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Eine tödliche Familie: Die Welt Verschwörung
Eine tödliche Familie: Die Welt Verschwörung
Eine tödliche Familie: Die Welt Verschwörung
eBook1.006 Seiten14 Stunden

Eine tödliche Familie: Die Welt Verschwörung

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Über dieses E-Book

In dem Roman geht es um die wirklich Mächtigen dieser Erde, und das sind nun einmal nicht die Politiker. Aber wer bestimmt nun tatsächlich die Geschicke der Menschen und Völker? Wer sind also die Eliten, von denen alle sprechen? Wie leben sie? Was sind ihre Ziele? Wer kennt die Geheimnisse, die sie umgeben.

In "Eine tödliche Familie" wird eine Studentin in das Schloss einer unendlichen reichen Familie entführt. Zwar lebt sie von nun an in einem unbeschreiblichen Luxus, muss aber schon bald um ihr Leben fürchten. Sie wird durch ganz Europa gejagt, aber schließlich überraschend das Oberhaupt einer der mächtigsten Familien dieser Erde.
Nun beginnt der Kampf um die Macht erst recht. Jeannette ist von einem großen Geheimnis umgeben. Wer sind tatsächlich ihre Eltern? Was verbirgt sich hinter den allmächtigen Geheimbünden: "Drachen" und "Schlangen"? Alles mündet in die zentrale Frage: Kann Jeannette den Untergang der Welt, so wie wir sie kennen, noch verhindern?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum14. Jan. 2017
ISBN9783741883613
Eine tödliche Familie: Die Welt Verschwörung
Autor

Horst Neisser

Dr. Horst Neißer ist Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Sachbüchern, Arbeiten für Zeitungen, Fachzeitschriften und Rundfunk, langjähriges Mitglied in prominenten Literatur-Jurys, Vorträge, Lesungen in mehr als 20 Ländern, Psychotherapeutische Praxis, lebt in Deutschland und in der Slowakei.

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    Buchvorschau

    Eine tödliche Familie - Horst Neisser

    Horst Henrik Neisser

    Eine tödliche Familie

    Wer regiert die Welt?

    Imprint

    Horst Henrik Neisser

    Die Weltverschwörung Bd 1

    Eine tödliche Familie

    Copyright 2015© Horst Henrik Neisser

    Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    4. überarbeitete Auflage Circel 2017

    www.circel.de

    Alle Rechte der Vervielfältigung und Verbreitung (auch elektronisch) vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise – nur mit Genehmigung des Autors wiedergegeben werden.

    Dieses Buch ist reine Fiktion, obgleich reale Ortsnamen benutzt, sowie existierende Familien und Unternehmen erwähnt und realistische Geschehnisse thematisiert werden.

    Teil I

    Mittelmeer, 65 Seemeilen südwestlich von Nizza, Juni – Jeannette Grashuber

    1

    Der Hubschrauber umkreiste das Schiff in großem Abstand. Ebenso die vier bewaffneten Schnellboote. Die Menschen auf der großen, weißen Jacht durften nicht gestört werden. Außer Sichtweite wachte ein zweites, ein bewaffnetes Schiff.

    Die Sonne spiegelte sich im blauen Wasser. Ein leichter Wind strich über das Deck. Die Jacht war über sechzig Meter lang und schaukelte leicht auf den Wellen.

    „Es ist beinahe ein wenig zu schön hier. Es überschreitet schon die Grenze zum Kitsch", dachte Jeannette.

    Sie lag auf dem dicken Polster einer breiten Liege, halb im Schatten eines Sonnenschirms, der von einem eifrigen Bediensteten immer wieder nach dem Stand der Sonne neu ausgerichtet wurde. Im Hintergrund warteten zwei Diener, um auch wirklich jeden Wunsch umgehend zu erfüllen. Trotz der Hitze trugen sie schwarze Hosen und weißes Jackett. Alles kam Jeannette unwirklich vor, so als träumte sie und würde jeden Moment erwachen. Sollte es wahr sein, dass sie vorgestern noch in Cambridge im College über ihren Büchern gesessen war?

    Bernard kraulte mit langen Zügen zum Beckenrand und stieg dann aus dem Swimmingpool. Wassertropfen perlten von seinem muskulösen, gebräunten Körper. Das lange schwarze Haar war zu einem Zopf gebunden, so konnte man sehen, dass nur eines der beiden Ohrläppchen angewachsen war. Sie fragte sich, ob er das Haar wohl färben ließ. Dieses tiefe Schwarz konnte nicht natürlich sein. Aber was machte das schon aus? Natur oder die Kunst des Friseurs: Er sah gut aus, verdammt gut, und er wusste es.

    Sogleich eilte einer der Diener herbei und rieb ihn mit einem großen, weißen Badetuch trocken.

    Jeannette taxierte ihn noch immer. Mindestens einen Meter neunzig, dachte sie. Damit war er größer als sie. Bei ihren Freundschaften war ihre Körpergröße bisher meist ein Problem gewesen, sie war einfach zu groß für die meisten Männer. Dabei sah sie gut aus mit ihren langen Beinen, der durchtrainierten Figur und den brünetten Haaren.

    „Sag mal, meinte sie schnippisch, als er wieder auf der Liege neben ihr lag, „übertreibst du es mit dem Service nicht ein wenig?

    Er lachte schallend und fragte: „Du glaubst, ich habe das Ganze hier inszeniert, um dir zu imponieren? Nein, wirklich nicht! An diesen Service bin ich von Kindheit an gewöhnt. Ich nehme ihn gar nicht mehr wahr."

    Dass er vor ihr angeben wollte, hatte sie in der Tat gedacht. Überhaupt wusste sie, seit sie Bernard getroffen hatte, nicht mehr was Inszenierung und was Realität war. Sie erlebte eine Welt, die sie nicht einmal aus dem Kino kannte und bislang für die Hirngespinste eines schlechten Schriftstellers gehalten hätte.

    2

    Angefangen hatte es auf dem Mai-Ball des Clare College in Cambridge. Dieser Ball, der entgegen seinem Namen im Juni stattfand, war ein großes Ereignis und die Karten schon lange im Voraus ausverkauft. Nicht einmal prominente Alumni durfte teilnehmen, wenn sie nicht rechtzeitig gebucht hatten. Es sollte diesmal eine Zeitreise ins achtzehnte Jahrhundert werden. Man war angehalten, sich zu verkleiden. Aber für die richtige Stimmung sorgte in erster Linie die Umgebung: der alte Hof des Colleges aus dem siebzehnten Jahrhundert und die gepflegten Gärten.

    Jeannette Grashuber hatte ein Stipendium und war Gaststudentin in Cambridge. Sie kam aus Deutschland und machte mit Fleiß und Eifer ihre fehlenden Finanzmittel wett. Der Vater war Fernfahrer gewesen. Aber die Mutter hätte gern studiert, doch es war anders gekommen. Deshalb sollte ihre Tochter, wie es in solchen Geschichten so oft der Fall ist, all das nachholen, was sie versäumt hatte. Die Tochter wurde deshalb nicht Lena oder gar Vanessa genannte, sondern Jeannette. Der Name hatte in den Ohren der Eltern einen weltoffenen, einen intellektuellen Klang. Das Mädchen litt zeit seines Lebens unter dem Erwartungsdruck der Eltern. Doch bemühte es sich nach Kräften, ihn auch zu erfüllen. Sie war stets eine gute Schülerin und schrieb sich nach dem Abitur für Biologie und Physik an der Universität in Frankfurt ein. Leider erlebten die Eltern ihren Erfolg nicht mehr. Sie waren kurz zuvor bei einem Autounfall gestorben. Der Vater war um fünf Uhr morgens von einer langen Fahrt aus Griechenland zurückgekommen, und die Mutter hatte ihn vom Fuhrpark abgeholt. Wahrscheinlich war sie noch nicht ganz wach gewesen. Obgleich sie eine vorsichtige, ja ängstliche Fahrerin gewesen war, musste sie eine Kurve zu schnell genommen haben. Sie schleuderte auf die Gegenfahrbahn. Dort stieß sie mit einem entgegenkommenden Auto zusammen. Beide Eltern starben noch an der Unfallstelle.

    Jeannette brauchte Wochen, bis sie mit ihrer Trauerarbeit so weit war, dass sie das Studium beginnen konnte. Doch dann siegte ihr Ehrgeiz. Sie stürzte sich in die Arbeit, und je mehr sie sich ihren Studien widmete, desto geringer wurde der Schmerz über den Verlust. Sie lud dann eine Austauschstudentin aus England ein, die bei ihr zwei Semester lang wohnte. Schließlich ermutigte sie einer ihrer Professoren, sich um das Gates-Stipendium zu bewerben - und sie gewann. Nun studierte sie in England und noch dazu am Clare College, das als das fortschrittlichste und liberalste in ganz Cambridge bekannte war. Sie konnte dort sogar ihrem Hobby, dem Cellospielen frönen. Kurz, die Studentin verlebte die glücklichste Zeit ihres Lebens.

    Auf den Mai-Ball ihres Colleges hatte sie sich besonders gefreut und schon Monate zuvor das Kostüm, ein langes figurbetontes Kleid mit vielen Rüschen, ausgesucht und sich beim Kostümverleih zurücklegen lassen. Dann war es endlich so weit. Park und Hof waren mit Fackeln beleuchtet, Musik spielte, man traf sich, parlierte, betrachtete die Spektakel und flirtete. Doch leider nahm das Fest, zumindest was die Studenten betraf, den gewohnten englischen Gang: Sie ließen sich irgendwann hemmungslos mit den unterschiedlichsten Alkoholsorten volllaufen.

