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DER SCHLAFTRUNK: Der Krimi-Klassiker!
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eBook292 Seiten3 Stunden

DER SCHLAFTRUNK: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Gilbert ging in sein Zimmer hinauf. Dort schritt er unruhig hin und her, obgleich sein Entschluss eigentlich schon feststand. Unter ihm, im Zimmer seines Onkels, das dem Garteneingang gegenüberlag, brannte noch Licht, als er um neun auf den Balkon hinaustrat, der den größeren Teil der Vorderfront entlanglief.

Auf Zehenspitzen schlich er ans äußerste Ende, kletterte dort über das Geländer und ließ sich in den Garten hinabfallen. Hätte er das Haus durch die Haustür verlassen, so hätte Onkel Luke ihn wahrscheinlich gehört und gefragt, wohin er ginge. Darum hatte er sich schon als kleiner Junge angewöhnt, sich auf diese Weise unbemerkt davonzumachen und wiederzukommen, um nicht über jeden Schritt Rechenschaft ablegen zu müssen. Als er Bobbie kennengelernt hatte und sich abends heimlich mit ihr traf, hatte er sich fast täglich auf diese Art aus dem Hause geschlichen...

Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller. Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

Der Roman Der Schlaftrunk erschien erstmals im Jahr 1951; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum26. Jan. 2021
ISBN9783748772903
DER SCHLAFTRUNK: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DER SCHLAFTRUNK - Herbert Adams

    Das Buch

    Gilbert ging in sein Zimmer hinauf. Dort schritt er unruhig hin und her, obgleich sein Entschluss eigentlich schon feststand. Unter ihm, im Zimmer seines Onkels, das dem Garteneingang gegenüberlag, brannte noch Licht, als er um neun auf den Balkon hinaustrat, der den größeren Teil der Vorderfront entlanglief.

     Auf Zehenspitzen schlich er ans äußerste Ende, kletterte dort über das Geländer und ließ sich in den Garten hinabfallen. Hätte er das Haus durch die Haustür verlassen, so hätte Onkel Luke ihn wahrscheinlich gehört und gefragt, wohin er ginge. Darum hatte er sich schon als kleiner Junge angewöhnt, sich auf diese Weise unbemerkt davonzumachen und wiederzukommen, um nicht über jeden Schritt Rechenschaft ablegen zu müssen. Als er Bobbie kennengelernt hatte und sich abends heimlich mit ihr traf, hatte er sich fast täglich auf diese Art aus dem Hause geschlichen...

    Herbert Adams (* 1874 in Dorset, South West England; † 1958) war ein englischer Schriftsteller.  Adams veröffentlichte beinahe sechzig Kriminalromane; viele unter seinem eigenen Namen, einige unter dem Pseudonym Jonathan Gray. Seine Leser – wie auch die Literaturkritik – verglichen Adams oft mit seiner Kollegin Agatha Christie.

    Der Roman Der Schlaftrunk erschien erstmals im Jahr 1951; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DER SCHLAFTRUNK

    ERSTER TEIL

      Erstes Kapitel

    Die beiden Herren saßen zusammen beim Frühstück, aber sie unterhielten sich nicht miteinander. Der üppig gedeckte Tisch und die ganze Einrichtung des Zimmers zeugten von Wohlstand, ja von Reichtum. Dem bunt leuchtenden Perserteppich, dem antiken Silber und der Vitrine mit dem alten Porzellan war anzumerken, dass die Bewohner dieses Hauses solche Kostbarkeiten nicht nur besaßen, sondern sich auch die Hilfskräfte leisten konnten, die für deren Pflege erforderlich sind.

    Durch die Fenster sah man einen gepflegten, von Blumenrabatten eingefriedeten Rasen und hohe Bäume, deren Laub im hellen Grün des Frühlings leuchtete.

    Dass die beiden Herren nicht Vater und Sohn sein konnten, war ganz offensichtlich. Dazu waren sie einander viel zu unähnlich. Der Ältere, ein Sechziger, war ein großer, breitschultriger Mann, dessen ungewöhnlich dichtes Haar schon schneeweiß war. Es war so stark gelockt, dass es fast wie eine Perücke wirkte. Sein glatt rasiertes Gesicht war vielleicht etwas allzu rosig, um völlig gesund zu wirken. Die vorspringende Nase, der gerade etwas harte Mund und die buschigen Augenbrauen, die noch Spuren ihrer früheren dunklen Farbe aufwiesen, verrieten jedoch eine starke Persönlichkeit, einen entschlossenen und vielleicht sogar eigensinnigen Charakter. Er hieß Luke Bigwood.

