Korridor entlanggingen, blieben bei ihrer Tür stehen und blickten herein. Ein junger Artillerieoffizier in Kaki-Uniform schien die Aussicht von dem ihrer Tür nächstgelegenen Fenster ganz besonders fesselnd zu finden. Ein im Gange herumlungernder, etwa achtzehnjähriger Jüngling in einem braunen Anzug grinste das Mädchen ganz unverhohlen an, als es ihm einmal gelang, ihren Blick zu erhaschen.

    Ein Mann im geistlichen oder wenigstens priesterlich erscheinenden Gewand, den Jimmie für einen Prediger der Nonkonformisten hielt, ging dreimal langsam vorbei. Er hatte einen dunklen herabhängenden, wenig gepflegten Schnurrbart und dichte, buschige Augenbrauen. Sooft er vorbeikam, glotzte er durch seine große in Schildpatt gefasste Brille in das Abteil herein. Beim dritten Mal jedoch trat ihm der junge Offizier, das Fenster verlassend, mit dem Absatz seiner schweren Reiterstiefel heftig auf die Zehen. Der markige Ausruf, der sich seinen Lippen entrang, war wohl sehr verständlich, aber für einen Priestermund durchaus nicht angemessen.

    Jimmie, der bei Gerichtsverhandlungen alle Vorgänge genauestens verfolgte, um sie beim Kreuzverhör der Gegenzeugen verwerten zu können, merkte sich leicht auch geringfügige Einzelheiten. Während er aber diese kleinen Ereignisse im Wagengang beobachtete, ließ er es sich wirklich nicht träumen, dass er schon bald Grund haben sollte, sie sich möglichst genau ins Gedächtnis zurückzurufen.

    Dann tauchte eine neue Erscheinung im Türrahmen auf. Diesmal war es eine junge Frau. Sie war in einen langen Reisemantel aus Plaid-artigem Stoff mit Pelzkragen gehüllt und trug einen Hut mit einem grünen Band. Sie hatte freundlich blickende graue Augen und etwas blasse Wangen. Am meisten aber fiel Jimmie ihr Mund auf. Er war schief geformt. Der eine Mundwinkel war herabgezogen, der andere emporgeschoben. Wenn es ein großer Mund gewesen wäre, so hätte er entschieden hässlich gewirkt, da er aber klein war, sah er drollig aus. Die junge Frau blieb in der offenen Gangtür stehen. Der Mann am Fenster starrte sie wie eine gespenstische Erscheinung an.

    »Hallo, Geoff!«, rief sie. »Wie geht's dir?«

    Da drehte sich die Tochter des Mannes nach ihr um, und die Frau in der Tür schien plötzlich gewahr zu werden, dass Geoff nicht allein reiste.

    »Auf Vergnügungsreise?«, fragte sie lächelnd. »Recht gute Unterhaltung wünsche ich!« Sie nickte ihm lächelnd zu und verschwand.

    »Wer war denn das, Daddy?«, fragte das neugierige Töchterchen, aber noch ehe ihr der Vater antworten konnte, erschien schon wieder ein neues Gesicht im Türrahmen. Es war der blauuniformierte Kellner des Speisewagens, der zum Abendessen aufforderte.

    »Bitte, Platz nehmen zum Abendessen, meine Herrschaften!«

    »Du musst etwas zu dir nehmen«, sagte der Vater, »wir haben noch eine lange Reise vor uns.«

    Jimmie und Tony erhoben sich. Der Junggeselle warf einen forschenden Blick auf das Mädchen.

    »Dürfen wir Sie zu Tisch begleiten?«, fragte Jimmie.

    »Geoff«, meinte, er sei den beiden sehr dankbar, wenn sie sich seiner Tochter annähmen. Er selbst, fügte er bei, habe schon vor der Abreise gegessen, seine Tochter jedoch habe sich zu lange in den Kaufläden aufgehalten. Das Mädchen erhob sich und folgte, ihrem Vater fröhlich zunickend, den beiden Herren in den Speisewagen. Sie hatte nicht die leiseste Vorahnung der Tragödie, die schon so bald ihr Leben verdüstern sollte.