    Jeannette beteiligte sich an dem Besäufnis schon deshalb nicht, weil sie sich die Preise für die Getränke nicht leisten konnte. Außerdem machte sie sich nicht viel aus Alkohol. So saß sie ein wenig ratlos auf der steinernen Brüstung der Clare Bridge.

    Ihr war klargeworden, dass sie nicht zu dieser Gesellschaft gehörte und nie gehören würde. Dabei spielte ihre Nationalität keine Rolle. Aber hier trafen sich Familien, für die Geld etwas war, das man ganz einfach hatte. Für den Champagner, den ein einzelner Student in kurzer Zeit versoff, hätte ihr Vater eine Woche lang arbeiten müssen.

    Jeannette dachte an ihren amerikanischen Freund, der sich gerade auf einer Exkursion in Grönland befand. Sie vermisste ihn.

    Sie war so in ihre Gedanken versunken gewesen, dass sie den Typ in dem Barockkostüm gar nicht bemerkte. Erst als er ihr ein Glas Champagner in die Hand drückte, hatte sie aufgesehen.

    „Cheers, schöne Unbekannte!"

    Er lächelte so herzlich, dass Jeannette hell auflachte und mit ihm anstieß. Sie tauschten ihre Vornamen aus und gingen dann durch den Park spaziert. Bald hatten sie das Licht der Fackeln hinter sich gelassen. Das Mädchen wartete darauf, dass der Fremde nun seinen Arm um sie legen und sie küssen würde. Es wäre ihr nicht unangenehm gewesen, und sie hätte sich auch nicht gesträubt. Sie war über diese unverhoffte Gesellschaft froh, und er war ja auch wirklich nett. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen berichtete Bernard, dass er zwar als Student in Cambridge eingeschrieben sei und auch einen Platz am King‘s College habe, aber die Universität nur sporadisch besuche. Er habe einfach zu wenig Zeit. Doch das Diplom werde er auf jeden Fall bekommen. Anfangs habe er zwischen Cambridge und Harvard als Studienorte geschwankt, sich dann aber für Cambridge entschieden, weil sein Vater einst dort studiert hatte.

    Eliteuniversitäten könne man sich doch nicht so einfach aussuchen und nach Belieben am Unterricht teilnehmen, hatte sie gerufen.

    Doch Bernard hatte eine abfällige Handbewegung gemacht und sein gewinnendes Lächeln aufgesetzt.

    Trotz des lauen Sommerabends, der romantischen Stimmung und dem Champagner ging der neue Bekannte mit seinen Angebereien Jeannette bald auf die Nerven. Aber sie zeigte es ihm nicht und ließ sich von ihm sogar zu einem gemeinsamen Essen am nächsten Tag überreden. Er sollte sie gegen acht Uhr am Abend abholen.

    Der nächste Tag hatte ganz normal begonnen. Schon beim Frühstück hatte sie ihrer Freundin Lena alles von dem charmanten Fremden erzählt. Die war besonders neugierig, wenn es um Männer ging. Die Wohnung in der Barnabas Road, ganz in der Nähe der Bibliothek, war wegen der teuren Mieten in Cambridge klein. Die beiden Frauen schliefen zusammen in einem Zimmer. Wenn eine von ihnen Besuch mitbrachte, musste die andere die Wohnung verlassen. Daran hatten sie sich schon in Deutschland gewöhnt, als Lena Gast bei Jeannette gewesen war. Jeannette war damals und auch jetzt erheblich häufiger als Lena in einem Café gesessen und hatte gewartete.

    Am späten Nachmittag hatten sie sich wieder getroffen und natürlich noch einmal Jeannettes neue Bekanntschaft besprochen. Irgendwann hatte Lena bitter gesagt: „Lass dich von dem Typ nicht gleich querlegen. Er scheint ja mit seiner Masche bisher stets Erfolg gehabt zu haben. Gerade die Typen mit Geld glauben, dass ein Abendessen, das sie bezahlen, im Bett enden muss. Auf diese Weise kommt sie der Sex billiger, als bei einer Professionellen."

    „Mach dir keine Sorgen! Aus der Verabredung wird nichts. Ich habe, vergessen Bernard unsere Adresse zu geben."

    Lena hatte die Angewohnheit, Tasse und Untertasse mit sich herumzuschleppen und beim Gespräch im Zimmer auf und ab zu gehen. Plötzlich war sie am Fenster stehen geblieben und hatte heiter gesagt: „Da unten steht eine dunkle Limousine mit Männern. Werden wir etwa überwacht?"

    „So weit kommt es noch", Jeannette hatte lachen müssen und sich verschluckte beim Trinken verschluckt.

    Punkt acht Uhr hatte es an der Tür geklingelt. Die beiden Frauen hatten es sich bequem gemacht und keinen Besuch mehr erwartet. Draußen war Bernard gestanden.

    „Sind wir nicht verabredet?" hatte er verschmitzt gefragt.

    „Aber ..., Jeannette war völlig verwirrt gewesen, „wie hast du mich gefunden?

    „Das war eine leichte Übung. Wollen wir gehen?"

    „Gleich, ich muss mich nur noch umziehen."

    „Das ist nicht nötig. Es ist alles vorhanden, was du brauchst."

    Jeannette war so aus der Fassung gewesen, dass sie sich ohne weitere Widerrede zum sofortigen Aufbruch hatte nötigen lassen und sich nur noch flüchtig von Lena verabschiedete.

    Unten hatte eine Stretchlimousine gewartet, ein großer Lincoln mit Chauffeur. Bernhard hatte sie auf die hinteren Polster geschoben, und ein kleiner Konvoi hatte sich in Bewegung gesetzt. Voraus waren zwei schwere Wagen voll besetzt mit Männern in dunklen Anzügen gefahren, und das Auto, das vor ihrem Haus gewartet hatte, war ihnen gefolgt. Jeannette war sprachlos gewesen. Noch verwirrter war sie geworden, als die Kolonne schließlich auf dem Flughafen von Cambridge haltgemacht hatte. Sie waren dort in einen Privatjet eingestiegen.

    Die Turbinen hatten gleichmäßig gesurrt, eine Stewardess Getränke servierte, die Bodyguards hatten sich auf die hinteren Sitze verdrückt. Bernard und Jeannette waren nebeneinander auf bequemen Sesseln gesessen.

    „Ich habe dir doch ein Essen versprochen, wie du es noch nie erlebt hast", hatte der Mann gesagt.

    „Und die Bodyguards?"

    „Die sind Routine. Sie gehören einfach zu meinem Leben und auch zu dem Leben der Menschen, die ich neu kennenlerne."

    „Dann hast du mich also den ganzen Tag überwachen lassen?"

    „Natürlich."

    „Und warum habt ihr keine Leibesvisitation bei mir vorgenommen? Ich könnte doch Waffen bei mir tragen."

    „Nein, du bist sauber. Wir haben alles überprüft. Seit dem ersten Wort, das wir gewechselt haben, wirst du kontrolliert. Wo hättest du in der Zwischenzeit eine Waffe auftreiben sollen? Wir wissen alles von dir. Mit wem du zur Schule gegangen bist, mit wem du geschlafen hast. Kompliment, du bist relativ keusch gewesen. Das gefällt mir an dir. Ich könnte dir sogar die Farbe deines Höschens sagen."

    Beleidigt hatte sich Jeannette erhoben und sich auf einem der hinteren Sitze zum Schlafen niedergelegte. Bernard hatte sie gewähren lassen und war ihr nicht gefolgt.

    Sie waren mitten in der Nacht auf einem Flughafen gelandet, den Jeannette nicht kannte. Der Jet war zu einem Platz weit ab vom Fluggebäude gerollt. Dort hatte bereits ein Hubschrauber gewartet. Schließlich war die Reise auf dieser Jacht geendet.

    In ihrem Zimmer hatte Jeannette tatsächlich einen gefüllten Kleiderschrank vorgefunden. Kleider und Wäsche waren neu und teuer und genau in ihrer Größe.

    „Ich habe dir doch gesagt, dass alles vorhanden ist", hatte Bernhard gesagt, der sie zusammen mit einem Diener zu ihrer Kabine begleitet hatte.

    3

    Am nächsten Morgen war Jeannette schon früh auf den Beinen gewesen. Zuerst hatte sie ihre Unterkunft erkundet. Eine geräumige Kabine. Bett, Schreibtisch, eingebauter Schrank, Sitzecke mit bequemen Ledersesseln. Aus dem großen Kleiderangebot hatte sie eine kurze, weiße Hose und eine helle Bluse gewählt. Dann war sie hinaus auf den Gang getreten und von da ans Deck. Die Sonne war noch tief gestanden, und ein Geruch in der Luft gelegen, wie man ihn nur auf dem Meer am frühen Morgen atmen kann.

    Übermütig war sie zur Reling gelaufen und hatte auf das blaue Wasser geschaut. Das Schiff hatte leichte Fahrt gemacht und war langsam durch die sich kräuselnden Wellen gezogen. Sie war in den ungewohnten Anblick vertieft gewesen und erst aus ihrer Versunkenheit geschreckt, als sie jemand leicht an der Schulter berührte.

    Ein Diener im weißen Jackett hatte gefragt, ob sie Kaffee wünsche. Im Frühstückssalon sei bereits alles gerichtet.

    „Oh, ich warte auf Bernard."

    „Der junge Herr pflegt aber lange zu schlafen."

    ‚Redet der geschwollen’, hatte Jeannette gedacht und sagte laut: „Dann frühstücke ich eben allein."

    Sie hatte einen Bärenhunger gehabt.

    4

    Und nun lag sie neben ihrem geheimnisvollen Freund auf einer weichen Liege und wusste noch immer nicht, was sie von alledem halten sollte.

    Um ein Gespräch zu beginnen, fragte sie: „Wer bist du nun wirklich?"

    „Ein netter junger Mann, der dich auch nett findet", feixte er.