    Ihm gegenüber saß sein Neffe Gilbert Chapman, ein schlanker junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit blondem Haar, blauen Augen und einem kurz geschnittenen Schnurrbärtchen im sommersprossigen Gesicht. Seine Züge waren nicht sehr ausgeprägt, wirkten aber gutmütig und liebenswürdig. Er las die Morgenzeitung - oder tat doch so -, aber die verstohlenen Blicke, die er von Zeit zu Zeit seinem Onkel zuwarf, zeigten, dass er etwas auf dem Herzen hatte und nur auf den geeigneten Augenblick wartete, um sein Anliegen zur Sprache zu bringen.

    Der ältere Herr ließ die neben ihm liegenden Zeitungen unbeachtet. Er hatte einen Brief geöffnet und blickte bereits so lange auf die Zeilen, dass er ihren Inhalt schon mindestens dreimal gelesen haben musste. Nicht dass das Schreiben schwer zu verstehen gewesen wäre, aber es erforderte einen sofortigen Entschluss.

    Schließlich reichte er es über den Tisch und fragte: »Was hältst du davon?«

    Der Brief kam aus Southampton, und das Datum war undeutlich.

    Gilbert las:

    Lieber Onkel Luke!

    Du hast einmal gesagt, dass ein falscher Fünfziger immer wieder auftaucht, und darum wirst Du Dich auch nicht wundern, wenn Dir dieses Schreiben beweist, dass Du damit recht hattest. Ich bin soeben mit der Strongmore Castle von Rio hier angekommen und wäre sehr froh, wenn ich, sei es auch nur auf ein oder zwei Tage, zu Dir kommen könnte. Hoffentlich bist Du gesund und geht es Dir so gut, wie das in diesen schlechten Zeiten überhaupt möglich ist.

    Ich fürchte, meine Rückkehr wird Dich enttäuschen. Aber ich kann alles erklären, wenn wir uns sehen. Eigentlich habe ich meine Stellung in Brasilien nur verloren, weil ich sie zu gut ausfüllte.  

    Es gab vielleicht einmal eine Zeit, wo ein englischer Verwalter für eine Kaffeeplantage sehr gesucht war, aber diese Zeit ist vorbei. Heute wollen die Leute in jedem Land ihre Geschäfte selbst führen. Indien den Indern, Afrika den Afrikanern, so geht das überall. Kurz, nachdem ich zwei Brasilianer so weit angelernt hatte, dass sie meine Arbeit zur Not übernehmen konnten, war es offensichtlich eine nationale Forderung, mich auszubooten. Das war zwar nicht, was ich verdient hatte, aber das, worauf ich bei der Stimmung in Brasilien hätte gefasst sein müssen.

    Es wäre zwecklos gewesen, zu bleiben und in einer neuen Stellung abzuwarten, bis sich dasselbe wiederholte, besonders jetzt, wo die alte Heimat sich wieder hochrappelt.

     Darum komme ich nach Hause, um mein Glück wieder bei Euch zu versuchen, und ich hoffe, Du wirst mich deshalb nicht tadeln. Ich habe auch schon von einer Gelegenheit gehört, die genau das zu sein scheint, was ich suche; ich würde gern in dieser Angelegenheit Deinen Rat hören.

    Sollte es Dir nicht recht sein, dass ich bei Dir wohne - ich werde wahrscheinlich gleichzeitig mit diesem Brief oder spätestens einen Tag danach eintreffen -, so kann ich natürlich auch im Dorf unterkommen.

    Indem ich hoffe, dass Dich dieser Brief bei bester Gesundheit erreicht, bin ich Dein Dich liebender Neffe.

    Edgar Denham.

    PS: Bitte empfiehl mich Vetter Gilbert. Ich nehme an, dass die Flora mit seiner fähigen Hilfe blüht und gedeiht, sodass Du Dir auch manchmal Ruhe gönnen kannst.

    »Er gab keine Adresse an«, meinte Gilbert, als er den Brief zurückgab. »Man kann ihm also nicht abschreiben.«

    »Ich kann es auch kaum ablehnen, ihn aufzunehmen«, entgegnete Mr. Bigwood.