    Jimmie wählte einen Tisch, an dem sich die kleine Gesellschaft in bester Stimmung niederließ. Er sah mit Vergnügen das Lächeln in den schwarzen Augen des Mädchens und nahm sich vor, recht viele Dinge zu sagen, die ihre reizenden Grübchen in Erscheinung treten lassen würden. Zunächst aber fragte er sie, wo sie eigentlich gelebt habe. Sie antwortete, sie habe die meiste Zeit ihres Lebens in Sospel verbracht, sei aber auch viel mit ihrem Vater gereist.

    »Sospel?«, fragte Tony Bridgman. »Der Name kommt mir so bekannt vor. Ich sollte wohl wissen, wo der Ort liegt, aber es fällt mir nicht ein.«

    »Spielen Sie vielleicht Golf?«, erkundigte sich das Mädchen.

    »Und wie!«, sagte Jimmie. »Er hat sich auf den meisten Golfplätzen Europas als ein Meister gezeigt.«

    »Es gibt nämlich einen ganz berühmten Golfplatz in Sospel«, fuhr das Mädchen erklärend fort. »Noch vor wenigen Jahren war es nur ein altes Städtchen, das in einer Talmulde des Gebirges hinter Mentone seinen Dornröschenschlaf schlummerte, aber jetzt fährt eine Eisenbahn dahin und eine Menge Leute kommen Tag für Tag über die Berge, um dort Golf zu spielen. Mir freilich gefiel es früher besser.«

    »So sind Sie also noch keine Anhängerin dieses geisttötenden, fürchterlichen Spieles?«, fragte Jimmie.

    »Noch nicht, aber Vater will es mich lehren.«

    »Na, an Lehrern wird es Ihnen gewiss nicht fehlen«, meinte Jimmie mit einem bewundernden Lächeln und ein leises Aufflackern der Grübchen belohnte seine Bemerkung.

    Die beiden Herren erkundigten sich noch weiter nach ihrer bisherigen Wohnstätte, und sie erzählte ihnen einiges aus der Geschichte des alten Städtchens: Wie einmal die ganze Bevölkerung, vom ältesten Greis bis zum jüngsten Kinde , die Mütter, die Säuglinge auf dem Arm, im Mittelalter, als die Pest wütete, in langem Zuge die Stadt verlassen habe und in die Berge hinauf gezogen sei, wo sie blieb, bis ihr die Rückkehr in die alten Heimstätten wieder sicher erschien.

    Nach beendetem Mahl wollte sich das Mädchen erheben, aber auf die Bitte ihrer Begleiter blieb sie noch, bis diese einen Kaffee zu sich genommen und eine Zigarette geraucht hatten. Dann bezahlten sie ihre bescheidenen Rechnungen, worauf sie sich auf den Weg zu ihrem Abteil machten. Jimmie ging voran, wendete sich aber von Zeit zu Zeit um und bot der jungen Dame seinen Arm zur Stütze, wenn sie über die schwankenden Verbindungssteige zwischen den Wagen schritten. Noch während sie auf dem Wege waren, mäßigte der Zug seine Fahrt.

    »Der Zug bleibt stehen«, meinte Tony. »Wir laufen vermutlich in Chester ein.«

    Als sie ihr Abteil erreichten, kam der Zug zum Stillstand. Jimmie bemerkte, dass sie sich auf freier Strecke befanden, dann sah er den Schaffner mit einem bleichen, erschrockenen Gesicht aus dem Abteil treten, das sie vor kaum einer Stunde verlassen hatten.

    »Was ist los?«, fragte er.

    Der Mann sah ihn entsetzt an.

    »Es scheint... ein Mord...«, antwortete er mit heiserer Stimme.