    „Du sollst dich nicht über mich lustig machen!"

    „Gut, ich werde dich ein wenig einweihen. Beginnen wir mit dem Wesentlichen. Du darfst nicht fragen, wer bist du, sondern‚ wer seid ihr? Wir sind eine der Familien, die die Geschicke der Welt bestimmen."

    „Und wie heißt ihr?"

    „Wir sind die Barone de Lapisvent. Unser Name leitet sich aus dem Lateinischen ab von lapis, der Stein, und venetus, blau. Das Symbol unserer Familie ist der Saphir, den du in unserem Wappen und auch sonst überall bei uns findest. Wenn irgendwo einen Saphir angebracht ist, so ist in der Regel unsere Familie mit im Spiel."

    „An Geld scheint es euch nicht zu mangeln. Wie kommt es, dass ich euch noch nie auf der Forbesliste der reichsten Leute gesehen habe?"

    „Da sind doch nur Emporkömmlinge gelistet. Bill Gates oder die russischen Milliardäre sind aber nicht wirklich reich. Auch der Reichtum der Queen ist lächerlich. Über die Buffetts, die Abramovitchs oder Waltons kann ich nur schmunzeln. Du glaubst doch nicht, dass sich die echten Reichen in ihre Karten und auf ihre Konten sehen lassen, um dann in läppischen Listen aufzutauchen. Hast du jemals von dem unermesslichen Reichtum der Rothschilds etwas gelesen? Nur bei den großen und alten Bankiersfamilien kannst du tatsächlich von Reichtum sprechen. Dagegen sind Bill Gates oder der Maharadscha von Dingsbums Bettler. Unsere Familien besitzen mehr Geld als die USA oder Russland zusammen. Wir finanzieren nämlich diese Staaten. Erinnerst du dich noch an die Thurn und Taxis? Die haben auch ganze Königreiche finanziert und deren Politik bestimmt.

    Zu unserem Glück gehört die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht uns, sondern den Fürsten- und Königshäusern, den Medienstars und den Pseudoreichen. Von den wirklich Mächtigen und Reichen erfährt niemand etwas. Hin und wieder taucht zwar ihr Name in der Presse auf, und es gibt ein paar Gerüchte. Sonst erfährt die Öffentlichkeit aber nichts."

    „Gehört ihr zum Hochadel?"

    Bernhard wälzte sich auf den Bauch und gab dem Bedienten einen Wink, er wolle ein wenig Sonne tanken – also keinen Schirm.

    „Im Lauf der Geschichte ging es mit uns zwar auf und ab. Aber seit dem neunzehnten Jahrhundert gehören wir wieder dazu."

    „Und du behauptest, ihr regiert die Welt?"

    „Na ja, wir ziehen die Fäden im Hintergrund und sagen den Regierungen, was sie zu tun und zu lassen haben. Wir bestimmen, wann und wo Kriege geführt und wofür Steuergelder ausgegeben werden."

    ‚Wieder dieser unsinnige Größenwahn’, dachte Jeannette. ‚Er kann es einfach nicht lassen.’ - „Und weshalb sollten demokratisch gewählte Regierungen auf euch hören?" fragte sie laut.

    „Ganz einfach, weil wir sie finanzieren. Und, er senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern, „weil heute niemand in eine führende politische Position kommt, der nicht erpressbar ist. Deshalb müssen alle nach unserer Pfeife tanzen.

    Darauf wusste Jeanette nichts zu antworten. Diese Eröffnung musste sie erst einmal verdauen. So schwieg sie, und auch Bernard schien nur noch die Sonne zu genießen. Doch nach kurzer Zeit begann er wieder: „Zwar werden jeden Tag die Zeitungen vollgeschrieben mit Artikeln zum Thema ‚Staatsverschuldung‘. Da heißt es, ‚die Staatsverschuldung wächst’ oder ‚der Schuldendienst ist unerträglich hoch’. Aber niemand fragt, woher denn das Geld kommt, das die Staaten schulden, und an wen sie die Zinsen zahlen. Wer sind die Gläubiger der vielen Länder? Für wen arbeiten die Ratingagenturen? Wer bestimmt die Höhe der Zinsen, die verschuldete Länder zahlen müssen? Kurz, wer glaubst du, sind die immer wieder zitierten internationalen Finanzmärkte?"

    „Aber das Geld der Staatsverschuldung bringen doch die Bürger auf, indem sie Staatsanleihen oder Kommunalobligationen kaufen. Auch Lebensversicherungen, so habe ich gelesen, legen dort die Prämien ihrer Kunden konjunktursicher an. Und dann gibt es natürlich noch die Spekulanten, die Heuschrecken."

    Bernard stöhnte über so viel Naivität. „Dabei geht es doch nur um Peanuts. Kennst du überhaupt die Größenordnungen, über die wir reden? Dein Land war 2014 mit 3.600 Milliarden Dollar verschuldet oder die USA standen mit weit mehr als 19.000 Milliarden Dollar in der Kreide. Schau dir einfach mal die Tabelle mit den Schulden aller Länder im Internet an, dann gehen dir die Augen über. In Großbritannien und auch in den USA ist die Staatsverschuldung inzwischen auf mehr als 100 Prozent aller Einkünfte eines Jahres angestiegen. Von den EU-Pleiteländern ganz zu schweigen.

    Diese enormen Summen überschreiten das Vorstellungsvermögen. Wer, glaubst du, hat so viel Geld, dass er derartige Unsummen den Staaten auf immer und ewig leihen kann? Denn Staatsschulden werden ja nicht zurückgezahlt. Da sind die Regierungen froh, wenn sie überhaupt die Zinsen aufbringen. Keine Lebensversicherungs-Gesellschaft oder gar Kleinanleger könnten auf derartige Beträge für immer verzichten! Weißt du eigentlich, dass alle Lebensversicherungen deines Landes zusammen insgesamt nicht mehr 700 Milliarden Euro angelegt haben. Sicher gibt es eine Menge Einrichtungen, die von der Verschuldung der Staaten profitieren, aber die wirklich großen Beträge kommen von uns! Wir und ein paar andere Familien sind diese ominösen ‚Internationalen Finanzmärkte‘, von denen die Medien und die Finanzfachleute raunen. Wir legen fest, wie viel Zinsen jedes Land zahlen muss und wie kreditwürdig es ist."

    „Und wo habt ihr die gigantischen Tresore, in denen eure Billionen und Fantasillionen lagern?" fragte Jeannette spöttisch.

    Doch der Mann blieb ganz ruhig: „Die gibt es natürlich nicht. Wir horten nicht irgendwo eine Menge Geldscheine wie Dagobert Duck. Im Grunde verleihen wir Geld, das wir selbst geschöpft haben, Zahlen in einem Computer. Wir wollen es auch gar nicht zurückgezahlt bekommen. Es genügt, wenn man uns auf ewig die Zinsen dafür zahlt."

    „Ihr druckt also euer Geld selbst?" Jeannette Stimme wurde immer spöttischer.

    „So könnte man sagen, Bernard blieb völlig ernst. „Um das zu erklären, muss ich ein wenig ausholen. Die meisten Menschen glauben, dass alle Zentralbanken in der Hand des Staates wären. Dem ist aber nicht so. Viele, so die amerikanische Federal Reserve, die berühmte FED, sind keine Institutionen des Bundes, sondern gehört einer Gruppe von Großbanken, sind also privat. Diese Banken erzeugen das Geld, geben es den Staaten und erhalten dafür aus Steuermitteln Zinsen. Voilà, und über diesen Weg schöpfen wir Geld aus dem Nichts, für das wir dann das große Geld einstreichen.

    Jeannette schüttelte ungläubig und verwirrt den Kopf. „Warum willst du mich für dumm verkaufen?"

    „Das tue ich doch gar nicht. Das ist nun einmal die Realität. Die amerikanische Regierung druckt die Geldscheine, wir zahlen die Druckkosten und der US Staat zahlt uns für dieses so geschaffene Geld Zinsen. Deshalb animieren wir, so gut wir können, die Staaten zum Geldausgeben. Aber tröste dich, nur ein geringer Teil des Geldes kommt auf diese Weise in den Umlauf. Wie ich schon gesagt habe, ist heutzutage das meiste Geld nur eine Ziffer auf Computerbildschirmen. Was glaubst du geschieht, wenn du zu einer Bank gehst und dir Geld für den Kauf eines Hauses leihen willst? Da geht niemand zu dem Tresor im Keller und holt von den dort gestapelten Geldscheinen die nötige Summe. Die Bank erzeugt das Geld vielmehr ganz einfach im Computer. Da sie aber von dir für dieses Geld eine wertbeständige Sicherheit hat, nämlich dein neues Haus, erhöht sich im gleichen Moment ihrer Mindestreserve. Deshalb kann sie an einen anderen Kunden das gleiche Geld noch einmal ausleihen und so weiter und so fort."

    Jeannette verstand nicht, wovon er sprach und begann sich zu langweilen. Das Ganze war völlig absurd, und sie schätzte ihren Gegenüber mehr und mehr als überdrehten Sonderling ein. Sie wollte das Thema wechseln.

    Aber Bernard war von seiner eigenen Rede so fasziniert, dass er fortfuhr: „Wenn du dir die ungeheuren Staatsschulden weltweit vorstellst, dann kannst du vielleicht ermessen, welche hohen Zinsen wir und die anderen großen Bankerfamilien daraus beziehen. Diese Zinsen aber sind real. Dahinter stecken die Steuern eines ganzen Volkes. Und natürlich investieren wir unser Geld auch in die Wirtschaft oder spekulieren auf Aktienmärkten und auf dem Immobiliensektor. Öl und andere Energiereserven sind ebenso in unseren Händen wie Waffenschmieden und Forschungslabors. Verstehst du nun, weshalb ich über einen Reichtum von acht oder zehn Milliarden nur müde lächele, wenn wir doch tausende Milliarden einfach so verleihen können?"