    »Du hattest ihm doch ausdrücklich verboten, zurückzukommen...«

    »Gewiss, aber wenn seine Geschichte wahr ist...«

    »Im Geschichtenerzählen war er immer groß«, fiel Gilbert ein. »Er ist noch nicht einmal drei Jahre fort, und als du ihm das Geld für die Reise gabst, botest du ihm schon zum dritten Mal eine Chance. Damals erklärtest du, es sei das letzte Mal.«

    »Du konntest ja nie mit ihm auskommen«, sagte der Onkel.

    »Das war nicht meine Schuld.«

    »Das habe ich auch nicht behauptet. Aber vielleicht hat er aus seinen Erfahrungen gelernt. Wenn er eine neue Stellung in Aussicht hat, können wir es ihm kaum abschlagen, von hier aus Erkundigungen einzuziehen.«

    »Du willst ihn also tatsächlich herkommen lassen?« Gilberts Stimme klang enttäuscht.

    »Wir haben ja genug Platz...«

    »Obgleich du ihm, als er fortging, verboten hast...«

    Der Onkel nickte. Dann lächelte er.

    »Das sagt man so im ersten Ärger, aber nach einiger Zeit empfindet man anders. Schließlich ist er der Sohn meiner Schwester Mildred, und schon um ihretwillen kann ich ihm seinen Besuch nicht abschlagen. Du hast deswegen nichts zu befürchten, Gilbert; zwischen uns bleibt es bei dem, was ich dir versprochen habe.«

    »Danke, Onkel«, sagte der Neffe. »Soll ich also Mrs. Webber ausrichten, dass sie ein Zimmer für ihn vorbereitet?«

    »Bitte.«

    Einige Sekunden herrschte Schweigen, dann meinte der junge Mann; »Hoffentlich werden wir in der Fabrik keine Schwierigkeiten haben.«

    »Weswegen?«

    »Wegen der drei Mädchen, die du gestern entlassen hast.«

    »Warum sollten daraus Schwierigkeiten entstehen?«, fragte Mr. Bigwood gereizt. »Hatte ich denn nicht recht?«

    »Entlassung ist nach Ansicht der Arbeiter eine zu harte Strafe. Eine Geldstrafe...«

    Gilbert hielt inne. Er wusste, dass er einen heiklen Punkt berührte, aber er wollte sein Möglichstes versuchen. Sein Onkel schien jedoch froh zu sein, dass er zeigen konnte, dass er in seinen Entschlüssen nicht immer schwankend war und fiel ihm ins Wort:

    »Ich bin noch immer Herr in meinem eigenen Werk und dulde nicht, dass man meine Anordnungen nicht befolgt. Es besteht die Vorschrift, dass in den Arbeitsräumen nicht geraucht werden darf. Dafür gibt es den Erfrischungsraum, wo die Mädchen rauchen können, so viel sie wollen oder vielmehr, so viel sie bezahlen können. Aber ich bin nicht gewillt, zuzusehen, dass unsere Waren durch Zigarettenasche verunreinigt werden.

    Die Mädchen haben in dem Raum geraucht, wo Essenzen und Alkohole gemischt werden, die leicht verdunsten und Feuer fangen. In diesem Raum ist das Rauchverbot ganz besonders wichtig! Aber was fand ich, als ich gestern dorthin kam? Trotz des eindeutigen Warnschildes an der Wand Rauchen bei Strafe sofortiger Entlassung verboten arbeiteten zwei Mädchen mit brennenden Zigaretten im Munde, und die Vorarbeiterin stand daneben und sah zu. So tat ich das, was der Anschlag androhte, und entließ alle drei.«

    »Ich weiß«, sagte Gilbert, »und natürlich hattest du im Prinzip recht. Aber deine Maßnahme hat unter den andern Arbeitern, Männern wie Mädchen, Unruhe hervorgerufen. Die Entlassenen waren beliebt, und die Leute meinen, sie hätten zunächst verwarnt werden müssen. Es war ja das erste Mal...«

    »Woher willst du wissen, dass sie es vorher nicht schon hundertmal getan haben? Du meinst, ich habe es zum ersten Mal gesehen. An sich sind ja Personalfragen, soziale Betreuung und dergleichen deine Sache. Sahst du noch nie jemanden rauchen?«

    »Höchst selten.«

    »Das bedeutet doch, dass die Mädchen heimlich rauchen, sobald du den Rücken kehrst. Das muss aufhören, und der einzige Weg dazu ist der, den ich gewählt habe. Vorschriften sind da, um befolgt zu werden!«

    »Man soll den Bogen aber nicht überspannen. Die Leute drohen mit Streik...«

    »Streik!«, brauste der alte Herr auf. »Was meinst du damit? Glaubst du, meine Leute würden streiken, weil ich für ihre Sicherheit sorge?«