    Zweites Kapitel

    Ohne sich der Bedeutung der Worte des Schaffners recht bewusst geworden zu sein, betrat Jimmie das Abteil. Ein fürchterliches Bild bot sich seinen Augen. Der Mann, den sie vor kaum einer Stunde in aller Frische und Fröhlichkeit verlassen hatten, saß in sich zusammengesunken auf dem Ecksitz. Das Kinn war ihm auf die Brust gefallen, die Arme hingen schlaff herab. Sein Rock war aufgerissen. Aus einer tiefen Wunde in der Nähe der linken Schläfe quoll rotes Blut, das in den Kragen floss. Er war tot. Die äußere Tür des Abteils aber stand offen und schwang knarrend im Luftzug hin und her.

    Jimmie drehte sich zu dem Mädchen, das ihm auf den Fersen folgte, um.

    »Sie dürfen nicht eintreten«, sagte er rasch.

    »Was gibt es denn?«, rief sie. »Ist meinem Vater unwohl geworden?«

    Sie schob seinen Arm zur Seite, betrat das Abteil und stürzte sich auf ihren Vater. Da gewahrte sie das Blut und die Wunde. Mit einem lauten Aufschrei sank sie ohnmächtig zu Boden.

    Jimmie beugte sich rasch zu ihr nieder, hob sie mit Tonys Hilfe auf und trug sie in das benachbarte Abteil, das zufällig leer war.

    »Suchen Sie doch einen Arzt«, schrie er den verstörten Schaffner an. »Jemand soll Wasser herbeischaffen!«

    Im Gang begannen sich die Leute zu sammeln. Alles erkundigte sich, was geschehen sei. Aus den Fenstern der andern Wagen blickten ängstliche Gesichter. Man wollte die Ursache des plötzlichen Haltens erfahren. Im ganzen Zug verbreitete sich die Nachricht, dass ein Herr in seinem Abteil tot aufgefunden wurde. Alles war aufgeregt und verstört.

    Man rief nach einem Arzt, doch es fand sich keiner unter den Fahrgästen. Glücklicherweise war aber eine Krankenschwester im Zuge, die die dunkle Pflegerinnentracht eines bekannten Krankenhauses trug. Da dem überfallenen Mann nicht mehr zu helfen war, nahm sie sich des ohnmächtigen Mädchens an.

    Der Schaffner sprang ab und lief den Zug entlang zum Lokomotivführer. Mit diesem zusammen stürzte er auf die Hecke zu, die an dieser Stelle den Bahnkörper begrenzte. Jimmie sprang ebenfalls ab und schloss sich ihnen an.

    In der Nähe war keine Spur von einem Menschen zu entdecken. Allerdings war es schon dunkle Nacht, sodass man nicht weit sehen konnte. Nach einer kurzen Beratung begaben sie sich zum Zuge zurück. Sie wussten, dass es zu einer noch viel schrecklicheren Katastrophe kommen konnte, wenn sie sich zu lange aufhielten.

    Der Lokomotivführer brachte den Zug langsam zum nächsten Bahnwärterhäuschen, wo dem Beamten der Vorfall mitgeteilt wurde. Es wurde ihm aufgetragen, die Meldung telefonisch weiterzugeben und die Strecke sofort genauestens absuchen zu lassen. Dann nahm der mächtige Schnellzug wieder seine Fahrt auf. Donnernd und fauchend stürmte er durch die Nacht, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen.

    Jimmie und Tony hatten ihre Handkoffer aus dem Abteil, in dem sich der Leichnam ihres Reisegenossen befand, entfernt und standen im Gang in der Nähe des Abteils, in dem das bewusstlose Mädchen lag. Die schreckliche, unerklärliche Tragödie hatte auf sie einen tiefen Eindruck gemacht. Sie fragten sich, wie dem jungen Mädchen, dessen erster Besuch in der Heimat so fürchterlich begonnen hatte, zu helfen sei. Bald schloss sich ihnen der Schaffner an.

    »Wie hieß der Herr eigentlich?«, fragte er sie und war überrascht, zu hören, dass sie so gut wie nichts von ihrem Reisegenossen wussten. Da er sie in Gesellschaft des jungen Mädchens gesehen hatte, das sich mit dem Ruf Daddy über die Leiche gestürzt hatte, war er der Ansicht gewesen, sie bildeten eine Gesellschaft. Der Schaffner erfuhr nur, dass der Fremde wohlauf und bester Laune gewesen war, als die

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