    Noch immer gelangweilt und des Themas überdrüssig fragte Jeannette: „Und warum weiß man in der Öffentlichkeit nichts davon? Sind denn alle Politiker, alle Journalisten, all die Wirtschaftswissenschaftler blöd?"

    „Natürlich wissen einige Leute über die tatsächlichen Verhältnisse Bescheid. Aber die reden nicht darüber. Die meisten Menschen werden mit vordergründigen Erklärungen abgespeist. Und wenn du mich fragst, so sind sie damit zufrieden. Niemand will wirklich wissen, woher das Geld kommt, das die Staaten ausgeben. Zwar möchte jeder möglichst viel Geld haben, aber die meisten Menschen betrachten es als unheimlich langweilig, sich mit dem Thema Geld näher zu beschäftigen. Sei ehrlich, du langweilst dich inzwischen doch auch und möchtest, dass ich das Thema wechsele."

    Jeannette fühlte sich ertappt und sagte ein wenig zu engagiert: „Nein, nein, das ist sehr interessant, was du da erzählt."

    „Gut, dann bist du eben eine Ausnahme. Aber in der Regel interessieren sich die Menschen nur dafür, dass Geld ganz einfach da ist. Es ist ihnen gleichgültig, wie teuer dafür bezahlt werden muss. Was glaubst du, wie nieder die Steuern wären, wenn die Staaten bei uns keine Schulden hätten! Wenn jedes Land das Geld nicht bei uns leihen, sondern einfach selbst schöpfen würde? Kennedy hatte dies damals vor. Er wollte die Dollars der FED, also der privaten Zentralbank durch Dollars des Staates ersetzen. Ein paar Scheine waren sogar schon gedruckt worden. Es kursiert die Theorie, dass man ihn nicht zuletzt deswegen umgebracht hat. Sein Nachfolger hat übrigens nur wenige Stunden nach Kennedys Tod dieses Vorhaben rückgängig gemacht."

    Jeannette war aufgestanden und unruhig hin und her gelaufen. Gedankenverloren nahm sie ein eisgekühltes Glas von einem Tablett, das ihr ein Diener hinhielt. Abrupt drehte sie sich um und starrte böse auf Bernard, der die Hände hinter dem Kopf verschränkt hatte und mit geschlossenen Augen vor sich hinredete.

    „Dann seid ihr also eine Mafia? So etwas wie eine Camorra der Banken? Ihre Stimme war sarkastisch. Sie wollten diesen Angeber beleidigen. „Und wer ist euer Pate?

    „Unsinn, antwortete er ganz ernst. „Wir begehen keine Verbrechen. Unsere Instrumente sind Geld und politischer Einfluss.

    „Und du bist der Pate und machst all die Pläne?"

    „Unsinn! Ich bin nur ein Mitglied einer Bankerfamilie. Ich weiß im Grunde recht wenig. Meine Brüder und ihre Berater bestimmen die Geschicke. Ich werde erst eingeweiht, wenn alles schon gelaufen ist. Einzelheiten kenne ich nicht, nur die großen Zusammenhänge."

    Sein Eingeständnis beeindruckte Jeannette. Bisher hatte sie Bernard für einen Angeber gehalten, der sich ohne Maß und Ziel wichtigmachen wollte. Aber selbst wenn seine Story nur zu zehn Prozent stimmte, so wäre dies schon unglaublich.

    Doch die Sechzigmeter-Jacht, die Schnellboote, die Hubschrauber, sie alle sprachen eine deutliche Sprache und deuteten auf seine Glaubwürdigkeit hin. Es war wie in einem Film. Was würde als nächste Action kommen? Vielleicht würden sie nun von Piraten überfallen? Oder plötzlich Fallschirmspringer am Himmel auftauchen?

    ‚Du hast zu viel James Bond Filme gesehen’, zwang sie sich zur Ruhe.

    Doch die Sonne war warm, das Meer ruhig, der Pool sauber und der Caipirinha richtig gemixt. Der Mann auf der Liege neben ihr sah gut aus, war nett und intelligent. Es konnte ihr eigentlich nicht bessergehen. Was kümmerten sie diese Storys über Weltherrschaft und gigantischen Reichtum?

    Und dennoch war da tief in ihrem Innern ein Gefühl der Angst. Dieser Bernhard hatte sie in unglaubliche Geheimnisse eingeweiht. Sie wusste nun zu viel. Würde sie je wieder dieses Schiff verlassen dürfen, ihr normales Leben führen?

    Spontan fragte sie ihn, und er lachte: „Ich bin doch kein Mädchenmörder! Oder glaubst du, du bist die erste Freundin, die ich hierhergebracht habe? Keine hat den kleinen Ausflug auf mein Schiff bereut. Sicher, ich habe dir ein wenig von unserer Familie erzählt, damit du mich kennenlernst, aber doch alles wohl dosiert. Du kannst es gern weitererzählen. Es wird dir niemand glauben. Du würdest nicht einmal eine Zeile in der Klatschpresse füllen. Und wenn schon? Es hätte doch keine Wirkung. Die Wahrheit glaubt nämlich niemand! Nein, habe keine Angst! Wenn du willst, kannst du in dieser Sekunde in den Helikopter steigen und wirst zurückgebracht. Das würde ich zwar bedauern, aber nicht verhindern. Ich mag dich nämlich und habe dich sorgfältig ausgesucht."

    Jeannette hörte diese Worte mit Genugtuung, aber so richtig sicher fühlte sie sich nicht.

    5

    Das Mittagessen nahmen sie auf dem mit einem Sonnensegel überspannten Oberdeck ein. Zu ihrer Abkühlung waren in einiger Entfernung große Ventilatoren aufgestellt, die einen schwachen, aber angenehmen Wind erzeugten. Von oben wurde Wasser auf das Segeldach gesprüht, das sofort verdunstete, und dabei die Temperatur um einige Grad senkte. Die beiden Menschen, die dort aßen, sollten es so angenehm wie möglich haben und gleichzeitig den Blick auf das Meer genießen können.

    Jeannette und Bernhard hatten sich umgezogen. Er trug einen leichten weißen Anzug und sie ein dünnes blaues Kleid, das an den Rändern weiß abgesetzt war. Auch das Essen war leicht und wurde formvollendet serviert.

    Am späten Nachmittag, sie lagen wieder am Pool und unterhielten sich träge. Bernard hatte noch immer keinen Annäherungsversuch gemacht, und Jeannette wunderte sich. Warum hatte sie dieser Mann eigentlich auf das Schiff gebracht? Dabei wusste sie gar nicht, ob sie mit ihm wirklich schlafen wollte. Aber sie würde nach all dem Aufwand, den er getrieben hatte, wohl nicht ‚nein’ sagen können. Wie er wohl im Bett war? Zärtlich? Brutal? Versnobt?

    Neugierig war sie schon. Bisher hatte er ihr aber noch nicht einmal die Hand gegeben, sondern jede Berührung vermieden.

    Bevor sie über möglichen Sex weiter nachdenken konnte, erschien der Kapitän und versuchte durch dezentes Räuspern die Aufmerksamkeit des Schiffeigners zu erlangen. Träge wälzte sich Bernard herum und fragte: „Was gibt es?"

    Der Kapitän, korrekt in weißer Uniform, überreichte schweigend einen gefalteten Zettel. Als Bernhard ihn gelesen hatte, sprang er aufgeregt auf. Er rief noch: „Entschuldige bitte! Ich muss weg. Mache dir eine schöne Zeit. Sobald es geht, komme ich zurück."

    Eine viertel Stunde später hob der Hubschrauber vom Vorderdeck ab und verschwand im blauen Himmel.

    England, Cambridge, Juni  – Julian Strawman

    1

    Nach dreißig Stunden Reise war Julian hundemüde. Zuerst waren sie mit dem Bus quer durch Grönland gefahren, dann zwanzig Stunden vom Flughafen Kangerlussuaq nach Heathrow geflogen. Zwanzig Stunden in der Holzklasse. Ihr Mentor, Mister Benedikt, war der Meinung, es schicke sich nicht für Studenten, Business Class zu fliegen. Dabei hatten sie für den Flug mit der Skandinavien-Airline gerade mal achthundert Pfund gezahlt und in der Business Class wären es vielleicht zwölfhundert gewesen. Wegen der blödsinnigen Prinzipien eines alten Hochschullehrers war nun sein Rücken steif.

    Dieser Ausflug nach Grönland war ganz einfach Unsinn gewesen. Julian Strawman studierte vergleichende Sprachwissenschaft, und ihr Dozent wollte ihnen etwas ganz Außergewöhnliches vorführen, nämlich Kalaallisut, eine Eskimo-Sprache. Kalaallisut hatten sie dann ganze zwei Mal während der Reise gehört, und die grönländischen Inuit sahen sie meistens nur durch die Fenster des Busses. Sie wurden zwar von einem Vertreter der Universität von Grönland betreut, der Ilisimatusarfik in Nuuk, wo gerade Mal Hundertzwanzig Studenten studieren. Der studierte selbst noch und wollte ihnen so viel wie möglich von seinem Land zeigen, auf das er so stolz war. Aber weshalb sie sich für Eskimos interessieren wollten, das konnte er nicht begreifen.

    2

    Jetzt war Julian endlich wieder in Cambridge und freute sich auf seine deutsche Freundin. Noch bevor er sich schlafen legte, wollte er sie begrüßen. Er parkte den uralten Austin in der Barnabas Road. Oben in der Wohnung traf er dann eine aufgeregte Lena, die ihm erklärte, Jeannette sei seit gestern verschwunden.