    »Ich hoffe nicht. Aber sie sind verhetzt und sprechen von Solidarität.«

    Sein Onkel warf ihm einen wütenden Blick zu. »Bist du vielleicht der Ansicht, ich hätte erst den Betriebsrat um Erlaubnis fragen sollen?«

    »Nein«, sagte Gilbert unsicher. »Aber viele Arbeiter sind zu mir gekommen und haben gebeten, dass der Fall noch einmal überdacht wird. Ich habe ihnen versprechen müssen, dir die Angelegenheit nochmals vorzutragen.«

    »Du glaubst wirklich, sie streiken, wenn ich das ablehne? Sie denken gar nicht daran, denn sie wissen, wie gut sie es haben. Ich bezahle sie über Tarif, und außerdem schenke ich ihnen noch Sportplätze, Klubs und dergleichen, wozu ich nicht verpflichtet bin.«

    »Das erkennen die Leute auch an.«

    »Ja?« Er schien etwas besänftigt. »In dem Fall der Vorarbeiterin, der Eileen Pearson, könnte ich meinen Entschluss vielleicht ändern. Sie ist Kriegerwitwe, lange bei uns und hat eine alte Mutter zu versorgen. Sie hat auch nicht selbst geraucht. In vierzehn Tagen kann sie wieder antreten.«

    »Und Pamela James könnte man vielleicht in drei Wochen wieder einstellen«, schlug Gilbert hoffnungsvoll vor.

    »Keineswegs. Warum sollte Pamela James mehr Rücksicht verdienen als das andere Mädchen?«

    »Pamela James ist schon drei Jahre bei uns. Sie ist eine gute Arbeiterin und bei allen Kollegen sehr beliebt...«

    »Mir scheint, ich habe auch schon weniger Günstiges über sie gehört«, erwiderte der alte Herr.

    »Es wäre aber doch schade, sie zu verlieren...«

    »Unsinn - sie hat die Vorschriften übertreten und muss dafür büßen. Darüber gibt es nichts mehr zu reden.«

    Er nahm sich die Zeitung vor, um zu zeigen, dass dieses Thema für ihn abgeschlossen war. Gilbert wusste das, denn er kannte das cholerische Temperament seines Onkels. Da er aber noch etwas mit ihm besprechen wollte, wartete er eine Weile, um ihm Gelegenheit zu geben, seinen Gleichmut wiederzufinden. Er vertiefte sich also zunächst ebenfalls in seine Zeitung und begann erst nach längerer Pause:

    »Hast du schon über das nachgedacht, was ich dir neulich wegen Bobbie sagte?«

    »Eh - wie - was denn? Bobbie...?«

    »Meine Braut...«

    »Ja, natürlich - was meinst du denn?«

    »Wir möchten doch heiraten...«

    »Das hat keine Eile. Ihr seid beide jung.«

    »Wir sind beide fünfundzwanzig und schon fast ein Jahr verlobt. Wir wollen uns gern nach deinen Wünschen richten, Onkel, aber es wird allmählich Zeit, das irgendwie zu regeln.«

    »Was ist da zu regeln?«, brummte der alte Mann.

    »Wann wir heiraten und wo wir wohnen sollen. Ich glaube, Bobbie wäre bereit, hier zu wohnen, wenn du das wünschst. Natürlich hätten wir lieber ein Heim für uns, aber ich weiß, was ich dir schulde, und um meinetwillen ist sie bereit, alles zu tun, um dich zufriedenzustellen.«

    Gilbert hatte seine Rede sorgfältig einstudiert, aber jetzt klang sie ihm keineswegs so überzeugend, wie sie ihm vorher erschienen war.

    »Wir fürchteten, du könntest dich einsam fühlen, wenn wir fortziehen...«, fügte er hinzu.

    »Du meinst wohl, ich brauchte jemanden, der mir den Haushalt führt? »Wozu habe ich denn die Webbers?«

    »Wenn du glaubst, dass dir das genügt...«

    »Es hat mir bisher immer genügt. Aber warum musst du gerade jetzt davon anfangen? Drängen ihre Eltern etwa auf eine Heirat?«

    »Oh, nein, keineswegs. Sie haben es nicht so eilig, ihre Tochter loszuwerden.«

    »Vernünftige Leute. Bobbie ist ein nettes Mädchen; ich habe nichts gegen sie. Aber trotzdem weiß ich nicht, ob ich sie dauernd hier um mich haben möchte. Lassen wir das vorläufig. Im Augenblick haben wir genug andere Sorgen. Edgar kommt, und in der Fabrik gibt es vielleicht Schwierigkeiten - das genügt. Ist Hann schon gekommen?«

    »Ich glaube, ich habe ihn vorhin gehört.«

    »Gut. Sag ihm, ich sei in ein paar Minuten bei ihm.«

    Gilbert stand auf und ging langsam zur Tür. Er war nicht gerade mit sich zufrieden. Die unmittelbar bevorstehende Ankunft seines Vetters verstimmte ihn, und das eigene Heim zusammen mit Bobbie schien ihm auch noch in weiter Ferne zu liegen.