    Nachdem sie Julian einen starken Kaffee gekocht hatte, erzählte sie ihm von dem geheimnisvollen Fremden, von dem sie nur den Vornamen, Bernard, wusste. Sie erzählte von der dunklen Limousine auf der Straße und dem Lincoln und den Bodyguards.

    Julian war verwirrt und beunruhigt. Als er dann die Toilette im Bad benutzte und die winzigen Überwachungskameras entdeckte, war es um seine Fassung gänzlich geschehen. Akribisch untersuchte er die gesamte Wohnung und kümmerte sich nicht um die hysterisch lachende und plappernde Lena. Gemeinsam fanden sie vier Kameras und acht Mikrofone. Als schließlich der Tisch voller elektronischer Geräte lag, entschied Julian, die Polizei zu holen. Lena aber war strikt dagegen. Mit der Polizei wollte sie nichts zu tun haben.

    „Was hast du gegen die Polizei? Ich habe bisher keine schlechten Erfahrungen mit ihr gemacht."

    Verlegen antwortete Lena: „Die haben mich mal mit Hasch erwischt, und seitdem stehe ich bei denen in den Akten."

    Doch Julian gab nicht nach. Aber es dauerte lange, bis endlich ein Streifenwagen vor dem Haus hielt. Dann erschienen zwei Uniformierte und hörten sich geduldig die Story von dem geheimnisvollen Fremden an. Als Julian geendet hatte, sagte der Sergeant: „Ich bin immer wieder erstaunt, was ihr Studenten euch einfallen lasst, um uns Polizisten auf den Arm zu nehmen."

    Geringschätzig wies er auf all die Elektronik auf dem Tisch: „Das ist doch alter Kram. Den würde heute niemand mehr benutzen. Wo habt ihr den aufgetrieben?"

    Als aber die beiden Studenten Stein und Bein schwuren, sie hätten die Abhöranlage eben erst entdeckt, wurden die Polizisten doch ein wenig nachdenklich. Schließlich erhob sich der Sergeant und ging hinunter zum Streifenwagen, um mit der Zentrale zu telefonieren. Heiter kam er zurück.

    „Ich habe euch grundlos verdächtigt, dass ihr uns einen Streich spielen wollt. Diese Wohnung wurde tatsächlich vor einiger Zeit überwacht. Damals wohnten hier Islamisten. Die führten nichts Gutes im Schild. Nach ihrer Verhaftung hat man vergessen, das elektronische Zeug wieder zu entfernen."

    Sie packten die ganze Elektronik in eine Plastiktüte vom Supermarkt und verabschiedeten sich. Zurück blieben zwei ratlose Menschen.

    Julian fragte verstört: „Glaubst du diese Geschichte?"

    „Ja, antwortete Lena. „Warum sollte ich wohl überwacht werden? Und was könnte das Ganze mit Jeannette und ihrem Verschwinden zu tun haben?

    „Ich weiß es nicht. Aber ich werde es herausfinden."

    Unvermittelt sagte Lena: „Ich bin sicher, sie sind geflogen."

    „Und wieso bist du dir so sicher?"

    „Nun ich denke mir das einfach. Es ist doch wahrscheinlich."

    Auf dem Weg zu seinem Austin dachte Julian über Lena nach. Spielte sie ein falsches Spiel? Es gab eigentlich keinen Grund für Misstrauen. Doch wie war die Überwachungsanlage in die Wohnung gekommen? Wirklich durch die Polizei? Vielleicht hatte Jeannette tatsächlich einen Mann gefunden, der ihr besser gefiel? Es passte aber nicht zu ihr, einen alten Freund sang- und klanglos zu verlassen. Nein, er wollte an ihr nicht zweifeln! Sie war in Gefahr, das spürte er tief in seinem Inneren. Trotz allem Misstrauen war es nun seine wichtigste Aufgabe Jeannette zu finden. Julian ahnte nicht, dass er es hier mit einer Macht zu tun hatte, mit der nicht zu spaßen war.

    3

    Julian bewohnte ein schickes Zweizimmerapartment. Als er dort endlich angelangt war, und seinen Koffer auf das Bett geworfen hatte, fuhr er den Computer hoch und rief seine Mailbox auf.

    Vor seiner Abreise hatte er bei Google Mail einen Account eingerichtet, über den er mit seiner Freundin Jeannette in Verbindung bleiben wollte. Google Mail hat ebenso wie Yahoo oder GMX den Vorteil, dass man zum Lesen und Schreiben der Mail kein eigenes Computerprogramm braucht. Ein Browser genügt, und den findet man schließlich auf der ganzen Welt in jedem Internetcafé.

    Jeannette hatte für den Account als Name Sonnenaufgang vorgeschlagen und war sehr stolz auf ihre originelle Idee gewesen.

    Nun loggte sich Julian ein und hoffte auf eine Nachricht seiner Freundin. Doch da waren nur alte Mails, die er bereits kannte und schon mehrmals gelesen hatte.

    4

    Cambridge Airport ist ein kleiner Regionalflughafen etwa zweieinhalb Kilometer von der Innenstadt von Cambridge entfernt. Er gehört einer privaten Gesellschaft und bietet keinen regulären Flugbetrieb. Vielmehr steht er Privatfliegern zur Verfügung und unterhält eine Flugschule. Schon allein seine Existenz ist ein Zeichen für die exklusive Gesellschaft, die sich in Cambridge angesiedelt hat.

    Obwohl Julian bereits drei Jahren in Cambridge studierte, hatte er den Flughafen bisher nur aus der Ferne gesehen. Wenn er verreiste, fuhr er mit dem Zug nach London und bestieg dort einen regulären Flieger. Nun stand er vor einem rostigen Zaun, einer weitläufigen, kurz geschnittenen Wiese und sah in deren Mitte eine Landebahn. Begrenzt wurde das Areal von ein paar Gebäuden, Hangars und dem Tower, vor dem er schließlich seinen Austin parkte. Es war kein Flugbetrieb. Totenstille! Nur der Wind pfiff über die weite Fläche.

    Nach einigem Suchen fand er eine junge Frau, die gerade aus der Mittagspause kam. Bei ihr erkundigte sich Julian nach den Flügen am Vorabend. Aber erst eine 50 Pfundnote verhalf ihm zu einem Zugang zum Flughafencomputer. Dort stellten er und die Frau fest, dass am Abend des 19. Juni lediglich eine Falcon 900 in Richtung Nizza gestartet war.

    Julians nächster Weg führte zur Verwaltung der Universität. Dort suchte er in der Liste der eingeschriebenen Studenten nach einem Kommilitonen mit dem Vornamen Bernard. Er erhielt zweiundsechzig Treffer, die er sich ausdrucken ließ. Im Zug nach London studierte er dann die Liste. Er saß dabei in einem Abteil der Ersten Klasse.

    Stunden später rief er vom Flughafen Heathrow aus Lena an und teilte ihr mit, die Spur führe nach Nizza. 

    5

    Der Flughafen von Nizza ist eine beeindruckende Konstruktion. Eine lichte und freundliche Halle wird von einem weiten Glasdach überspannt. In zwei Terminals herrscht reger Flugbetrieb. Schließlich kann man vom Aéroport Nice Côte d'Azur das ganze nordwestliche Mittelmeer erreichen. Da gibt es Hubschrauberflüge nach Cannes, St. Tropez oder Monaco. Autofähren fahren zu Städten auf Korsika. Vom Bahnhof Nice St. Augustin, der nur 500 Meter vom Terminal des Flughafens entfernt liegt, fahren Regionalzüge über Cannes nach Vintimille. SNCF-Züge verkehren im 30-Minuten-Takt zwischen Les Arcs-Drag, St. Raphael und von Marseille nach Ventimiglia. Busse fahren zu allen größeren Städten an der Riviera und in Südostfrankreich, darunter Nizza, Monaco, Cannes, Toulon, Aix-en-Provence, Fréjus, Marseille und Avignon.

    Es war viel Betrieb, als Julian ankam. Leuten mit Koffern schoben sich an ihm vorbei. Kinder schrien und hilflos englisch stammelnde Reisende suchten nach einer Auskunft. Er stand inmitten des Getümmels und fragte sich, was er hier suchte. Welche der Weiterreisemöglichkeiten, die er in einem Prospekt gelesen hatte, sollte er nutzen? Er stellte sich am Auskunftsschalter an und fragte die Frau hinter dem Tresen. Doch die sah ihn an, als ob er nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. Wenn sie ihm helfen sollte, so müsse er zumindest ein Reiseziel angeben.

    Langsam wurde Julian klar, dass dieser Flug nach Nizza eine blödsinnige Idee gewesen war. Wen sollte er hier fragen, ob gestern Abend eine Falcon 900 aus Cambridge angekommen war und wohin die Passagiere weitergereist seien? Er würde wohl unverrichteter Dinge zurückfliegen müssen. 

    Die Türen zum Vorplatz standen offen und gedankenverloren verließ Julian die große Abflughalle. Während er noch unentschlossen den abfahrenden Taxis nachsah, traten zwei Männer auf ihn zu. Sie trugen schwarze Anzüge und helle Krawatten. Wortlos nahmen sie ihn in ihre Mitte und schoben ihn mit sanfter Gewalt vor sich her. Julian war so überrascht, dass er nicht protestierte. Ein großer, schwerer Wagen fuhr vor, und bevor sich der Student versah, saß er auf dem Rücksitz eingeklemmt zwischen den Typen.

    Der Flughafen lag hinter ihnen, als einer der Männer endlich sagte: „Bevor du noch weiter herumschnüffelst, frage lieber uns. Von uns bekommst du alle nötigen Auskünfte."

    „Ich suche meine Freundin Jeannette. Mit euch habe ich nichts zu schaffen. Lasst mich in Frieden!"

    „Du bist ein wirklich kluger Junge", war die Antwort.

    Und der zweite Mann bekräftigte: „Ist er nicht ein kluger Junge!"

    Der erste fuhr fort: „Der kluge Junge hat es sogar bis nach Nizza geschafft."

    Und der zweite bekräftigte wieder: „Er ist ein kluger Junge! Er hat es bis Nizza geschafft!"

    Der Fahrer des Wagens wandte sich um und meinte: „Deine Freundin ist in guten Händen. Es geht ihr blendend. Sie will nichts mehr von dir wissen. Du bist deshalb hier überflüssig und nur lästig."

    „Was wisst ihr von Jeannette?" Julian war überrascht und erschreckt.

    „Ihr geht es gut, und du bist abserviert. Sie ist jetzt mit jemandem zusammen, dem du nicht das Wasser reichen kannst."

    Julian wunderte sich über sich selbst. Er blieb ganz ruhig und hatte keine Angst. Noch hatten ihm diese Männer nichts getan, aber sie waren gefährlich. An ihrer Sprache erkannte er in ihnen Landsleute aus den Südstaaten der USA.

    Der Fahrer schien sich in Nizza auszukennen, denn er schlängelte sich routiniert durch den Verkehr. Die Fahrt endete schließlich in einem Parkhaus in der Rue Massenet. Von dort liefen sie zum Strand, der durch die Promenade des Anglais von der Innenstadt abgetrennt ist. Keiner der Männer sprach bis dahin ein weiteres Wort. Auch Julian schwieg und harrte der Dinge, die da noch kommen sollten.

    Als das Meer endlich sichtbar wurde, blieb der Fahrer, der augenscheinlich auch der Anführer war, stehen: „Du willst wissen, wo deine Freundin ist? Ich habe dir versprochen, dass ich dir die Wahrheit sage. Sie ist da!"

    Bei diesen Worten deutete er mit seinem Arm hinaus auf das Mittelmeer und grinste über seinen gelungenen Witz. Seine beiden Begleiter packen Julian am Oberarm und führten ihn zurück in die Rue Massenet. Dort betraten sie in kleines Lokal. Der Kellner erwartete sie schon und führte sie zu einem Tisch in der Nähe des Fensters. Die Männer hatten zur Überraschung von Julian einen Tisch vorbestellt. Sie hatten ihn erwartet und eine Inszenierung vorbereitet. Woher wussten sie von ihm, wann er ankommen würde, was er wollte? Lena schoss ihm durch den Kopf, aber er schob den Gedanken sogleich wieder als unsinnig beiseite. Aber dennoch blieb die Frage: Wer kontrollierte ihn und warum?

    Die Männer hatten ihn bisher in Ruhe nachdenken lassen und sich inzwischen über das Wetter unterhalten. Er beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie trugen schwarze Anzüge, weiße Hemden und auffällige Krawatten, aber die Ärmel der Jacken waren abgewetzt und die Krawatten am Knoten schmutzig.

    „Ihr kommt doch aus den USA, begann er neugierig ein Gespräch. „Was macht ihr hier in Frankreich. Ihr seid doch nicht wegen mir hierher geflogen.

    „Nein sicher nicht, lachte der Anführer. „Wir arbeiten sonst in den Staaten. Hatten aber hier in Europa einen anderen Auftrag, und weil wir in der Gegend waren, sollen wir uns dir annehmen.

    „Ja, man hat uns dir auf den Hals geschickt", bekräftigte einer der anderen Männer.

    Der Kellner brachte die Suppe und unterbrach das Gespräch. Das Essen war ausgezeichnet. Julian aß Lamm, und das Fleisch war zart und saftig. Dazu tranken sie einen kalten, weißen Wein. 

    Endlich wurde der Espresso aufgetragen, und der Anführer der Männer wandte sich wieder an Julian: „Du bist doch ein heller Junge?"

    „Ja, er ist ein heller Junge", bestätigte einer seiner Männer.

    „Und helle Jungens wissen immer, was gut für sie ist."

    „Er ist ein heller Junge, sagte einer der Männer. „Er studiert sogar an einer Universität.

    „Und weil du so ein heller Junge bist, und weil wir dich mögen, und weil heute dein Glückstag ist, und weil du nicht umsonst nach Nizza geflogen sein sollst, wollen wir dir ein Geschäft vorschlagen."

    „Es ist ein gutes Geschäft", sagte einer der Männer.

    „Dann lasst mal hören!" Julian war die Ruhe selbst. Er strahlte Coolness aus, auf die er richtig stolz war.

    „Du wärest wirklich dumm, wenn du dieses Geschäft ausschlagen würdest", stellte der andere Mann fest.

    „Also, worum geht es?" Julian wurde ungeduldig.

    „Wir wollen, dass du deine Freundin vergisst. Sie ist ein Flittchen und hat dich verlassen."

    „Da bin ich mir gar nicht so sicher. Aber, wie wollt ihr feststellen, dass ich sie tatsächlich aufgebe?"

    „Wir haben uns das so gedacht. Du schreibst ihr jetzt gleich einen netten Abschiedsbrief. Und für diese Mühe zahlen wir dir zehntausend Dollar. Ist das nicht ein gutes Geschäft? Und in Cambridge suchst du dir eine neue Freundin, schließlich gibt es dort genug Mädchen, und machst dir mit dem Geld ein schönes Leben."

    „Ja, du machst dir ein schönes Leben mit einer neuen Freundin, sagte einer der anderen Männer. „Ich würde das machen!

    „Ein gutes Geschäft", sagte der Dritte.

    „So ein gutes Geschäft ist das auch wieder nicht, meinte Julian. Schließlich mag ich Jeannette."

    „Wir haben das Problem nun lange genug besprochen, sagte der Anführer ungeduldig. Er holte einen Schreibblock, zwei Kugelschreiber und einen dicken Briefumschlag aus der Tasche. „Hier sind die Zehntausend, und hier ist Papier für den Brief. Wenn wir dich beim Schreiben stören, warten wir draußen. Aber mach nicht zu lange! Wir haben noch zu tun.

    „Ihr braucht nicht zu gehen. Ich schreibe nicht, und eure zehntausend Dollar könnt ihr euch an den Hut stecken."

    Nun wurden die Augen des Anführers ganz schmal und seine Stimme gepresst: „Heißt das, du gehst nicht auf unser Geschäft ein?"

    „Ja", antwortete Julian schlicht.

    „Du bist doch der größte Hundsfott, den ich je getroffen habe. Du willst uns also Schwierigkeiten machen? Du glaubst, du kannst auf zehn Riesen verzichten?"

    „Ja, er ist ein Hundsfott", sagte einer der Männer.

    „Ein Hundsfott, sagte der Dritte, „und dumm. Sehr dumm!

    „Dabei dachten wir, du wärest ein cleveres Bürschchen. Ein heller Junge, einer der studiert!"

    „Er ist aber gar nicht so clever, und ein heller Junge ist er auch nicht!"

    „Hast du dir das auch wirklich gut überlegt?" ergriff der Anführer nun wieder das Wort.

    „Ja", sagte Julian.

    „Dann steigst du in den nächsten Flieger und kehrst brav heim nach Cambridge. Dein Flug ist bereits gebucht und bezahlt. Du bist doch ein fleißiger Student, deshalb kümmere dich ab jetzt lieber um deine Bücher. Und damit du nicht mehr auf dumme Gedanken kommst und wieder einmal sinnlos in der Gegend herumreist, muss dir leider der Geldhahn zugedreht werden. Was nun passieren wird, hast du dir selbst, deiner Sturheit und deiner penetranten Neugierde zuzuschreiben."

    Julian wurde bis zum Abflug begleitet. Er hatte nicht die geringste Möglichkeit zu entkommen.

    Im Flieger dachte er darüber nach, was die Männer wohl gemeint hatten, als sie drohten, ihm den Geldhahn zuzudrehen. Er hatte schließlich kein Stipendium, sondern wurde von seinem Vater unterhalten. Der hatte eine recht gut gehende Praxis in Salt Lake City und verdiente so viel, dass sich sein Sohn ein luxuriöses Leben leisten konnte. Zwar wäre es dem Vater lieber gewesen, wenn Julian Medizin studiert hätte. Doch er war tolerant und geduldig. Diesen elterlichen Geldhahn würde man ihm wohl so rasch nicht zudrehen können.

    Mittelmeer, 45 Seemeilen südwestlich von Nizza, Juni – Jeannette Grashuber

    1

    Nachdem Bernard abgeflogen war, lag Jeanette noch eine Weile in der Sonne und ließ sich bedienen. Sie genoss den Luxus in vollen Zügen. Aber gegen Abend wurde es ihr langweilig. Der Kapitän kam persönlich und lud sie zum Abendessen ein. Er war sehr höflich, nur manchmal vielleicht ein wenig ironisch. Stets lächelte er auf diese seltsame, ein wenig herablassende Art. Sollte ihm Jeannette sagen, dass sie keine von den Frauen war, die bisher hierher eingeladen worden waren. Frauen, die sich von all dem Glanz und dem Reichtum hatten beeindrucken lassen? Sollte sie ihm sagen, dass sie kein Betthäschen seines Chefs war? Doch sie schwieg. Stattdessen sagte sie sich, dass es ihr gleichgültig sein konnte, was der Kapitän dachte.

    Später führte er sie in einen kleinen Kinosaal. Sie konnte dort unter den neuesten Hits wählen. Doch schon während des zweiten Films wurde sie so müde, dass sie einnickte. Irgendwann lag sie dann in ihrer Kabine im Bett und schlief bis weit in den Morgen.