    Zweites Kapitel

    Ein hübsches Mädchen und ein gut aussehender junger Mann, die in einem Eisenbahnabteil einander gegenübersitzen, nehmen von der Existenz des andern nur selten keine Notiz.

    Der junge Mann machte auch gar keinen Versuch, sein Interesse an dem schönen Gegenüber zu verbergen, aber ohne Erfolg. Sie war völlig von der Lektüre ihres Buches gefesselt - oder gab sich wenigstens den Anschein, es zu sein. Er versuchte es mit den üblichen Anknüpfungsmethoden: Hätte sie etwas dagegen, wenn er das Fenster öffne, oder solle es geschlossen bleiben? Aber sie antwortete nur, das sei ihr gleichgültig. Auch auf eine Bemerkung über das Wetter antwortete sie nur einsilbig.

    »Ihr Buch ist wohl sehr interessant?«

    Nun antwortete sie überhaupt nicht. Sie hob den Blick nur ganz wenig von den Seiten. Aber das genügte schon für ihn: Er sah ihre Augen - sie waren saphirblau. Ihr Gesicht hatte jenen Teint, von dem die Reklamen der Schönheitsmittel sprechen und ihr kastanienbraunes Haar legte sich in weichen, natürlichen Wellen um ihren Kopf.

     Er war fest davon überzeugt, dass sie entzückend sein musste, wenn sie lächelte - wenn er sie nur zum Lächeln hätte bringen können! Aber alle Versuche dazu blieben erfolglos. Achselzuckend fand er sich mit seinem Schicksal ab und sah sich in Ermangelung eines Besseren die Bilder in seinem Magazin an.

    Trotzdem hätte sie ihn, wenn sie gefragt worden wäre, wahrscheinlich besser beschreiben können als er sie. Denn sie hatte sein Äußeres bereits mit einem einzigen raschen Blick vollkommen erfasst: seine schlanke Gestalt, seine sonnengebräunte Haut, seine dunklen, lachenden Augen, sein kleines schwarzes Schnurrbärtchen, seine glänzenden weißen Zähne.

    Sie wusste, er sah in seinem leichten, grauen Flanellanzug, dem Seidenhemd mit weichem Kragen und blauer Krawatte, gut aus. Sogar seine seidenen Socken und seine eleganten Wildlederhandschuhe hatte sie bemerkt. Er musste wohl Ausländer sein oder war kürzlich aus dem Ausland zurückgekommen - sicherlich also eine ganz amüsante Reisebekanntschaft. Aber sie hatte schon viel zu oft erlebt, dass Mitreisende ihre Bekanntschaft zu machen suchten, als dass sie auf ihn neugierig gewesen wäre. Solche jungen Männer neigten dazu, zudringlich zu werden, und es war viel besser, sie von Anfang an nicht zu beachten, um sie später nicht zurückweisen zu müssen.

    So fuhren sie schweigend weiter, bis das Eis in unerwarteter Weise brach. Der Schaffner betrat das Abteil und verlangte die Karten.

    »Bendon Parva«, sagte er. »Muss ich umsteigen?«

    »Umsteigen in Caterford«, war die Antwort.

    Auch das Mädchen gab ihm ihre Fahrkarte.

    »Bendon Parva - in Caterford umsteigen«, sagte er.

    »Sie fahren auch nach Bendon Parva? Wie merkwürdig...«

    »Viele Leute fahren dorthin...« Aber sie lächelte, als sie das sagte, und er konnte feststellen, dass ihr Lächeln seinen Erwartungen entsprach.

    »Wohnen Sie dort?«, fragte er weiter.

    »Ja«

    »Dann kennen Sie vielleicht meinen alten Onkel - Luke Bigwood?«

    »Ja.« Diesmal klang ihre Antwort viel interessierter.