    Eine junge Frau in einem hübschen schwarzen Kleid mit weißer Schürze weckte sie. Sie wollte ihr das Haar machen. Aber Jeannette hatte eine kurz geschnittene Frisur, die nach dem Waschen von selbst wieder ihre Form fand. Deshalb lachte sie und schickte die Friseuse wieder fort. Kurz danach kam eine andere Bedienstete in der gleichen adretten Uniform und wollte ihr beim Anziehen helfen. So viele Dienerinnen waren der jungen Frau peinlich. Sie bedanke sich verlegen und verzichtete auf jede Unterstützung.

    Das Frühstück war wieder üppig und von ausgesuchter Qualität, der Pool sauber und warm, das Meer ruhig, und die Sonne schien wie am Vortag. Die Leute vom Service waren aufmerksam und nett. Kurz, Jeannette langweilte sich bereits am Nachmittag. Sie suchte den Kapitän auf und fragte, wann mit der Rückkehr von Baron de Lapisvent zu rechnen sei. 

    Darüber habe man keine Informationen, war die Antwort.

    „Dann will ich sofort nach Nizza zurückgebracht werden", verlangte die Frau entschieden.

    „Dazu habe ich keine Anweisungen", der Kapitän blieb kühl.

    „Bin ich etwa eine Gefangene auf dieser Jacht? Hat man mich etwa gekidnappt? Ist Ihnen klar, dass sie sich der Freiheitsberaubung schuldig machen?" Jeannette war wütend.

    „Nun, als sie vorgestern Nacht zusammen mit dem Herrn Baron hier angekommen waren, hatte ich nicht den Eindruck einer Entführung. In der Zwischenzeit haben sie es sich gut gehen lassen, und man hat alle ihre Wünsche erfüllt. Behandelt man so eine Gefangene? Im Übrigen, wenn sie auf einem normalen Kreuzfahrtschiff sind, können sie dann nach Belieben zum Kapitän gehen und verlangen, dass er sie unverzüglich mit einem Hubschrauber an Land bringt? Sind Sie nicht ein wenig vermessen?"

    „Dann möchte ich wenigstens telefonieren und meinen Freunden und meiner Familie mitteilen, wo ich mich aufhalte, und dass meiner Abwesenheit länger dauern wird. Leider ist das Telefon in meinem Zimmer tot, aber sie können sicherlich eine Verbindung zum Festland herstellen."

    „Dafür liegt leider keine Erlaubnis des Herrn Baron vor", antwortete der Kapitän kalt.

    „Aber wenigstens einen Zugang zum Internet können sie mir nicht verwehren!"

    Der Kapitän sah sie von oben bis unten ruhig an, schüttelte den Kopf, drehte er sich um und ließ sie stehen. Für ihn war dieses Thema erledigt.

    Jeannette kehrte wütend in ihre Kabine zurück. Sie ärgerte sich über den arroganten Skipper und hätte am liebsten die ganze Einrichtung zertrümmert. Ihr war klar, dass niemand, wirklich niemand außer diesem Bernard ihren derzeitigen Aufenthaltsort kannte.

    Der Skipper verweigerte Telefonate und sogar eine Internetverbindung. Und ihr Mobiltelefon hatte sie in der Hektik des Aufbruchs bei Lena liegen gelassen.

    Lena hatte sie noch am gleichen Abend zurückerwartet. Ob sie wohl die Polizei verständigte? Inzwischen musste auch die Exkursion von Julian beendet sein.

    Julian! Nun erst wurde ihr bewusst, wie sehr er ihr fehlte. Er war so ganz anders als Bernard, schüchterner aber auch ernster. Auch Julian war kein armer Mann. Seine Eltern hatten genügend Geld, um ihm ein angenehmes Leben finanzieren zu können. Aber natürlich war dies alles nichts im Vergleich mit dem Reichtum und dem Luxus auf diesem Schiff. Aber sie würde auf jeden Fall Julian vorziehen.

    Sicher, dieser Bernard war attraktiv und auf seine Art faszinierend. Sie würde sicher über kurz oder lang mit ihm schlafen, und es würde sicher aufregend werden. Der Sex mit Julian war intensiv, aber auch beruhigend. Der alte Freund gab ihr immer ein Gefühl von Geborgenheit, wenn sie zusammen waren. In seinen Armen einzuschlafen, war das Schönste, was sie sich vorstellen konnte.

    Ob Julian wohl eifersüchtig wäre, wenn er wüsste, wo sie sich gerade aufhielt? Warum war er auch auf diese dämliche Exkursion gefahren? Warum hatte er sie nicht auf das Fest begleitet? Die Sprache der Inuits - so ein Unsinn! Als ob es nicht Wichtigeres auf dieser Welt gäbe.

    An diesem Abend ließ sich das Mädchen wieder mit irgendwelchen Filmen berieseln und ging dann bald ins Bett.

    Wie die Tage zuvor machte sie sich am Morgen voller Appetit über das Frühstück her, das diesmal an Deck unter dem Sonnensegel serviert wurde. Wenn sie schon auf dieser Luxusjacht gefangen war, so wollte sie den Aufenthalt wenigstens genießen.

    Danach suchte sie den Kapitän noch einmal auf.

    „Ich muss dringend zurück nach Cambridge, sagte sie. „Wenn sie mich schon nicht mit dem Helikopter an Land bringen lassen, so sagen Sie mir wenigstens, wann wir einen Hafen erreichen. Meine Semesterprüfungen beginnen, und ich darf sie nicht versäumen. Ich habe mich von Bernard zu einem Abendessen einladen lassen, aber nicht zu einer mehrwöchigen Schiffsreise.

    Der Kapitän saß sie ernst an: „Ich habe bezüglich ihrer Person keine Anweisungen. Vorerst werden wir keinen Hafen anlaufen. Sie müssen schon warten, bis Monsieur Bernard zurückkehrt und weitere Entscheidungen trifft."

    „Danke!" sagte Jeannette knapp, verließ die Kommandobrücke und kehrte zum Pool zurück.

    Um sich abzureagieren, kraulte sie immer und immer wieder durch das Schwimmbecken. Schließlich war sie müde und legte sich auf eine der Liegen. Dort dachte sie über alle das nach, was ihr Bernard erzählt hatte.

    2

    Nach dem Mittagessen untersuchte sie, einer Eingebung folgend, sehr sorgfältig ihre Kabine. Dabei entdeckte sie unter dem Boden der untersten Schublade der Kommode einen Zettel. Als sie ihn las, wurde sie blass.

    „Liebe Eltern,

    ihr werdet es nicht glauben, wo ich mich zurzeit aufhalte. Ich kann es ja selber nicht glauben. So etwas hätte ich niemals für möglich gehalten. Ich weiß jetzt Dinge, die euch sprachlos machen. Ich wünschte, ihr wäret hier und könntet erleben, was ich erlebe. Macht euch keine Sorgen, eurer Tochter geht es sehr, sehr gut!

    ...

    Langsam erschreckt mich das alles, was ich, ob ich es will oder nicht, erfahre. Ich fühle mich hier eingesperrt und würde gern das Schiff verlassen. Es ist wie ein goldener Käfig, in dem man mich gefangen hält. Was soll ich nur tun?

    ...

    Ich habe mich eingeschlossen. Wird mir aber nichts nützen. Große Angst. Sie kommen! Gott hilf mir!

    Diese Notizen mussten an verschiedenen Tagen geschrieben worden sein. Die Schrift veränderte sich. Waren die ersten Zeilen noch in schönster Jungmädchenschrift geschrieben, so waren die letzten Bemerkungen in aller Hast auf das Papier gekritzelt und kaum leserlich.

    Jeannette schloss die Tür zu ihrer Kabine sorgfältig ab und dachte nach.

    USA, Salt Lake City, Juni – Julian Strawman

    1

    Doctor Strawman hatte schlecht geschlafen, und ausgerechnet heute hatte er seinen Angel-Day. Mit diesem Scherz erinnerte er an einen Sprachgebrauch im alten Wien. Damals nannte man Leute, die bei Frauen Abtreibungen vornahmen, Engelmacher. Schließlich wurden aus den ungeborenen Kindern Engelchen.

    Strawman war Frauenarzt und unterhielt eine recht gut gehende Praxis. Seine Honorare konnten sich allerdings nur vermögende Frauen leisten. Strawmans Familie konnte ein luxuriöses Leben führen, und sein Sohn irgendwelchen Unsinn auf einer Eliteuniversität in Cambridge studieren. Der Arzt war mit sich zufrieden.

    Es war stets der Dienstag, an dem sich Doctor Strawman nicht mit Chlamydien und Myoma beschäftigte. An diesem Tag operierte Doctor Strawman, und das waren in erster Linie Schwangerschaftsabbrüche. Die betroffenen Patientinnen mussten sich bereits um acht Uhr morgens in der Praxis einfinden. Die ersten vier wurden dann auf die Sprechzimmer verteilt, im Intimbereich rasiert und bekamen ein Beruhigungsmittel. So vorbereitet warteten sie auf den Doktor.

    Der betrat pünktlich um halb neun Uhr durch das Marmorportal die Praxis und leitete sogleich, nachdem er sich umgezogen hatte, bei der ersten Patientin die Narkose ein. Eigentlich wäre ein Narkosearzt nötig gewesen, aber Strawman wollte den Gewinn nicht teilen. Es handelte sich schließlich nur um eine kurze Betäubung. Routiniert wie immer dehnte er dann den Muttermund und setzte die Saugkürettage an. Er war bei der ersten Patientin bereits bei der Ausschabung, der Abrasio, um alle Gewebereste vollständig zu entfernen, da unterbrach ihn die Arzthelferin, die im Vorraum an der Theke die Patientinnen verwaltete und die Telefonate entgegennahm.

    Auf den Stufen im Eingang liege ein Mann. Er sei ohnmächtig, teilte sie dem Arzt flüsternd mit.

    Der war konzentriert bei der Arbeit und über die Störung recht ärgerlich: „Er wird betrunken sein. Rufen Sie einen Rettungswagen!"

    Gleich darauf hatte er den Zwischenfall vergessen und injizierte ein Mittel, damit sich die Gebärmutter wieder zusammenzog und die Blutung gestoppt wurde. Da die Narkose nur kurz andauerte, arbeitete er gegen die Uhr. Endlich war er mit der Patientin fertig und ging, nachdem er sich neu desinfiziert hatte, mit seinen beiden Assistentinnen in das nächste Behandlungszimmer. Die Patientin auf dem Stuhl sah in mit ängstlichen Augen an, so dass er sie erst einmal beruhigen musste, bevor er rasch den Blutdruck messen und dann die Spritze mit dem Narkosemittel setzen konnte. Doch kaum war die Patientin eingeschlafen, kam die Gehilfin von der Anmeldung wieder.

    Der ohnmächtige Mann sei immer noch da. Der Rettungswagen sei bisher nicht gekommen. Es bilde sich langsam eine Traube aus Passanten, die sich über die fehlende Hilfeleistung des Arztes beklagten.

    „Sehen Sie nicht, dass ich arbeite, zischte dieser. „Bitte unterbrechen Sie mich nicht mehr. Telefonieren Sie noch einmal mit der Ambulanz!

    Doctor Strawman hatte eben die Arbeit an der dritten Patientin dieses Vormittags beendet, als er schon wieder gestört wurde. Es war erneut die Gehilfin vom Empfang. Diesmal war sie sehr aufgeregt. Zwei Männer von der Polizei wollten ihn sprechen. Der Arzt gab seinen Assistentinnen den Auftrag, die operierte Patientin zu betreuen und ging unwillig nach draußen.

    Im Vorraum mit den ausgesuchten Designermöbeln warteten zwei Polizisten in Zivil. Sie zeigten ihm ihre Polizeimarken und fragten ihn, ob er Inhaber der Praxis sei. Strawman bejahte verwundert und wollte wissen, um was es ginge.

    Ein Mann sei auf den Stufen zu seiner Praxis gestorben. Er habe sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht, war die knappe Antwort. Dann nahm man ihn zur Vernehmung mit auf die Wache.

    England, Cambridge, Juni – Julian Strawman

    1

    Julian Strawman kam gerade vom Essen, als sein Mobiltelefon klingelte. Es war seine Mutter, die ihn sprechen wollte. Doch bevor sie ihm etwas mitteilen konnte, überwältigte sie ein Weinkrampf. Julian kannte seine Mutter als beherrschte Frau, die so leicht nichts aus der Ruhe brachte.

    „Ist Vater etwas passiert? Ist er krank?" fragte er bestürzt.

    „Nein, es geht ihm gut, schluchzte sie. „Aber er wurde verhaftet und kam nur gegen Kaution frei.

    Dann erfuhr der Student die ganze Geschichte von der unterlassenen Hilfeleistung. Reporter hatten den sterbenden Mann auf den Stufen der Arztpraxis fotografiert. Die zwei größten Zeitungen hatten am nächsten Tag die Bilder veröffentlicht und lange Artikel über den Arzt geschrieben. In dicken Lettern stand dort, ihm sei das Töten von ungeborenem Leben wichtiger, als die Rettung von gefährdetem Leben. Sogar das Wort „Schlächter" war verwendet worden.

    „Die Praxis ist tot. Alle Patientinnen haben sich inzwischen abgemeldet. Die Arzthelferinnen haben wir abgefunden und entlassen. Vater ist völlig außer Fassung und spricht dem Whisky mehr zu, als ihm guttut."

    Endlich kam die Mutter zu ihren Anweisungen. Julian müsse sein Studium unverzüglich abbrechen. Man könne ihn nicht weiterhin großzügig unterstützen, denn die Ersparnisse hätten für die Kaution eingesetzt werden müssen, und die Familie habe nun kein Einkommen mehr. Außerdem liefen hohe Schadensersatzklagen gegen den Vater. Zwar werde sich die Familie bemühen, dem Sohn noch ein Medizinstudium auf einer kleinen Uni in den USA zu finanzieren, aber eine Eliteuniversität käme natürlich nicht mehr infrage - und schon gar kein Orchideen-Fach wie vergleichende Sprachwissenschaft.

    Julian war erschüttert und ratlos. Zur Sorge um Jeannette kam nun auch noch die Sorge um die eigene Existenz. Verwirrt und wie im Traum exmatrikulierte er sich und verständigte sein College. Dann sucht er Lena auf und erzählt ihr alles.

    Ihre einzige Antwort war: „Wenn du in die Staaten zurückkehrst, braucht du doch deinen Austin nicht mehr. Verkaufst du ihn mir?"

    „Ich muss einen vernünftigen Preis für den Wagen erzielen. Du hast doch kein Geld?"

    „Oh, das hat sich inzwischen geändert. Mir ist eben eine Lebensversicherung ausbezahlt worden."

    „Du hast eine Lebensversicherung?"

    „Ich habe mich eben schon immer um meine Zukunft gesorgt. Ich kann dir für den Austin fünftausend Dollar geben."

    Julian sah Lena seltsam an. Doch er hatte keine Wahl, und fünftausend waren ein guter Preis. So wurden sie handelseinig. Wenige Tage später saß er in einem Flieger in Richtung USA. Entgegen seiner Gewohnheit flog er Economy. Die Sitze waren eng und für seine Beine kein Platz. Der Vordermann klappte gleich nach dem Start seinen Sitz nach hinten, und Julian litt lange acht Stunden.

    Frankreich, Languedoc, Departement Aude, ein Schloss, Juni – Familie Lapisvent

    1

    Auf der Europastraße E80, der L’Autoroute Des Deux Mers, gab es eine Autobahnabfahrt zu einem kleinen, abgelegenen Dorf. Nur ein paar Einheimische benutzten sie regelmäßig. Touristen sah man dort so gut wie nie. Was sollten Fremde auch in dieser abgelegenen Gegend oder gar in dem verschlafenen Nest finden? Es gab dort weder eine Sehenswürdigkeit, noch eine Tankstelle oder ein Hotel. Warum dann aber die kostspielige Ausfahrt?

    Verließ man jedoch die Autobahn und folgte der Straße eine Weile, so zweigte links ein breiter staubiger Feldweg ab, der zu einem kleinen Wäldchen führte. Der Feldweg endete hinter den Bäumen vor einem mächtigen Tor in einer hohen Mauer. Der Kenner konnte in den Bäumen eine Menge Kameras und Sensoren entdecken.

    Hinter dem Tor beleuchteten in der Nacht Flutlichtlampen ein Wächterhaus und die breite geteerte Straße, die dort begann und einige Kilometer durch menschenleeres Gebiet führte. Bevor man aber diese Straße erreichte, musste man noch zwei undurchdringliche Stacheldrahtzäune passieren. Auch an den Zäunen waren Sensoren befestigt, die Alarm auslösten, wenn jemand versuchte, sie zu überklettern. Zwischen den Zäunen patrouillierten Tag und Nacht scharfe Bluthunde. Dahinter folgte ein dichtes Gewirr von Bewegungsmeldern und Infrarotkameras, die kein Eindringling durchqueren konnte, ohne Alarm zu schlagen. Außerdem waren noch Tretminen vergraben.

    Ein fünfter Verteidigungsring diente der Abwehr von Angriffen aus der Luft. Radarschirme tasteten den Luftraum weitflächig ab. Bei Gefahr konnten Luftabwehrraketen und Flakgeschütze ausgelöst werden. Die Erbauer dieser Anlage waren auf größte Sicherheit bedacht gewesen und hatten versucht, alle Eventualitäten einzukalkulieren.

    Doch von all diesen martialischen Einrichtungen war auf der gepflegten Straße nichts zu bemerken. Sie führte durch eine idyllisch angelegte Landschaft und endete schließlich auf dem Parkplatz eines Schlosses.

    Das Schloss stammte aus der Zeit Ludwig XV. und lag irgendwo im Languedoc. Es hatte keinen Namen. Die Einheimischen nannten es nur scheu „Le Château". Seine genaue Lage war nur Eingeweihten bekannt. Man hatte seine Existenz aus allen Karten und Geschichtsbüchern entfernen lassen, und im Grundbuch stand nur ein Deckname.

    Keiner der einheimischen Bauern hatte es bisher mit eigenen Augen gesehen. Das dort beschäftigte Dienstpersonal stammte nicht aus der Gegend, sondern wurde von weit hergeholt. Aber obgleich niemand etwas wusste, existierten wilde Gerüchte über das Leben im Château und seine Bewohner. Geisterbeschwörer sollten es sein. Wilde Orgien sollte man dort feiern, bei denen jeder mit jedem kopulierte. Selbst schwarze Messen, bei denen Kinder getötet wurden, sollten den Gerüchten zufolge dort abgehalten werden. Doch niemand wagte sich in die Nähe des Châteaus.

    Trotz einer umfassenden Renovierung war der barocke Charakter des Gebäudes erhalten geblieben. Deshalb hatte man die große Garage eben nicht als klotzigen Bau in die Landschaft gestellt, sondern sie unter der Erde verlegt und die Lüftungsschächte in prächtigen Blumenrabatten verborgen. Die großen Springbrunnen und Wasseranlagen waren gleichzeitig Swimmingpools und passten mit ihrer Umrandung aus Marmor vorzüglich in das barocke Ensemble. In diesem Schloss fehlte es an nichts. An Luxus war nicht gespart worden. Die Ausstattung entsprach dem neuesten Stand von Technik und Innenarchitektur.

    Etwas abseits, hinter Bäumen verborgen, standen Kaserne für die Wachmannschaften, Wohnhäuser für die Bediensteten und vornehme Gästehäuser mit Speiseräumen, außerdem eine große Anzahl Büros

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