    »Dann haben Sie vielleicht auch schon von mir gehört?«

    »Das glaube ich nicht. Wer sind Sie denn?«

    »Mein Ruhm hat sich also noch nicht herumgesprochen? Sie können der Rückkehr des verlorenen Sohnes beiwohnen! Wie stehen die Aktien in Bezug auf das gemästete Kalb?«

    »Sie sehen nicht gerade aus, als ob Sie gehungert hätten...«

    Er lachte.

    »Der moderne verlorene Sohn ist eine verbesserte Auflage des biblischen. Wenn er sich hinreichend unbeliebt gemacht hat, drückt man ihm eine Passage nach Übersee mitsamt ein paar Pfund in die Hand und schiebt ihn ab. Wie geht es dem alten Herrn?«

    »Gut, glaube ich. Ich war jetzt zwei Tage nicht zu Hause.«

    »Das biblische Gleichnis passt auch sonst auf mich. Wenn auch kein älterer Bruder da ist, so doch ein bevorzugter Neffe.«

    »Wissen Sie«, sagte sie, »ich hatte immer das Gefühl, dass uns die Bibel bei dieser Geschichte einiges vorenthält...«

    »Was zum Beispiel?«

    »Blieb der verlorene Sohn nun zu Hause und wurde ein würdiges Mitglied der Gemeinde, oder kehrte er nur zurück, weil er etwas wollte, und ging wieder fort, als er das hatte?«

    »Ein sehr interessantes Problem.«

    Er lächelte. »Wie würden Sie die Geschichte ergänzen?«

    »Man müsste den verlorenen Sohn schon kennen, um das beantworten zu können. Was wollen Sie denn tun?«

    »Jedenfalls kann ich einen Grund sehen, mich hier häuslich niederzulassen«, antwortete er.

    »Das wird Ihren Onkel sicher freuen.« Sie hatte seine Anspielung wohl verstanden, zog es aber vor, sie zu überhören. »Woher kommen Sie denn?«

    »Aus Brasilien, wo der Pfeffer wächst. In meinem Fall war es allerdings Kaffee.«

    »Das muss recht interessant sein.«

    »Teils - teils. Aber um zu unserem Gleichnis zurückzukommen: Liegen Ihre Sympathien vielleicht mehr bei dem älteren Bruder - in diesem Fall bei dem jüngeren Neffen...?«

    »Schon möglich. Aber es hängt, wie ich vorhin sagte, davon ab, wie sich der verlorene Sohn benimmt.«

    »Ich muss mich also in acht nehmen«, sagte er mit seinem gewinnenden Lächeln. »Sie kennen den jungen Gilbert wohl gut?«

    »Sehr gut sogar«, antwortete sie. Aber bevor sie weiterreden konnte, klangen von draußen Stimmen ins Abteil: »Caterford - Caterford - nach Bendon umsteigen.«

    Sie griffen nach ihren Koffern und begaben sich auf den Bahnsteig; er bestand darauf, ihr Gepäck zu tragen.

    »Warum holt man Sie nicht mit dem Wagen von hier ab?«, fragte sie, während sie zu dem Bahnsteig hinübergingen, von dem der Lokalzug nach Bendon abgehen sollte.

    »Ich habe nicht geschrieben, mit welchem Zuge ich komme. Sonst hätte man mir vielleicht abgewinkt. Aber wieso kenne ich Sie nicht, wenn Sie in Bendon wohnen? Vor drei Jahren war ich doch sehr häufig dort.«

    »Das ist leicht zu erklären. Damals wohnten meine Eltern noch in Caterford, wo mein Vater sein Büro hat. Wir sind erst später nach Bendon gezogen.«

    »Als Ihre Eltern genug verdient hatten, um sich zur Ruhe zu setzen...«

    »Das ist übertrieben. Mein Vater ist Anwalt und geht jeden Tag in sein Büro.«

    »Darf ich nach Ihrem Namen fragen?«

    »Easton«, sagte sie.

    »Sagt mir nichts«, lächelte er. »Wahrscheinlich, weil ich noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen bin. Aber darf ich mich, da wir doch Nachbarn sein werden, erkundigen, wie Miss Easton mit Vornamen heißt?«

    »Roberta«, antwortete sie nach kurzem Zögern.

    »Nicht gerade der Name, den ich für Sie ausgesucht hätte. Aber wenn man daraus Bobbie macht...«

    »Macht man.« Sie nickte.

    »Sie heißen also Bobbie. Das klingt recht nett.«

    »Danke schön.«

    Sie schlenderten den Bahnsteig

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